Matthias Sindelar

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Matthias Sindelar beim Empfang vor dem Spiel um den 3. Platz bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien (Neapel, 1934)
Daten zur Person
Personenname Sindelar, Matthias
Abweichende Namensform Sindelar, Mathias
Titel
Geschlecht männlich
PageID 20412
GND 128962143
Wikidata Q312865
Geburtsdatum 10. Februar 1903
Geburtsort Karlau bei Iglau, Mähren
Sterbedatum 23. Jänner 1939
Sterbeort Wien
Beruf Fußballer
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Letzte Änderung am 15.04.2024 durch WIEN1.lanm08trj
Begräbnisdatum
Friedhof Zentralfriedhof
Grabstelle Gruppe 12 B, Reihe 3, Nummer 11
Ehrengrab ehrenhalber gewidmetes Grab
Bildname Sindelar.jpg
Bildunterschrift Matthias Sindelar beim Empfang vor dem Spiel um den 3. Platz bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien (Neapel, 1934)
  • 1., Annagasse 3 (Sterbeadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Matthias (oft auch Mathias) Sindelar, * 10. Februar 1903 Karlau bei Iglau, Mähren, † 23. Jänner 1939 (Gasunfall [die Umstände blieben ungeklärt]) Wien 1, Annagasse 3-3A (Gedenktafel), (Zentralfriedhof, Gruppe 12 B/3/11), Fußballspieler (Stürmer).

Nach der Übersiedlung der Familie nach Wien und dem Tod des Vaters im Ersten Weltkrieg (1917) wuchs Sindelar in ärmlichen Verhältnissen auf (seine Mutter betrieb eine kleine Wäscherei, 10, Quellenstraße 75). In Favoriten waren damals die Vereine Rudolfshügel und Hertha die großen Rivalen; bei letzterem wurde Sindelars Talent entdeckt; 1923 spielte er erstmals in einem Match (gegen den FAC). Eine Meniskusverletzung (Sturz in einem Bad) setzte seiner Karriere fast ein Ende, hätte ihn nicht der Chirurg Hans Spitzy davor bewahrt; seither spielte Sindelar bedächtig und erhielt seinen Spitznamen "der Papierene". Sindelar, über die "Wiener Amateure" zur Austria gekommen, war am Aufstieg der sogenannten "Wiener Schule" maßgeblich beteiligt; das flache und engmaschige Kombinationsspiel war die Grundlage für die Erfolge des späteren Wunderteams, an dessen Erfolgen 1931-1934 er mit 27 erzielten Toren entscheidenden Anteil hatte. Zum letztenmal in Wien spielte er am 27. November 1938, zum letztenmal auswärts am 26. Dezember 1938. Friedrich Torberg setzte ihm ein literarisches Denkmal. Während seiner Karriere als Profifußballer arbeitete er zudem regelmäßig als Abteilungsleiter der Sportartikelfirma Pohl.

Nach ihm ist die Sindelargasse benannt.

Wiener Fußballgeschichte - Matthias Sindelar, genannt der "Papierene"

Niemals, schrieb Hans Weigel 1950 in einer emphatischen Eloge auf die Wiener Austria, habe sich das große Wort vom "Spiel" so erfüllt wie bei ihm, nie sei der Fußballsport anmutiger, geistreicher, überlegener und entmaterialisierter betrieben worden. Er sei der Rastelli, der Nijinsky des Fußballs gewesen, ein Wunder, ein Künstler, ein Phänomen – "ein Genie im wahrsten und höchsten Sinn dieser Worte".

Tatsächlich sahen alle Wiener, die ihn gekannt haben, "also alle Wiener" (Friedrich Torberg) in Matthias Sindelar, diesem "Kind aus Favoriten", einen Künstler seines Faches, in dem sich die klassischen Wiener Tugenden der Leichtigkeit und der Grazie, des Humors und der etwas verschlampten Genialität idealtypisch verdichteten. Er galt den Wienern somit als ideale Projektionsfläche ihrer selbst. Sie erblickten in ihm den überragenden Schauspieler, von dem man niemals vorhersagen konnte, wie er die Rolle des Mittelstürmers jeweils interpretieren werde. Und dies wiederum legte – wie etwa Wiens größter Theaterkritiker, Alfred Polgar, in einem bewegenden Nachruf schrieb – durchaus Assoziationen zum finten- und facettenreichen Spiel etwa eines Schachgroßmeisters nahe.

