Historischer Atlas von Wien – Stadtwirtschaft und Infrastruktur

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Historischer Atlas 2.4.5.1.: Mietwohnungen 1900
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Bildunterschrift Historischer Atlas 2.4.5.1.: Mietwohnungen 1900

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Die Wiener Stadtwirtschaft war seit dem späten 18. Jahrhundert durch einen erheblichen sektoralen Wandel geprägt. Von der frühneuzeitlichen „Konsumtionsstadt“ entwickelte sich Wien im Lauf des zweiten und dritten Drittels des 19. Jahrhunderts zu einer multifunktionalen Industriestadt. Seit dem späten 19. Jahrhundert nahm schließlich die Bedeutung moderner Dienstleistungen (Verwaltung, Finanzdienstleistungen, Freizeitindustrie) zu, was schließlich im 20. Jahrhundert zum Werden einer Dienstleistungsmetropole beitrug. Der sektorale Wandel hat unmittelbare Auswirkung auf die Nutzung von Stadträumen und deren infrastrukturelle Erschließung. Die Karten zu Thema befassen sich mit der stadträumlichen Verteilung von Betriebs-, Kultur- und Freizeitstätten, mit dem Immobilienmarkt und der Wohnungsausstattung, sowie der Infrastruktur im Bereich des Verkehrs und der Energieversorgung.

Den analytischen Ausgangspunkt bildet die Flächennutzung im Wiener Raum um das Jahr 1770 auf Basis des Plans von Joseph Anton Nagel und der ab den Jahren 1770/71 vorgenommenen ersten Häusernummerierung zu Zwecken der Konskription. Der Aufschwung der westlichen Gewerbevorstädte entlang des Wienflusses zeichnet sich zu diesem Zeitpunkt erst allmählich ab. Erhebliche Teile der Vorstadtzone innerhalb des Linienwalls sind nur locker, rund um alte Ortskerne verbaut. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts belegt die Betriebsstättenverteilung der Jahre 1852 und 1861 ein von der Frühindustrialisierung geprägtes stadträumliches Bild. Die Dominanz des Textil- und Bekleidungssektors ist klar erkennbar. Maschinenbau- und metallverarbeitendes Gewerbe gewinnen jedoch an Bedeutung. Die Betriebsstätten greifen jedoch noch kaum über den Bereich des Linienwalls hinaus. Um 1890 konzentrieren sich die industriellen Großbetriebe, von denen im eigentlichen Sinn erst jetzt die Rede sein konnte, in den nunmehr eingemeindeten Vororten im Süden und Nordosten. Der Produktionssektor hat sich stark diversifiziert. Die innerbetriebliche Tertiärisierung spielt noch eine geringe Rolle. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges hat sich dieses Bild verfestigt. Der Aufschwung der Leichtindustrien (Elektro-, Fahrzeug-, Chemische Industrie) ist klar erkennbar. Die Betriebsstättenverteilung um 1930 zeigt den industriellen Wandel mit Bezug auf Branchenstruktur, Größenwachstum, Einsatz von Motoren und „Verangestelltung“, das teilweise Ausgreifen in die städtische Peripherie die Karte für 1938/39. Insgesamt überwiegt die Konsumgüterindustrie. Dies trifft nicht für die beiden Weltkriege zu in denen der Produktionssektor rasch auf Rüstungsproduktion umgestellt wurde. Die Standorte der Rüstungsindustrie in den beiden Weltkriegen konzentrieren sich ebenfalls auf den Süden und Nordosten. Maschinen-, Fahrzeug-, Elektro- und metallverarbeitende Industrie stehen im Vordergrund.

