Bürgerspital

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Das Typar zum großen Siegel des Bürgerspitals (3. Viertel 14. Jahrhundert) wurde bis ins 18. Jahrhundert vom Bürgerspital für wichtige Urkunden verwendet.
Daten zur Organisation
Art der OrganisationArt der Organisation Spital
Datum vonDatum (oder Jahr) von 1257 JL
Datum bisDatum (oder Jahr) bis 1784
Benannt nach
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GNDGemeindsame Normdatei
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Letzte Änderung am 23.05.2024 durch WIEN1.lanm08trj
BildnameName des Bildes WStLA_Buergerspital_Siegelstempel.jpg
BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Das Typar zum großen Siegel des Bürgerspitals (3. Viertel 14. Jahrhundert) wurde bis ins 18. Jahrhundert vom Bürgerspital für wichtige Urkunden verwendet.
  • 1., Lobkowitzplatz
  • 1257 JL (bis: 1783)

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48° 12' 19.80" N, 16° 22' 8.00" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Das Bürgerspital diente der Versorgung jener Personen, die nicht selbst für sich sorgen konnten. Wie viele vergleichbare Spitäler war das Wiener Bürgerspital eine multifunktionale Einrichtung. Der Kreis der betreuten Personen weitete sich im Lauf der Jahrhunderte immer mehr aus. In der Frühen Neuzeit wurden alte Menschen, physisch und psychisch Kranke, körperlich und mental Beeinträchtige, Schwangere und Wöchnerinnen, versorgungsbedürftige Kinder und Pilgernde betreut. Gebet und Gottesdienst waren stets wichtige Bestandteile des Lebens im Spital. Die medizinische Versorgung stand, anders als bei heutigen Spitälern, lange nicht im Vordergrund, gewann aber im Lauf der Frühen Neuzeit immer mehr an Bedeutung.

Bis 1529 befand sich das Bürgerspital vor dem Kärntnertor, rekonstruierte Ansicht um 1520.
Das Bürgerspital und die Bürgerspitalkirche, rechts vorne die Spitze von St. Stephan (Ausschnitt aus der Vogelschau von Hoefnagel, 1609).

Gründung

Die Gründung des Wiener Bürgerspitals erfolgte vermutlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts, spätestens 1257 hat es nachweislich bestanden[1]. Damit stellt es das älteste Bürgerspital auf dem Gebiet des heutigen Österreich dar. Das Spital lag vor dem Kärntnertor am Wienfluss (zu Lage und Gebäude siehe Bürgerspital vor dem Kärntnertor). Im Gegensatz zum sich in der Nähe befindlichen, etwas älteren Heiligengeistspital handelte es sich beim Bürgerspital um eine im städtischen Umfeld anzusiedelnde Gründung. In der ältesten erhaltenen Urkunde des Bürgerspitals aus dem Jahr 1257 werden Otto vom Hohen Markt und seine Brüder Kuno und Konrad als „gubernatores“ des Bürgerspitals genannt. Sie zählten zu den damals wohlhabendsten Bürgern und können vermutlich als Hauptakteure der Gründungszeit ausgemacht werden. Eine Urkunde aus dem Jahr 1268, die eine Verbindung des Spitals zu den Kreuzherren mit dem roten Stern herstellt, hat sich als Fälschung entpuppt[2].

Das mittelalterliche Bürgerspital vor dem Kärntnertor

Zu Beginn leiteten Mitglieder der im Spital anfangs wirkenden Bruderschaft oder Geistliche als Bürgerspitalmeister das Bürgerspital, denen bürgerliche Pfleger (Verwalter) für die wirtschaftlichen Belange zur Seite standen. Im Verlauf der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts übernahmen Bürger das Spitalmeisteramt, während der Pfleger zu einem untergeordneten Amtsträger wurde. Die Oberaufsicht über das Spital hatten der Bürgermeister und der Rat inne. Der Spitalmeister hatte diesen jährlich über die Einnahmen und Ausgaben Rechnung zu legen, die älteste erhaltene Spitalmeisteramtsrechnung deckt das Jahr 1385 ab.[3]

