Hermann Bahr: Unterschied zwischen den Versionen

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Ende November 1891 bezog er eine Wohnung am Heumarkt 9, ab November 1892 wohnte er bis zum April 1894 in der Salesianergasse 12, in der auch Hugo von Hofmannsthal mit seinen Eltern wohnte. 1894 startete Bahr neuerlich einen Versuch, eine Zeitschrift als Organ für aktuelle kulturelle Entwicklungen zu gründen. Gemeinsam mit [[Heinrich Kanner]] und [[Isidor Singer]] erschien so ab Oktober 1894 jeden Samstag die Wochenschrift ''Die Zeit'', in der Bahr für den Kulturteil verantwortlich war. Durch eine Freundschaft mit Max Burckhard und auch weiteren Beziehungen in die Theaterszene wurde Bahr in diesem Bereich zu einer einflussreichen Figur, die zusätzlich problematisch wurde, weil Bahr auch jährlich selbst zumindest ein Schauspiel zu veröffentlichen pflegte. Im Oktober 1899 wechselte Bahr zum [[Steyrermühl]]-Konzern, um vor allem für das [[Neues Wiener Tagblatt|Neue Wiener Tagblatt]] Feuilletons zu verfassen, während in der Österreichischen Volks-Zeitung Theaterkritiken erschienen. Mit dem Wechsel war Bahr nunmehr einer der führenden Feuilletonschreiber der Stadt.
 
Ende November 1891 bezog er eine Wohnung am Heumarkt 9, ab November 1892 wohnte er bis zum April 1894 in der Salesianergasse 12, in der auch Hugo von Hofmannsthal mit seinen Eltern wohnte. 1894 startete Bahr neuerlich einen Versuch, eine Zeitschrift als Organ für aktuelle kulturelle Entwicklungen zu gründen. Gemeinsam mit [[Heinrich Kanner]] und [[Isidor Singer]] erschien so ab Oktober 1894 jeden Samstag die Wochenschrift ''Die Zeit'', in der Bahr für den Kulturteil verantwortlich war. Durch eine Freundschaft mit Max Burckhard und auch weiteren Beziehungen in die Theaterszene wurde Bahr in diesem Bereich zu einer einflussreichen Figur, die zusätzlich problematisch wurde, weil Bahr auch jährlich selbst zumindest ein Schauspiel zu veröffentlichen pflegte. Im Oktober 1899 wechselte Bahr zum [[Steyrermühl]]-Konzern, um vor allem für das [[Neues Wiener Tagblatt|Neue Wiener Tagblatt]] Feuilletons zu verfassen, während in der Österreichischen Volks-Zeitung Theaterkritiken erschienen. Mit dem Wechsel war Bahr nunmehr einer der führenden Feuilletonschreiber der Stadt.
  