Gleichzeitig mit der Industriestadt etablierte sich auch die moderne Dienstleistungsstadt. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Finanzdienstleistungen. Mit der Gründung der ersten „Universalbanken“ am Wiener Standort in den Jahren 1853 und 1855 wurden allmählich die zuvor vorherrschenden Privatbankiers die gleichzeitig auch Großhändler waren, abgelöst. Bis zum Börsenkrach des Jahres 1873 kam es zu einer raschen Ausweitung des Bankensektors und allmählich auch des Versicherungswesens. Dessen Expansion setzte sich vor ab den 1890er Jahren fort. Nun breitete sich auch ein Filialnetz über das Stadtgebiet. Eine starke City-Zentriertheit bleibt aber bestehen, im Versicherungswesen unverändert bis in die Zwischenkriegszeit. Die Verteilung der Einrichtungen des Finanzsektors 1937 zeigt das unveränderte räumliche Wachstum bei gleichzeitigem Schrumpfungsprozess, da die Wiener Großbanken bis auf wenige Ausnahmen der Finanzkrise der späten 1920er Jahre zum Opfer fielen. Ebenso wie der Finanzsektor entwickelte sich im 19. Jahrhundert von sehr bescheidenen Anfängen ausgehend eine städtische Kultur- und Freizeitindustrie. Noch um 1850 gab es sehr wenige Freizeitstätten, aber bereits 1892 hatte sich das Angebot stark diversifiziert. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs überzog bereits ein dichtes Netz an Konzertsälen, Theatern, Kinos, Bädern, Turnschulen und Sportstätten das Stadtgebiet. In den 1930er Jahren kann von einer entwickelten Kultur- und Sportstadt gesprochen werden.

Zu den Kernproblemen einer rasch wachsenden Metropole zählte der Wohnungsmarkt. Die Kartenserie zur Wohnungsgröße, -belag, -nutzung, -ausstattung belegt eine bis an den Vorabend des Ersten Weltkriegs prekäre Lage mit hohen Belagsziffern. Für das Jahr 1900 zeigt eine Karte der Mietwohnungen nach der Bauperiode und Miete eine sehr stabile Bezirks-Hierarchie unabhängig von der Bauperiode. Die gemischte Nutzung von Wohnen und Geschäftsbetrieb nahm erst nach der Jahrhundertwende deutlicher ab. Erst das kommunale Wohnbauprogramm der Zwischenkriegszeit linderte die Wohnungsnot beträchtlich. Der soziale Wohnbau bis zum Zweiten Weltkrieg wird in seinen verschiedenen Entwicklungsphasen zurückreichend bis auf seine Anfänge im Werksiedlungsbau auf Baublockebene detailliert dargestellt. Wie auch Reprints zeitgenössischer thematischer Karten belegen verteilten sich die Gemeindewohnungen über das gesamte Stadtgebiet und wirkten dadurch antisegregativ. Ein U-förmiges Verteilungsmuster zeigte die Wohnungsausstattung. Während in den Nobelbezirken Wohnungen mit Badezimmer bereits um 1910 rund ein Fünftel bis ein Drittel ausmachten, zählten sie im übrigen Wien zur seltenen Ausnahme. Nach 1900 verdichtete sich das Gas-, Strom- und Wasseranschlussnetz, doch erst in der Zwischenkriegszeit erreichte es Werte von 80 und mehr Prozent.

Eine Momentaufnahme der Situation vor und kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges bietet eine Serie von Bezirkskarten zu den Hauserträgen im Jahr 1914 – also vor Einführung des Mieterschutzes im Jahr 1917 – und zum Baualter im Jahr 1920. Diese Serien umfassen den gesamten gründerzeitlichen Baubestand mit Ausnahme Transdanubiens und im Fall der Hauserträge mit Ausnahme der Bezirke 13-15 und 17-19. Das Baualter ist in einem parzellenscharfen Gesamtplan dargestellt. Diese georeferenzierten Bezirkskarten verweisen auf die bis in die Gegenwart spürbare Persistenz sozialräumlicher Strukturen.

