Wien wird Bundesland

Aus Wien Geschichte Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche
Albert Sever war vom 20. Mai 1919 bis zum politischen Ausscheiden Wiens aus Niederösterreich am 10. November 1920 Landeshauptmann von Niederösterreich.
Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Politisches Ereignis
Datum von 1920
Datum bis
Thema
Veranstalter
Teilnehmerzahl
Gewalt
PageID 12558
GND
WikidataID
Objektbezug Wien wird Bundesland (Portal), Zwischenkriegszeit, Niederösterreich, Trennungsgesetz, Niederösterreich, Institutionen
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 3.08.2022 durch WIEN1.lanm09lue
Bildname AlbertSever.jpg
Bildunterschrift Albert Sever war vom 20. Mai 1919 bis zum politischen Ausscheiden Wiens aus Niederösterreich am 10. November 1920 Landeshauptmann von Niederösterreich.

Es wurden keine Personen erfasst.

Es gibt keine Adressen zu diesem Ereignis.

Es wurden keine Bezeichnungen erfasst!

Ausstellung im Foyer der Wienbibliothek, 2020
Jakob Reumann war vom 22. Mai 1919 bis zum 23. November 1923 Bürgermeister Wiens und nach der Trennung Wiens von Niederösterreich der erste Wiener Landeshauptmann.
Der Wiener Landtag trat erstmals am 10. November 1920 zusammen (Bild: 4. Oktober 2001).
Trennung Wiens von Niederösterreich im Spiegel der Karikatur, 1920

Vorgeschichte

In der Neuzeit war Wien bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Haupt- und Residenzstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie, Hauptstadt der "im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder" (Cisleithanien) sowie Hauptstadt des Kronlandes Österreich unter der Enns (Niederösterreich). Der Wiener Gemeinderat war daher in einer Reihe von Fragen (etwa des Wahlrechts oder der Finanzhoheit) von der Zustimmung des niederösterreichischen Landtags abhängig. Eine weitere Problematik ergab sich daraus, dass Wien zwar den ganz überwiegenden Teil der Finanzen des Kronlandes steuerte, jedoch durch das Kurienwahlrecht vor allem von Landadeligen politisch vertreten wurde. Abgemildert wurde das Problem durch die Kommunalisierung die den Gemeinden viele Aufgaben zuwies, während jene der Kronländer vergleichsweise gering waren. Auf Grund dieser Situation gab es schon in der Monarchie immer wieder Vorstöße zu einer Trennung ("Reichsunmittelbarkeit von Wien"), die jedoch von den Vertretern des Kronlandes abgelehnt wurden.

Im Ersten Weltkrieg änderte sich die Lage grundlegend. Die Wiener Bevölkerung war nun in immer stärkeren Ausmaß von der Nahrungsmittelzufuhr aus dem ländlichen Niederösterreich abhängig, während die bäuerlichen Produzenten kein Interesse an der Abgabe zu gesetzlich festgesetzten Preisen die weit unter dem Marktpreis lagen hatten.

Die Gründung der Republik und die Verfassungsdiskussion

Mit den Wahlen zum niederösterreichischen Landtag und zum Wiener Gemeinderat am 19. Mai 1919 war die Wiener Bevölkerung erstmals durch Einführung des allgemeinen Wahlrechtes gemäß ihrem Bevölkerungsteil im niederösterreichischen Landtag vertreten. Da in Wien und den niederösterreichischen Industriebezirken eine klare Mehrheit die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gewählt hatte, stellte diese auch den Landeshauptmann von Niederösterreich in der Person von Albert Sever. Dadurch entstand in der Christlichsozialen Partei mit Ausnahme der Wiener Landespartei eine starke Bewegung zur Trennung von Wien und Niederösterreich. Die ländliche Bevölkerung die überwiegend christlichsozial gewählt hatte, fühlte sich durch die Sozialdemokraten nicht vertreten. Außerdem war für die christlichsoziale Gesamtpartei und die Länderparteien mit Ausnahme Wiens ein "rotes Niederösterreich" mit über 50 Prozent Anteil an allen Wählerinnen und Wählern in der neugegründeten Republik eine nicht akzeptable Situation. Innerhalb der Sozialdemokraten gab es zunächst keine einheitliche Position zur Trennung. Aufgrund der Versorgungsknappheit wurde eine spätere Trennung mit Gebietsänderungen zu Gunsten Wiens befürwortet.

