Leopold Kunschak: Unterschied zwischen den Versionen

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|Beruf=Politiker; Redakteur; Gewerkschafter; Sattler
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|Parteizugehörigkeit=Österreichische Volkspartei; Christlichsoziale Partei; Einheitsliste
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|Objektbezug=Leopold-Kunschak-Hof; Leopold-Kunschak-Platz; Leopold-Kunschak-Preise
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|Quelle=Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien; Gedenktage; Gedenktage-GW; POLAR
|Quelle=Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien; Gedenktage;
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Leopold Kunschak, * 11. November 1871 Wien, † 13. März 1953 Wien, [[Sattler]], [[Gewerkschaft]]er, [[Politiker]].
|Auszeichnung=Ehrenbürger der Stadt Wien
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|Verleihung=07.11.1946
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==Biografie==  
|Übernahme=08.02.1947
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Leopold Kunschak wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach sechs Klassen [[Volksschule]] arbeitete er zunächst in einer Setzerei, wechselte dann aber aus gesundheitlichen Gründen zum Sattlerhandwerk, in dem er die Gesellenprüfung ablegte. Ab 1889 war er in diesem Beruf bei der [[Simmering-Graz-Pauker|Simmeringer Waggonfabrik]] tätig.
}}
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{{Auszeichnung
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Während des [[Tramwaykutscherstreik]]s 1889 kam er erstmal in Berührung mit sozialen Problemen und entschloss sich, eine christliche Arbeiterbewegung für jene Werktätigen zu gründen, die sich aus weltanschaulichen Gründen nicht der [[Sozialdemokratie|sozialdemokratischen]] [[Arbeiterbewegung]] anschließen wollten. Gestützt auf die 1891 veröffentlichte Sozialenzyklika Papst Leos XIII. ("Rerum novarum") nahm er Kontakt zum Christlichsozialen [[Albert Geßmann]], einem engen Gefolgsmann [[Karl Lueger]]s, auf.
|Auszeichnung=Dr.-Karl-Renner-Stiftungspreis
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|Verleihung=1951
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===Christlichsoziale Bewegung===
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Am 21. September 1892 wurde im Extrazimmer des [[Gaststätte|Gasthauses]] Kaiser in der [[Thaliastraße]] der organisatorische Grundstein zu den [[Christlichsozialer Arbeiterverein|Christlichsozialen Arbeitervereinen]] gelegt. 1895 gründete Kunschak die Vereinszeitung "Die Freiheit", ab 1900 "Christlich-Soziale Arbeiterzeitung", für die er auch als Redakteur tätig war. Am 5. Jänner 1896 konnte die erste Generalversammlung der christlichsozialen Arbeiter einberufen werden. Obwohl Lueger und Geßmann ursprünglich Gegner jeder Zersplitterung der [[Christlichsoziale Partei|christlichsozialen Bewegung]] waren, erkannten sie das (Wähler-)Potenzial der Organisation Kunschaks.  
Kunschak Leopold, * 11. November 1871 Wien 3, Gerlgasse, † 13. März 1953 Wien (Zentralfriedhof, Ehrengrab, Grab 14C, Nummer 21 [Grabdenkmal von [[Hans Knesl]], 1954]), Sattler, christlichsozialer Politiker, erster Präsident des Nationalrats, Vizebürgermeister.  
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Leopold Kunschak kandidierte erstmals 1904 für die Christlichsoziale Partei im [[Hietzing|13. Bezirk]] für den vierten [[Wahlkörper]] und gehörte ab diesem Zeitpunkt dem [[Gemeinderat]] der Stadt Wien an. In den [[Reichsrat]] zog er 1907 als Abgeordneter ein, verlor aber 1911 wieder sein Mandat. Als Abgeordneter zum [[Niederösterreichischer Landtag|Niederösterreichischen Landtag]] fungierte er von 1909 bis 1915 und avancierte im Oktober 1913 zum Mitglied des Landesausschusses (entspricht dem heutigen Landesrat) des Bundeslandes.  
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Als nach dem Tod Luegers 1910 einige seiner Anhänger, etwa Ernst Vergani und [[Robert Guido von Pattai|Pattai]], die Christlichsoziale Partei in eine eher deutschnationale Richtung lenken wollten, wandte sich Kunschak energisch gegen diese Absicht und vermochte am 24. Juli 1911 in einer Versammlung im [[Arkadenhof]] des Wiener [[Rathaus]]es die Anhängerschaft dagegen zu mobilisieren. Als Abgeordneter setzte er sich besonders für die Abschaffung der Sonntags- und Nachtarbeit ein, beschäftigte sich in der Folge aber praktisch mit allen relevanten Fragen der [[Fürsorge|Armenfürsorge]], Kranken- und [[Altersversorgung]], Arbeitslöhne und Steuergesetzgebung sowie mit aktuellen Wirtschafts- und Zollproblemen.
