Der "Anschluss" im Wiener Rathaus

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Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Politisches Ereignis
Datum von 11. März 1938
Datum bis 17. März 1938
Thema
Veranstalter
Teilnehmerzahl
Gewalt
PageID 60711
GND
WikidataID
Objektbezug NS-Zeit, Stadtverwaltung, Rathaus
Quelle
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Im Wiener Rathaus schalteten die Nationalsozialisten binnen weniger Tage die Stadtverwaltung gleich.

11. März 1938

Mehr als hundert schwer bewaffnete Männer der Rathauswache bewachten am Abend des 11. März 1938 das abgeriegelte Wiener Rathaus. Bürgermeister Richard Schmitz, noch von Engelbert Dollfuß ernannt, ließ die Miliz der städtischen Betriebe bewaffnen. Die Wiener Frontmiliz wurde in den Ausnahmezustand versetzt. Schmitz war vorerst fest entschlossen, in Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung den Nationalsozialisten Widerstand entgegen zu bringen. Bereits in den Tagen davor hatte er gemeinsam mit führenden Funktionären der Kanzlerdiktatur versucht, in Kollaboration mit Funktionären der verbotenen Revolutionären Sozialisten, der Gewerkschaften und der KPÖ eine Abwehr des "Anschlusses" zu organisieren, doch die raschen Ereignisabfolgen zwischen Wien und Berlin sowie die Ultimaten Hitlers und Görings hatten diesen Versuch des Widerstandes überholt. Am Nachmittag des 11. März war Schmitz noch im Bundeskanzleramt gewesen. Die Kapitulation der österreichische Bundesregierung hatte allerdings den Widerstand des Wiener Rathauses perspektivlos werden lassen: Schmitz kehrte ins Rathaus zurück und begann mit der Vernichtung von Akten.

Am Abend skandierten in den vollen Gassen rund um das Rathaus Nationalsozialisten die Übergabe des Amtsgebäudes. Der Kommandant der Rathauswache und der bisherige Erste Vizebürgermeister Fritz Lahr telefonierten. Lahr gab Befehl, eine Hakenkreuzfahne zu hissen und keinesfalls von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Eine Stunde später stand Lahr mit einigen SA-Leuten vor den verschlossenen Gittertoren des Rathauses und fordert Einlass. Den Bewachungsmannschaften und dem Bürgermeister erklärte er, er handle im Auftrag der (noch gar nicht ernannten) Regierung, er habe von Hugo Jury, dem künftigen Minister in der Regierung Seyss-Inquart, die Weisung, als kommissarischer Leiter die Führung der Geschäfte des Bürgermeisters zu übernehmen. Schmitz lehnte diese Rücktrittsaufforderung zwei Mal ab.

Gemeinsam mit anderen Nationalsozialisten, darunter Karl Gratzenberger, Karl Sobolak und Thomas Kozich, kehrte Lahr kurz vor Mitternacht noch einmal zum Rathaus zurück. Die Hakenkreuzfahne wurde gehisst und etwa 160 Bewaffnete des SA-Sturmbanns I/99 "Oberland" – vielen von ihnen Ehemalige des "Deutschen Turnvereins" – besetzten das Rathaus. Im Arkadenhof versammelte sich die Rathauswache und legte die Waffen nieder. Schriftliche Quellen zu diesen dramatischen Stunden gibt es kaum. Gesichert ist nur, dass die Rathausbesetzer im Rathauskeller auf Kosten der Stadt 166 Paar Frankfurter Würstchen verzehrten. Um 20 Minuten nach Mitternacht verlautbarte die österreichische Radiostation RAVAG als eine der ersten Amtshandlungen des eben erst ernannten Bundeskanzlers Seyss-Inquart: Er betraue Vizebürgermeister Lahr mit der Führung der Geschäfte des Bürgermeisters von Wien. Schmitz stand ab sofort unter Hausarrest, wurde am nächsten Tag verhaftet und im Gefangenenhaus am Donaukanal interniert. Gemeinsam mit 150 anderen Prominenten wurde er am 1. April 1938 im Zuge des ersten Gefangenentransport in das Konzentrationslager Dachau überstellt.

12./13. März 1938

Lahrs Amtszeit als Bürgermeister von Wien dauerte nur zwei Tage. Der Nationalsozialist Karl Grazenberger war sein ständiger Begleiter. Gemeinsam starteten sie die Amtsenthebungen und personellen Um- bzw. Neubesetzungen in der Gemeindeverwaltung, andere Verwaltungstätigkeiten wurden in diesen Tagen quasi ausgesetzt. Schon in den ersten Tagen wurden Schaltstellen der Verwaltung mit ehemals illegalen Parteigenossen besetzt: Rudolf Hornek löste Rudolf Hießmanseder als Magistratsdirektor ab, Oswald Felkel wurde Magistratsvizedirektor und Hermann Palme wurde zum Leiter des Personalamts bestellt. Otto Schaufler leitete die Gruppe I (Landesbehördliche Angelegenheiten), Heinrich Karasek übernahm die Gruppe II (Finanzverwaltung), Hans Pamperl übernahm die Leitung der Gruppe III (Wohlfahrt, Sozialfürsorge und Gesundheitswesen) und Hans Helch wurde der Gruppe VI (Wirtschaftsamt) zugeteilt. Halten konnte sich Stadtbaudirektor Franz Musil, der bereits seit 13 Jahren im Amt war.

Am 12. März sandte Lahr Adolf Hitler, der am Abend in Linz ankam, ein Telegramm, in dem er ihn über die Umbenennung des Rathausplatzes in "Adolf-Hitler-Platz" informierte und unterzeichnete es mit "die neue nationalsozialistische Führung der zweitgrößten deutschen Stadt" – womit er Hitler vermutlich selbst darauf aufmerksam machte, dass ein Mann an der Spitze Wiens stand, der nicht aus dem Kreis der Illegalen kam. Lahr musste noch am 13. März gemeinsam mit seinem Stellvertreter zurücktreten.

Hermann Neubacher übernahm am selben Tag als Bürgermeister die Führung der Stadt Wien, der Wiener Gauleiter Franz Richter wurde sein Erster Vizebürgermeister, Zweiter Vizebürgermeister wurde SA-Führer Thomas Kozich. Drei Tage später folgte die Ernennung von Hanns Blaschke zum Dritten Bürgermeister, wobei am 24. März die Reihenfolge richtiggestellt wurde: Blaschke wurde zum Ersten, Richter zum Dritten Bürgermeister – eine Einteilung bzw. Besetzung, die bis 1939 hielt. Die Wiener Beamtenschaft wurde am 16./17. März auf den "Führer" vereidigt, ausgenommen waren Jüdinnen und Juden, sie galten sofort als suspendiert – so wie auch all jene, die den Eid verweigern.

Literatur

  • Christian Mertens: Wer war Fritz Lahr? Geschäftsführender Bürgermeister für zwei Tage. In: Christian Mertens [Hg.]: "Wir wissen es, dass diese Beamtenschaft ihre Pflicht auch im neuen Wien tun wird". Die Wiener Stadtverwaltung 1938. Wien: Metroverlag 2018, S. 116-121
  • Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Wien: Mandelbaum 2008