Stadterweiterung
Babenbergische Stadterweiterung
Das römische Legionslager Vindobona wurde um 400 zerstört, doch konnte nach archäologischen Grabungen im Bereich der römischen Badeanlage des Lagers (Abbruch der gotischen Häuser 1., Sterngasse 5 und 7) eine kontinuierliche Weiterbesiedlung ins Mittelalter, zunächst in Form einer sogenannten Restsiedlung, nachgewiesen werden; hier entstand der mittelalterliche Berghof mit der Ruprechtskirche und dem Kienmarkt (später folgten die Peterskirche und Maria am Gestade). Den darüber hinausgehenden ältesten rein mittelalterlichen Siedlungskern vermutete Adalbert Klaar auf dem Dreiecksplatz vor dem Haus Tuchlauben 8, da sich hier die Straße zur Peterskirche und zum Römertor, dem bereits 1330 urkundlich genannten Peilertor, gabelt; dieser Kern könnte (analog zu anderen süddeutschen und österreichischen Städten) auf die Zeit um 1000 zurückreichen. 881 ("Wenia") und 1030 ("Viennis") wird Wien in Annalen erwähnt; 1137 wird Wien im sogenannten Tauschvertrag von Mautern als civitas bezeichnet; im Verlauf des 12. Jahrhunderts kommt es zu einer raschen Entwicklung.
Vorstadtsiedlungen
Allmählich entstanden auf dem Gebiet der heutigen Inneren Stadt Siedlungen für Handelsleute und Gewerbetreibende außerhalb der noch aufrechten römischen Lagermauern: die Linsenangersiedlung Bäckerstraße-Wollzeile, die Weihenburg und die Vorstadt An der langen Mauer, außerdem die (1147 geweihte) Stephanskirche (Stephansdom) und das von Heinrich II. Jasomirgott 1155 begründete Schottenstift. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts kam es (im Zusammenhang mit dem für den englischen König Richard I. Löwenherz erpressten Lösegeld) zur großen babenbergischen Stadterweiterung (Ringmauer, Graben), die nicht (wie früher angenommen worden war) in drei Etappen, sondern in einem Zug vorgenommen und wohl unter Herzog Leopold V. begonnen wurde. Die Stadt erreichte damit jenen territorialen Umfang, der bis ins 19. Jahrhundert unverändert blieb. Die mittelalterlichen Vorstädte, zumeist mit Gräben und lebenden Zäunen eingefasst (Lucke), gingen während und nach der Türkenbelagerung von 1529 und im 17. Jahrhundert größtenteils zugrunde; das Areal war mit Bauverbot belegt und wurde etappenweise vergrößert (Glacis). 1698 erhielt die Stadt ein neues Burgfriedensprivileg (Burgfried); von da an war sie bestrebt, alle grundherrlichen Rechte über die Vorstädte anzukaufen, so dass Anfang 1848 alle Vorstädte (ausgenommen Schaumburgergrund, Mariahilf, St. Ulrich, Neubau, Neustift, Schottenfeld und Lichtental) der Grundobrigkeit der Stadt Wien unterstanden.
Entwicklung bis 1857
Zu kleinen Erweiterungen der Inneren Stadt kam es, nachdem die abziehende französische Besatzung 1809 neben anderen Befestigungswerken auch die Burgbastei gesprengt hatte, vor der Hofburg (Anlage des Kaisergartens Burggarten und des Volksgartens sowie des dazwischenliegenden Heldenplatzes samt Errichtung von Kaffeehäusern im Paradeisgartel und Volksgarten sowie Bau des neuen Äußeren Burgtors); weitere Planungen vor dem Werdertor und vor dem Kärntnertor (Kaiser-Ferdinands-Bau) folgten ab den 1830er-Jahren, wurden jedoch größtenteils nicht realisiert; lediglich die Befestigung bei der Dominikanerbastei wurde 1847-1849 hinausgeschoben. An verschiedenen Stellen wurde der äußere Rand des Glacis zur Verbauung freigegeben; so entstand beispielsweise ab 1816 das Polytechnikum neben der Karlskirche, ab 1826 die Häuserzeile im heutigen 3. Bezirk, Am Heumarkt (beispielsweise Hauptmünzamt), ab 1839 der Baublock im heutigen 8. Bezirk zwischen Lenaugasse, Florianigasse und Landesgerichtsstraße und 1853-1858 der Baublock im heutigen 9. Bezirk zwischen Währinger Straße, Berggasse und Roßauer Lände ("Neu-Wien"), außerdem begann 1856 der Bau der Votivkirche.