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Nach dem [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] gehörte Kunschak der Provisorischen Landesversammlung Niederösterreich und ab 1919 der [[Provisorische Nationalversammlung|Konstituierenden Nationalversammlung]] an. 1920 wurde er als Abgeordneter in den [[Nationalrat]] gewählt, dem er bis zu dessen [[Schwarzes Wien|Auflösung 1934]] angehörte. Von 1920 bis 1921 fungierte er als Obmann der christlichsozialen Reichsparteileitung.
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===Oppositionspolitiker und Mahner===
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Auf kommunaler Ebene gehörte Kunschak durchgehend bis 1934 dem (vorerst Provisorischen) Gemeinderat und ab 1920 dem [[Wiener Landtag]] an. Außerdem bekleidete er von 1922 bis 1934 die Funktion eines [[Stadtrat|Stadtrats]] ohne Ressort. Kunschak war Wortführer der christlichsozialen Opposition gegen das [[Rotes Wien|Rote Wien]]. Nach den [[Julidemonstration|Juliereignissen]] 1927 mahnte er alle Lager vor den Gefahren, die sich aus der Aufstellung von Wehrverbänden ergaben, und trat gegen die antidemokratische Haltung der [[Heimwehr]]en auf. Er versuchte noch im Jahr 1934 zwischen den Parteien zu vermitteln, so in einer eindringlichen Rede am 9. Februar 1934 vor dem Gemeinderat, in der er sich bemühte, die konfrontative Entwicklung hin zu den [[Februar 1934|Februarkämpfen]] zu bremsen. In der Zeit des [[Ständestaat|Dollfuß-Schuschnigg-Regimes]] war Kunschak Mitglied des [[Staatsrat]]s, eines beratenden Gremiums der Bundesregierung.
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[[Datei:WSTLA Fotosammlung allgemein FF 93 01 3.jpg|390px|mini|thumb|right|[[Nationalrat]] Leopold Kunschak spricht anlässlich der Enthüllung des [[Luegerdenkmal (1)|Luegerdenkmals]], 19. September 1926.]]
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===Aggressiver Antisemit===
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Leopold Kunschak war mit [[Karl Lueger]] befreundet und gilt als sein politischer Erbe. Er zählte zu den verbal aggressivsten [[Antisemitismus|Antisemiten]] seiner Partei. Kunschak agitierte in den Jahren um und nach dem Ersten Weltkrieg in seinen Reden im [[Nationalrat]] gegen ostjüdische Flüchtlinge. Er geißelte die "judenliberale Presse" und polemisierte gegen die "Verjudung" der Wissenschaften und im öffentlichen Dienst. Bereits 1920 sprach sich Kunschak unter anderem für die Ausweisung der jüdischen Bevölkerung oder deren Internierung in "Konzentrationslagern" aus. Ein von ihm 1919 vorgelegter Gesetzesentwurf, der für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger eigene Sondergesetze vorsah, wurde nicht veröffentlicht. Im Jahr 1936 - ein paar Monate davor waren in Deutschland die Nürnberger Rassegesetze erlassen worden - griff er diese Ideen jedoch wieder auf und forderte unter anderem für [[Juden]] und Jüdinnen eigene Schulen, "Judenkataster" sowie Zugangsbeschränkungen zu Stellen im öffentlichen Dienst und an [[Universität]]en. - Es gilt mittlerweile als erwiesen, dass Kunschak sogar noch nach 1945 antisemitische Aussagen tätigte.<ref>Der deutschsprachige [https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Kunschak Wikipediaartikel zu Leopold Kunschak] fasst die Diskussion darüber zusammen und referiert die neu aufgefundenen Belege aus dem Jahr 2023.</ref>
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===Repräsentant eines demokratischen Österreich===
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Kunschak wurde nach dem "[[Anschluss]]" 1938 und auch 1944 aus politischen Gründen verhaftet und im Wiener [[Polizeigebäude|Polizeigefangenenhaus]] inhaftiert. Es gelang ihm, trotz polizeilicher Überwachung Kontakt zur christlichen Widerstandsgruppe um  [[Lois Weinberger (Politiker)|Lois Weinberger]] zu halten. Nach dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] unterzeichnete Kunschak gemeinsam mit [[Karl Renner (Politiker)|Karl Renner]] und [[Johann Koplenig]] am 27. April 1945 die Proklamation, mit der das demokratische Österreich wiederhergestellt wurde. Er wurde am 25. November 1945 wieder in den Nationalrat gewählt, dessen Erster Präsident er bis zu seinem Tod war. Kunschak war 1945 Mitbegründer der [[Österreichische Volkspartei|Österreichischen Volkspartei (ÖVP)]] und von deren Arbeitnehmerorganisation, dem Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbund ([[ÖAAB]]).
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Auf Wiener Ebene zog er im Dezember 1945 wieder in den [[Wiener Landtag]] und Gemeinderat ein, dem er bis Mai 1946 angehörte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit fungierte er auch als [[Vizebürgermeister]] und als [[Amtsführender Stadtrat]] der [[Geschäftsgruppen|Geschäftsgruppe]] [[Schule|Schulwesen]]. Die Funktion des [[Landeshauptmann-Stellvertreter]]s hatte er von Oktober 1945 bis Februar 1946 inne. Zudem war er 1945 vorübergehend auch geschäftsführender Präsident des [[Stadtschulrat für Wien|Wiener Stadtschulrats]].  
  
Wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, arbeitete in einer Setzerei, wechselte aber aus gesundheitlichen Gründen zum Sattlerhandwerk, in dem er die Gesellenprüfung ablegte. Während des Streiks der Tramwayarbeiter kam er erstmal in Berührung mit sozialen Problemen und entschloss sich, eine christliche Arbeiterbewegung für jene Werktätigen zu gründen, die sich aus weltanschaulichen Gründen nicht der sozialdemokratischen Bewegung anschließen wollten. Er wandte sich zunächst erfolglos an den Redakteur des "Deutschen Volksblatts", Vergani, dann (gestützt auf die 1891 veröffentlichte Enzyklika Leos XIII.) an [[Albert Geßmann | Albert Gessmann]]. Am 21. September 1892 wurde im Extrazimmer des Gasthauses Kaiser in der Thaliastraße der Organisatorische Grundstein zu den christlichen Arbeitervereinen gelegt, bald darauf gründete Kunschak eine eigene Zeitung ("Die Freiheit") und konnte am 5. Jänner 1896 den 1. Parteitag der christlichsozialen Arbeiter einberufen. Längst hatten Lueger und Gessmann (ursprünglich Gegner jeder Zersplitterung der Christlichsozialen Partei) die Bedeutung der Organisation Kunschaks erkannt. Die Wahlen von 1897 bestätigten die Richtigkeit des Wegs, den Kunschak eingeschlagen hatte. Ab 1904 war Kunschak im Gemeinderat, ab 1907 Reichsratsabgeordneter und in dieser Eigenschaft 1910 "Landesausschuss". Als nach dem Tod Luegers einige seiner Anhänger (Vergani, Pattai) die Christlichsoziale Partei mit nationalistische Tendenzen infiltrieren wollten, wandte sich Kunschak energisch gegen diese Absicht und vermochte am 24. Juli 1911 in einer Versammlung im Hof des Neuen Rathauses einen eindeutigen ideologischen Sieg zu erringen. Als Abgeordneter setzte er sich besonders für die Abschaffung der Sonntags- und Nachtarbeit ein, beschäftigte sich in der Folge aber praktisch mit allen relevanten Fragen der Armenfürsorge, Kranken- und Altersversorgung, Arbeitslöhne und Steuergesetzgebung sowie mit aktuellen Wirtschafts- und Zollproblemen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er als Stadtrat ohne Ressort (1923-1934; Mitglied des Gemeinderats war Kunschak ohne Unterbrechung ab 1904) zum Wortführer der christlichsozialen Opposition. Ab 1927 mahnte er die Rechten und die Linken vor den Gefahren, die sich aus der Aufstellung von Wehrverbänden ergaben, und wandte sich mit gleicher Entschiedenheit gegen die Beschlüsse von Linz und Korneuburg. In letzter Minute versuchte er noch am 9. Februar 1934 in einer bemerkenswerten Rede vor dem Gemeinderat (erfolglos), die einem unheilvollen Höhepunkt zustrebende Entwicklung zu bremsen. 1934-1938 war Kunschak Mitglied des Staatsrats (Innenpolitischer Ausschuss). 1938 und 1944 wurde er verhaftet; er hielt trotz polizeilicher Überwachung Kontakt zu [[Lois Weinberger]]. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichnete Kunschak gemeinsam mit Dr. [[Karl Renner]] am 27. April 1945 die historische Proklamation, mit der das demokratische Österreich wiederhergestellt wurde, am 25. November 1945 wurde er in den Nationalrat gewählt, dessen Erster Präsident er bis zu seinem Tod war. Kunschak war 1945 Mitbegründer der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbunds (ÖAAB), 1945 vorübergehend auch Geschäftsführender Präsident des Wiener Stadtschulrats und von 17. April 1945 bis 14. Februar 1946 Vizebürgermeister (sein Nachfolger wurde Lois Weinberger). 33 Jahre lang redigierte er selbst die Zeitschrift "Freiheit".  
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===Ehrungen===
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Kunschak wurde 1948 zum [[Ehrenbürger]] der Stadt Wien ernannt und seit 1965 werden [[Leopold-Kunschak-Preise]] zu seinem Gedenken vergeben. 1971 nannte man die Eigentumswohnhausanlage [[Leopold-Kunschak-Hof]] in Wien-[[Simmering]] nach dem Politiker, dort erinnert ein [[Gedenktafel Leopold Kunschak (Leopold-Kunschak-Hof)|Porträtrelief]] an ihn. Eine [[Gedenktafel Leopold Kunschak (Bergsteiggasse)|Gedenktafel]] befindet sich auch an der städtischen Wohnhausanlage [[Bergsteiggasse]] 28 und der [[Leopold-Kunschak-Platz]] in Wien-[[Hernals]] wurde ebenso nach dem Politiker benannt.  
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[[Datei:Gedenktafel Leopold Kunschak, 1160 Maroltingergasse 96-98.jpg|390px|thumb|right|Gedenktafel in der [[Maroltingergasse]].]]
  
