Rosalia Rothansl
Rosalia Rothansl, * 20. Februar 1870 Wien, † 1. August 1945 Kierling, Textilkünstlerin, Kunsthandwerkerin, Textilrestauratorin.
Biografie
Rosalia Rothansl wuchs als ältestes von drei Kindern in Kierling bei Klosterneuburg auf. Ihre Eltern Georg Wenzel Rothansl (1846–1926) und Rosalia Schatz (1842–1925) heirateten am 18. Mai 1869, ihre Brüder waren der akademische Maler, Bildhauer und Kunsterzieher Edmund Rothansl (1876–1937) und der Ingenieur Georg Rothansl.
Nach acht Jahren Volks- und Bürgerschule in Wien wurde Rothansl von 1885 bis 1890 an der k.k. Fachschule für Kunststickerei in der Hegelgasse 6 ausgebildet, wo sie 1888/89 den Spezialkurs für Teppich- und Gobelinrestaurierung absolvierte. Zeitgleich besuchte sie die Kunstgewerbeschule als Gasthörerin. Sie war an der vierjährigen Restaurierung des gestickten Prachtbettes Maria Theresias in der Hofburg beteiligt, bevor sie 1894 Hilfslehrerin und ab 1901 vertragsmäßig bestellte Lehrerin an der Fachschule für Kunststickerei wurde. Rothansl leitete ab 1898 den Spezialkurs für Teppich- und Gobelinrestaurierung, der 1902 in die k.k. Kunstgewerbeschule des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie eingegliedert wurde, wo sie zeitgleich begann als Vertragslehrerin für Kunststickerei und Handweberei zu arbeiten. Sie arbeitete zunächst unter der Leitung von Leopoldine Guttmann, leitete ab 1909 den "Allgemeinen Textilkurs" und ab 1911 die "Kunstgewerbliche Werkstätte für Textilarbeiten". Mit Adele von Stark, die auf Emailarbeiten spezialisiert war, gehörte Rosalia Rothansl 1918 zu den ersten Frauen im deutschsprachigen Raum, die den Titel "Professor" erhielten.
Spätestens 1913 wurde Rothansl von Alfred Roller, dem damaligen Rektor der Kunstgewerbeschule zusätzlich zur Leitung der Werkstätte für Textilarbeiten mit der Pflege und Verwaltung der "Kostümsammlung XVII" beauftragt. Sie erweiterte die im 19. Jahrhundert begonnene textile Sammlung der Kunstgewerbeschule um Stickereien, Tapisserien, Gewebe und Posamente ihrer eigenen Studierenden, sowie um eine Vielzahl an Fragmenten und Kleidungsstücken aus ländlich geprägten Gebieten Österreich-Ungarns, die sie als Vorbilder in ihrer Lehre einsetzte. Es handelt sich bei diesen, heute im Bestand von Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien verwahrten Objekten um meist vielfarbige, handwerklich gefertigte, in regionalspezifischen Mustern gestickte, gewebte, gewirkte oder geklöppelte (Fragmente von) Ensemble(s) unter anderem aus Böhmen, Mähren, Dalmatien, Galizien und Lodomerien oder der Bukowina, die durch komplexe Schnitte und Kombinationen verschiedener Elemente charakterisiert sind. Vergleichbare textile Sammlungen wurden auch von Vertreter*innen der Wiener Moderne wie etwa Gustav Klimt und Emilie Flöge angelegt beziehungsweise appropriiert und in kunst- und kulturtheoretischen Texten, etwa von Alois Riegl und Michael Haberlandt, untersucht. Rosalia Rothansls Verbindung zur Wiener Secession wird an diversen Ausstellungsbeteiligungen (Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession Wien 1902 und 1906, Kunstschau Wien 1908 und 1909) deutlich.
