Ratsherren (NS-Zeit)

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Sitzung der Ratsherren (10. August 1940)
Daten zum Eintrag
Datum von
Datum bis
Objektbezug NS-Zeit, Stadtverfassung
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 29.11.2023 durch WIEN1.lanm08trj
Bildname Ratsherren1.jpg
Bildunterschrift Sitzung der Ratsherren (10. August 1940)

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Der Wiener Gemeinderat und der Wiener Landtag wurden bereits 1934 vom damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß aufgelöst. An ihre Stelle trat ein Scheinparlament - die "Wiener Bürgerschaft" (1934 bis 1938), deren Mitglieder nicht gewählt, sondern ernannt wurden. Nach der Auflösung der "Wiener Bürgerschaft" durch die Nationalsozialisten 1938 wurde die Scheinvertretung der "Ratsherren" 1939 eingerichtet.

Führerprinzip auch auf lokaler Ebene

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 bildeten das Ostmarkgesetz und die Deutsche Gemeindeordnung die rechtlichen Grundlagen. Wien wurde zu einem nicht rechtsfähigen Verwaltungsbezirk des "Deutschen Reiches". In den Erläuterungen zur Deutschen Gemeindeordnung heißt es: "Der neue Staat beruht auf dem Grundsatz der unbeschränkten Führerverantwortlichkeit. Er lehnt Einrichtungen parlamentarisch-demokratischer Art, die die Verantwortung des Einzelnen verwischen oder auslöschen, unbedingt ab. Autoritär nach unten und uneingeschränkte Verantwortung nach oben ist der Grundsatz des nationalsozialistischen Staates".

Scheinvertretung ohne Kompetenzen

Sitzung der Ratsherren (20. November 1939)
Entwurf zur NS-Beflaggung von Rathaus und Parlament (1940).

Die Ratsherren waren eine Scheinvertretung ohne Kompetenzen. Sie waren ein beratendes Gremium und bestanden für Wien aus 45 Personen, die vom Reichsstatthalter auf sechs Jahre ernannt wurden. Es wurden öffentliche und vertrauliche (nicht öffentliche) Sitzungen im ehemaligen Sitzungssaal des Wiener Gemeinderates und Landtages abgehalten.

In der Deutschen Gemeindeordnung war neben den Berufungsvoraussetzungen für die Ratsherren wie eine "nationale" Gesinnung und deutsche Staatsangehörigkeit auch von "verdienten und erfahrenen Männern" die Rede. Mehr als 50 Prozent der Ratsherren hatten höhere Parteifunktionen in der NSDAP oder deren Gliederungen vorzuweisen. Die Parteifunktionäre waren überwiegend "Alte Kämpfer", das bedeutet, sie waren der NS-Bewegung bereits vor dem Verbot der Partei im Jahre 1933 beigetreten.

Berufung zum Ratsherrn

Neben diesen Parteivertretern wurden auch selbständige Unternehmer, leitende Manager und Gewerbetreibende, welche jeweils auch höchste Funktionen in den Kammern und Bezirksgruppen für Industrie, Großhandel, Banken, Versicherungen und Handwerk innehatten, zu Ratsherren berufen. Neben dem Reichsnährstand waren fünf Ratsherren aus den Bereichen NS-Wissenschaft und NS-Kultur vertreten: Berufen wurden der Rektor der Universität Wien, der Vorstand der Philharmoniker, der stellvertretende Direktor des Burgtheaters und der Präsident des Künstlerhauses beziehungsweise Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künstler.

Die Entnazifizierung

Da sich unter den während der Zeit des Nationalsozialismus in Wien tätigen Ratsherren viele Parteimitglieder und -funktionäre befanden, wurden nach 1945 im Zuge der Entnazifizierung nach dem Verbotsgesetz und dem Kriegsverbrechergesetz viele Verfahren vor dem Wiener Volksgericht gegen diese vollzogen.

