Gewerkschaft: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 1. Juni 2016, 09:03 Uhr

Daten zur Organisation
Art der Organisation Verein
Datum von 1893
Datum bis
Benannt nach
Prominente Personen Franz Domes, Johann Schorsch, Ferdinand Hanusch
PageID 21365
GND
WikidataID
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 1.06.2016 durch DYN.elwu
  • 2., Johann-Böhm-Platz 1

Frühere Adressierung

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48° 12' 19.27" N, 16° 25' 56.85" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Vorlage:Bildname=Gewerkschaft.jpg

Gewerkschaft. Am 13. Oktober 1892 fand anlässlich der Einberufung des Internationalen Arbeiterkongresses in Zürich und des Gewerkschaftskongresses in London eine Versammlung von Vertretern verschiedener Wiener gewerkschaftlicher Fachvereine statt. Sie setzte eine "provisorische Gewerkschaftskommission" ein, der zunächst eine ausschließlich koordinierende Funktion zugedacht war und der sich landesweit 133 lokale und regionale Gewerkschaftsvereine mit einer durchschnittlichen Mitgliedzahl von 233 anschlossen. Der erste österreichische Gewerkschaftskongress (1893) installierte definitiv eine "Reichsgewerkschaftskommission" als zentrales Leitungs- und Koordinierungsorgan; da damit die Organisatorischen Voraussetzungen für den Aufbau einer modernen Massenorganisation nach zentralistischen Prinzipien geschaffen wurden, ist dies die Geburtsstunde einer nach dem Industrie- und Gewerbegruppenprinzip strukturierten österreichischen Gewerkschaftsbewegung.

Anders als in den meisten vergleichbaren europäischen Ländern entwickelten sich die Gewerkschaften in Österreich direkt aus traditionellen Solidarverbänden (etwa den Bruderläden im Bergbau beziehungsweise zünftigen Vereinigungen), deren Ursprünge teilweise bis ins Mittelalter zurückreichen. Durch das mit dem liberalen Staatsgrundgesetz 1867 in engem Zusammenhang stehende Vereinsgesetz war es möglich geworden, "unpolitische" Fachvereine zur Wahrung der unmittelbaren Interessen der Arbeiterschaft und zur Erweiterung der Fachkenntnisse sowie Kranken- und Invalidenunterstützungskassen zu gründen, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und der Selbstverwaltung basierten. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle waren dies die Keimzellen für die späteren gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter und Angestellten, die (im Gegensatz zu anderen Ländern) ihrem Selbstverständnis nach politisch waren und bis Ende des 19. Jahrhunderts die Massenbasis der Sozialdemokratischen Partei stellten (die selbst noch keine organisatorischen Strukturen entwickelt hatte), weshalb Viktor Adler Partei und Gewerkschaft als "siamesische Zwillinge" bezeichnete. Neben den "freien" sozialdemokratischen Gewerkschaften entstanden christlichsoziale (hervorgehend aus katholischen Gesellenverbänden und der Kolpingbewegung; Christliche Gewerkschaft), deutschnationale und sogenannte "gelbe" (meist vom jeweiligen Unternehmer direkt abhängige) Betriebsgewerkschaften. Die frühen Gewerkschaftsvereine umfassten nur einen verschwindenden Bruchteil der industriellen Arbeiterschaft, vorwiegend die höchstqualifizierten Schichten. Auf die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse und die Regelung der industriellen Arbeitsbeziehungen vermochten sie keinerlei Einfluss zu nehmen. Erst in den massenhaften, großteils spontanen Ausständen im Rahmen der internationalen Streikwelle 1888-1892 entwickelten sie sich zu einem bedeutenderen gesellschaftlichen Faktor. Während der Konjunkturperiode 1902-1912 vollzog sich fast durchbruchartig die Organisation kollektiver sozialer Interessen (1904-1907 konnten die freien Gewerkschaften ihren Mitgliedsstand auf 501.094 verfünffachen). In dieser Phase wurde der Streik, der vielfach auch organisationskonstituierenden Charakter hatte, im Wirtschaftsleben zur alltäglichen Erscheinung und zu einem nüchtern erwogenen Mittel der Gewerkschaftspolitik. Damals wurde ein zentraler Zug künftiger Gewerkschaftstaktik evident: das Streben nach Verrechtlichung und Institutionalisierung der industriellen Arbeitsbeziehungen. Die tendenzielle Rationalisierung des industriellen Konflikts, der kalkulierte Einsatz kollektiver Arbeitsverweigerung und die überregionale Verbandsbildung brachten der Arbeiterschaft eine merkliche Verbesserung der Arbeitsverhältnisse (Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzung sowie ab der Jahrhundertwende ein sich entwickelndes kollektives Arbeitsvertragswesen). Der angestrebte zentralistische Organisationsaufbau traf allerdings infolge des inzwischen veralteten Vereinsgesetzes 1867, aber auch wegen der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der industriellen und kulturellen Entwicklungsniveaus und der erforderlichen Rücksichtnahme auf regionale Verhältnisse auf massive Schwierigkeiten, wobei ab Ende des 19. Jahrhunderts nationale Identifikationen (insbesondere tschechische Gewerkschaftssektionen) erschwerend hinzukamen. Bis Ende 1910 waren außer den Eisenbahnern und Tabakarbeitern sämtliche Zentralorganisationen gespalten; am Innsbrucker Parteitag (1911) zerbrach auch die Einheit der multinational organisierten sozialdemokratischen Gesamtpartei, woraus sich negative moralische Folgen und während der Wirtschaftskrise 1912/1913 auch nachhaltige Einbrüche in der Gewerkschafttätigkeit ableiteten.

