Ringstraßenwettbewerb Projekt Nr.55

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Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Wettbewerb
Datum von 31. Jänner 1858
Datum bis 31. Juli 1858
Thema
Veranstalter
Teilnehmerzahl
Gewalt
PageID 43935
GND
WikidataID
Objektbezug Ringstraße, Glacis
Quelle
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Devise: A. E. I. O. U.


Verfasser: Friedrich Stache, 1. Preis


Das Projekt Nr. 55 wurde am 31. Juli 1858 im Ministerium des Innern abgelegt.[1] Bei der Sitzung am 13. November 1858 war der kommissionelle Berichterstatter Moritz Löhr, der bestimmte, dass der "…Plan Nr. 55…geeignet" wäre, um "zur Preisconcurrenz zugelassen zu werden"[2].

Friedrich Stache war Architekt des Fürstenhauses Kinsky in Wien, daneben engagierte sich der Onkel von Heinrich von Ferstel besonders bei der Gründung des Wiener Künstlerhauses. Seine architektonische und städtebauliche Bildung erhielt er nicht nur durch einen Studienaufenthalt in Italien (1836-1839) sondern auch durch das "Studium der Entwicklung grosser Städte" in England, Frankreich und Deutschland.


Eine umfassende Denkschrift

Der programmatische Titel von Friedrich Staches voluminöser Denkschrift "Das künftige Wien. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte desselben" ist sprechend. Seine Vorschläge zur Veränderung Wiens werden an vielen Stellen deutlich. Er zielte auf "ewig glorreiche Verjüngung der Residenzstadt Wien" und auf den "Glanz des neuen Wien" ab und dachte dabei nicht nur an die Erscheinung des Zentrums der Hauptstadt, sondern an das gesamte Weichbild.
Sein Plan sah neben den geforderten Staats- und Monumentalbauten eine Menge von weiteren Funktionsbauten vor (er listete nicht weniger als 40 auf), die in einem genau vorgegebenen Zeitrahmen von 20 Jahren umgesetzt werden sollten. Er formulierte dabei stets verschiedene Möglichkeit für diese Bauten und gab mehrere Varianten und Alternativpläne ab. Seinen Plan sah er nicht als einen unmittelbar auszuführenden Entwurf, sondern als Basis für weitere Planungen an.


