Wienfluss
Der Wienfluss (1., 3., 4., 5., 6., 12., 13., 14., 15. Bezirk), kurzweg "Wien" genannt, ist mit einer Gesamtlänge von 34 Kilometern der größte Wiener Donauzubringer und der Hauptfluss des Wienerwalds.
Verlauf
Der Fluss entspringt am Fuß des Kaiserbrunnbergs im Wienerwald und führt dort den Namen "Dürre Wien". Nach der Einmündung des durch Seitenbäche gespeisten Pfalzauer Bachs (auch "Kalte Wien" genannt) heißt das Gerinne "Wienfluss". Er durchquert die Stadt vom Westen und mündet etwas flussabwärts der Aspernbrücke bei der Urania in den Donaukanal. Auf seinem Weg durch das (heutige) Stadtgebiet nimmt beziehungsweise nahm er (weil die meisten in die Wien mündenden Bäche überwölbt sind und in die Sammelkanäle links und rechts der Wien münden) links den Weidling-, Tullner-, Gablitz-, Mauer-, Halter-, Rosen- und Ameisbach, rechts den Brenntenmaiß-, Wolfsgraben-, Dam- und Deutschwaldbach (früher Baunzenbach genannt), das Rotwasser, den Grünauer und den Lainzer Bach auf. Sein Einzugsgebiet ist etwa 230 Quadratkilometer groß, davon liegen 60 Quadratkilometer in dicht verbautem urbanen Gebiet, 170 Quadratkilometer in ruralem oder bewaldetem Territorium.
Abflussregime
Der Wienfluss hat alpinen Charakter und gilt daher als Wildwasser. Sein Abflussregime ist von extremen Schwankungen geprägt. Während er die meiste Zeit des Jahres nur sehr wenig Wasser führt, kann der während der Schneeschmelze oder nach starken Regenfällen erheblich anschwellen, wobei seine Wassermenge manchmal bis zu 2.000 Mal größer ist als bei Trockenheit (Überschwemmung). Sowohl Niedrigwasser als auch massive Schäden durch Hochwässer stellten eine große Herausforderung für die Bewohnerinnen und Bewohner, Nutzerinnen und Nutzer und die Verwaltung dar. Niedrigwasser war für die vielen Mühlen an der Wien problematisch, die manchmal bei Niedrigwasser für mehrere Monate nicht mahlen konnten. 1802 standen die Mühlen zum Beispiel für acht Monate still (Atzinger und Grave 1874). Die Mühlen befanden sich nicht direkt an der Wien, sondern an mehreren bei Wehren (Mariabrunner, Meidlinger, Gumpendorfer Wehr) abgeleiteten Mühlbächen. Die Abzweigung von nicht unbeachtlichen Wassermengen aus dem Hauptfluss verminderten die Wassermenge in der Wien weiter, so dass abgelagerter Unrat und eingeleitetes Abwasser nur sehr langsam weggespült wurden. Die Hochwässer an der Wien, wie auch bei den anderen Wienerwaldbächen, kamen flutwellenartig überraschend schnell, vergingen aber auch schnell.
Hochwässer (bis zum Ende des 19. Jahrhunderts) sind bekannt für 1221, 1295 (als das Bürgerspital unter Wasser stand), 1405, 1445, 1630, 1670, 1711, 1741, 1768, 1770, 1771, 1774, 1777, 1779, 1783 (durch einen Eisstoß im Winter), 1784, 1785, 1813 (Eisstoß), 1815, 1816, 1819, 1821, 1828, 1839, 1840, 1847, 1851, 1853, 1867, 1872, 1875, 1897 und 1899 (Atzinger und Grave 1874). Zu den größten gehörten die Überflutungen 1785 und 1851. Mit zunehmender Verbauung der Flussauen stieg auch das Überschwemmungsrisiko an. Zum Schutz vor Überschwemmungen wurden im Zuge der umfassenden Regulierung (1894-1904) Hochwasserrückhaltebecken zwischen Mariabrunn und Hütteldorf errichtet. Zusätzlichen Schutz bietet der Wienerwaldsee und das groß dimensionierte betonierte und abschnittsweise zusätzlich gepflasterte Flussbett.