Von 67 Ratsherren waren 49 von strafrechtlichen Verfahren betroffen, in 26 Fällen führten diese zu Schuldsprüchen. Dies erfolgte vor allem wegen "Hochverrat", – was beispielsweise durch eine Parteimitgliedschaft vor 1938 im Zusammenhang mit anderen Faktoren begründet wurde. Zudem kam bei acht Verurteilungen zusätzlich das Kriegsverbrechergesetz zum Tragen. 18 Ratsherren wurden nach dem Nationalsozialistengesetz 1947 als "minderbelastet" eingestuft. Von den Verurteilungen ausgenommen waren Vertreter der nationalsozialistischen Wissenschaft und Kultur, auch von Unternehmern und Wirtschaftsmanagern wurde insgesamt nur ein Ratsherr verurteilt.

Ratsherren im Wien Geschichte Wiki

Ratsherren (NS-Zeit)GeburtsdatumGeburtsortSterbedatumSterbeort
Hans Arnhold1911-03-27Bergwerk (Burgenland)1989-11-17Wien
Viktor Band1897-12-04St. Leonhard (Salzburg)1973-10-31Wien
Kurt von Barisani1895-10-17Wien1996-09-16München
Karl Belkhofer1904-02-12Köröserdö (Ungarn)1965-10-21Braunau am Inn (Oberösterreich)
Rudolf Benesch1894-11-06Budweis (Böhmen)1946-07-09Linz
Hans Berner1901-10-03Wien1986-10-08Wiesbaden (Deutschland)
Ulrich Bettac1897-05-02Stettin1959-04-20Wien
Leopold Blauensteiner1880-01-16Wien1947-02-19Wien
Bruno Brehm1892-07-23Laibach (Ljubljana, Slowenien)1974-06-05Altaussee, Steiermark
Franz Brunnmüller1890-09-10Wien1969-07-09Salzburg
Karl Cermak1902-08-13Wien1978-03-25Wien
Hans Dörfler1907-03-07Wien1986-07-08Wels (Oberösterreich)
Hans Fischböck1895-01-24Geras (Niederösterreich)1967-06-03Wehrda (Marburg/Deutschland)
Josef Fitzthum1896-09-14Loimersdorf (Niederösterreich)1945-01-10Wiener Neudorf (Niederösterreich)
Eduard Alfred Frauenfeld1899-09-17Wien1981-12-05Wien
Max Fritz1887-04-09Horn (Niederösterreich)1956-10-30Wien
Franz Gausterer1892-10-11Guntramsdorf (Niederösterreich)1945-04-05Guntramsdorf
Fridolin Glass1910-12-14Lemberg (Galizien)1943-02-21Sowjetunion
Karl Gratzenberger1894-11-21Wien1976-03-02Wien
Johann Griessler1900-12-08Zeilern (Niederösterreich)1983-10-16Attnang (Oberösterreich)
Max Grillmayr1908-08-01Vordernberg (Steiermark)1942-05-23Sowjetunion
Johann Grubmüller1890-05-11Jarmirn (Böhmen)1962-04-05Wien
Franz Hanke1892-10-15Vresna (Böhmen)1980-12-06Wien
Friedrich Hartmann (Politiker)1893-07-18Klosterneuburg (Niederösterreich)1962-07-26Wien
Karl Helbig1899-09-14Wien1980-04-12Wien
Walter Hirsch1910-08-14Wien1941-10-09Sowjetunion
August Hochmayer1905-05-19Wien1971-05-27Wien
Karl Hofer1905-02-07Wien1977-03-06Wien
Gottlieb Holubar1907-10-20Rothneusiedl (Niederösterreich/Wien)1966-09-23Wien
Wilhelm Jerger1902-09-27Wien1978-04-24Linz
Franz Kalina1888-12-07Liesing (Niederösterreich/Wien)1945-04-06Wien
Konstantin Kammerhofer1899-01-23Turnau (Steiermark)1958-09-29Oberstorf im Allgäu (Deutschland)