Städtebaulicher Entwurf

In Staches Stadterweiterungsentwurf sollte der Straßenzug des Boulevards in sechs Abschnitten die Form eines Polygons um die Innenstadt beschreiben und unter anderem über den Stadtgraben und ehemalige Bastionen verlaufen. Die vorgegebene Lage der neuen Kaserne südlich der Augartenbrücke zwang ihn, den Boulevard um diese herumzuführen. Er achtete tunlichst darauf, dass an keiner Stelle des Boulevards altes, unansehnliches Mauerwerk der Innenstadt sichtbar bleiben würde. Vor dem Palais Coburg fügte er einen Schmuckgarten ein und führte die neue Prachtstraße in einer Rundung um diesen Garten herum.
Orthogonal zu den sechs Straßenzügen bildete er eine rasterförmige Bebauung aus, die er aber durch die Bezugnahme auf die bestehenden Straßen der Vorstädte in manchen Fällen nicht vollkommen regularisieren konnte. Im Bereich der neuen Kaserne weitete er nach Süden einen Platz aus, an dessen Ende ein Ensemble aus drei Bauten – Stadthaus, Handelsakademie und Justizpalast – entstand. In Richtung Donaukanal öffnete er geschickt einen großen Kirchplatz und schloss diesen mit einer Brücke direkt an die Leopoldstadt an, um so auch deren Bewohner zum Besuch der Kirche im neuen Stadtteil einzuladen.
An einigen Stellen, etwa am Ballhausplatz, dem Bürgerspital oder dem Jakoberhof, griff er tief in die innere Stadt ein, um einen umfassenden Stadtumbau zu ermöglichen. An den Knickpunkten des Polygons fügte er zwischen der inneren Stadt und den Vorstädten vermittelnde Achsen ein. Stache plante sehr präzise und wich von seiner geometrischen Konzeption nicht ab, das beweist sich auch an der Achse an der ehemaligen Wasserkunstbastei. Er legte die Achse exakt in die Winkelsymmetrale der beiden Polygonzüge an. Damit ließ er sowohl den Mittelrisalit des Palais Schwarzenberg als point de vue als auch die Heugasse als symbolisch und verkehrstechnisch wichtige Ausfallstraße außer Acht und lenkte den Blick stattdessen auf die Anhöhe des Belvederes.
Den Raum zwischen Hofburg und Hofstallungen fasste er als großzügige Fläche ein, indem er die Bibliothek und die Pinakothek flankierend an die Enden der Hofstallungen stellte und so deren lange Fassade einfasste. An die beiden neuen Gebäude schlossen zwei Triumphbögen an, die den Boulevard überspannten. Er schuf so einen erfahrbaren und gleichsam abgeschlossenen Bereich und nahm damit bereits die Kaiserforumsidee von Gottfried Semper vorweg. Auf fast allen Abschnitten des Boulevards finden sich in Staches Plan kleinere städtebauliche Objekte, wie Brunnen, Denkmäler etc. Neben den beiden Triumphbögen im Hofburgbereich findet sich ein dritter in der Achse auf die neue Kaserne, und neben nicht genauer spezifizierten Objekten rhythmisieren Brunnen die gesamte Prachtstraße. Anders als andere Planer versuchte er, aus dem Straßenraum an hervorgehobenen Stellen einen besonderen Schmuckraum zu machen.
Außer den barocken Teilen Fischer von Erlachs Hofburg wollte Stache nur den aus der Renaissance stammenden Amalientrakt erhalten. Die Residenz sollte zum Michaelerplatz hin nach den Plänen des Barockbaumeisters vervollständigt und zum Burgplatz hin vollkommen neu gestaltet werden, um der Anlage so einen einheitlichen Charakter zu verleihen.