Provisorische Gemeindeordnung 1850
1850 etablierte man auf Basis der Provisorischen Gemeindeordnung Wien als Gemeinde, wobei die Innere Stadt mit den 34 Vorstädten das Gemeindegebiet bildeten. Dies wurde zusammen mit der Inneren Stadt in 7 (1850) beziehungsweise 8 (1861) Stadtbezirke (Bezirke) eingeteilt. Nach der Anordnung Franz Josephs I. vom 20. Dezember 1857, die Befestigungsanlagen niederzureißen und das Glacis zu verbauen (Ringstraße, Ringstraßenzone, Stadterweiterungsfonds), wurden Innere Stadt und ehemalige Vorstädte baulich verbunden wurden. Am 6. Dezember 1851 untersagte Franz Joseph I. die Aktivierung der bereits gewählten Bezirksvertretungen, weil die Vertreter von 15 bisherigen Vorstädten gegen die neuen Bezirksgrenzen Einspruch erhoben hatten. Erst am 29. Juni 1861 kam es zur Aktivierung der bereits 1851 gewählten Bezirksvertretungen. In diesem Jahr wurde der frühere 4. Bezirk in die heutigen Bezirke 4 und 5 geteilt.
Favoriten
1874 wurden Gebiete südlich des Linienwalls, die bis dahin zum 3. bis 5. Bezirk gehört hatten, zusammengeschlossen und in räumlich erweiterter Form als 10. Bezirk Favoriten eingemeindet. Am 16. Jänner 1873 hatte Johann Heinrich Steudel mit Erfolg die Einrichtung einer Filialkanzlei von Bezirksdienststellen gefordert und am 3. März 1873 beantragt, vor der Linie einen eigenen Bezirk zu schaffen. Nach längeren Debatten im Gemeinderat erfolgte am 18. Juli 1873 ein entsprechender positiver Gemeinderatsbeschluss. Nachdem am 22. Mai 1874 die Grenzen für den zu bildenden Bezirk festgelegt worden waren, gab die niederösterreichische Statthalterei am 27. September 1874 ihre Zustimmung zu dieser Stadterweiterung südlich des Linienwalls.
Eingemeindung der Vororte 1890/1892
Obwohl Franz Seraph Stadion von Warthausen bereits 1850 angeregt hatte, auch Vororte, die Siedlungen außerhalb des Linienwalls, einzugemeinden (womit er auf einhellige Ablehnung des Gemeinderats stieß), kam die Vereinigung von 33 Vororten erst nach langjährigen, zähen Verhandlungen, die insbesondere durch finanzielle Probleme (beispielsweise mangelhafte technische Infrastruktur in den Vororten, defizitäre Haushalte und durch die Verzehrungssteuer auftretende soziale Benachteiligungen der Bevölkerung) erschwert wurden, zustande. Nachdem Franz Joseph I. anlässlich der Eröffnung des Türkenschanzparks 1888 darauf verwiesen hatte, dass die Vereinigung der Vororte mit Wien wohl in naher Zukunft erfolgen werde, fasste der Gemeinderat am 20. Dezember 1890 einen diesbezüglichen Beschluss, der 1891 Wahlen zum Gemeinderat zur Folge hatte und am 1. Jänner 1892 definitiv in Kraft trat. Die Vororte wurden in die Bezirke 11 bis 19 eingeteilt, wobei man bei der Grenzziehung nach Möglichkeit auf die alten Gemeindegrenzen Rücksicht nahm. In der Folge kam es zu verschiedenen Grenzkorrekturen (etwa zwischen 5. und 12. Bezirk), von denen die aus rein verwaltungstechnischen Überlegungen erfolgte Abtrennung des 20. vom 2. Bezirk die gravierendste war (1900).
Floridsdorf
Am 28. Dezember 1904 beschloss der Gemeinderat, 1905 eine Reihe von Ortsgemeinden am linken Ufer der Donau als 21. Bezirk nach Wien einzugemeinden (Floridsdorf). Neben dem Wunsch eines Erwerbs unverbauten Gebiets dürfte es für Bürgermeister Karl Lueger auch eine Rolle gespielt haben, dass der damalige liberale Statthalter von Niederösterreich, Erich Graf Kielmansegg, mit dem Gedanken spielte, Floridsdorf zur Hauptstadt von Niederösterreich zu machen und damit dem christlich-sozialen Lueger entgegenzuarbeiten. Am 6. Juli 1910 folgte die Eingemeindung des selbstständig gebliebenen größeren Teils von Strebersdorf.