Er wohnte fast sein ganzes Leben lang 17, Hernalser Hauptstraße 25.  
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Eine von der Stadt Wien eingesetzte [[Kommission zur Prüfung der Wiener Straßennamen]] hat 2013 die Benennung von städtischen [[Verkehrsfläche]]n nach Leopold Kunschak aufgrund dessen Antisemitismus als "Fall mit intensivem Diskussionsbedarf" eingestuft.  
  
Ehrenbürger der Stadt Wien (23. April 1948); [[Leopold-Kunschak-Preise | Leopold-Kunschak-Preis]] (begründet 1965), [[Leopold-Kunschak-Hof]] (Porträtrelief), [[Leopold-Kunschak-Platz]].
+
==Quellen==
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*Leopold Kunschak: Steinchen vom Wege. Memoiren. Wien: Typographische Anstalt 1937
 +
*[http://wais.wien.gv.at//archive.xhtml?id=Stueck++F812B504-4DF7-4E4C-9825-73DA06255EC2#Stueck__F812B504-4DF7-4E4C-9825-73DA06255EC2 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fotosammlung, FF.93 - Josef Müller-Fembeck (1920-1930)]
 +
*[https://search.wienbibliothek.at/primo-explore/search?query=any,contains,TP-027937&tab=defaul_tab&search_scope=default_scope&vid=WBR&offset=0 Wienbibliothek im Rathaus/Tagblattarchiv: Kunschak, Leopold. 5 Bände [Sign.: TP-027937<nowiki>]</nowiki>]
 +
*[http://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/titleinfo/631136 Wienbibliothek Digital: Kommunalkalender von 1905 bis 1918]
  
 
== Literatur ==
 
== Literatur ==
*Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte. Begründet von Hellmuth Rössler und Günther Franz, bearbeitet von Karl Bosl [u.a.]. München: A. Francke 1973-1975
+
*Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik. Wien: Ueberreuter 1992
 +
*Peter Autengruber, Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. 9. Aufl. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 184
 +
*Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 157–160
 +
*Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
 +
*Franz Bauer: Leopold Kunschak als Politiker. Diss. Univ. Wien. Wien 1950
 +
*Kurt Bauer: Der "Anschluss" und der Judenhass einer ÖVP-Ikone. In: Der Standard, 13.03.2013
 +
*Getrude Enderle-Burcel: Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Wien: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [u. a.] 1991
 +
*Hans Havelka: Der Wiener Zentralfriedhof. Wien: Jugend und Volk 1989, S. 81
 +
*Hanns Jäger-Sunstenau: Die Ehrenbürger und Bürger ehrenhalber der Stadt Wien. Wien: Deuticke 1992 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 23), S. 69
 