Wie für Spitäler im Mittelalter und auch in der Frühen Neuzeit üblich, musste sich auch das Wiener Bürgerspital selbst finanzieren. Das Spital erhielt zahlreiche Stiftungen, Vermächtnisse und Schenkungen und konnte damit sowie durch gezielte Erwerbungen zu umfangreichem Besitz in der Stadt und ihrem Umland kommen. Einen wesentlichen Schritt in der Verwaltung des Spitals stellte die Reform durch Hans Scheibelwieser (Spitalsleitung 1426 bis 1430) ab 1429 dar[4]. Zum Besitz des Spitals gehörten Häuser (darunter das Spitalhaus am Neuen Markt und ab 1369 das Leinwandhaus), Weingärten, Wälder, Auen, Äcker, Wiesen, zwei Badstuben (siehe Bürgerspitalbad), die Bürgerspitalmühle und ab 1432 das damals einzige Wiener Brauhaus vor dem Widmertor (siehe dazu Brauhaus des Bürgerspitals). Dazu kamen Zehentbezüge (siehe Zehentamt) und andere dem Spital zustehende Abgaben. Während bei einem Großteil der Besitzungen das Spital selbst Grundherr war (Grundherrschaft Bürgerspital), musste es für andere selbst diverse Abgaben leisten. Zur Förderung des Spitals konnten auch mehrere Ablässe erwirkt werden. Das Bürgerspital stellte einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Wien und Umgebung dar. Die größten Einnahmen erzielte es mit Weinverkauf und -ausschank.

Das Siegelbild der Bruderschaft „Unserer Lieben Frau“, die am Bürgerspital angesiedelt war, stellt das Monogramm von Maria mit dem Reichsapfel als Symbol ihrer himmlischen Herrschaft dar. Der Reichsapfel wurde zum Vorbild für das Wappenmotiv des Bürgerspitals (In der Siegelumschrift datiert 1503, Abdruck um 1910).
Ein Grenzstein aus dem Jahr 1677 mit dem Reichsapfel und dem Buchstabenkürzel BS für Bürgerspital markiert die Grenze des Weidlingauer Bürgerspitalwalds.
Wahrscheinlich um 1675 entstandenes Portal des Spitalhauses (Fassade zur Kärntner Straße hin) mit dem Spitalwappen (Fassadenriß 1831).

Über die im Spital versorgten Personen lassen die Quellen erst im 15. Jahrhundert nähere Aufschlüsse zu. Es gab zwei bis drei sogenannte Herrenpfründner (darunter auch Frauen), die sich die Versorgung im Spital erkauft hatten und über einen eigenen Wohnbereich und besondere Annehmlichkeiten verfügten. Ihnen gegenüber stand eine große Anzahl an „armen Dürftigen“, die im 15. Jahrhundert wahrscheinlich ca. 150 Personen ausmachten. Diese waren, getrennt nach Männern, Frauen und Kindern, im sogenannten Langhaus gemeinschaftlich untergebracht. Für Knaben gab es eine 1384 belegte Schule. Zudem lässt sich eine verschließbare Stube für „Unsinnige“ sowie eine „Sutte“ für Kranke nachweisen.

Die Stadtordnung von 1526 bietet zum ersten Mal normative Aufschlüsse darüber, wer in das Bürgerspital aufgenommen werden sollte: Insassinnen und Insassen, deren Zustand sich gebessert hatte und die wieder arbeitsfähig waren, sollten entlassen werden, damit “anndere durfftige an derselben stat als burger und burgerin, hanndwerchslewt und dinstvolkh, so in der stat Wienn verdorben oder in krannkhait gefallen und nit mehr arbaitten mugen, hinein genomen“ werden konnten. Das Spital hatte zudem dafür zu sorgen, dass “die armen, notturfftigen krannkhen lewt“ nicht auf der Gasse starben. Zudem bekam es die Aufsicht über die Bettler in der Stadt zugewiesen. Da mit der neuen Stadtordnung Betteln in der Stadt kurzfristig gänzlich verboten wurde, liest sich der Text so, als sollten nun alle arbeitsunfähigen Armen in das Spital aufgenommen werden. Dies erscheint jedoch als sehr unwahrscheinlich.

Das frühneuzeitliche Bürgerspital in der Stadt

Engel mit den Wappen des Bürgerspitals (Reichsapfel) und der Stadt Wien (Kreuzschild) vom Titelblatt einer Geschichte des Bürgerspitals von Michael Altmann, dem späteren Direktor der Bürgerspital-Wirtschaftskommission (1860).
Rechts die Fassade des Bürgerspitals zum Schweinemarkt hin, links das Lobkowitzpalais, im Hintergrund der Garten des Kapuzinerklosters und St. Stephan (Ausschnitt aus einem Gemälde von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, 1759/1760).