Nationalsozialistische Stadt ("Groß-Wien")
Am 15. Oktober 1938 wurden (nachdem weiterreichende Grenzveränderungen nicht zustande gekommen waren [erwogen wurde beispielsweise eine Erweiterung bis zum Semmering beziehungsweise zwecks Einbeziehung der Einzugsgebiete der Hochquellenwasserleitung bis zum Hochschwab]) 97 niederösterreichische Ortsgemeinden mit Wien vereinigt (Groß-Wien); 80 von ihnen wurden 1946/1954 wieder an Niederösterreich rückgegliedert (Randgemeinden). Die von Klosterneuburg bis Schwechat und Gumpoldskirchen angeschlossenen Gebiete wurden in die Bezirke 23 bis 26 geteilt; der 22. Bezirk wurde aus dem südöstlichen Teil des bestehenden 21. Bezirkes und linksufrigen Erweiterungen gewonnen. Siehe auch: Groß-Wien im Krieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Verfassungsgesetze von Niederösterreich und Wien und das Bundesverfassungsgesetz vom 29. Juni 1946 (Bundesgesetzblatt Nummer 110 / 1954, Landesgesetzblatt für Wien Nummer 14 / 1954) konnten, da der Alliierte Rat auf sowjetisches Betreiben gegen diese Einspruch erhoben hatte (unter anderem wegen der sich daraus ergebenden Veränderung in den Grenzen der Besatzungszonen), erst am 23. Juni 1954 publiziert werden und traten sodann mit 1. September 1954 in Kraft (Bezirkseinteilungsgesetz vom 2. Juli 1954, Landesgesetzblatt für Wien Nummer 18/1954). Seit damals ist Wien in 23 Bezirke eingeteilt und hat 414 Quadratkilometer.
Ohne territoriale Auswirkungen blieb die am 10. November 1920 durch die neue Bundesverfassung gegebene neue Funktion der Stadt als Bundesland Wien.
Literatur
- Sándor Békési: Stadterweiterung versus Stadtregion? Notizen zur Raum- und Verkehrsentwicklung im 20. Jahrhundert. In: Wien wird Bundesland. 100 Jahre Wiener Stadtverfassung und die Trennung von Niederösterreich. Wien: Wienbibliothek im Rathaus / Salzbzrg: Residenz Verlag 2020, S. 101 ff.
- Gerhard Botz: Groß-Wien. Die nationalsozialistische Stadterweiterung im Jahre 1938. In: Österreich in Geschichte und Literatur (mit Geographie) 17/1 (1973), S. 3–14
- Felix Czeike: Vom Römerkastell zur Weltstadt 1-3. In: Wiener Kultur-Notizen. Beilagen zu Nummer 16, 24, 25 (1970)
- Felix Czeike: Die Entwicklung der Inneren Stadt bis zum Fall der Basteien. In: Handbuch der Stadt Wien. Wien: Verlag für Jugend und Volk 87 (1973), S. 3, S. 3 ff.
- Katharina Fóti-Roessler: Theoretische Auseinandersetzungen mit der Wiener Stadterweiterung ab 1857 an Hand der Arbeiter Zeitung. Diss. Univ. Wien. Wien 1992
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 2: Die Gemeinde, ihre Verwaltung und sozialen Belange, Wirtschaftsleben, Handel, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, Volkskunde, Naturwissenschaft, Klimatologie, Meteorologie, Naturereignisse, Varia und Kuriosa. Wien: Jugend & Volk 1955, S. 85 ff.
- Hanns Jäger-Sunstenau, Edmund Ledl, Änderungen des Wiener Stadtgebietes während der letzten 100 Jahre. In: Handbuch der Stadt Wien. Wien: Verlag für Jugend und Volk 70 (1955), S. 263 ff.
- Rudolf Till: Wiener Land. Der Plan einer Stadterweiterung Wiens bis zum Semmering aus dem Jahre 1920. In: Jahrbuch zur Landeskunde Niederösterreichs 37 (1965-1967), S. 317 ff.
- Wiener Geschichtsblätter. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 30 (1975), Sonderausgabe: 130 (Liste der mit Gesetz vom 01. 10. 1938 eingemeindeten beziehungsweise 1946/ 1954 bei Wien verbliebenen Gemeinden)