Neurologie

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Umbau der Neurochirurgischen Klinik im Allgemeinen Krankenhaus (Klinik Prof. Kraus), Besichtigung Bürgermeister Franz Jonas
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Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Bildunterschrift Umbau der Neurochirurgischen Klinik im Allgemeinen Krankenhaus (Klinik Prof. Kraus), Besichtigung Bürgermeister Franz Jonas

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Anfänge

Dieses Spezialgebiet hat in der Wiener Medizinischen Schule seine Wurzeln in der (Neuro-)Physiologie und (Neuro-)Pathologie. Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte Georg Prochaska bereits als Schüler von Anton de Haen anhand von klinischen Beobachtungen die natürlichen Funktionen des Nervensystems darzustellen versucht. Freilich glückten ihm damals auch schon exakte histologische Analysen des Hirngewebes ("De structura nervorum", 1779) und der peripheren Nerven. In seiner 1784 publizierten Studie "De functionibus systematis nervosae" entwickelte Prochaska überdies auch schon eine zutreffende Vorstellung über den Mechanismus der Reflexbewegung.

Neuropathologie

Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Zweite Wiener Medizinische Schule durch Carl Rokitansky und Joseph Skoda auf die Grundlage der pathologischen Anatomie gestellt wurde, entwickelte sich Wien zum Zentrum der Neuropathologie. Ludwig Tuerck erhielt 1846 eine Abteilung für Nervenkranke im Allgemeinen Krankenhaus und trat auch mit Forschungen über die (sekundäre) Degeneration von Nervenbahnen hervor. Er wurde zum Begründer der Neurologie in Wien. Schon 1843 verfasste er eine Abhandlung über Spitalirritation und entdeckte die "sekundäre Degeneration". Tuerck wurde zum Begründer der Lehre von den Systemerkrankungen des Rückenmarks. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten verband er die experimentell-physologische Methode mit klinischer Beobachtung. Der Primarius des Wiedner Bezirkskrankenhauses Joseph Dietl befasste sich mit der Diagnostik der Meningitis, Enzephalitis, Hydrozephalie und Sklerose. Geisteskrankheiten wurden nach Dietl durch chemische oder mechanische Störungen des Gehirns ausgelöst. Unter dem Gehirnanatomen und Neuropathologen Theodor Meynert wurde die fachliche Verbindung zwischen Neurologie und Psychiatrie innerhalb der Wiener Medizinischen Schule hergestellt. Meynert erhielt 1870 die Leitung der Klinik an der k. k. Irrenanstalt. Er betrieb vergleichend-anatomische Gehirnforschung und wurde zum Begründer der entwicklungsgeschichtlichen Methode in der Hirnforschung. Dabei erkannte er den funktionalen Antagonismus zwischen Hirnmantel und Hirnkern als Schlüssel zur Erklärung von Geisteskrankheiten. Psychische Verhaltensweisen erklärte er ausschließlich anatomisch-physiologisch. Meynert entwickelte eine besondere Seziertechnik, die es ihm erlaubte, die Lage der langen und kurzen Rückenmarksbahnen am Querschnitt zu klären.

Ab 1867 gab es im Allgemeinen Krankenhaus eine Abteilung für Elektrotherapie, die allerdings 1878 aufgehoben wurde. Dieser Zweig der Neurologie wurde aber durch den Kliniker Moriz Benedikt an der Wiener Allgemeinen Poliklinik pionierhaft vertreten. Benedikt erprobte die Galvanotherapie und verfasste schon 1868 ein Buch über Elektrotherapie. In seinem Spätwerk wandte er sich dem Neovitalismus zu. Unter dem Psychiater Richard Krafft-Ebing wurde das Ambulatorium für Nervenkranke im Allgemeinen Krankenhaus zum Bestandteil der Psychiatrischen Universitätsklinik. Seitens der Inneren Medizin (dem Mutterfach der klinischen Neurologie) ist in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Hermann Nothnagel (der 1879 eine Monographie über die Diagnostik von Gehirnkrankheiten veröffentlichte) als hervorragender Fachvertreter zu nennen; Nothnagel führte in seiner 3. Medizinischen Universitätsklinik auch ein neurologisches Ambulatorium, das unter der Leitung von Lothar Frankl von Hochwart stand. Dieser verfasste Pionierwerke zur Tetanie und Erkrankungen des inneren Ohres. Der selbständige Lehrstuhl für (theoretische) Neurologie an der Universität Wien geht auf Heinrich Obersteiner den Jüngeren zurück, der 1882 auf eigene Kosten ein Institut für die Anatomie des Zentralnervensystems errichtete und dieses 1905 dem Staat schenkte. Obersteiner verfasste Studien zum Bau der Hirngefäße, zu lipophilen und lipophoben Ganglienzellen. Mit Emil Redlich entdeckte er die Redlich-Obersteinersche Zone als Sitz der Hinterstrangdegeneration. Die Paralyse erkannte er als Symptom fortgeschrittener Syphilis.

