Ukrainer

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Portal und Fassade der Barbarakirche, seit 1784 Sitz der ukrainisch-unierten Kirche in Wien (1982)
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Bildunterschrift Portal und Fassade der Barbarakirche, seit 1784 Sitz der ukrainisch-unierten Kirche in Wien (1982)

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Frühe Kontakte

Vor dem 18. Jahrhundert lassen sich nur einige episodenhafte Kontakte von Ukrainern und Ukrainerinnen mit Wien belegen. Der erste nachweisbare Kontakt von Angehörigen der ukrainischen Bevölkerung mit Wien geht auf die Zeit des "Interregnums" zurück. Im Jahr 1252 besuchte Roman von Halytsch, der Sohn des Herzogs Danylo von Halytsch und dritte Ehemann der Nichte des letzten Babenbergerherzogs Friedrich II. des Streitbaren Gertrud, Wien. Nachdem er als Verbündeter König Belas IV. von Ungarn die Auseinandersetzung mit Ottokar II. von Böhmen verloren hatte, verließ er das Land ohne Gertrud und der gemeinsamen Tochter Maria, die sich weigerten ihm zu folgen. Roman dürfte 1258 gefallen sein.

Während der Zweiten Osmanischen Belagerung 1683 nahm ein größeres Kontingent ukrainischer Kosaken an den Kämpfen teil.[1] An deren Einsatz erinnert das 2003 auf Initiative der Österreichisch-Ukrainischen Gesellschaft errichtete Kosakendenkmal im Türkenschanzpark.

Von den polnischen Teilungen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

Eine festere Basis erhielt die ukrainische Zuwanderung nach Wien durch die Angliederung des Herzogtums Galizien und Lodomerien an die Habsburgermonarchie 1772, denen weitere Gebietsgewinne im Zuge der dritten polnischen Teilung 1795 folgten. In den später geschaffenen Kronländern Galizien und Bukowina sprach ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung "ruthenisch" (ukrainisch). Diese territoriale Erweiterung der Habsburgermonarchie beförderte auch die Zuwanderung von Ukrainerinnen und Ukrainern nach Wien, wenngleich in bescheidenem Ausmaß.

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens (24. Juli 1773) durch Joseph II. und der Schließung des Jesuitenkonvikts stiftete Maria Theresia am 7. Oktober 1775 Konvikt und Barbarakirche der griechisch-katholischen Kirche als Seminar (Barbareum) des griechisch-katholischen Klerus. 1784 wurde das Seminar aufgehoben und eine Pfarre errichtet, die auch für die ukrainisch-unierte Kirche zuständig war. Damit erhielt die ukrainische Glaubensgemeinde in Wien einen festen Sitz in der Barbarakirche. 1852 wurde das zweite "Barbareum" gegründet, welches bis 1892 Ausbildungsstätte ukrainischer Bischöfe, Priester und Gelehrter blieb. 1792 umfasste die Gemeinde der ukrainisch-unierten Kirchengemeinde in Wien rund 1.000, 1875 rund 3.000 Pfarrmitglieder, davon 1.800 Angehörige der k. u. k. Armee, die in der Hauptstadt stationiert waren. Im Rahmen der Volkszählung von 1910 gaben von der anwesenden Wiener Bevölkerung 1.432 Personen an "ruthenisch", d.h. ukrainisch zu sprechen.[2]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entfaltete die ukrainische Gemeinde in Wien auch eine rege Vereinstätigkeit. 1862 wurde die Kirchengemeinschaft zu St. Barbara gegründet, 1866 die studentische Landsmannschaft "Sitsch", 1896 der christliche Arbeiterverein "Rodyna". Zur Jahrhundertwende existierten zwei ukrainische Arbeitervereine in Wien.[3]

Auch der Universitätsstandort zog eine Reihe ukrainischer Studenten an. Ein prominenter Absolvent der Universität Wien war etwa der ukrainische Dichter und Ethnologe Iwan Franko.

Während des Ersten Weltkriegs mussten auch zahlreiche ukrainische Familien vor der zaristischen Armee in das heutige Österreich flüchten. Die überwiegende Mehrzahl wurde jedoch in Flüchtlingslagern außerhalb Wiens untergebracht.

Zwischenkriegszeit

Nach dem Untergang des zaristischen Russlands, der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg konnte sich kurzzeitig von 1917 bis 1920 eine unabhängige ukrainische Volksrepublik etablieren. Politische Vertreter einer eigenständigen Ukraine hielten sich auch immer wieder in Wien auf. Deren Niederlage gegen die kommunistische "Rote Armee" führte zur gewaltsamen Eingliederung in die neu gegründete Sowjetunion. Dies sorgte für eine nicht unerhebliche Emigration von antikommunistischen, demokratischen Kräften in den Westen, nicht zuletzt auch nach Wien, wo es aufgrund der Vorgeschichte der Westukraine als Teil der ehemaligen Kronländer Galizien und Bukowina Einwohner mit ukrainischen Wurzeln und eine gewisse Infrastruktur für die Flüchtlinge gab. Nach zeitgenössischen Schätzungen lebten sogar temporär etwa 10.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Wien. Für viele war es allerdings nur eine Durchgangsstation, denn für das Jahr 1924 wurde die Anzahl auf nur etwa 2000 geschätzt.[4]