Im Vorfeld der Ersten Osmanischen Belagerung von 1529 wurde das Bürgerspital vor dem Kärntnertor zerstört, damit es den Angreifern keine Deckung bot. Die Insassinnen und Insassen fanden zunächst wahrscheinlich im Himmelpfortkloster, spätestens Anfang 1530 im verlassenen Klarakloster eine neue Unterkunft. Die wenigen verbliebenen Nonnen waren vor den Türken in die Steiermark geflohen. Da das zerstörte Spital vor der Stadt nicht mehr aufgebaut wurde (Glacis), überließ Ferdinand I. am 20. Dezember 1539 der Stadt das Kloster zur Nutzung als Bürgerspital[5] (zum Gebäude siehe Bürgerspital (Haupthaus)).

Im 1730 angelegten Gedenkbuch wurden wichtige Ereignisse festgehalten.
Das Stadtgut beim Prater war ein Teil des umfangreichen Besitzes des Bürgerspitals (1769).
Die Grafik zeigt die prozentuelle Verteilung der Einnahmen und Ausgaben des Jahres 1776 aus der Rechnung des Bürgerspitalmeisters. In diesem Jahr erzielte das Bürgerspital die meisten Einnahmen im Bereich des Bierwesens, gefolgt von den Kapitalerträgen. Die mit Abstand größten Ausgaben fielen für die Verpflegung von Personal sowie Insassinnen und Insassen an. Den zweitgrößten Ausgabenposten bildete die Besoldung des Personals.
Das Organigramm des Bürgerspitals um 1775 nennt die wichtigsten Funktionen. Das Personal unterhalb der Leitungsebene lässt sich in Verwaltungspersonal, Wirtschaftspersonal sowie Personal zur Insassenbetreuung einteilen, wobei es natürlich Überschneidungen gab. Das geistliche und medizinische Personal (vor allem die akademisch ausgebildeten Ärzte) hatte eine gewisse Sonderstellung.

Das Spital wurde weiterhin von einem Spitalmeister geleitet, dem ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sogenannte Superintendenten aus dem Inneren Rat zur Aufsicht und Kontrolle übergeordnet waren. Die Oberaufsicht über das Spital ging im Verlauf der Frühen Neuzeit immer mehr von der Stadt auf landesfürstliche Behörden bzw. Instanzen über (zunächst Niederösterreichische Landesregierung, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts Stiftungshofkommission). Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Stadt kaum mehr Einfluss auf das Bürgerspital, wogegen sie erfolglos protestierte.

Das Spital als Wirtschaftsfaktor

Auch in der Frühen Neuzeit war das Spital ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Stadt und im Umland. Der Weinsektor als wichtigste Einnahmequelle wurde spätestens Ende des 17. Jahrhunderts vom Bierwesen abgelöst. Dank des mit dem 1432 erworbenen Brauhaus verbundenen „Bierrechts“ verfügte das Spital über das Monopol auf Brauen, Importieren, Verkaufen und Ausschenken von Bier im Bereich des städtischen Burgfriedens. Während das Brauen dem Spital zumindest bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts alleine vorbehalten blieb, fielen in den anderen Bereichen bei Ausübung durch Dritte zumindest Abgaben an das Bürgerspital an. Neben dem ab 1537 im Haupthaus untergebrachten Brauhaus besaß das Spital ab wahrscheinlich 1676 ein Brauhaus im Unteren Werd und ab 1706 das Brauhaus St. Marx. Beim Brauhaus im Unteren Werd lag auch ein großer Meierhof mit einem ausgedehnten Küchengarten. Für weitere Einnahmen sorgen mehrere Gasthöfe an wichtigen Verkehrsknoten, wie das Spitalhaus an der Kärntner Straße, das Gasthaus beim Spital St. Marx und der Goldene Adler an der Taborstraße. Darüber hinaus war das Spital auch in anderen Bereichen landwirtschaftlich tätig (Bewirtschaftung von Wäldern, Auen, Äckern, Wiesen und Gärten) und verfügte über eine große Grundherrschaft. Ab 1679 diente ein Stadel auf der Landstraße dem Spital als Vorratslager. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts gehörte eine öffentliche Apotheke zum Spital (Zum heiligen Geist (Apotheke)). Im Verlauf der Frühen Neuzeit wurden Besitzungen zunehmend verkauft oder verpachtet und die Erlöse gewinnbringend veranlagt, beispielsweise beim Oberkammeramt. Gleichzeitig erfolgte ab dem 18. Jahrhundert die systematische Einhebung von Zahlungen für die Aufnahme bzw. den Aufenthalt von Insassinnen und Insassen. Für Kranke sollten beispielweise die zuständigen Grundherrschaften pro Tag einen gewissen Betrag entrichten, was in der Praxis jedoch nur schwer umgesetzt werden konnte.