Der städtische Bodenmarkt wurde sowohl was Arbeits- als auch Wohnorte anlangt ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Auf- und Ausbau des Eisenbahnnetzes erheblich beeinflusst. Ehe sich das Eisenbahnnetz mehr oder minder flächendeckend über den Stadtraum erstreckte, profitierten in einer ersten Ausbauphase vor allem der Süden und der Nordosten von den dort befindlichen Eisenbahnlinien der Süd- und der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn. Dargestellt werden in der thematischen Karte des Eisenbahnnetzes für den Zeitraum 1837-1937 Zeiträume der Inbetriebnahme, Ausbaustufen, aber auch Stadt-, Lokal- und Schleppbahnen, sowie die Gleisanlagen von Bahnhöfen. Was den innerstädtischen Verkehr anlangt, waren es zunächst die Linien der Wiener Tramway-Gesellschaft die in den Zeiträumen 1865-1877, 1878-1890 und 1891-1898 den innerstädtischen öffentlichen Verkehr beherrschten. In weiterer Folge löste die städtische elektrische Straßenbahn nach der Jahrhundertwende das bestehende System ab. Fiaker, Stellwagen und Einspänner behielten aber vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine gewisse Bedeutung. Schon vor 1914 kam es zu einer starken Ausweitung des Streckennetzes, welches sich um 1920 auf hohem Nievau einpendelte. Nicht zuletzt auf Grund der geänderten Tarifpolitik nahmen die Fahrgastzahlen bis in die späten 1920er bedeutend zu, ehe die Weltwirtschaftskrise für einen temporären Rückgang sorgte. Während die Personenfrequenz noch um 1903 eine starke Citykonzentration aufweist, bildeten um 1930 auch die Ausfahrtsstraßen und der Gürtel zentrale Fahrgastknoten. Wie die Karte über Autobuslinien und Taxistandplätze in den Jahren 1936/38 zeigt, gewann in der Zwischenkriegszeit auch der Kraftfahrzeugverkehr für das innerstädtische Transportsystem bereits eine gewisse Bedeutung.

Wasserversorgung und Kanalisation Wiens beruhte im 18. und frühen 19. Jahrhundert auf einem veralteten Netz kleinerer Wasserleitungen und vieler Brunnen, während die Kanalisation mehr schlecht als recht in die ungedeckten Stadtbäche und in die Donau ableitete. Auch die 1836/43 gebaute und später erweiterte Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung konnte das grundsätzliche Ver- und entsorgungsproblem, wie die Karte für 1860 belegt, nicht lösen. Erst der Bau der beiden Hochquellenwasserleitungen, die 1873 und 1910 und der zentralen Sammelkanäle, die 1893 und 1906 in Betrieb gingen, sorgte für die mehr oder minder vollständige Versorgung der Wiener Haushalte mit Wasser von einwandfreier Qualität und einem funktionierenden Abwassersystem. Für die „Assanierung“ kam der Wasserversorgung auch insofern Bedeutung zu, als die Straßenpflasterung und –bespritzung der enormen Staubentwicklung entgegen wirken und der Verschmutzung und Verschlammung der Straßenbeläge verhindern sollte. Um 1860 waren jedoch zahlreiche Straßen der Innenbezirke ungepflastert und stellten ein erhebliches sanitärer Problem dar.

Die Gasversorgung, welche die traditionelle Beleuchtung mit Kerzen ablöste, erstreckte sich bereits um 1860 über weite Teile des damaligen Stadtgebietes. Gaswerke in Fünfhaus, Gaudenzdorf, in der Roßau, in Erdberg, in Währing/Döbling und im Belvedere bildeten einen Versorgungskreis um das Stadtzentrum.

Siehe auch: Historischer Atlas von Wien.