1900 (vorübergehend wohnhaft 9, Porzellangasse 37) ließ er sich von [[Josef Maria Olbrich]] eine Villa in Ober-St.-Veit (13, Winzerstraße 22), errichten ([[Bahr-Villa]]), die später umgebaut wurde. 1906/1907 war Bahr Regisseur bei [[Max Reinhardt]] am Deutschen Theater in Berlin, 1912 übersiedelte er nach Salzburg, von Juni bis November 1918 arbeitete er als Erster Dramaturg am Wiener Burgtheater, und 1922 übersiedelte er nach München, wo er bis zu seinem Tod lebte. Bahr war ein ausgezeichneter Menschenkenner, verfügte über einen hervorragenden Stil und zeigte sich allen literarischen Strömungen vom Naturalismus bis zum Expressionismus aufgeschlossen; zuletzt trat er als Wortführer des Neukatholizismus hervor, war aber auch Mittelpunkt des Literaturkreises "Jung-Wien". Neben dem "Wiener Tagblatt" war er vor allem für die "Österreichische Volkszeitung" und den "Berliner Börsen-Courier" als Essayist und Kritiker tätig. Von seinen zahlreichen Bühnenstücken sind die Lustspiele "Wienerinnen" (1900), "Der Krampus" (1902) und "Das Konzert" (1909) zu nennen, von seinen Romanen "Himmelfahrt" (1916), "Österreich in Ewigkeit" (1929) unter anderem.; darüber hinaus verfasste er kulturgeschichtlich interessante Tagebücher. Bahr-Erinnerungsraum (Österreichische Nationalbibliothek); Hermann-Bahr-Gesellschaft (gegründet 1963).
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Mutmaßlich rund um die Hochzeit mit der Schauspielerin Rosa Joël 1895 bezogen sie eine gemeinsame Wohnung in der Liechtensteinstraße 38. Ab 5. November des Folgejahres wohnte er in der Porzellangasse 37, diesmal erstmals mit Zimmern mit Stromanschluss. Mitte 1899 kaufte er sich in Ober-St. Veit einen Baugrund in der [[Veitlissengasse]] 5a. (Seither ist der Eingang in die [[Winzergasse]] 22 verlegt.) Der Verkäufer war der Direktor des [[Deutsches Volkstheater|Deutschen Volkstheater]], Emerich von Bukovics. Das Haus – [[Bahr-Villa]] – wurde von [[Josef Maria Olbrich]] geplant und ausgestattet. Als zentrales Bild war die „Nuda Veritas“ von [[Gustav Klimt]] aufgehängt. Im Juli 1900 konnte das Haus bezogen werden. Der Grundstückskauf wurde 1901 zu einem Teil des Verleumdungsprozesses, den Bahr und Bukovics gegen [[Karl Kraus]] anstrengten und gewannen. Kraus hatte behauptet, das Grundstück wäre Lohn für positive Theaterkritiken über das Volkstheater gewesen. Das konnte er nicht beweisen und Bahr dürfte auch den marktüblichen Preis bezahlt haben.
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Bereits als Herausgeber der „Zeit“ und auch beim Steyrermühl-Konzern bemühte sich Bahr für verschiedene neue Kulturströmungen in der Stadt, sei es die [[Secession (Institution)|Secession]], Klimt oder Schnitzlers Skandalstück „Reigen“, um dessen öffentliche Lesung er sich vergeblich bemühte. Bahrs Kampagnen hatten immer ein strategisches Moment: Er freute sich an Neuem oder daran, in öffentlichen Diskursen Gegenpositionen einzunehmen. Das führte zu häufigen Wandlungen, die er versuchte, als zentrales Charakteristikum seiner Essayistik zu fixieren.
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=== Neuorientierung und Ende des Tagesjournalismus ===
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Um die Jahreswechsel 1902/1903 und auch 1903/1904 kam es zu zwei schweren Erkrankungen – zuerst eine Blinddarmentzündung, dann eine Herzerkrankung –, die ihn beide in Lebensgefahr brachten. Die zweite führte zu einer Neuausrichtung sowohl beruflicher, privater wie geografischer Natur. Beruflich nahm er Abschied vom Tagesjournalismus und wurde zum freien Mitarbeiter von Zeitungen und Zeitschriften. Die Versuche, als Theaterdramaturg nach München (1905/1906) bzw. als Regisseur bei [[Max Reinhardt]] in Berlin zu arbeiten (1906/1907), blieben Episoden. Privat war im Herbst 1904 die Begegnung mit [[Anna Bahr-Mildenburg|Anna von Mildenburg]] ein einschneidendes Erlebnis, aus der 1909 seine zweite Ehe hervorging. Von seiner ersten Frau lebte er seit 1900 getrennt, doch erst die Heirat mit Mildenburg, die sich nunmehr Bahr-Mildenburg nannte, machte die Scheidung notwendig. Die Tochter Natalie, die Rosa Bahr nach der Trennung aber in der Ehe geboren hatte, erkannte er an und hielt auch zeitlebens seine Unterhaltspflicht für die geschiedene Frau und ihr Kind aufrecht.
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Verschiedene Dinge kamen zusammen, dass er und seine Frau beschlossen, Wien zu verlassen. Die neue Ehe, der Umstand, dass in seinem Haus Reparaturen notwendig wurden, waren ein Teil. Auch, dass ihm Wien zunehmend unsympathisch geworden war. Das brachte er in seinem Buch „Wien“ (Juni 1906) zum Ausdruck, das umgehend in Österreich verboten wurde. Wenngleich der tatsächliche Abschied aus Wien erst im Frühjahr 1913 vollzogen wurde – seine Frau und er zogen nach Salzburg – verbrachte er die Jahre bis dahin nur wenig in Wien. Er unternahm ausgiebige Vorlesetourneen durch Mitteleuropa. Mit seiner Komödie „Das Konzert“ (1909) hatte er seinen größten Theatererfolg. Es ist das einzige seiner Theaterstücke, das sich bis in die Gegenwart regelmäßig inszeniert wird.
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=== Rückkehr als 1. Dramaturg nach Wien ===
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Von Juni bis November 1918 arbeitete er als Erster Dramaturg am Wiener Burgtheater, und 1922 übersiedelte er nach München, wo er bis zu seinem Tod lebte. Bahr war ein ausgezeichneter Menschenkenner, verfügte über einen hervorragenden Stil und zeigte sich allen literarischen Strömungen vom Naturalismus bis zum Expressionismus aufgeschlossen; zuletzt trat er als Wortführer des Neukatholizismus hervor, war aber auch Mittelpunkt des Literaturkreises "Jung-Wien". Neben dem "Wiener Tagblatt" war er vor allem für die "Österreichische Volkszeitung" und den "Berliner Börsen-Courier" als Essayist und Kritiker tätig. Von seinen zahlreichen Bühnenstücken sind die Lustspiele "Wienerinnen" (1900), "Der Krampus" (1902) und "Das Konzert" (1909) zu nennen, von seinen Romanen "Himmelfahrt" (1916), "Österreich in Ewigkeit" (1929) unter anderem.; darüber hinaus verfasste er kulturgeschichtlich interessante Tagebücher. Bahr-Erinnerungsraum (Österreichische Nationalbibliothek); Hermann-Bahr-Gesellschaft (gegründet 1963).
  