Staches ausführliche Überlegungen betrafen die Entwicklung der ganzen Stadt, wodurch seiner Arbeit eine besondere Bedeutung zukommt. Er schuf ein spinnennetzartiges Straßengeflecht, das er auf dem vorhandenen Straßennetz aufbauend, anlegte. Er ging dabei von fünf Ringstraßen und mehreren Radialstraßen aus. Die fünf Ringstraßen bildeten den Boulevard, von ihm "Wallstraße" genannt, den er teilweise über einen in den ehemaligen Stadtgraben eingebauten Tunnel führte. Als zweite Ringstraße formulierte er die "Gürtelstraße", die an der Außenseite des Glacis verlief und in Teilen schon als Esplanadestraße bestand. Noch weiter stadtauswärts sah er eine dritte "Ringstraße" vor, die die Vorstädte etwa in deren Hälfte teilen sollte. Diese sollte in Wieden, da sich die Breite dieser Vorstadt hier drastisch verkleinerte, in die vierte Ringstraße, den Linienwall, übergehen. Schließlich führte noch eine fünfte Straße durch die Vororte, um eine bessere Verbindung zwischen ihnen zu ermöglichen. Ergänzend zu den teils schon bestehenden, aber zu schmalen Radialstraßen fügte er neue hinzu. Dass sein Plan nicht nur verkehrstechnische, sondern auch stadtplanerische Aspekte berücksichtigte, zeigt sich auch in seinen Ausführungen in der Denkschrift. Entsprechend der Vergrößerung der Stadt und der immer komplexer werdenden Stadtgestalt schlug er eine einheitliche Straßenbenennung und -nummerierung vor. Auf Erfahrungen aus Paris zurückgreifend, entwickelte er ein Omnibusnetz: Durch die Kreuzung aller wichtigen Straßen hätte man mit diesem neuen öffentlichen Verkehrsmittel jeden Ort in der Stadt einfach erreichen können. Er ging von einer Verdichtung der bestehenden Stadt durch Aufstockung oder Ersatzneubauten aus und erkannte ausreichende Platzreserven nicht nur in den Vorstädten, sondern auch in den Vororten mit ihrem enormen Entwicklungspotenzial. Stache nannte als einziger in seiner Denkschrift eine städtebauliche Kennzahl (1: 2,17), die das "Verhältniss des bebauten zum unbebauten Raum" angab und neben seinem künstlerischen auch den von ihm angestrebten wissenschaftlichen Zugang an die Aufgabe bezeugte. "Wien wird und muss sich einst bis an den Hauptstrom erstrecken", das war sein Diktum, mit dem er eine Donauregulierung einforderte. Damit würde Wohnraum nicht nur für die Vermögenden und die Mittelklasse, sondern auch für die Arbeiter geschaffen werden. Da er von einem Anstieg der Bevölkerung bis auf eine Million ausging, dachte er in größeren Dimensionen. Die Arbeiter bedachte er mit ganzen Stadtvierteln ("Districten"), etwa die Schmelz, die Leopoldstadt oder die Brigittenau. Auch infrastrukturell – um vornehmlich dem Handel und der Industrie der Stadt zu dienen – hatte Stache die Gesamtstadt im Auge. Spezialisierte Märkte auf fünf großen Plätzen (für Getreide, Kohlen, Kalk, Heu und Stroh) und 17 Markthallen wurden in der ganzen Stadt verteilt. Ebenso verfuhr er mit den Volks- und Kindergärten und mit dem städtischen Grün. Er sah überdies vor, alle Haupt und Nebenplätze, die Rasenplätze am Glacis sowie alle Ring- und die wichtigsten breiten Hauptstraßen als Alleen zu bepflanzen.
Für den Bereich um die Votivkirche sah er eine alternative Planung vor, anstatt des Universitätsgebäudes wollte er eine Parkanlage realisiert wissen, an die Privathäuser mit eigenen Vorgärten angrenzten. In seiner Denkschrift gab er seine Quellen an, die von den Arbeiten zu Gärten von Freiherr von Welden bis zur Allgemeinen Bauzeitung von Ludwig Förster reichten, aber auch Geschichtswerke, Studien, Zeitungen und Nachschlagewerke umfassten, womit er eine für die Zeit bemerkenswerte wissenschaftliche Arbeitsweise zeigte.
Stache schlug wie so manch anderer Teilnehmer einen Zentralbahnhof vor der Stubenthorbrücke vor und bedachte dabei auch die Erweiterung und Vergrößerung der Stadt, sodass er diesen Bau näher an der Donau und am Hafen in der Leopoldstadt realisieren wollte.
Nicht nur seine Monumentalbauten konzipierte er als große Hofanlagen, auch die Blöcke der Wohnbauten sollten durch einen gemeinsamen Innenhof charakterisiert sein. In beiden Fällen führte er als Argumente die Belichtung und Belüftung aller Geschoße bis hin zum Erdgeschoß an.
Zur Veranschaulichung seiner architektonischen Vorstellungen legte er seinem Entwurf drei Sepia-Grisaillen mit Weißhöhungen bei. Alle drei Ansichten von wichtigen öffentlichen Gebäuden sind symmetrisch konzipiert und zeigen zudem die jeweils nächste Bebauung. Er lässt bewusst im Unklaren, ob es sich dabei um große Blöcke mit Blockrandbebauungen oder um einzeln stehende Wohnbauten handelt. Das Stadthaus sollte um einiges höher sein, als die anschließende Bebauung und eine gotische Formensprache aufweisen. Die Kaserne türmte sich von den Rändern bis zum Mittelrisalit zu einem mächtigen Bau auf. Diese ist in den geläufigen Architekturformen eines militärischen Nutzbaus (die spätere Rudolfskaserne (heute: Roßauerkaserne), die Kaserne in Zürich etc.) teilen gewisse formale Eigenschaften) projektiert. Während die beiden erwähnten Bauten lediglich mit der Bezeichnung des Gebäudes am Blatt bezeichnet werden, stellt er schließlich nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch den Platz vor dem Opernhaus dar. Er zeigt in allen drei Visualisierungen stets auch den städtebaulichen Kontext, der, im Sinne der Zeit, die Monumentalbauten vollkommen frei stellt. Stache erwähnte, dass er sein Wissen von der Architektur und dem Städtebau auf Reisen und während Studienaufenthalten in verschiedenen Ländern zusammengetragen habe. So ziehen sich europäische Referenzen durch seine gesamte Denkschrift. Explizit erwähnte er den Boulevard Sébastopol und den unter diesem liegenden Infrastrukturtunnel, aber auch München und Paris führte er wegen ihrer Kanalisationssysteme an. Er machte den Wiener Prater zu einem Pendant des Londoner Hyde Park und für die Verschönerung der Friedhöfe dienten Paris, Neapel, München und die englischen Kirchhöfe als Beispiele. Bezogen auf den großmaßstäblichen Stadtumbau nannte er selbstredend Paris und London, wies aber auch auf die Qualitäten der antiken Zentren Rom und Athen hin.
In seiner Synopsis verwendete er den Begriff "Stadtbau", der als solcher bei ihm das einzige Mal auftaucht und Stache als Planer und Theoretiker besonders hervorhebt. "Wo wir uns aber hinwenden, zur classischen Vorzeit, zum Mittelalter, zur Gegenwart: so finden wir, dass von und vor Aristoteles bis auf unsere Tage der Stadtbau überall mit dem Schmucke der Kunst sich umgiebt, und dass speciell die Architectur berufen ist, den geistigen Organismus der Alltagswelt zu erheben, Stadtbauten als Objecte der Kunst zu erfassen." Darüber hinaus erwähnte er auch den Vortrag von Rudolf Eitelberger vom 10. März 1858, und es ist gut möglich, dass er durch diesen in seinen Überlegungen beeinflusst oder bestärkt wurde.