*Walter Kleindel: Das große Buch der Österreicher. 4500 Personendarstellungen in Wort und Bild, Namen, Daten, Fakten. Unter Mitarbeit von Hans Veigl. Wien: Kremayr & Scheriau 1987  
 
*Walter Kleindel: Das große Buch der Österreicher. 4500 Personendarstellungen in Wort und Bild, Namen, Daten, Fakten. Unter Mitarbeit von Hans Veigl. Wien: Kremayr & Scheriau 1987  
*Neue österreichische Biographie. 1815 – 1918. Wien [u.a.]: Amalthea-Verlag 1923-1935
+
*[https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/structure/1811455 Wienbibliothek Digital: Oswald Knauer: Der Wiener Gemeinderat 1861–1962. In: Handbuch der Stadt Wien. Band 77. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1963] [Stand: 14.07.2020]
*Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik, Wien: Ueberreuter 1992
+
*Paul Mychalewicz: Wie "unbelehrbar" war Leopold Kunschak wirklich? In: Der Standard, 16.03.2013
*Getrude Enderle-Burcel: Mandatare im Ständestaat 1934-1938. Wien: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [u.a.] 1991
+
*Ludwig Reichhold: Leopold Kunschak. Von den Standesbewegungen zur Volksbewegung. Wien: Karl von Vogelsang-Institut, Politische Akademie 1988 (Reihe Kurzbiographien, 4)
*Franz Stamprech: Ludwig Kunschak - Porträt eines christlichen Arbeiterführers. Wien: Verlag der Freiheit 1953
+
*Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740–1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1)
*Rudolf Spitzer: Politikergedenkstätten. Manuskript
+
* Wolfgang Solt: Mitglieder des Gemeinderates der Stadt Wien (Wiener Landtages) und des Stadtsenates der Stadt Wien (der Wiener Landesregierung) 1918–1934. Wien: 1995
*Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740 - 1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1), Register
+
*Franz Stamprech: Leopold Kunschak – Porträt eines christlichen Arbeiterführers. Wien: Verlag der Freiheit 1953
*Franz Bauer: Ludwig Kunschak als Politiker. Diss. Univ. Wien. Wien 1950
+
*Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u. a.]: Jugend & Volk 1988, S. 321  
*Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 321  
+
 
*Hanns Jäger-Sunstenau: Die Ehrenbürger und Bürger ehrenhalber der Stadt Wien. Wien: Deuticke 1992 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 23), S. 69
+
==Weblinks==
*Hans Havelka: Der Wiener Zentralfriedhof. Wien: Jugend und Volk 1989, 81.  
+
*[http://www.kurt-bauer-geschichte.at/Kunschak.htm Website Kurt Bauer: Kunschak-Kontroverse]
*Leopold Kunschak: Steinchen vom Wege. Memoiren. Wien: Typographische Anstalt 1937
+
*[http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01003/ Parlament: Leopold Kunschak]
 +
*[https://austria-forum.org/af/AEIOU/Kunschak,_Leopold Austria-Forum: Leopold Kunschak]
 +
*[https://www.deutsche-biographie.de/pnd118725432.html#ndbcontent Gustav Otruba: Kunschak, Leopold. In: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 301–302] 
 +
*[https://www.oecv.at/Biolex/Detail/12500822 Biographisches Lexikon des Österreichischen Cartellverbands: Leopold Kunschak]
 +
*[https://www.landtag-noe.at/images/personen_ausschuesse/1861-1921.pdf Biographisches Handbuch des NÖ Landtages 1861–1921]
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*[https://www.wien.gv.at/advuew/internet/AdvPrSrv.asp?Layout=politiker&Type=K&POLLAY=histpolsuche&PERSONCD=2012072510442040&SUCHNAME=Kunschak%20Leopold&HP=Y&PERIODE=&RF=02&ICD=2011021810192827 POLAR – Wiener Politikerinnen und Politiker Archiv: Leopold Kunschak]
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== Referenzen ==
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<references />

