Stadtrichter

Aus Wien Geschichte Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche
Wappen von Johann Christoph Holzner im Wappenbuch. Die Allegorie der Gerechtigkeit mit Schwert und Waage verweist auf sein Amt als Stadtrichter, vor 1672.
Daten zum Begriff
Art des Begriffs Berufsbezeichnung
Andere Bezeichnung
Frühere Bezeichnung
Nachweisbar von
Nachweisbar bis
Objektbezug Mittelalter, Frühe Neuzeit, Stadtverfassung
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 20.10.2021 durch WIEN1.lanm08swa
Bildname Johann Christoph Holzner.jpg
Bildunterschrift Wappen von Johann Christoph Holzner im Wappenbuch. Die Allegorie der Gerechtigkeit mit Schwert und Waage verweist auf sein Amt als Stadtrichter, vor 1672.


Ein Wiener Richter ist erstmals 1192 (Privilegierung der Regensburger Kaufleute) erwähnt, Markward als erster in diesem Amt zwischen 1206 und 1212 namentlich belegt. Er vertrat als Amtsträger des Landesherrn dessen Interessen. Von einem Stadtrichter kann erst bei seinem Nachfolger, Dietrich dem Reichen gesprochen werden, da dieser auch Wiener Bürger war. Die Überführung des Richteramtes in die städtische Sphäre war ein Schritt Richtung städtischer Autonomie. Ab 1206 sind Stadtrichter zumeist namentlich bekannt, ab 1396 vollständig.

Der Stadtrichter wurde stets vom Landesfürsten ernannt. Er war Vorsitzender bei den Sitzungen des Rats, der 1221 im Stadtrechtsprivileg Leopolds VI. genannt ist. Bereits 1237 und neuerlich 1278 wurde dem Rat ein Mitspracherecht bei der Bestellung des Stadtrichters eingeräumt. Der Bürgermeister, dessen Amt ab 1282 nachweisbar ist, wurde als Vorsitz des Rats und Wortführer der Bürgergemeinde zum obersten städtischen Funktionär, der Stadtrichter war ab 1296 Mitglied des Rats, im übrigen jedoch auf seine richterlichen Funktionen beschränkt. Die niedere Gerichtsbarkeit (in allen Zivilsachen und in minderen Strafsachen) übte er nur innerhalb des Wiener Burgfrieds aus (dessen Grenzen unter Leopold I. 1698 fixiert wurden Burgfriedensprivileg), die hohe Gerichtsbarkeit (für alle Delikte, die mit Tod oder Verstümmelung bestraft wurden; auch Land- oder Blutgerichtsbarkeit genannt), welche der Verleihung des "Blutbanns" durch den Landesfürsten bedurfte, nicht nur im Burgfrieden, sondern auch in den benachbarten Dörfern Altmannsdorf, Atzgersdorf, Breitensee, Dornbach, Erlaa, Gumpendorf, Hernals, Hetzendorf, Inzersdorf, Liesing, Matzleinsdorf, Meidling, Oberdöbling, Ottakring, Pötzleinsdorf, Siebenhirten, Vösendorf und Währing. Wer dort wegen eines Delikts, dessen Ahndung dem Hochgericht zustand, ergriffen wurde, musste an der Grenze des Wiener Burgfriedens dem Wiener Stadtrichter ausgeliefert werden. Die übrigen Dörfer, die später in das Wiener Stadtgebiet einbezogen wurden, gehörten zu den Hochgerichtssprengeln Klosterneuburg (Grinzing, Heiligenstadt, Kahlenbergerdorf, Neustift am Walde, Nußdorf, Salmannsdorf, Sievering und Unterdöbling), Stadtrichter Veit (Baumgarten, Hacking, Hietzing, Lainz, Penzing, Speising), Schwechat (Kaiserebersdorf, Kledering, Oberlaa, Simmering und Unterlaa) und Stadlau (im wesentlichen die Orte der heutigen Bezirke 21 und 22) beziehungsweise zu jenem des Waldamts für den Wienerwald (Hütteldorf).

Der Stadtrichter Konrad Gärtner beurkundet in einer Rechtsangelegenheit, 1328.

