Sportfunktionäre im jüdischen Kontext (1918 - 1938)

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Ein Volltreffer ist der Sport der Wiener Montagspost. (Plakat, ca. 1928)
Daten zum Begriff
Art des Begriffs Berufsbezeichnung
Andere Bezeichnung
Frühere Bezeichnung
Nachweisbar von 1918
Nachweisbar bis 1938
Objektbezug Sport, Fußball, Jüdische Geschichte, Judentum
Quelle
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Letzte Änderung am 29.11.2023 durch WIEN1.lanm08trj
Bildname Sport der Montagspost.jpg
Bildunterschrift Ein Volltreffer ist der Sport der Wiener Montagspost. (Plakat, ca. 1928)


Sport - vor allem Fußball - entwickelte sich in Wien in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Massenphänomen. Eine wichtige Rolle im Gefüge des Sports nahmen die Funktionäre (und in manchen Fällen auch Funktionärinnen) der Vereine und Verbände ein.

Dieser Themenschwerpunkt setzt sich mit Personen auseinander, die sich in den Jahren zwischen 1918 und 1938 auf dem Terrain des modernen Sports in Wien, genauer gesagt der Leitung und Organisation des Sports, betätigt hatten und "jüdisch" waren. Während der erste Teil recht einfach abzugrenzen ist, indem er durch eine Funktion im Vorstand eines Sportvereins oder -verbands definiert ist, birgt die Frage nach dem "Jüdischen" einige Schwierigkeiten. So erweisen sich Definitionen des Jüdischen – zwischen religiösen, nationalen und politischen Zugängen, gerade in einer Post-Shoah-Perspektive – bekanntlich als mehrschichtig und komplex. Zudem offenbaren sich – zumindest in manchen Fällen – auch in den zeitgenössischen Debatten Widersprüche zwischen Selbstdefinitionen und Fremdzuschreibungen.

Einerseits gibt es die formalen, religiösen Kriterien: Als Juden (bzw. Jüdinnen) gelten alle, die sich in einem religiösen Sinn selbst als solche bezeichneten, also etwa Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) waren – unabhängig davon, ob sie im strengen Sinn der Halacha Juden bzw. Jüdinnen waren, also eine jüdische Mutter hatten oder nicht.

Dazu kommen Fremdzuschreibungen: Ein Austritt aus der IKG oder die Konversion zum Christentum schützten schon vor 1938 nicht unbedingt vor Antisemitismus. Personen, die sich selbst nicht als Juden und Jüdinnen betrachteten, konnten von ihrer Umwelt trotzdem als solche definiert werden. Vor der Verfolgung durch den Nationalsozialismus schützte das Ablegen der jüdischen Religionszugehörigkeit ohnehin nicht – oder nur sehr begrenzt. Die Nationalsozialisten schufen mit den Nürnberger Gesetzen 1935 eine zwangsweise Fremddefinition, wer als Jude zu gelten habe – und damit der Verfolgung ausgesetzt war.

Die Frage der Definition(en) des Jüdischen war unmittelbar mit gesellschaftlicher, kultureller und politischer Macht verknüpft. Aus diesen Gründen kommen auf dieser Website auch Daten von Personen vor, von denen nicht klar ist, ob sie sich selbst als Juden und Jüdinnen betrachtet haben – sofern es Belege dafür gibt, dass sie von anderen als Juden bzw. Jüdinnen gesehen wurden.

Juden (und Jüdinnen) machten im Wien der Zwischenkriegszeit etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus und waren auch im Sport stark vertreten. Während sie aber bereits ab den 1890er-Jahren durch Arierparagrafen bzw. implizite Ausschlussmechanismen in manchen Sportarten und der Turnbewegung aus vielen Vereinen vertrieben wurden, fanden sie in den modernen, urbanen Sportarten (etwa dem Fußball) neue Betätigungsfelder. Außerdem existierten in Wien zahlreiche jüdische Sportvereine, mit dem SC Hakoah als bekanntestem Beispiel. "Muskeljuden" im Sinne des Arztes Max Nordau bzw. Zionisten waren vorwiegend bei diesen Vereinen tätig.

Von den Vereinen ohne konfessionelle oder nationale Zuordnung galt der FK Austria als "Judenverein". Tatsächlich bestand der Vorstand dieses Vereins überwiegend aus jüdischen Funktionären, zum Zeitpunkt des "Anschlusses" 1938 sogar ausschließlich. Hier decken sich also Zuschreibung und Zusammensetzung des Vorstands. Anders beim FAC. Dieser Floridsdorfer Verein hatte zwischen 1918 und 1938 mindestens vier jüdische Präsidenten, er galt in der Zwischenkriegszeit trotzdem als Beispiel eines "nichtjüdischen" Vorstadtklubs. Auch der Sportklub Rapid hatte einen jüdischen Präsidenten und mehrere jüdische Vorstandsmitglieder. Einzige Ausnahme unter den großen Wiener Fußballklubs war der Wiener Sport-Club. Wenngleich er in seinen Statuten wohl keinen Arierparagrafen hatte, blieb er Juden verschlossen.

Sehr niedrig war der Anteil von Frauen. So wurden in einem Forschungsprojekt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) 633 jüdische Personen in entsprechenden Funktionen identifiziert, davon waren nur 24 weiblich. Stärker als in anderen Sportarten waren Frauen im Schwimmsport vertreten.

Nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland waren die jüdischen Sportfunktionäre – wie alle anderen Juden und Jüdinnen – der Verfolgung ausgesetzt. Bei einigen von ihnen erwiesen sich die internationalen Kontakte aus dem Sport als hilfreich, um das Land verlassen zu können. Nur wenige kehrten ab 1945 wieder nach Wien zurück. Einzelne übernahmen aber wieder wichtige Funktionen im österreichischen Sport, etwa im Österreichischen Fußball-Bund, der Austria oder beim Wiederaufbau der vom NS-Regime vernichteten Hakoah.

Funktionärinnen und Funktionäre im Wiki

Literatur

  • Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Georg Spitaler [Hg.]: Sportfunktionäre und jüdische Differenz. Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938. Berlin/Boston: De Gruyter 2019] Volltext/Open Access
  • Bernhard Hachleitner/Matthias Marschik/Rudolf Müller/Johann Skocek: Ein Fußballverein aus Wien. Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938-1945. Wien/Berlin/Weimar: Böhlau 2018
  • Jakob Rosenberg / Georg Spitaler: Grün-weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938−1945). Unter Mitarbeit von Domenico Jacono und Gerald Pichler. Wien: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes 2011, S. 42−44 und 59−62

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