 
Hermann Bahr war von 1895 bis 1908 in erster Ehe mit der Schauspielerin Rosa Jokl (Joël) verheiratet, ab 1909 mit [[Anna Bahr-Mildenburg]].  
 
Hermann Bahr war von 1895 bis 1908 in erster Ehe mit der Schauspielerin Rosa Jokl (Joël) verheiratet, ab 1909 mit [[Anna Bahr-Mildenburg]].  
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== Literatur ==
 
== Literatur ==
*[https://schnitzler-bahr.acdh.oeaw.ac.at/ Kurt Ifkovitzs / Martin Anton Müller (Hg.): Hermann Bahr, Arthur Schnitzler. Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente (1891–1931). Wien: Wallenstein Verlag 2018]
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*[https://schnitzler-bahr.acdh.oeaw.ac.at/ Kurt Ifkovits / Martin Anton Müller (Hg.): Hermann Bahr, Arthur Schnitzler. Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente (1891–1931). Wien: Wallstein Verlag 2018]
 
* Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 182   
 
* Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 182   
 
* Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
 
* Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013

Version vom 22. Oktober 2023, 16:09 Uhr

Hermann Bahr
Daten zur Person
Personenname Bahr, Hermann
Abweichende Namensform
Titel
Geschlecht männlich
PageID 2520
GND 118505955
Wikidata Q94034
Geburtsdatum 19. Juli 1863
Geburtsort Linz 4074255-6
Sterbedatum 15. Jänner 1934
Sterbeort München 4127793-4
Beruf Schriftsteller, Essayist, Dramatiker, Kulturjournalist
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Zwischenkriegszeit, Karl Kraus (Portal)
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 22.10.2023 durch DYN.mepherl
Begräbnisdatum
Friedhof Kommunalfriedhof Salzburg
Grabstelle Ehrengrab
Ehrengrab Ehrengrab
Bildname Hermann Bahr.jpg
Bildunterschrift Hermann Bahr
  • 1., Graben 29-29a (Wohnadresse)
  • 3., Salesianergasse 12 (Wohnadresse)
  • 9., Porzellangasse 37 (Wohnadresse)
  • 13., Winzerstraße 22 (Wohnadresse)
  • 3., Am Heumarkt 9 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft
  • Erster Dramaturg am Wiener Burgtheater (1918)

Hermann Bahr, * 19. Juli 1863 Linz, † 15. Jänner 1934 München, Dichter, Schriftsteller, Essayist, Kritiker.