Befugnisse

Bestimmte Berufs- und Standesgruppen waren der Kompetenz des Stadtrichters ganz oder teilweise entzogen, so der landesfürstliche Hofstaat, der Adel, die Geistlichkeit, die Universität, das dem Landesfürsten unterstehende Militär, die Juden, die Hausgenossen, die Spielleute und die Bewohner der Grundherrschaft des Schottenstifts. Prozessführung und Urteilsfindung des Stadtrichters erfolgten unter Mitwirkung von Beisitzern, die der Stadtrichter bis 1522 von Fall zu Fall aus dem Kreis der Genannten auswählte; 1522 löste der Landesfürst das Genanntenkollegium auf und ernannte zwölf Bürger zu Stadtgerichtsbeisitzern. Änderungen brachte die Stadtordnung von 1526: von den Mitgliedern der neuen 100-köpfigen Stadtregierung sollten zwölf den inneren und 76 den äußeren Rat bilden sowie zwölf als Stadtgerichtsbeisitzer fungieren, wobei jährlich der innere durch den äußeren und der äußere durch den inneren Rat sowie die Beisitzer gewählt wurde; die Beisitzer wurden vom Landesfürsten (beziehungsweise von der niederösterreichischen Regierung) ernannt, wobei ihr jeweiliger Kreis jedoch de facto von den Wahlergebnissen für die beiden anderen Gremien abhängig war. Während der Bürgermeister von den 100 Mitgliedern aus ihrem Kreis oder aus der übrigen Bürgerschaft gewählt wurde, ernannte den Stadtrichter der Landesfürst (beziehungsweise die niederösterreichischen Regierung) nach Gutdünken. Erst 1554 wurde festgelegt, dass er Wiener Bürger sein müsse. Ab 1561 sollten Stadtrichter und Bürgermeister nicht länger als zwei Jahre im Amt bleiben, nach zweijähriger Unterbrechung war jedoch eine Wiederwahl zulässig.

Einnahmen

Die Einnahmen des Wiener Stadt- und Landgerichts aus Taxen, Geldstrafen und Vermögenskonfiskationen waren beträchtlich; im Mittelalter wurden daraus die Gehälter des Gerichtspersonals (Nachrichter [Unterrichter], Schrannenschreiber [Vorsteher der Gerichtskanzlei], Knechte) und der Sachaufwand bestritten, der Rest fiel teils an den Stadtrichter, teils an den Landesfürsten. Nach 1526 erhielten auch der Stadtrichter und die Stadtgerichtsbeisitzer reguläre Gehälter. Das Budget der Stadt Wien war mit diesen Ausgaben nicht belastet, wohl aber mit den Kosten des Strafvollzugs (Hinrichtung, Hinrichtungsstätten, Scharfrichter), der nicht nur Urteilen des Stadtrichters, sondern auch Erkenntnissen von Sondergerichten Geltung verschaffte.

Schrannengebäude am Hohen Markt, dem Sitz des Stadtrichters. Auschnitt aus Jacob Hoefnagel, Ansicht von Wien 1609.

Amtssitz und Kompetenz

Der Amtssitz des Wiener Stadt- und Landgerichts war die Schranne (die 1629 aus städtischem Besitz in den des Landesfürsten überging). Urteile des Stadtrichters in Hochgerichtsfällen waren schon im Mittelalter vor Vollstreckung dem Wiener Rat zur Bestätigung vorzulegen. Erst 1753 verzichtete der Rat darauf, doch wurde im Gegenzug dem Stadtrichter in seiner Eigenschaft als Ratsmitglied das Stimmrecht bei Ratsentscheidungen in Wirtschafts- und Verwaltungsangelegenheiten entzogen. Kompetenzkonflikte zwischen Rat und Stadtrichter, vor allem im Bereich der Niedergerichtsbarkeit, gab es in großer Zahl, auch die detaillierte Schrannenordnung von 1566 brachte keine dauernde Klärung. 1653 wurde eine Taxordnung erlassen (die 1761 erneuert wurde). Ab 1737 hatten Bürgermeister und Stadtrichter ihre Ämter alle zwei Jahre zu wechseln; die jährliche Besoldung des Stadtrichters belief sich 1737 auf 500 Gulden. Die mit dem Wachstum Wiens verbundene erhöhte Arbeitsbelastung des Wiener Stadtgerichts führte 1754 zur Verstärkung des Gerichtspersonals und 1756 zur Schaffung von fünf zusätzlichen Beisitzerposten.