Moderne Neurologie

Obersteiners Nachfolger war der Nothnagel-Schüler Otto Marburg. Später wirkte am neurologischen Ambulatorium der Erforscher der Cytoarchitektonik der Großhirnrinde des erwachsenen Menschen, Constantin Alexander Economo von San Serff. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts publizierten Julius Wagner-Jauregg, Otto Pötzl und Otto Kauders neben psychiatrischen auch wichtige neurologische Forschungsarbeiten. Hans Hoff leitete nach dem Zweiten Weltkrieg das neugegründete Neurologische Institut zugleich mit der Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik im Allgemeinen Krankenhaus. Nach dem Tod von Hans Hoff wurde die Klinik aufgeteilt und es entstand eine eigenständige Neurologische Klinik unter der Leitung von Herbert Reisner. An der Klinik kam der erste Computertomograph in Österreich zum Einsatz. Funktionell wurde an der Klinik eine Neuro-Radiologie, ein Hirnkreislauflabor und eine klinische Neurophysilogie eingerichtet. Reisners Nachfolger Luder Deecke befasste sich schwerpunktmäßig mit der funktionellen Hirntopographie. In der Neuropathologie erwarb sich Herbert Budka, ab 1999 Vorstand des Klinischen Instituts für Neurologie (Obersteiner-Institut), Verdienste. Ab 1999 wurde an der Medizinischen Universität ein multidiszplinäres Zentrum für Hirnforschung eingerichtet, um die Neurowissenschaften innerhalb der Universität zu intensivieren. Am Institut wurden wichtige Beiträge zur Pathogonese der Entmarkung, peroxisomaler Erkrankungen, der Neuroimmunologie, Molekularbiologie, Schmerztransduktion, Synapsenentwicklung, zur medizinischen Kybernetik und artifiziellen Intelligenz erarbeitet. Das Zentrum gliedert sich in fünf Abteilungen: Neuroimmunologie, Neurophysologie, Biochemie und Molekularbiologie, Medizinische Kybernetik und Artifical Intelligence und Nervenzellbiologie.[1]

Literatur

  • Ottokar Arnold / Hellmuth Tschabitscher: Die Wiener neurologisch-psychiatrische Schule unter Hans Hoff. In: Wiener medizinische Wochenschrift 117 (1967), Nr. 50-52
  • Frank Ehlert: Personalbibliographien von Professoren und Dozenten der Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien im ungefähren Zeitraum von 1925-1945. Mit biographischen Angaben und Überblicken über die Hauptsachgebiete. Diss. Univ. Erlangen. Erlangen 1972
  • Hans Hoff / Franz Seitelberger: Die Geschichte der Neurologie und Psychiatrie in Wien. In: Wiener medizinische Wochenschrift 106 (1956), Sonderheft Oktober
  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 175 ff., S. 373-405
  • Gerto Lorusso: Personalbibliographien von Professoren und Dozenten der Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien im ungefähren Zeitraum von 1950-1969. Mit kurzen biographischen Angaben und Überblick über die Sachgebiete. Diss. Univ. Erlangen. Erlangen 1970
  • Max Neuburger: Anton de Haen und Maximilian Stoll als Neuropathologen. In: Wiener medizinische Wochenschrift 63 (1913), S. 1091 ff, S. 1137 ff.
  • Max Neuburger: Streiflichter auf die neurologischen Forschung in Wien während des 18. Jahrhunderts. In: Wiener medizinische Wochenschrift 59 (1909), Nr. 37
  • Gisela Pointner: Personalbibliographien von Professoren und Dozenten der Psychiatrie und Neurologie an der Wiener Medizinischen Fakultät im ungefähren Zeitraum von 1880-1920. Diss. Univ. Erlangen. Erlangen 1972
  • Paul Polak: 100 Jahre Neurologie und Psychiatrie an der Wiener Allgemeinen Poliklinik. In: Österreichische Ärztezeitung. Organ der Österreichischen Ärztekammer 27 (1972), S. 704 ff.
  • Emil Redlich: 60 Jahre Neurologie im Vereine für Psychiatrie und Neurologie in Wien. In: Jahrbuch für Psychiatrie und Neurologie 46 (1928), S. 120 ff.
  • Gernot Schnaberth: Die Neurologie in Wien von 1870 bis 2010. Wien: MEMO o. J. [2010]
  • Erwin Stransky: Ein Rückblick über 60 Jahre Neurologisch-psychiatrische Tätigkei. In: Wolfgang Doberauer [Hg.]: Geriatrie und Praxis. Vorträge des fünften Österreichischen Fortbildungskurses für Geriatrie. Wien: Selbstverlag des Hg. 1961, S. 235 ff.
  • Karl Heinz Tragl: Chronik der Wiener Krankenanstalten. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2007, S. 142-146

Einzelnachweise

  1. Gernot Schnaberth: Die Neurologie in Wien von 1870 bis 2010. Wien: MEMO o. J. [2010], S. 68.