Ringstraße (Arbeiterschaft)

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Letzte Änderung am 9.03.2015 durch DYN.elwu

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Am Bau der Ringstraße waren mehrere Generationen von Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt deren Schicksal im kollektiven Gedächtnis der Stadt kaum Spuren hinterlassen hat. Eine wichtige Gruppe unter ihnen bildeten italienischsprachige Migrantinnen und Migranten aus dem Friaul. Das ökonomisch rückständige Friaul war in der Habsburgermonarchie eine Abwanderungsregion in der die Saisonwanderung große Bedeutung hatte. Ein zeitgenössischer Statistiker schätzte die Zahl dieser Wanderer im Jahr 1857 auf bis zu 10.000. Wahrscheinlich waren es jedoch bedeutend mehr, denn ihre geringe Ortsgebundenheit erschwerte ihre Erfassung. Aus dem Friaul kamen in der Monarchie ebenso fachkundige Maurer wie ungelernte Erdarbeiter. Auch aus den Nicht-Habsburgischen italienischen Regionen kamen viele Arbeitsmigranten. Im Jahr 1909 hielten sich mehr als 26.000 Wanderarbeiter mit italienischer Staatsbürgerschaft in Wien auf.

Beim Bau der großen Repräsentativbauten an der Ringstraße wie dem Rathaus oder der Votivkirche kamen vielfach Facharbeiter aus dem Friaul und der Provinz Belluno zu Einsatz. Sie wanderten häufig auf zweirädrigen Karren zu, auf denen sich ihr Arbeitsgerät befand und welche sie auch zum Abtransport des Aushubs nutzten. Angeführt von einem sprachkundigen Vorarbeiter, dem "Capo Lavoro" oder "Padrone", wurden die meist geringen Arbeitslöhne, Unterkunft und die Verpflegung ausgehandelt. Da sie die einheimischen Bauhandwerker unterboten waren die Italiener bei den Bauunternehmern gern gesehene, anspruchslose Arbeitskräfte. Sie hausten in üblen Baracken, in den den Baustellen benachbarten Kellern, Dachböden, Pferdeställen und anderen Notunterkünften. Nicht besser erging es den tschechischen Bauarbeitern und deren Frauen die auf der Suche nach Arbeit nach Wien strömten und kaum bessere Wohnbedingungen vorfanden. Im Gegensatz zu den Friulanern und den "Reichsitalienern" blieb jedoch eine größere Zahl der tschechischen Taglöhner – um das Jahr 1880 fast ein Drittel aller männlichen Zuwanderer aus den böhmischen Ländern –, dauerhaft in Wien, auch wenn ihre Wanderungsbiographie oft ein mehrmaliges Hin und Her zwischen Heimatgemeinde und der "Haupt- und Residenzstadt" bedingte. Die tschechischen Taglöhner am Bau wurden, wenn sie nicht ledig nach Wien kamen, von ihren Frauen und Kindern unterstützt, die schwere Kalkgefäße auf ihren Kopf tragend auf den Bauleitern ihren Männern Handlangerdienste leisteten. Auf je vier Maurer kamen ein Taglöhner, zwei weibliche Hilfskräfte und zwei Buben. Die Aufgabe der Zuarbeiter war es primär, die Baumaterialien heranzuschleppen.

Die Arbeitszeit reichte zwischen 21. März und 14. Oktober, den sogenannten "langen Tagen", von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Eine einstündige Mittagspause war vorgesehen. Ließen es die Witterungsbedingungen zu gab es vom 15. Oktober bis Ende November auch noch sogenannte "kurze Tage" von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr abends. Überstunden waren durchaus üblich, weitere Arbeitspausen jedoch nicht. Selbst Sonntagsarbeit, trotz kirchlichen Verbots, kam immer wieder vor. Nicht mehr benötigte Arbeitskräfte wurden sofort entlassen, etwa wenn es nur noch darum ging, den Dachstuhl bei einem Gebäude aufzusetzen. Die Ernährung war ausgesprochen dürftig. Vor allem die Saisonarbeiterinnen und –arbeiter ernährten sich in erster Linie von Brot, Bier und Branntwein, dazu etwas Wurst und einfachen Suppen. Die Arbeiter der Ringstraßenepoche mussten 70 und mehr Prozent ihres bescheidenen Haushaltsbudgets für Ernährung ausgeben, fast den gänzlichen Rest für Wohnen. Unfälle am Bau zählten zum Alltag. Um 1900 war die Sterblichkeit unter Arbeiterinnen und Arbeitern im Baugewerbe etwa doppelt so hoch wie unter Beamten.

Literatur

  • Michael John, Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien. Geschichte der Zuwanderung nach Wien. Wien-Graz-Köln: Böhlau-Verlag 1990
  • Annemarie Steidl: Historische Entwicklung der italienischsprachigen Wanderungen nach Wien. In: Josef Ehmer, Karl Ille (Hg.), Italienische Anteile am multikulturellen Wien. Innsbruck-Wien-Bozen: StudienVerlag 2009, S. 16-35