Regulierungen
Bereits in der Antike hatten die Römer unter der Tücke des Flusses zu leiden, weshalb sie ein großes Wasserbecken zum Auffangen des Überwassers anlegten; so konnten sie die in der Nähe des Flusses vorbeiziehende Munizipalstraße nach dem späteren Sankt Marx vor andauernder Überschwemmung schützen. Das Wasserbecken wurde, nachdem es teilweise zerstört worden war, in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts wiederhergestellt. Die durch einen Arm der Wien, den sogenannten Mühlbach (Mühlen [dort weitere Verweise]), gebildete Insel wird schon 1290 erwähnt. Der Fluss bildete auch mehrere Weiher: die "Lacke" außerhalb des Klagbaums (1471), den Weiher "hinter dem Heiligengeistspital" (1478), den Permansweiher vor der heutigen Karlskirche (1456) und den Königsweiher in der Scheffstraße (1467). Auch der Name der Vorstadt Gumpendorf (Gumpe = Tümpel) zeugt davon.
Um einen Ausgleich der Wassermengen ging es auch bei dem Regulierungsprojekten, die vom Architekten Wilhelm Bayer und vom Oberst Jean Baptiste de Demenge Brequin vorgelegt wurden. Beide sahen die Anlage von Stauweihern vor. Die Projekte kamen nicht zur Ausführung (siehe Wienflussregulierungsprojekte um 1780). Im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Wienfluss im Bereich zwischen dem Linienwall und seiner Mündung schrittweise reguliert, indem die Ufer durch Anpflanzungen oder Pflasterung stabilisiert wurden, der Fluss eingetieft, begradigt und in seiner Breite begrenzt wurde. Auch die Mündung in den Donaukanal wurde umgestaltet und eine Flussschleife bei der Mondscheinbrücke (Schwarzenbergplatz) gerader gestaltet. Auch außerhalb der Linien wurde regulierend in den Fluss eingegriffen, allerdings örtlich begrenzt. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Wien in dem Bereich noch ein breites mäandrierendes Bett mit Sand- und Schotterinseln. Nicht nur durch menschliche Eingriffe veränderte sich der Wienfluss, sondern auch durch seine natürlichen Dynamiken. Hochwässer veränderten den Flusslauf und vertieften das Flussbett. Sie zerstörten aber auch regelmäßig Wehre, Brücken und andere Flusseinbauten.
Siehe auch: Wienflussregulierung
Nutzungen
Der Wienfluss wurde für vielfältige Zwecke als energetische und materielle Ressource genutzt. Bedeutend waren die Mühlen, die zum Teil (beim Mariabrunner Wehr) bis ins 20. Jahrhundert hinein in Betrieb waren. Bis zum 18. Jahrhundert wurde Holzschwemme betrieben und im Fluss gefischt. Im 19. Jahrhundert verstärkte sich die gewerbliche und industrielle Nutzung des Wienflusses und das Wiental entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum der Produktion. Während die meisten Gewerbe den Fluss vor allem zur Entsorgung ihrer Abwässer nutzten, waren es vor allem die Wäscherinnen und Wäscher, die Färberinnen und Färber und die Textildruckerinnen und Textildrucker, die ihre Arbeiten direkt am oder im Wienfluss betrieben. Nach der umfassenden Regulierung gehörte das Baden im gepflasterten Flussbett oder im 1917 gegründeten ersten Kinderfreibad Wiens in einem der Hochwasserrückhaltebecken zu beliebten Aktivitäten.
Brücken
Die bedeutendsten Wienflussbrücken waren die "Stainerne Prugken bey Chernerthor" (Elisabethbrücke) und die Steinbrücke vor dem Stubentor (Stubenbrücke), die in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts bestehende hölzerne Brücken (aus dem beginnenden 13. Jahrhundert) ersetzten und für den Handel nach Italien beziehungsweise Ungarn von Bedeutung waren. Bis ins 15. Jahrhundert hatte der Fluss insofern ein anderes Bett, als er ab der Stubenbrücke weiter östlich im Zuge der heutigen Hinteren Zollamtsstraße und dann, im rechten Winkel abbiegend, zum Donauarm floss.