Aktuelle Version vom 22. November 2023, 16:22 Uhr

Leopold Kunschak
Daten zur Person
Personenname Kunschak, Leopold
Abweichende Namensform
Titel
Geschlecht männlich
PageID 24937
GND 118725432
Wikidata Q876895
Geburtsdatum 11. November 1871
Geburtsort Wien
Sterbedatum 13. März 1953
Sterbeort Wien
Beruf Politiker, Redakteur, Gewerkschafter, Sattler
Parteizugehörigkeit Österreichische Volkspartei, Christlichsoziale Partei, Einheitsliste
Ereignis Februarkämpfe
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Leopold-Kunschak-Hof, Leopold-Kunschak-Platz, Leopold-Kunschak-Preise
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage, Gedenktage-GW, POLAR
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Recherche
Letzte Änderung am 22.11.2023 durch WIEN1.lanm09krs
Begräbnisdatum 17. März 1953
Friedhof Zentralfriedhof
Grabstelle Gruppe 14C, Nummer 21
Ehrengrab Ehrengrab
Bildname Leopoldkunschak.jpg
Bildunterschrift Leopold Kunschak
  • 3., Gerlgasse (Geburtsadresse)
  • 17., Hernalser Hauptstraße 25 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft
  • Obmann der Christlichsozialen Arbeiterbewegung )
  • Obmann der Christlichsozialen Partei (1920 bis 1921)
  • Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien (27.04.1904 bis 03.12.1918)
  • Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag (08.01.1909 bis 08.01.1915)
  • Reichsratsabgeordneter (17.06.1907 bis 30.03.1911)
  • Landesrat von Niederösterreich (01.10.1913 bis 20.05.1919)
  • Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung (04.03.1919 bis 09.11.1920)
  • Abgeordneter zum Nationalrat (10.11.1920 bis 02.05.1934)
  • Vizebürgermeister der Stadt Wien (17.04.1945 bis 14.02.1946)
  • Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien (13.12.1945 bis 18.05.1946)
  • Abgeordneter zum Nationalrat (19.12.1945 bis 13.03.1953)
  • Präsident des Nationalrates (19.12.1945 bis 13.03.1953)
  • Mitglied der provisorischen Landesversammlung Niederösterreich (05.11.1918 bis 04.05.1919)
  • Mitglied des Staatsrats (1934 bis 1938)
  • Mitglied des Provisorischen Gemeinderates der Stadt Wien (03.12.1918 bis 22.05.1919)
  • Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien (22.05.1919 bis 10.11.1920)
  • Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien (10.11.1920 bis 12.02.1934)
  • Amtsführender Stadtrat Geschäftsgruppe Schulwesen (17.04.1945 bis 14.02.1946)
  • Landeshauptmannstellvertreter (21.10.1945 bis 14.02.1946)
  • Stadtrat (24.11.1922 bis 12.02.1934)

  • Ehrenbürger der Stadt Wien (Verleihung: 8. November 1946, Übernahme: 8. Februar 1947)
  • Dr.-Karl-Renner-Stiftungspreis (Verleihung: 1951, Übernahme: 26. Jänner 1952)

Leopold Kunschak, * 11. November 1871 Wien, † 13. März 1953 Wien, Sattler, Gewerkschafter, Politiker.

Biografie

Leopold Kunschak wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach sechs Klassen Volksschule arbeitete er zunächst in einer Setzerei, wechselte dann aber aus gesundheitlichen Gründen zum Sattlerhandwerk, in dem er die Gesellenprüfung ablegte. Ab 1889 war er in diesem Beruf bei der Simmeringer Waggonfabrik tätig.

Während des Tramwaykutscherstreiks 1889 kam er erstmal in Berührung mit sozialen Problemen und entschloss sich, eine christliche Arbeiterbewegung für jene Werktätigen zu gründen, die sich aus weltanschaulichen Gründen nicht der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung anschließen wollten. Gestützt auf die 1891 veröffentlichte Sozialenzyklika Papst Leos XIII. ("Rerum novarum") nahm er Kontakt zum Christlichsozialen Albert Geßmann, einem engen Gefolgsmann Karl Luegers, auf.

Christlichsoziale Bewegung

Am 21. September 1892 wurde im Extrazimmer des Gasthauses Kaiser in der Thaliastraße der organisatorische Grundstein zu den Christlichsozialen Arbeitervereinen gelegt. 1895 gründete Kunschak die Vereinszeitung "Die Freiheit", ab 1900 "Christlich-Soziale Arbeiterzeitung", für die er auch als Redakteur tätig war. Am 5. Jänner 1896 konnte die erste Generalversammlung der christlichsozialen Arbeiter einberufen werden. Obwohl Lueger und Geßmann ursprünglich Gegner jeder Zersplitterung der christlichsozialen Bewegung waren, erkannten sie das (Wähler-)Potenzial der Organisation Kunschaks.