Die Aufgaben und damit verbunden die Insassenstruktur des Bürgerspitals differenzierte sich im Verlauf der Frühen Neuzeit immer mehr aus. Nach der Übergabeurkunde von 1539 waren im Bürgerspital bis dahin „die armen, brechennhafftigen unnd schwachen burger, burgerin und derselben eralltenndt und verdorben dienner unnd diennerin unnd annder prechennhafftig khrannckh lewt [...] ennthallten worden“. Das multifunktionale Spital versorgte in der Frühen Neuzeit Alte, Kinder, physisch und psychisch Kranke, mental und körperliche Beeinträchtigte, Schwangere und Wöchnerinnen sowie Pilgernde. Nur bei einem kleinen Teil handelte es sich um Wiener Bürger (mit Bürgerrecht) und deren Angehörige.

Funktionserweiterungen

Dem Bürgerspital wurden immer wieder neue Aufgaben übertragen. Oft wurden dem Spital dafür die Vermögen bestehender Institutionen einverleibt.

  • Da die Clarissen als Entschädigung für ihr Klostergebäude das Pilgramhaus erhielten (Annakloster), übernahm das Bürgerspital dessen Aufgaben, die vor allem in der Beherbergung von Pilgernden bestanden. Dafür erhielt das Bürgerspital 1539 auch dessen Besitzungen.
  • Nach der Ersten Osmanischen Belagerung war das Bürgerspital zu Pestzeiten für die Versorgung und Unterbringung der Pestkranken zuständig, die im Pestlazarett Johannes in der Siechenals und bei Überfüllung auch an anderen Orten erfolgte.[6]
  • 1624 kamen die sogenannten Nikolaimädchen in das Bürgerspital. Diese waren ab ca. 1570 im Büßerinnenkloster zu St. Hieronymus und ab 1589 im namengebenden Nikolaikloster in der Singerstraße untergebracht gewesen. Das Spital bekam dafür die Besitzungen des Klosters, die zum Teil ursprünglich St. Hieronymus gehört hatten.
  • 1666 schloss das Bürgerspital mit der Chaosschen Stiftung einen Vertrag, wonach dieses bis 1736 gegen eine jährliche Zahlung die Versorgung der Stiftknaben und des Personals übernahm (siehe dazu ausführlich Chaossche Stiftung und Chaossches Stiftungshaus).
  • Von 1754 bis 1776 war die von Gerhard van Swieten angeregte „medizinisch-chirurgisch-praktische Lehrschule“ im Bürgerspital eingemietet, die ihre Patientinnen und Patienten teilweise aus dem Bürgerspital und seinen Filialen auswählte. Bereits ab der Mitte des 16. Jahrhunderts dürfte das Bürgerspital für den Unterricht am Krankenbett genutzt worden sein.
  • 1779 fand das von Joseph II. gegründete Taubstummeninstitut, eine Schule für gehörlose Kinder und junge Erwachsene, im Bürgerspital Aufnahme. Ein Teil der Schülerinnen und Schüler wurde gegen Kostenersatz im Bürgerspital untergebracht.

Filialen

In der Frühen Neuzeit wurde das Bürgerspital um einige Filialen erweitert:

  • Ab den 1530er-Jahren ist das zur Unterbringung von Pestkranken dienende Pestlazarett Johannes in der Siechenals als Filiale des Bürgerspitals anzusehen. 1540 vermachte Ferdinand I. das Areal der Stadt.
  • Ab ca. 1680 wurden bei Überfüllung des Bürgerspitals zeitweise Kranke in das Parzmayerische Haus im Tiefen Graben und das in der Nähe des Lazaretts gelegene Bäckenhäusel ausgelagert. Für diese beiden Einrichtungen tauchte Ende des 17. Jahrhunderts erstmals die damals neuartige Bezeichnung Krankenhaus auf. Nach einer Aufstockung wurde das Bäckenhäusel 1709 als „Krankenhaus in der Währingergasse“ zur permanenten Filiale des Bürgerspitals, während das Parzmayerische Haus nicht mehr mit Kranken belegt wurde.
  • 1706 erfolgte die Inkorporierung des Spitals St. Marx sowie des damit verbundenen kleinen Siechenhauses Klagbaum. Zusätzlich zu den bisher hauptsächlich in St. Marx versorgten Syphiliskranken wurden in der Folge vom Bürgerspital dorthin bis 1715 Personen mit der „hinfallenden Krankheit“ (Epilepsie), die Schwangeren und Wöchnerinnen sowie auch die „Narren“ (mental Beeinträchtigte und psychisch Kranke) ausgelagert. Neben dem Bäckenhäusel fungierte St. Marx als zweites Krankenhaus des Bürgerspitals.

Veränderungen im Haupthaus

Aufgrund der Auslagerung verschiedener Insassengruppen in die Filialen vor der Stadt veränderte sich die Insassenstruktur im Bürgerspital in der Stadt. Dort waren nach 1715 hauptsächlich noch alte und aus anderen Gründen versorgungsbedürftige Bürger und deren Angehörige sowie eine immer größer werdende Anzahl an Kindern untergebracht. Anders als in der Zeit davor, als im Spital vor allem ältere (Waisen-)Kinder versorgt wurden, handelte es sich nun vorrangig um jüngere Findel- und uneheliche Kinder. Ihre Zahl nahm besonders ab der Mitte des 18. Jahrhunderts sprunghaft zu. Ab 1735 wurden abgestillte Kinder und ab 1752 auch Säuglinge gegen ein Kostgeld zu Pflegefamilien im Wiener Umland gegeben. Die Säuglingssterblichkeit war sowohl dort als auch im Spital enorm hoch. In den 1770er-Jahren handelte es sich bei der Hälfte der ca. 2.300 vom Bürgerspital und seinen Filialen versorgten Personen um im oder außerhalb des Spitals untergebrachte Kinder.

Umstrukturierung unter Joseph II.

Die Reformen Josephs II. führten zu tiefgreifenden Veränderungen auf dem Gebiet der geschlossenen Armenfürsorge in Wien. Zentrales Anliegen war, anstatt der vielen kleinen, meist multifunktionalen Einrichtungen größere Institutionen mit spezialisierter Zuständigkeit zu schaffen. Die Insassinnen und Insassen des Bürgerspitals und seiner Filialen wurden folglich auf verschiedene, größtenteils neu geschaffene Einrichtungen aufgeteilt. Die Kranken, die Schwangeren und Wöchnerinnen sowie die „Narren“ kamen in das 1784 eröffnete Allgemeine Krankenhaus, zu dem ein Gebärhaus und das sogenannte Tollhaus (heute Narrenturm) gehörten. Die Zuständigkeit für die Kinder ging an das kurzzeitig vereinigte Findel- und Waisenhaus am Rennweg über (Waisenhaus (3), Findelhaus), wohin die sich im Bürgerspital befindlichen Kinder zwischen 1782 und 1784 übersiedelten. Nicht-bürgerliche Versorgungsbedürftige fanden in Siechen- bzw. Versorgungshäusern Aufnahme. Dem Bürgerspital verblieb nur mehr die Zuständigkeit für versorgungsbedürftige, meist alte Bürger und deren Angehörige.

Bürgerspitalfonds und Bürgerversorgung

Um die bürgerlichen Versorgungsbedürftigen unterzubringen, wurde 1784/1785 die Filiale St. Marx zum Bürgerversorgungshaus umfunktioniert. Neben der 1785 erfolgten Übersiedlung dorthin gab es für die bürgerlichen Armen auch die Möglichkeit, eine regelmäßige finanzielle Unterstützung („Stipendium“) zu erhalten und sich eine anderwärtige Unterkunft zu suchen. Zur Finanzierung der Versorgung der im Bürgerversorgungshaus St. Marx oder anderswo lebenden bürgerlichen Armen wurde der Bürgerspitalfonds eingerichtet. Die Verwaltung der Bürgerversorgung und des Fonds ging im Zug der josephinischen Reformen wieder an den Magistrat über (Spitalamt). Das Bürgerspital in der Stadt wurde in das Bürgerspitalzinshaus umgebaut, dessen Mieterträge eine bedeutende Einnahmequelle für den Bürgerspitalfonds darstellten.