Sgraffito 14, Hackinger Straße 53 zum Thema "Regulierung der Wien 1897" (städtische Wohnhausbau von Friedrich Schloßberg, erbaut 1954-1956).
Siehe auch
Wienflussbrücken, Wientalbrücke; Wehr über den Wienfluss (1842); Wasserverschmutzung Wienfluss; vergleiche auch Naschmarkt
Videos
Weblinks
- FWF-Projekt URBWATER: Vienna's Urban Waterscape. An Environmental History.
Literatur
- Alt-Wien 6 (1897), S. 84 ff., 111 ff., 131 ff.
- Emil Karl Blümml / Gustav Gugitz: Alt-Wienerisches. Wien 1920, S. 410 ff.
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 109 ff.
- Paul Harrer-Lucienfeld: Wien, seine Häuser, Geschichte und Kultur, Wien ²1951 ff. (Manuskript im WStLA), S. 212 ff.
- Hietzing. Ein Heimatbuch für den 13. Wiener Gemeindebezirkes. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde in Hietzing. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1925, S. 69 ff.
- Karl Hilscher: Meidling. Wiens 12. Gemeindebezirk. Wien: Jugend & Volk 1923, S. 212 ff., 551 ff.
- Carl Hofbauer: Die Wieden mit den Edelsitzen Conradswerd, Mühlfeld, Schaumburgerhof und dem Freigrunde Hungerbrunn. Historisch-topographische Skizzen zur Schilderung der Vorstädte Wiens. Wien: Gorischek 1864, S. 20 ff.
- Christine Klusacek / Kurt Stimmer: Meidling. Vom Wienfluß zum Wienerberg. Wien: Mohl 1992, S. 11 ff., 31 ff. und Register
- Paul Kortz: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hg. vom Oesterreichischen Ingenieur und Architekten-Verein. Wien: Gerlach & Wiedling 1905. Band 1, 1905, S. 14 ff., 329 ff.
- Helmut Kretschmer: Mariahilf. Geschichte des 6. Wiener Gemeindebezirks und seiner alten Orte. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1992 (Wiener Heimatkunde, 6), S. 62 ff.
- Ferdinand Lettmayer [Hg.]: Wien um die Mitte des XX. Jahrhunderts - ein Querschnitt durch Landschaft, Geschichte, soziale und technische Einrichtungen, wirtschaftliche und politische Stellung und durch das kulturelle Leben. Wien: Jugend & Volk 1958, S. 173 ff., 175 (Skizze der Nebenbäche), 183 f., 186 ff. (Regulierung), 184 f. (Hochwasserschutzbauten), 185 f. (Wientalstraße), 186 (Sammelkanäle), 188 f. (Brücken)
- Martin Paul: Die Regulierung und Einwölbung des Wienflusses. Wien 1903
- Gudrun Pollack: Verschmutzt - Verbaut - Vergessen. Eine Umweltgeschichte des Wienflusses von 1780 bis 1910. Wien: Institute of Social Ecology 2013 (Social Ecology Working Paper, 138)
- Else Spiesberger: Der Wienfluß - Lebensader des Bezirks. In: Das Wiener Heimatbuch – Mariahilf. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft des Mariahilfer Heimatmuseums. Wien: Austria Press 1963, S. 129 ff.
- Renate Wagner-Rieger [Hg.]: Die Ringstraße. Bild einer Epoche. Die Erweiterung der Inneren Stadt Wien unter Kaiser Franz Joseph. Band 11. Wiesbaden: Steiner 1981 , S. 359 ff. (weitere Literatur)
- Emil Winkler: Technischer Führer durch Wien. Wien: Lehmann & Wentzel 1873, S. 79 f.