Leopold Kunschak kandidierte erstmals 1904 für die Christlichsoziale Partei im 13. Bezirk für den vierten Wahlkörper und gehörte ab diesem Zeitpunkt dem Gemeinderat der Stadt Wien an. In den Reichsrat zog er 1907 als Abgeordneter ein, verlor aber 1911 wieder sein Mandat. Als Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag fungierte er von 1909 bis 1915 und avancierte im Oktober 1913 zum Mitglied des Landesausschusses (entspricht dem heutigen Landesrat) des Bundeslandes.

Als nach dem Tod Luegers 1910 einige seiner Anhänger, etwa Ernst Vergani und Pattai, die Christlichsoziale Partei in eine eher deutschnationale Richtung lenken wollten, wandte sich Kunschak energisch gegen diese Absicht und vermochte am 24. Juli 1911 in einer Versammlung im Arkadenhof des Wiener Rathauses die Anhängerschaft dagegen zu mobilisieren. Als Abgeordneter setzte er sich besonders für die Abschaffung der Sonntags- und Nachtarbeit ein, beschäftigte sich in der Folge aber praktisch mit allen relevanten Fragen der Armenfürsorge, Kranken- und Altersversorgung, Arbeitslöhne und Steuergesetzgebung sowie mit aktuellen Wirtschafts- und Zollproblemen.

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Kunschak der Provisorischen Landesversammlung Niederösterreich und ab 1919 der Konstituierenden Nationalversammlung an. 1920 wurde er als Abgeordneter in den Nationalrat gewählt, dem er bis zu dessen Auflösung 1934 angehörte. Von 1920 bis 1921 fungierte er als Obmann der christlichsozialen Reichsparteileitung.

Oppositionspolitiker und Mahner

Auf kommunaler Ebene gehörte Kunschak durchgehend bis 1934 dem (vorerst Provisorischen) Gemeinderat und ab 1920 dem Wiener Landtag an. Außerdem bekleidete er von 1922 bis 1934 die Funktion eines Stadtrats ohne Ressort. Kunschak war Wortführer der christlichsozialen Opposition gegen das Rote Wien. Nach den Juliereignissen 1927 mahnte er alle Lager vor den Gefahren, die sich aus der Aufstellung von Wehrverbänden ergaben, und trat gegen die antidemokratische Haltung der Heimwehren auf. Er versuchte noch im Jahr 1934 zwischen den Parteien zu vermitteln, so in einer eindringlichen Rede am 9. Februar 1934 vor dem Gemeinderat, in der er sich bemühte, die konfrontative Entwicklung hin zu den Februarkämpfen zu bremsen. In der Zeit des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes war Kunschak Mitglied des Staatsrats, eines beratenden Gremiums der Bundesregierung.

Nationalrat Leopold Kunschak spricht anlässlich der Enthüllung des Luegerdenkmals, 19. September 1926.

Aggressiver Antisemit

Leopold Kunschak war mit Karl Lueger befreundet und gilt als sein politischer Erbe. Er zählte zu den verbal aggressivsten Antisemiten seiner Partei. Kunschak agitierte in den Jahren um und nach dem Ersten Weltkrieg in seinen Reden im Nationalrat gegen ostjüdische Flüchtlinge. Er geißelte die "judenliberale Presse" und polemisierte gegen die "Verjudung" der Wissenschaften und im öffentlichen Dienst. Bereits 1920 sprach sich Kunschak unter anderem für die Ausweisung der jüdischen Bevölkerung oder deren Internierung in "Konzentrationslagern" aus. Ein von ihm 1919 vorgelegter Gesetzesentwurf, der für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger eigene Sondergesetze vorsah, wurde nicht veröffentlicht. Im Jahr 1936 - ein paar Monate davor waren in Deutschland die Nürnberger Rassegesetze erlassen worden - griff er diese Ideen jedoch wieder auf und forderte unter anderem für Juden und Jüdinnen eigene Schulen, "Judenkataster" sowie Zugangsbeschränkungen zu Stellen im öffentlichen Dienst und an Universitäten. - Es gilt mittlerweile als erwiesen, dass Kunschak sogar noch nach 1945 antisemitische Aussagen tätigte.[1]