Im ersten Verfassungsentwurf der Christlichsozialen wurde Wien bereits als eigenes Land behandelt, wobei die Länder weitestgehende Gesetzgebungskompetenz erhalten sollten. Die Sozialdemokraten forderten als Gegenentwurf im Rahmen einer föderalstaatlichen Lösung die Selbstverwaltung der Gemeinden. In der 7. Länderkonferenz am 12. und 13. Oktober 1919 fiel die Vorentscheidung für einen Bundesstaat mit Wien als Bundesland. In der inoffiziellen Salzburger Länderkonferenz vom 15.-17. Februar 1920 unter Vorsitz von Michael Mayr nahmen bereits eigene Wiener Vertreter teil.

Was das Wiener Gebiet anlangt schlug Staatskanzler Karl Renner im Feburuar 1920 eine Erweiterung des Gebiets von Wien in etwa in der Dimension des späteren niederösterreichischen politischen Bezirks "Wien Umgebung" vor ("Renner-Plan"), welche jedoch von der niederösterreichischen Christlichsozialen abgelehnt wurde.[1] Unter den Sozialdemokraten wurde auch eine Erweiterung in der Dimension des "Wienerlandes" diskutiert, die Industriebezirke Niederösterreichs in Form eines an der Südbahn und Westbahn gelegenen Streifens Wien angegliedert hätte. Weitere Trennungsvorschläge kamen vom christlichsozialen Klub in der Nationalversammlung ("Sigmund-Plan") sowie vom Siedlungsreferenten der Stadt Wien Max Ermers.

Die Verfassung von 1920 und der Weg zu den Trennungsgesetzen

Die am 1. Oktober beschlossene und am 10. November 1920 in Kraft getretene Bundesverfassung definierte Wien in den Artikeln 108-114 als eigenständiges Bundesland mit Bezug auf die Landesverfassung, die Abgabengesetzgebung und die Vertretung im Bundesrat. Allerdings sah sie noch zwei Landesteile von Niederösterreich vor, wobei in einer Kurie gemeinsame Agenden der beiden Länder zu behandeln wären. In Artikel 114 wurde jedoch festgehalten, dass eine völlige Trennung der beiden Länder durch übereinstimmende Beschlüsse des Wiener Gemeinderates und des Landtags von Niederösterreich-Land beschlossen werden kann. Die politischen Vertreter Niederösterreichs betonten jedoch, dass sie dauerhaft keine Agenda für den gemeinsamen Landtag sehen würden und daher eine rasche Trennung anstreben wollten.

Der Wiener Gemeinderat beschloss, nunmehr als Landtag, noch am 10. November 1920 die am 18. November 1920 in Kraft getretene Wiener Stadtverfassung. Der Bürgermeister amtierte nun auch als Wiener Landeshauptmann, der Gemeinderat als Wiener Landtag. Ein gleichlautender Beschluss erfolgte im Landtag Niederösterreich-Land.[2] Erster Landeshauptmann von Niederösterreich war Johann Mayer (1858 bis 1941) von der Christlichsozialen Partei, der zuvor das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters innehatte.