Karten

Hauserträge 1914

Betriebsstättenverteilung 1852-1944

Verteilung von Einrichtungen des Finanzsektors 1855-1937

Verteilung von Kultur- und Freizeitstätten 1850-1937

Wohnungsmarkt 1856-1936

Verkehrsinfrastruktur 1837-1945

Wasserversorgung und Kanalisation 1739-1860

Baualter 1920


Literatur

  • Renate Banik-Schweitzer, Zur sozialräumlichen Gliederung von Wien 1869-1934. Wien: Institut für Stadtforschung 1982.
  • Gerhard Meißl, Schottenfeld – Brillantengrund – Grünbiotop: Notizen zur wechselhaften Karriere eines urbanen Wirtschaftsraumes. In: Jahrbuch für Geschichte der Stadt Wien 60 (2004), 193-206
  • Renate Banik-Schweitzer, Gerhard Meißl (Hg.), Industriestadt Wien. Die Durchsetzung der industriellen Marktproduktion in der Habsburgerresidenz. Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 11, Wien: Deuticke 1983
  • Gerhard Meißl, Industrie und Gewerbe in Wien 1835 bis 1845: Branchenmäßige und regionale Strukturen und Entwicklungstendenzen im Spiegel der Gewerbeausstellungen von 1835, 1839 und 1845. In: Renate Banik-Schweitzer [u.a.], Wien im Vormärz. Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 8, Wien: Deuticke 1980, 75-106.
  • Gerhard Meißl, Modernisierung und Modularität. Die Entwicklung der Wiener Ökonomie zwischen 1890 und 1914 im Bild der kommunalen Statistik. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 52/53 (1996/97), 249-275
  • Gerhard Meißl, Fabriksort Metropole. Zur Konstruktion des Wiener Produktionsraumes von der frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg. In: Pro Civitate Austriae 3 (1998), 17-32
  • Gerhard Meißl, Netzwerke oder Hierarchien? Zur Entstehung metropolitaner Produktionsräume im Spannungsfeld von historischer Einbettung und ökonomischer Rationalität am Beispiel Wiens im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Geschichte der Stadt Wien 59 (2003), 197-217
  • Gerhard Meißl, Hierarchische oder heterarchische Stadt? Metropolen-Diskurs und Metropolen-Produktion im Wien des Fin de siècle. In: Roman Horak [u.a.] (Hg.), Metropole Wien. Texturen der Moderne. Bd. 1 , Wiener Vorlesungen. Konservatorien und Studien 9/1, Wien: WUV 2000
  • Renate Banik-Schweitzer, Die Stadt lesen wie ein Palimpsest – im Historischen Atlas von Wien. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 52/53 (1996/97), 33-51
  • Renate Banik-Schweitzer, Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land um die Wende zum 20. Jahrhundert: Ein Versuch zur Bestimmung ihrer Dimension aufgrund einer vergleichenden Analyse der Berufs- und Betriebsstruktur der Regionen Berlin/Brandenburg und Wien/Niederösterreich. In: Monika Glettler, Heiko Haumann, Gottfried Schramm (Hg.), Zentrale Städte und ihr Umland. Wechselwirkungen während der Industrialisierungsperiode in Mitteleuropa, St. Katharinen: Scripta Mercaturae 1985, 203-234
  • Josef Schmee, Andreas Weigl (Hg.), Wiener Wirtschaft 1945-1998. Geschichte - Entwicklungslinien - Perspektiven, Peter Lang Verlag, Bern-Frankfurt/M.-Wien: Peter Lang Verlag 1999
  • Andreas Weigl, Zeitreihen zur Wiener Wirtschaft 1945-2000, in: Statistische Mitteilungen 2001/2+3, 5-62.
  • Peter Feldbauer, Stadtwachstum und Wohnungsnot. Determinanten unzureichender Wohnungsversorgung in Wien 1848 bis 1914. Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 9, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1977
  • Renate Banik-Schweitzer, Wolfgang Pircher, Zur Wohnsituation der Massen im Wien des Vormärz. In: Renate Banik-Schweitzer [u.a.], Wien im Vormärz. Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 8, Wien: Deuticke 1980, 133-174
  • Gerhard Meißl, Hochquellenleitungen und Unratsschiffe. Zur Geschichte der Wiener Wasserver- und entsorgung vor 1914. In: Sylvia Hahn, Reinhold Reith (Hg.), Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder – Forschungsansätze – Perspektiven. Querschnitte 8, Wien: Verlag für Geschichte und Politik, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2001, 157-179.