Biografie

Studium und erster Wienaufenthalt 1881–1883

Der Sohn eines Notars und liberalen Landtagsabgeordneten besuchte das Gymnasium in Linz und Salzburg. Kam im Wintersemester für das Studium klassischer Philologie nach Wien (erster Wohnsitz bei seiner Tante, Ecke Johannesgasse/Kärntnerstraße), wechselte aber bereits im Dezember auf das Studium von Jus. Er war in der deutschnationalen Burschenschaft Albia aktiv, auch als die beschloss, Juden aus ihren Reihen auszuschließen, darunter Theodor Herzl. Bahr war zu dieser Zeit aktiver Antisemit und radikaler Anhänger Georg von Schönerers. Als Folge einer Trauerfeier für Richard Wagner in den Sophiensälen am 5. März 1883 mit 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich forderte, wurden Bahr und Franz Dafert von Sensel-Timmer von der Universität verwiesen. Das Studium setzte er zunächst in Graz, dann in Czernowitz fort, ohne einen Abschluss zu erreichen. Im März und April 1884 lebte er kurzfristig wieder in Wien und wohnte mit seinem Freund Edmund Lang (nachmaliger Ehemann von Marie Lang) bei Hugo Wolf im 3. Stock des Trattnerhof.

Bahr studierte dann Nationalökonomie in Berlin, doch weil seine Abschlussarbeit nicht akzeptiert wurde, blieb auch dieses Studium unvollendet. 1889 finanzierte ihm sein Vater einen einjährigen Aufenthalt in Paris, von wo aus er nach Spanien und Marokko reiste. Bereits seit seinem 18. Lebensjahr hatte er Aufsätze, Kritiken und literarische Texte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften publiziert. Teilweise anonym erschienen seine Texte in Die Gleichheit von Victor Adler, womit sich auch ein politischer Wandel weg von seiner deutschnationalen Gesinnung verband.

Journalismus in Wien

Von Frankreich aus wurde er von Arno Holz zur Mitarbeit an der neu gegründeten Monatsschrift Freie Bühne (heute Neue Rundschau) eingeladen, weswegen er das erste Halbjahr 1890 in Berlin verbrachte. Die Zeitschrift war eine vom Verleger S. Fischer mit dem Chefredakteur Otto Brahm betriebene Ergänzung zu einem Theaterverein, der dem naturalistischen Theater zum Durchbruch verhelfen wollte. Nachdem es Bahr nicht gelungen war, Brahm zu stürzen und die Leitung der Zeitschrift zu übernehmen, verließ er Berlin, lebte bei seinen Eltern in Linz und reiste mit einer Theatertruppe nach Russland. In Wien (und teilweise in Brünn) begannen sich zur selben Zeit und teilweise in Nachahmung der Berliner Aktivitäten ebenfalls Zeitschriften (Moderne Dichtung, im 2. Jahr Moderne Rundschau) und Vereine zu gründen. Der Burgtheaterdirektor Max Burckhard brachte Henrik Ibsen an seine Bühne. Bahr schaffte es bei seiner Rückkehr nach Wien im Frühjahr 1891 diese verschiedenen Strömungen in seinem Kulturjournalismus aufzunehmen und über die nächste Zeit einen eigene österreichische literarische Kunstrichtung auszuformulieren, die sich vor allem durch eine Abgrenzung des Berliner Naturalismus und eine Annäherung an französische Dekadenz- und Symbolismus-Tendenzen auszeichnete. Geholfen hat ihm dabei, dass er im Frühjahr 1891 innerhalb von wenigen Tagen Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal im Kaffeehaus kennenlernte, die zu den international erfolgreichsten Autoren der Wiener Szene wurden. Bahr hat den Ausdruck "Jung-Wien", zu deren bekanntesten Proponenten alle drei wurden, nicht erfunden, er hat ihn aber popularisiert.