Auch in der Zwischenkriegszeit entwickelte die kleine ukrainische Gemeinde in Wien ein reges Vereinsleben. Zu den Neugründungen zählte der "Verband ukrainischer Journalisten und Schriftsteller in Wien" (gegründet 1920), der "Ukrainische Arbeiterverein 'Sicz'", das "Ukrainische Religionskomitee Catholica Unio", der "Ukrainische Klub" und das "Ukrainische Volkskomitee", der "Bildungsverein der ukrainischen Arbeiter in Österreich 'Postup'" (1933), der "Zentralverband der ukrainischen Studenten (Cesus") (1935). Es gab auch eine 1922 gegründete "Ukrainische Verlags-A.G. 'Semlja'". Die Firma wurde allerdings bereits 1932 aus dem Handelsregister gelöscht. Es gab auch einen "Verein ukrainischer Arbeiterinnen in Wien (Sojuz ukrajinskych robityc)" (gegründet 1927).

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter

Während die ukrainische Gemeinde in der Zwischenkriegszeit stabil etwa 3.000 Personen umfasste, sorgte die "Rekrutierung" von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs durch das nationalsozialistische Regime zu einen beträchtlichen Zustrom. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion ab Juni 1941 stieg die Zahl sogenannter "Ostarbeiter" (Frauen und Männer), die zur Arbeit in der "Ostmark" gezwungen wurden, sprunghaft an. Sie erreichte schließlich im Herbst 1944 einen Höhepunkt mit rund 180.000, wovon fast die Hälfte in Wien und Niederösterreich primär zur Arbeit in der Industrie und im Bauwesen gezwungen wurden.[5] Der Anteil von Personen ukrainischer Herkunft ist nicht genau bezifferbar, doch zeigen einzelne Aktenbefunde, dass er nicht unerheblich gewesen sein dürfte. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren immer wieder der völligen Willkür der NS-Behörden ausgesetzt, einige wurden wegen geringfügiger "Vergehen" zum Tod verurteilt. Vor allem aber wurden die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter rücksichtslos dem Bombenkrieg ausgesetzt, was zu zahlreichen Todesfällen oder schweren Verletzungen beitrug. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Arbeiterinnen und Arbeiter repatriiert, doch waren sie dem sowjetischen Diktator Stalin verdächtig und wurden daher vielfach in sowjetische Arbeitslager verbracht, wo sie zum Teil erst in der Nach-Stalin-Ära freikamen, soweit sie den Terror in den Lagern überlebten.

Zerfall der Sowjetunion

Trotz der geringen Größe der ukrainischen Gemeinde in Österreich blieb eine bescheidene Vereinsinfrastruktur auch in der Zweiten Republik erhalten. So bestand ein "Ukrainischer Briefmarkensammlerverein in Österreich" bis 1967.

Nachdem die Zahl der ukrainischen Migrantinnen und Migranten infolge des "Eisernen Vorhangs" vier Jahrzehnte lang sehr gering war, kam es nach der Jahrtausendwende zu einem stetigen Anwachsen. 2002 waren noch lediglich 912 ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Wien gemeldet, 2011 2.917 und 2020 bereits 6.693.

Quellen

Literatur

  • Florian Freund / Bertrand Perz: Zwangsarbeit in Österreich. In: Emmerich Tálos u. a. [Hg.]: NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien: öbv & hpt 2000, S. 644-695
  • Wilhelm Hecke: Volksvermehrung, Binnenwanderung und Umgangssprache in den österreichischen Alpenländern und Südländern. In: Statistische Monatsschrift NF 18 (1913), Brünn: Friedrich Irrgang 1913, S. 323-392.
  • Michael John / Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien - einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten. Aufsätze, Quellen, Kommentare. Mit einer Einleitung von Erich Zöllner, Wien/Köln: Böhlau 1990
  • Magistratsbteilung 23 Wirtschaft und Statistik, Bevölkerung nach der Staatsbürgerschaft 2002-2020
  • Alexander Ostheim-Dzerowycz: Ukrainer in Wien. In: Wir. Zur Geschichte der Zuwanderung nach Wien. Wien: Historisches Museum der Stadt Wien 1996, S. 122-124.
  • Gustav Otruba: Wiens Bevölkerung - Nationale Herkunft und soziale Entwicklung. In: Der Donauraum 13 (1968), S. 12-42.

Einzelnachweise

  1. Alexander Ostheim-Dzerowycz: Ukrainer in Wien. In: Wir. Zur Geschichte der Zuwanderung nach Wien. Wien: Historisches Museum der Stadt Wien 1996, S. 122.
  2. Wilhelm Hecke: Volksvermehrung, Binnenwanderung und Umgangssprache in den österreichischen Alpenländern und Südländern. In: Statistische Monatsschrift NF 18 (1913), Brünn: Friedrich Irrgang 1913, S. 348.
  3. Gustav Otruba: Wiens Bevölkerung - Nationale Herkunft und soziale Entwicklung. In: Der Donauraum 13 (1968), 31.
  4. Michael John / Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien - einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten. Aufsätze, Quellen, Kommentare. Mit einer Einleitung von Erich Zöllner, Wien/Köln: Böhlau 1990, S. 70.
  5. Florian Freund / Bertrand Perz: Zwangsarbeit in Österreich. In: Emmerich Tálos u. a. [Hg.]: NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien: öbv & hpt 2000, S. 660-663.