In ihrer 23 jährigen Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule unterrichtete Rosalia Rothansl fast 400 Künstler*innen, von denen einige international erfolgreich wurden. Beispielsweise studierten Friedl Dicker-Brandeis, Gertrud Höchsmann, Maria Likarz-Strauss, Oswald Reiterer-Haerdtl, Felice Rix-Ueno und Vally Wieselthier bei der Textil-, Teppich- und Gobelinspezialistin. Durch die enge Anbindung der künstlerischen Produktion in ihren Kursen an Institutionen wie die Wiener Werkstätte oder den österreichischen Werkbund sowie durch die Repräsentation ihrer Schüler*innen auf internationalen Ausstellungen unterstützte sie zahlreiche weiblich gelesene Personen dabei, eigenständige künstlerische Karrieren zu verfolgen. Nach Entwürfen von Anton Hofer schuf Rothansl mit 16 Studierenden, darunter Helene Klimt, Paula Lustig, Marie Händler und Maria Bernhuber 1911 das Marien-Ornat für das Stift Klosterneuburg, dessen Ausführung im Jugendstil für damalige liturgische Textilien progressiv war.
Neben ihrer künstlerischen Produktions, Lehr- und Ausstellungstätigkeit veröffentlichte Rosalia Rothansl 1923 und 1924 regelmäßig in der Wiener illustrierten (Halb-)Monatsschrift "Moderne Welt". In ihrer Kolumne "Häusliches Kunstgewerbe. Die Handarbeiten der Dame" vermittelte sie anhand konkreter Beispiele komplexe Handarbeitstechniken an ein urbanes, politisch und kosmopolitisch interessiertes Publikum. Diese seltenen schriftlichen Veröffentlichungen Rothansls vermitteln ein stereotypes, an "Sittlichkeit" und der domestischen Sphäre des Textilen orientiertes Frauenbild. Gleichzeitig nutzte sie die Positionierung in einer der wichtigsten modernen Printmedien Österreichs jedoch dafür, ihren Studierenden, deren Werke sie dort wiederholt präsentierte, öffentliche Sichtbarkeit und damit berufliche Förderung zu verleihen.
Rothansl hatte seit 1909 in der Danhausergasse 3 im 4. Bezirk gewohnt. Nach ihrer letzten internationalen Ausstellungsbeteiligung an der Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes in Paris 1925, ihrer Pensionierung und dem Tod der Mutter zog sie zurück in ihr Elternhaus in Kierling, wo sie gemeinsam mit ihrem Bruder Edmund lebte und auch künstlerisch zusammenarbeitete. Über ihre letzten Lebensjahre und vor allem wie sie sich gegenüber Austrofaschismus und Nationalsozialismus verhielt, liegen keine Informationen vor. 1944 wurde Rosalia Rothansl aufgrund sogenannter "Geistesschwäche" entmündigt, sie starb 1945 und wurde im Grab ihres Bruders in Kierling bestattet.
Rosalia Rothansls Lehr- und Publikationstätigkeit war trotz ihrer konservativen Haltung richtungsweisend für die Umwertung des textilen Mediums im Wiener Kunstbetrieb um 1900 und wegbereitend für die gesellschaftliche Etablierung des Berufskonzepts der sogenannten "Kunstgewerblerin", einer erstmals ökonomisch selbständigen weiblichen Position in der angewandten Kunst.
Quellen
- Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv: Personalakt Rothansl, Standesausweis
- Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv, Universitätsarchiv: Rosalia Rothansl, Jahresberichte der Werkstätte für Textilarbeiten
- ANNO: Häusliches Kunstgewerbe. Die Handarbeiten der Dame. In: Moderne Welt, 1924, S. 32
- ANNO: Entmündigung Rosalia Rothansl. In: Völkischer Beobachter, 28.09.1944, S. 5
Literatur
- Stefanie Kitzberger und Eva Marie Klimpel (Hg.): SAMMELN, ANEIGNEN, ÜBERSETZEN. Rosalia Rothansl, Mileva Stoisavlevic-Roller und die moderne Hausindustrie. Berlin: New Toni Press 2024
- Wikipedia: Rosalia Rothansl [Stand: 25.11.2024]
- biografiA: Lexikon österreichischer Frauen. Rosalia Rothansl, 2764–2766 [Stand: 25.11.2024]
- Die Angewandte: Kostüm und Modesammlung [Stand: 25.11.2024]
- Berühmte Kierlinger: Kunstgeschwister Rothansl, In: NÖN, 23.03.2023 [Stand: 25.11.2024]
- Studentinnen besuchte das Universalmuseum Kierling, In: MeinBezirk, 14.01.2023 [Stand: 25.11.2024]
Rosalia Rothansl im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.