Die tatsächliche Trennung verzögerte sich allerdings noch auf Grund offener Fragen. Die Gebietsgrenzen spielten dabei keine Rolle mehr. Sie wurden zwar von Wiener Vertretern ins Spiel gebracht, doch von niederösterreichischer Seite abgelehnt. Da die Wiener Sozialdemokraten das Projekt des Roten Wien als sozialdemokratischer Musterstadt vorantreiben wollten und die Mehrheitsverhältnisse im ehemaligen Kronland Niederösterreich nicht so eindeutig waren wie in Wien, gaben sie in der Grenzfrage nach. Die endgültige Trennung verzögerte sich jedoch wegen der Versorgungsproblematik.[3]. Der Gemeinsame Landtag trat von Dezember 1920 bis 29. Dezember 1921 in insgesamt 12 Sitzungen zusammen. Er befasste sich mit Fragen der Trennung. Die eigentumsrechtliche und organisatorische Trennung vom Bundesland Niederösterreich wurde verhandelt und führte zum gleichlautend vom Wiener und vom niederösterreichischen Landtag beschlossenen „Trennungsgesetz" vom 29. Dezember 1921, das mit 1. Jänner 1922 in Kraft trat.

Seit 10. November 1920 ist Wien somit, ausgenommen 1934-1938 (siehe Bundesunmittelbare Stadt) und 1938-1945 (siehe Reichsgau Wien) ein eigenes Bundesland, blieb jedoch weiterhin Sitz der niederösterreichischen Landesregierung und der niederösterreichischen Verwaltungsdienststellen. Erst am 10. Juli 1986 begann Niederösterreich mit der Wahl St. Pöltens zur niederösterreichischen Landeshauptstadt auch in dieser Hinsicht die Trennung von Wien, die zehn Jahre später vollzogen wurde: 1997 wurde der Sitz des niederösterreichischen Landtages in die neue Hauptstadt St. Pölten verlegt.

Siehe auch: Wien, Niederösterreich, Trennungsgesetz, Wiener Landtag, Niederösterreich, Institutionen.

Literatur

  • Bernard Hachleitner/Christian Mertens [Hg.]: Wien wird Bundesland. Die Wiener Stadtverfassung und die Trennung von Niederösterreich. Salzburg/Wien: Residenz 2020
  • Barbara Steininger: Der Trennungsprozess von Wien und Niederösterreich – rechtliche, politische und ökonomische Aspekte – oder: Szenen einer Scheidung. In: Elisabeth Loinig / Stefan Eminger / Andreas Weigl: Wien und Niederösterreich – eine untrennbare Beziehung? St. Pölten: Verlag NÖ Institut für Landeskunde, 2017, S.138-156
  • Maren Seliger: Bundesland Wien. Grenzziehungsvarianten 1919/1920. In: Wiener Geschichtsblätter 47 (1992), S. 45 ff.
  • Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1896 - 1934. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 2), S. 1001 ff., 1019 f., 1190 f.
  • Maren Seliger: Bundesland Wien. Zur Entstehungsgeschichte der Trennung Wiens von Niederösterreich. In: Wiener Geschichtsblätter 37 (1982), S. 181-216
  • Felix Czeike: Wann wurde Wien ein eigenes Bundesland? In: Stadt Wien 39 (1970), S. 14 f.; 40 (1970), S. 15 ff.
  • Rudolf Till: Das Werden des jüngsten Bundeslandes. In: Wiener Geschichtsblätter 16 (1961), S. 331 ff.

Einzelnachweise:

  1. Maren Seliger: Bundesland Wien. Zur Entstehungsgeschichte der Trennung Wiens von Niederösterreich. In: Wiener Geschichtsblätter 37 (1982), S. 201 f.
  2. Barbara Steininger: Der Trennungsprozess von Wien und Niederösterreich – rechtliche, politische und ökonomische Aspekte – oder: Szenen einer Scheidung. In: Elisabeth Loinig, Stefan Eminger, Andreas Weigl: Wien und Niederösterreich – eine untrennbare Beziehung? St. Pölten: Verlag NÖ Institut für Landeskunde, 2017, S.151 f.
  3. Maren Seliger: Bundesland Wien. Zur Entstehungsgeschichte der Trennung Wiens von Niederösterreich. In: Wiener Geschichtsblätter 37 (1982), S. 213.