Bahr war gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, was ihm durch eine Anstellung bei der Deutschen Zeitung gelang, für die er im September 1892 zu schreiben begann. Er blieb bis Ende 1893. In dieser Zeitung erschien auch seine internationale Interviewreihe zum Antisemitismus, die er auch gedruckt bei S. Fischer erscheinen ließ. Sie markiert eine Zäsur in seinem Antisemitismus, auch wenn sich in seinen privaten Äußerungen (Briefwechsel mit dem Vater) auch noch Jahre später einzelne antisemitische Äußerungen nachweisen lassen. Er legte die Mitgliedschaft bei Albia zurück, "um Schaden von der Burschenschaft abzuwenden".

Ende November 1891 bezog er eine Wohnung am Heumarkt 9, ab November 1892 wohnte er bis zum April 1894 in der Salesianergasse 12, in der auch Hugo von Hofmannsthal mit seinen Eltern wohnte. 1894 startete Bahr neuerlich einen Versuch, eine Zeitschrift als Organ für aktuelle kulturelle Entwicklungen zu gründen. Gemeinsam mit Heinrich Kanner und Isidor Singer erschien so ab Oktober 1894 jeden Samstag die Wochenschrift Die Zeit, in der Bahr für den Kulturteil verantwortlich war. Durch eine Freundschaft mit Max Burckhard und auch weiteren Beziehungen in die Theaterszene wurde Bahr in diesem Bereich zu einer einflussreichen Figur, die zusätzlich problematisch wurde, weil Bahr auch jährlich selbst zumindest ein Schauspiel zu veröffentlichen pflegte. Im Oktober 1899 wechselte Bahr zum Steyrermühl-Konzern, um vor allem für das Neue Wiener Tagblatt Feuilletons zu verfassen, während in der Österreichischen Volks-Zeitung Theaterkritiken erschienen. Mit dem Wechsel war Bahr nunmehr einer der führenden Feuilletonschreiber der Stadt.

Mutmaßlich rund um die Hochzeit mit der Schauspielerin Rosa Joël 1895 bezogen sie eine gemeinsame Wohnung in der Liechtensteinstraße 38. Ab 5. November des Folgejahres wohnte er in der Porzellangasse 37, diesmal erstmals mit Zimmern mit Stromanschluss. Mitte 1899 kaufte er sich in Ober-St. Veit einen Baugrund in der Veitlissengasse 5a. (Seither ist der Eingang in die Winzergasse 22 verlegt.) Der Verkäufer war der Direktor des Deutschen Volkstheater, Emerich von Bukovics. Das Haus – Bahr-Villa – wurde von Josef Maria Olbrich geplant und ausgestattet. Als zentrales Bild war die „Nuda Veritas“ von Gustav Klimt aufgehängt. Im Juli 1900 konnte das Haus bezogen werden. Der Grundstückskauf wurde 1901 zu einem Teil des Verleumdungsprozesses, den Bahr und Bukovics gegen Karl Kraus anstrengten und gewannen. Kraus hatte behauptet, das Grundstück wäre Lohn für positive Theaterkritiken über das Volkstheater gewesen. Das konnte er nicht beweisen und Bahr dürfte auch den marktüblichen Preis bezahlt haben.

Bereits als Herausgeber der „Zeit“ und auch beim Steyrermühl-Konzern bemühte sich Bahr für verschiedene neue Kulturströmungen in der Stadt, sei es die Secession, Klimt oder Schnitzlers Skandalstück „Reigen“, um dessen öffentliche Lesung er sich vergeblich bemühte. Bahrs Kampagnen hatten immer ein strategisches Moment: Er freute sich an Neuem oder daran, in öffentlichen Diskursen Gegenpositionen einzunehmen. Das führte zu häufigen Wandlungen, die er versuchte, als zentrales Charakteristikum seiner Essayistik zu fixieren.