Walther Klingohr1902-11-10Krems1969-06-29Wien
Fritz Knoll1883-10-21Gleisdorf (Steiermark)1981-02-24Wien
Karl Kowarik1907-04-22Wien1987-05-16Wien
Rudolf Kührer1910-05-31Wien2003-01-15Wien
Anton Langer (Politiker)1897-06-30Wien
Heinrich Laube (Politiker)1894-01-11Wien1982-10-04Linz
Hans Lauterbacher1918-05-12Kufstein
Franz Leibenfrost (Politiker)1899-04-09Wien1984-12-07Wien
Koloman von Liebenberg1872-09-28Wien1945-10-12Wien
Hans Malzacher1896-10-14Traisen (Niederösterreich)1974-10-16Villach (Kärnten)
Josef Mayrhofer1894-03-07Linz1974-01-24Bad Aussee (Steiermark)
Egon von Müller-Klingspor1907-11-11Ödenburg/Sopron (Ungarn)1994-12-28Wien
Karl Neuber1900-10-20Wien1971-04-29Wien
Günther Ohnheiser1911-07-15Unternberg (Salzburg)1971-04-17Wien
Walter Edmund Ott1906-03-15Wien1962-12-19
Hermann Pangerl1903-11-13Wien
Hans Pehm1901-02-20Wien1964-08-15Wien
Eduard Pernkopf1888-11-24Rappottenstein1955-04-17Wien
Hans Peterek1896-03-02Wien1969-12-26Salzburg
Franz Petrak1900-11-04Wien1943-06-25Le Mans (Frankreich)
Johann Pfingstl1895-12-19Weinberg bei Fehring1970-12-26Graz
Franz Puzinger1897-08-31Wien1965-07-16Stubenberg (Steiermark)
Walther Rentmeister1894-12-03Feldbach (Steiermark)1964-12-03Peggau (Steiermark)
Hermann Reschny1898-06-15Stammersdorf (Niederösterreich/Wien)1971-01-07Graz (Steiermark)
Lorenz Rhomberg1896-06-14Dornbirn (Vorarlberg)1976-03-19Innsbruck
Anton Schiesser1906-11-12Wien1989-06-06Wien
Franz Schimanek1895-02-21Wien1948-02-04Lilienfeld (Niederösterreich)
Karl Schneeberger1899-09-12Wien1971-12-31Wien
Philipp von Schoeller (Politiker)1892-01-04Czakowitz (Böhmen)1977-06-08Salzburg
Josef Schreibmüller1895-10-01Mürzzuschlag (Steiermark)1972-02-25Wien
Rudolf Schöchl1898-12-31Wien1964-10-30Salzburg
Heribert Seidler1903-07-25Wien1984-11-28Mödling
Fritz Simmer1892-12-27Stockerau (Niederösterreich)1967-04-09Stockerau (Niederösterreich)
Hans Stigleitner1899-09-16Wien1945-04-11Wien
Friedrich Tilgner1868-01-03Wien1946-03-11Niederaudorf (Deutschland)
Hans Turner1889-05-19Engelhartstetten (Niederösterreich)1972-09-21Wien
Ernst Töpfer1894-05-13Assig (Torgau)/Deutschland
Hans Weigl1901-12-10Wien1946-02-23Wien
Karl Werner-Tutschku1896-08-26Wien1940-08-30Wien
Karl Zach1903-01-15Wien1972-07-04Mödling (Niederösterreich)


Quellen

Literatur

  • Maren Seliger: Scheinparlamentarismus im Führerstaat. "Gemeindevertretung" im Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934-1945 im Vergleich, Wien 2010
  • Barbara Steininger: Der Wiener Gemeinderat und der Wiener Landtag - Eine Zeitreise 1848-2013. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 2013 (Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 2/2013), S.12 ff.

Weblinks

POLAR - Wiener Politikerinnen und Politiker Archiv - Ratsherren 1939-1945: Gesamtabfrage