Zentrale Spielerfigur der Wiener Austria und "Spielführer" des Wunderteams

Matthias Sindelar war von ganz unten gekommen. Er entstammte dem Milieu der so genannten "Ziegelbehm". Aufgewachsen in den Straßen der Favoritener Kreta reifte der Halbwaise zu einem wahren "Gstettn-Star" heran und stieß 1924, vom Sport Club Hertha kommend, zur Wiener Austria (damals noch Amateur-Sportverein). Seine schwächliche körperliche Konstitution und die daraus resultierende Fähigkeit, körperlich weit überlegene Gegner mit spielerischer Leichtigkeit aussteigen zu lassen, brachten ihm den (anfangs nur wenig ehrenvollen) Beinamen "der Papierene" ein. Seine überragende Balltechnik und Spielintelligenz ließen ihn bald zu der zentralen Figur der Wiener Austria wie auch des legendären, von Hugo Meisl gecoachten Wunderteams heranreifen. Er wurde zum Synonym für die hohe Wiener Fußballschule, die sich durch ein engmaschiges, schnelles, mit hoher Präzision in Szene gesetztes Kurzpassspiel auszeichnete, angereichert mit Raffinesse, Eleganz und Witz. Als "Spielführer" des Wunderteams und zweifacher Mitropacup-Sieger erreichte seine Popularität ungeahnte Höhen, die er als einer der ersten "Werbeprofis" auch entsprechend umzusetzen wusste. Sindelar bewarb Milchprodukte, agierte als Dressman und wirkte schließlich in einem Spielfilm mit dem Titel "Roxy und ihr Wunderteam" (Budapest 1937) mit.

"Er wusste vom Leben außerdem nicht viel" schreibt Friedrich Torberg in seiner berührenden Ballade auf den Tod eines Fußballspielers. Nur so viel war gewiss, es würde ein Leben nach der Karriere als Fußballspieler geben müssen. Sindelar nutzte die Gunst der Stunde und erwarb im August 1938 die Vorgenehmigung zur Führung eines Kaffeehauses, das dem Vorbesitzer (und engen Freund Sindelars) Leopold Drill im Zuge der so genannten "nationalen Revolution von unten" in den Wochen nach dem Einmarsch der deutschen Truppen entzogen worden war.

Ein halbes Jahr darauf verstarb der Papierene, zusammen mit seiner Freundin Camilla Castagnola, unter mysteriösen und bis heute ungeklärten Umständen. Die bereits in das Exil gedrängte Wiener Kaffeehausliteratur machte zur Gewissheit, was die Untersuchungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht ausschließen konnten: den Freitod des ungekrönten Wiener Fußballkönigs angesichts der politischen und moralischen Vergewaltigung der Stadt durch die Nazis. Damit wurde der Mittelstürmer nachhaltig als eine Ikone der Wiener Identität und Selbstbehauptung befestigt. Sindelar habe nicht mehr leben können in einer entfesselten Zeit, der neben dem Wiener Fußball so vieles andere zum Opfer fiel, in der es im Fußball, ganz wie im Leben, mit der Wiener Schule vorbei war.

Bilder

Quellen

Literatur

  • Die Eleganz des runden Leders: Wiener Fußball 1920-1965. Informationsblatt zur Ausstellung im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Wien: 2008, Text: Wolfgang Maderthaner, Wien (Eine Kooperation zwischen Wiener Stadt- und Landesarchiv und der Wienbibliothek im Rathaus)
  • Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Die Wiener Schule. Eine Geschichte des Wiener Fußballs in elf Porträts. Wien: 2008, S. 5-6

Weblinks