Stellenwert und Auswirkungen

Staches Entwurf berücksichtigte mehrere Eigenschaften und Elemente, die die Staatsregierung gewünscht hatte. Eine gute Ausnützung des Terrains durch viele Privatbauplätze, ein nicht zu häufig geknickter Verlauf des Boulevards, die Respektierung des Ausschreibungsprogrammes und die Schaffung unterschiedlicher Bereiche entlang der Prachtstraße. Obschon es an manchen Stellen Anlass zu Kritik gäbe – Führung des Boulevards beim Palais Coburg, Bebauung entlang der Wien, etc. – stellte Stache sicherlich einen überzeugenden stellenweise recht dicht konzipierten Stadterweiterungsplan vor.

Seine auf der Form eines Spinnennetzes basierende Stadtstruktur mit ihren Knotenpunkten im Straßennetz, sollte später im Beitrag von Eugen Fassbender (interessanterweise mit demselben Motto A.E.I.O.U.) beim Wettbewerb zum Generalregulierungsplan von 1892/93 und in den Überlegungen Otto Wagners, die dieser fünf Jahrzehnte später über die Großstadt niederschrieb, wieder aufgegriffen werden.[3]


Siehe auch:


Einzelnachweise

  1. Österreichisches Staatsarchiv, AVA, STEF, Karton 2, Faszikel Nr. 6791/M.I. 632-1858
  2. Österreichisches Staatsarchiv, AVA, Präsidialakte, Fasz. 119 ad11801/1858
  3. Zum Ringstraßenwettbewerb siehe: Harald R. Stühlinger, Der Wettbewerb zur Wiener Ringstraße, Birkhäuser, Basel 2015