Repräsentant eines demokratischen Österreich

Kunschak wurde nach dem "Anschluss" 1938 und auch 1944 aus politischen Gründen verhaftet und im Wiener Polizeigefangenenhaus inhaftiert. Es gelang ihm, trotz polizeilicher Überwachung Kontakt zur christlichen Widerstandsgruppe um Lois Weinberger zu halten. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichnete Kunschak gemeinsam mit Karl Renner und Johann Koplenig am 27. April 1945 die Proklamation, mit der das demokratische Österreich wiederhergestellt wurde. Er wurde am 25. November 1945 wieder in den Nationalrat gewählt, dessen Erster Präsident er bis zu seinem Tod war. Kunschak war 1945 Mitbegründer der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und von deren Arbeitnehmerorganisation, dem Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB).

Auf Wiener Ebene zog er im Dezember 1945 wieder in den Wiener Landtag und Gemeinderat ein, dem er bis Mai 1946 angehörte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit fungierte er auch als Vizebürgermeister und als Amtsführender Stadtrat der Geschäftsgruppe Schulwesen. Die Funktion des Landeshauptmann-Stellvertreters hatte er von Oktober 1945 bis Februar 1946 inne. Zudem war er 1945 vorübergehend auch geschäftsführender Präsident des Wiener Stadtschulrats.

Ehrungen

Kunschak wurde 1948 zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt und seit 1965 werden Leopold-Kunschak-Preise zu seinem Gedenken vergeben. 1971 nannte man die Eigentumswohnhausanlage Leopold-Kunschak-Hof in Wien-Simmering nach dem Politiker, dort erinnert ein Porträtrelief an ihn. Eine Gedenktafel befindet sich auch an der städtischen Wohnhausanlage Bergsteiggasse 28 und der Leopold-Kunschak-Platz in Wien-Hernals wurde ebenso nach dem Politiker benannt.

Gedenktafel in der Maroltingergasse.

Eine von der Stadt Wien eingesetzte Kommission zur Prüfung der Wiener Straßennamen hat 2013 die Benennung von städtischen Verkehrsflächen nach Leopold Kunschak aufgrund dessen Antisemitismus als "Fall mit intensivem Diskussionsbedarf" eingestuft.

Quellen

Literatur

  • Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik. Wien: Ueberreuter 1992
  • Peter Autengruber, Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. 9. Aufl. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 184
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 157–160
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
  • Franz Bauer: Leopold Kunschak als Politiker. Diss. Univ. Wien. Wien 1950
  • Kurt Bauer: Der "Anschluss" und der Judenhass einer ÖVP-Ikone. In: Der Standard, 13.03.2013
  • Getrude Enderle-Burcel: Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Wien: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [u. a.] 1991
  • Hans Havelka: Der Wiener Zentralfriedhof. Wien: Jugend und Volk 1989, S. 81
  • Hanns Jäger-Sunstenau: Die Ehrenbürger und Bürger ehrenhalber der Stadt Wien. Wien: Deuticke 1992 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 23), S. 69
  • Walter Kleindel: Das große Buch der Österreicher. 4500 Personendarstellungen in Wort und Bild, Namen, Daten, Fakten. Unter Mitarbeit von Hans Veigl. Wien: Kremayr & Scheriau 1987
  • Wienbibliothek Digital: Oswald Knauer: Der Wiener Gemeinderat 1861–1962. In: Handbuch der Stadt Wien. Band 77. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1963 [Stand: 14.07.2020]
  • Paul Mychalewicz: Wie "unbelehrbar" war Leopold Kunschak wirklich? In: Der Standard, 16.03.2013
  • Ludwig Reichhold: Leopold Kunschak. Von den Standesbewegungen zur Volksbewegung. Wien: Karl von Vogelsang-Institut, Politische Akademie 1988 (Reihe Kurzbiographien, 4)
  • Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740–1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1)
  • Wolfgang Solt: Mitglieder des Gemeinderates der Stadt Wien (Wiener Landtages) und des Stadtsenates der Stadt Wien (der Wiener Landesregierung) 1918–1934. Wien: 1995
  • Franz Stamprech: Leopold Kunschak – Porträt eines christlichen Arbeiterführers. Wien: Verlag der Freiheit 1953
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u. a.]: Jugend & Volk 1988, S. 321

Weblinks

Referenzen

  1. Der deutschsprachige Wikipediaartikel zu Leopold Kunschak fasst die Diskussion darüber zusammen und referiert die neu aufgefundenen Belege aus dem Jahr 2023.