Weitere Informationen

Standorte und Einrichtungen

Besitz und Verwaltung

Nachfolge

Namensgebungen in Zusammenhang mit dem Spital und seinen Einrichtungen


Siehe auch:

Quellen

Literatur

  • Michael Altmann: Das Wiener Bürgerspital. Zur Erinnerung an die Eröffnung des neuen Bürger-Versorgungshauses in der Alservorstadt. Wien: Selbstverlage des Bürgerspitalamtes 1860.
  • Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 323 f.
  • Joseph Holzinger: Hausgeschichte des Bürgerspitals zu Wien. Unveröffentlichtes Manuskript 1857–1860 [WStLA, Handschriften: A 240]
  • Max Kratochwill: Die Gründung des Wiener Bürgerspitals. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 12 (1955/1956), S. 84 ff.
  • Karl Lind, Beiträge zur Kunde der älteren Gemeinde-Siegel und Wappen in Nieder-Oesterreich. In: Mitteilungen und Beiträge des Alterthums-Vereins zu Wien XV, 1875, S. 39 f.
  • Lorenz Novag: Das Bürgerspital und das Versorgungshaus zu St. Marks in Wien von 1527 bis 1820. Wien: 1820
  • Richard Perger / Walther Brauneis: Die mittelalterlichen Kirchen und Klöster Wiens. Wien [u.a.]: Zsolnay 1977 (Wiener Geschichtsbücher, 19/20), S. 247 ff.
  • Sarah Pichlkastner, Insassen, Personal und innere Organisation des Wiener Bürgerspitals in der Frühen Neuzeit. Eine Projektskizze. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 123 (2015), S. 117–132
  • Sarah Pichlkastner: Eine Stadt in der Stadt. InsassInnen und Personal des frühneuzeitlichen Wiener Bürgerspitals – eine Studie anhand exemplarischer Untersuchungszeiträume. Wien 2020
  • Sarah Pichlkastner / Manuel Swatek: Fürsorge und Ökonomie. Das Wiener Bürgerspital um 1775. Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Reihe B: Ausstellungskataloge, Heft 97, Wien 2017
  • Brigitte Pohl-Resl: Rechnen mit der Ewigkeit. Das Wiener Bürgerspital im Mittelalter. Wien [u. a.]: R. Oldenbourg Verlag 1996 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 33)
  • Brigitte Resl: Bürger und Spital. Zur Entwicklung des Wiener Bürgerspitals bis zum ersten Drittel des 14. Jahrhunderts. In: Jahrbuch Verein für Geschichte Stadt Wien 47/48 (1991/1992), S. 173 ff.
  • Leopold Sailer: Aus der Geschichte des Wiener Bürgerspitals. In: Monatsblatt des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 9 (1927), S. 173 ff.
  • Martin Scheutz / Alfred Stefan Weiß, Spital als Lebensform. Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit. Wien: Böhlau Verlag 2015 (Quellenedition des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 15), Band 1 (Kommentare), S. 279–296; Band 2 (Editionsteil), S. 933–1057
  • Elfriede Sheriff: Die Ämter der Stadt Wien von 1783–1848 in verwaltungsgeschichtlicher und personeller Hinsicht. Diss. Univ. Wien. Wien 1977, S. 99–104
  • Karl Weiß: Geschichte der öffentlichen Anstalten, Fonde und Stiftungen für die Armenversorgung in Wien. Wien: Selbstverlage des Gemeinderathes 1867, S. 8 ff., 83 ff., 268 ff.

Einzelnachweise

  1. Vgl. die im Kopialbuch WStLA, Bürgerspital, B1: 1, fol. 3r, abschriftlich überlieferte Urkunde vom 16. April 1257.
  2. WStLA, Bürgerspital, U1: 2; vgl. dazu Brigitte Pohl-Resl: Rechnen mit der Ewigkeit, S. 15-21.
  3. WStLA, Bürgerspital, B11: 1.
  4. Vgl. dazu Brigitte Pohl-Resl: Rechnen mit der Ewigkeit, S.33ff. Ein wesentliches Dokument der weiteren Reformen ist das 1432 von Scheibelwiesers Nachfolger Hermann Perman angelegte Amtsbuch (WStLA, Bürgerspital, B1:3).
  5. WStLA, Hauptarchiv-Urkunden, P3: Privilegien: 59.
  6. Beispielsweise während der Pest von 1713/1714 in der Spittelau.