Das Amt des Stadtrichters und das Wiener Stadt- und Landgericht bestanden bis 31. Oktober 1783. Durch die am 1. November 1783 in Kraft getretene Magistratsreform Josephs II., die Verwaltung und Gerichtsbarkeit neu regelte und die bisherige Institutionen (innerer Rat, Stadtrichter, Stadtgerichtsbeisitzer) durch ein als "Magistrat" bezeichnetes besoldetes Beamtenkollektiv ersetzte, wurden drei Senate geschaffen, die mit den politisch-wirtschaftlich sowie den zivil- und strafgerichtlichen Aufgaben betraut wurden. Vorsteher des Magistrats waren der Bürgermeister und zwei Vizebürgermeister, ebenfalls besoldete Beamte, die jedoch zum Unterschied vom übrigen Magistratspersonal vom weiterhin bestehenden 100-köpfigen äußeren Rat gewählt wurden (Abgänge in diesem Gremium wurden durch Ernennungen seitens des Magistrats ersetzt). Berufungsinstanz gegen Urteile der Senate war nicht mehr die niederösterreichische Regierung, sondern das schon ab 1. Mai 1782 bestehende Appellationsgericht für Österreich unter und ober der Enns, das seinerseits der Obersten Justizstelle der gesamten Monarchie unterstand. In dieser Form blieb das Wiener Gerichtswesen bis zu den Neuerungen des Jahres 1848 (auf welche die heutige Gerichtsorganisation zurückgeht; Bezirksgericht, Landesgericht, Oberlandesgericht) bestehen.


Liste der Stadtrichter

Literatur

  • Otto Brunner: Die Finanzen der Stadt Wien. Von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert. Wien: Deutscher Verlag f. Jugend u. Volk 1929 (Studien aus dem Archiv der Stadt Wien, 1/2 ), S. 193 ff.
  • Erläuterungen zum historischen Atlas der österreichischen Alpenländer. Hg. v. d. Österr. Akademie d. Wissenschaften. Abt. 1: Die Landgerichtskarte: Teil 2, Niederösterreich, 2: Viertel unter dem Wienerwald. Wien: Holzhausen 1957, S. 7 ff.
  • Karl Fajkmajer: Verfassung und Verwaltung der Stadt Wien (1526-1740). In: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Alterthumsvereine zu Wien. Band 5: Vom Ausgange des Mittelalters bis zum Regierungsantritt der Kaiserin Maria Theresia, 1740. (II. Teil). Wien: Holzhausen 1914, S. 100-159
  • Leopold Fischer: Brevis notitia urbis Vindobonae. Potissimum veteris. Ex variis documentis collecta 2. Vindobonae: Jahn 1768, S. 141 ff.
  • Friedrich Hartl: Das Wiener Kriminalgericht. Strafrechtspflege vom Zeitalter der Aufklärung bis zur österreichischen Revolution. Wien [u.a.]: Böhlau 1973 (Wiener Rechtsgeschichtliche Arbeiten, 10)
  • Richard Perger: Die Wiener Ratsbürger 1396–1526. Wien: Deuticke 1988 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 18), S. 22 f.
  • Leopold Sailer: Die Wiener Ratsbürger des 14. Jahrhunderts. Wien: Deutscher Verlag f. Jugend u. Volk 1931 (Studien aus dem Archiv der Stadt Wien, 3/4), S. 21 ff.
  • Gerlinde Sanford: Wörterbuch von Berufsbezeichnungen aus dem siebzehnten Jahrhundert. Gesammelt aus den Wiener Totenprotokollen der Jahre 1648-1668 und einigen weiteren Quellen. Bern / Frankfurt am Main: Lang 1975 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur, 136), S. 129
  • Heinrich Schuster: Die Entwicklung des Rechtslebens, Verfassung und Verwaltung. In: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Alterthumsvereine zu Wien. Band 1: Bis zur Zeit der Landesfürsten aus habsburgischem Hause. Wien: Holzhausen 1897, S. 293-396
  • Heinrich Schuster: Rechtsleben, Verfassung und Verwaltung. In: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Alterthumsvereine zu Wien. Band 2.1: Von der Zeit der Landesfürsten aus habsburgischem Hause bis zum Ausgange des Mittelalters. Wien: Holzhausen 1902, S. 352-498
  • Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740-1934. Entwicklung und Bestimmungskräfte großstädtischer Politik. Teil 1: 1740-1895. Wien [u.a.]: Jugend & Volk Verl.-Ges. 1985 (Geschichte der Stadt Wien [N.R.2], 1), S.133 ff, S. 146 ff.
  • Karl Weiss [Hg.]: Geschichts-Quellen der Stadt Wien. Abt. 1: Johann Adolph Tomaschek [Bearb.]: Die Rechte und Freiheiten der Stadt Wien. Band 2. Wien: Hölder 1879, S. 240