Neuorientierung und Ende des Tagesjournalismus

Um die Jahreswechsel 1902/1903 und auch 1903/1904 kam es zu zwei schweren Erkrankungen – zuerst eine Blinddarmentzündung, dann eine Herzerkrankung –, die ihn beide in Lebensgefahr brachten. Die zweite führte zu einer Neuausrichtung sowohl beruflicher, privater wie geografischer Natur. Beruflich nahm er Abschied vom Tagesjournalismus und wurde zum freien Mitarbeiter von Zeitungen und Zeitschriften. Die Versuche, als Theaterdramaturg nach München (1905/1906) bzw. als Regisseur bei Max Reinhardt in Berlin zu arbeiten (1906/1907), blieben Episoden. Privat war im Herbst 1904 die Begegnung mit Anna von Mildenburg ein einschneidendes Erlebnis, aus der 1909 seine zweite Ehe hervorging. Von seiner ersten Frau lebte er seit 1900 getrennt, doch erst die Heirat mit Mildenburg, die sich nunmehr Bahr-Mildenburg nannte, machte die Scheidung notwendig. Die Tochter Natalie, die Rosa Bahr nach der Trennung aber in der Ehe geboren hatte, erkannte er an und hielt auch zeitlebens seine Unterhaltspflicht für die geschiedene Frau und ihr Kind aufrecht.

Verschiedene Dinge kamen zusammen, dass er und seine Frau beschlossen, Wien zu verlassen. Die neue Ehe, der Umstand, dass in seinem Haus Reparaturen notwendig wurden, waren ein Teil. Auch, dass ihm Wien zunehmend unsympathisch geworden war. Das brachte er in seinem Buch „Wien“ (Juni 1906) zum Ausdruck, das umgehend in Österreich verboten wurde. Wenngleich der tatsächliche Abschied aus Wien erst im Frühjahr 1913 vollzogen wurde – seine Frau und er zogen nach Salzburg – verbrachte er die Jahre bis dahin nur wenig in Wien. Er unternahm ausgiebige Vorlesetourneen durch Mitteleuropa. Mit seiner Komödie „Das Konzert“ (1909) hatte er seinen größten Theatererfolg. Es ist das einzige seiner Theaterstücke, das sich bis in die Gegenwart regelmäßig inszeniert wird.

Rückkehr als 1. Dramaturg nach Wien

Von Juni bis November 1918 arbeitete er als Erster Dramaturg am Wiener Burgtheater, und 1922 übersiedelte er nach München, wo er bis zu seinem Tod lebte. Bahr war ein ausgezeichneter Menschenkenner, verfügte über einen hervorragenden Stil und zeigte sich allen literarischen Strömungen vom Naturalismus bis zum Expressionismus aufgeschlossen; zuletzt trat er als Wortführer des Neukatholizismus hervor, war aber auch Mittelpunkt des Literaturkreises "Jung-Wien". Neben dem "Wiener Tagblatt" war er vor allem für die "Österreichische Volkszeitung" und den "Berliner Börsen-Courier" als Essayist und Kritiker tätig. Von seinen zahlreichen Bühnenstücken sind die Lustspiele "Wienerinnen" (1900), "Der Krampus" (1902) und "Das Konzert" (1909) zu nennen, von seinen Romanen "Himmelfahrt" (1916), "Österreich in Ewigkeit" (1929) unter anderem.; darüber hinaus verfasste er kulturgeschichtlich interessante Tagebücher. Bahr-Erinnerungsraum (Österreichische Nationalbibliothek); Hermann-Bahr-Gesellschaft (gegründet 1963).

Hermann Bahr war von 1895 bis 1908 in erster Ehe mit der Schauspielerin Rosa Jokl (Joël) verheiratet, ab 1909 mit Anna Bahr-Mildenburg.

Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe war Hermann Bahr aktives Mitglied in der deutschnationalen "Alldeutschen Bewegung“ von Georg von Schönerer. Er wurde unter anderem wegen antisemitischer Reden von der Universität Wien ausgeschlossen und konvertierte schließlich zum Katholizismus.


Quellen

Literatur

  • Kurt Ifkovits / Martin Anton Müller (Hg.): Hermann Bahr, Arthur Schnitzler. Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente (1891–1931). Wien: Wallstein Verlag 2018
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien: Pichler Verlag 2014, S. 182
  • Peter Autengruber / Birgit Nemec / Oliver Rathkolb / Florian Wenninger: Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013
  • Peter Autengruber: Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. Wien: Pichler Verlag 2014, 9. Auflage, S. 130
  • Murray G. Hall / Gerhard Renner: Handbuch der Nachlässe und Sammlungen österreichischer Autoren. Wien [ u.a.]: Böhlau 1992 (Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur, 23)
  • Peter Ernst: Wiener Literaturgedenkstätten. Hg. von Felix Czeike. Wien: J & V-Edition Wien-Verlag 1990
  • Sylvia Mattl-Wurm [Red.]: Interieurs. Wiener Künstlerwohnungen 1830-1930. Wien: Eigenverlag 1990 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 138), S. 107 f. (Künstlerwohnung)
  • Pannonia 14 (1986), S. 22 f. (Lehrmonate in Paris)
  • Tino Erben [Red.]: Traum und Wirklichkeit. Wien 1870 – 1930. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1985 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 93), S. 317 f.
  • Hermann Bahr - der Herr aus Linz. Eine Dokumentation in Zusammenarbeit mit dem Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich und dem Archiv der Stadt Linz. Linz: Stadtmuseum Nordico 1984 (Katalog des Stadtmuseums Linz, 39)
  • Donald G. Daviau: Der Mann von Übermorgen. Hermann Bahr 1863 - 1934. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1984
  • Linz aktiv 92 (1984), S. 36 f. (Bildnisse)
  • Herwig Rischbieter [Hg.]: Theater-Lexikon. Zürich: Orell Füssli 1983
  • Felix Czeike: I. Innere Stadt. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1983 (Wiener Bezirkskulturführer, 1), S. 58, 64
  • Felix Czeike: XIII. Hietzing. Mit ausführlicher Beschreibung, Karten- und Grundrißskizzen von Schönbrunn. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1982 (Wiener Bezirkskulturführer, 13), S. 61 f.
  • Fritz Fellner [Hg.]: Dichter und Gelehrter. Hermann Bahr und Josef Redlich in ihren Briefen 1896 - 1934. Salzburg: Neugebauer 1980 (Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 2)
  • Die Presse, 24.11.1977 (Nachlass) und 07.01.1984
  • Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, Register
  • Wiener Geschichtsblätter 28 (1973), S. 82
  • Oberösterreicher : Lebensbilder zur Geschichte Oberösterreichs, hg. vom Oberösterreichischen Landesarchiv. Band 1. Linz: Oberösterreichisches Landesarchiv 1981
  • Marcel Prawy: Geschichte und Geschichten der Wiener Staatsoper. Wien [u.a.]: Molden 1969, S. 68 f., 80
  • Adalbert Schmidt: Dichtung und Dichter Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert. 2 Bände. Salzburg: Bergland-Buch 1964, S. 239 ff. und Register
  • Heinz Schöny: Wiener Ahnen von Hermann Bahr. In: Adler. Zeitschrift für Genealogie und Heraldik 6 (1962/1964), S. 149 ff.
  • Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anlässlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken (1963)
  • Hans Giebisch / Gustav Gugitz: Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Hollinek 1963 (Werksverzeichnis)
  • Das Wiener Heimatbuch – Mariahilf. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft des Mariahilfer Heimatmuseums. Wien: Austria Press 1963, S. 240
  • Rathaus-Korrespondenz. Wien: Presse- und Informationsdienst, 14.01.1959 und 17.07.1963
  • Neue österreichische Biographie. 1815 – 1918. Band 10. Wien [u.a.]: Amalthea-Verlag 1957
  • Österreichisches biographisches Lexikon 1815 – 1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Band 1 (A - Glä). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1957 (Verzeichnis der Dissertation)
  • Wilhelm Kosch: Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch. Band 1. Bern: Francke 1949
  • Wiener Revue 1 (1945), S. 16 ff.
  • Alfred Deutsch-German: Wiener Porträts. Wien: Stern 1903


Hermann Bahr im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.