Erster Weltkrieg

Mit der Militarisierung der kriegswichtigen Betriebe unterstellten die Gewerkschaften ihre Tätigkeit weitgehend den Zielen des habsburgischen Kriegsabsolutismus, sodass die bisherige Führungsgarde unter Franz Domes und Johann Schorsch zunehmend an Autorität verlor. Das Streikrecht wurde formell beseitigt, der Arbeiterschutz aufgehoben, bestehende Kollektivverträge ausgesetzt und Anpassungen an die sich verschlechternden Lebensumstände nicht mehr durchgeführt. Vermehrte Widerstandsaktionen der Basis und ein ständig steigender Waffenproduktionsbedarf zwangen die Regierung jedoch ab Frühjahr 1917 zum Handeln (Schaffung von Beschwerdekommissionen, denen die Neuregelung der Arbeitsverhältnisse bestimmter Betriebe und Branchen oblag und in denen Gewerkschaftsvertreter vertreten waren); damit wurden die Gewerkschaften durch den Staat erstmals als legitime Vertreter der Arbeiter und Angestellten anerkannt. Die durch den Krieg eingetretene Verelendung und Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Arbeiterschaft führten bald zu politischer Radikalität (Ausstand von 320.000 Arbeitskräften, Bildung von Arbeiterräten insbesondere in der Metall- und Hüttenindustrie, im Jänner 1918); die Arbeiterräte wurden die entscheidenden Träger einer "politischen Revolution" mit den Zielen Demokratie, Republik und Arbeiterschutz.

Erste Republik

Nach dem Ersten Weltkrieg setzten die Gewerkschaften ihre ganze Autorität dafür ein, eine demokratische Entwicklung der jungen Republik zu gewährleisten. Bis 1920 wurde ein umfassendes Sozialgesetzgebungswerk (mit ausgeweitetem Arbeiterschutz, Betriebsrätegesetz, Installierung von Arbeiter- und Angestelltenkammern, Einigungsämtern, Achtstundentag und Kollektivverträgen) realisiert (Ferdinand Hanusch). 1921 erreichte die Zahl der Gewerkschaftmitglieder mit 1,079.777 einen Höchststand. Die betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten wurden im Sinne einer wirtschaftspolitischen Verantwortung der Gewerkschaften interpretiert. Vor dem Hintergrund der 1922/1923 einsetzenden Stabilisierungskrise und der damit verbundenen strukturellen Arbeitslosigkeit waren die Gewerkschaften gezwungen, auf die Anwendung traditioneller Erfahrungsgrundsätze und Methoden zu verzichten und nur Lohnbewegungen defensiven Charakters zu führen. Mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise und dem Explodieren der Arbeitslosenzahlen entstand eine immer größere Kluft zwischen den realen gesellschaftlichen Machtpositionen und dem Festhalten an sozialen Errungenschaften. Während der Februarkämpfe 1934 wurden die Freien Gewerkschaften aufgelöst. Am 2. Februar 1934 wurde vom autoritären Regime behördlich die Gründung einer nach berufsständischen Prinzipien gegliederten Einheitsgewerkschaft verfügt. In direkter Nachfolge der Freien Gewerkschaften bildeten sich rasch illegale Branchengewerkschaften, welche die Einheitsgewerkschaft legal zu unterwandern suchten.

Nationalsozialismus

Der "Anschluss" Österreichs (1938) setzte auch den verbliebenen engen gewerkschaftlichen Freiräumen ein Ende. Der brutale Terror gegen politisch Andersdenkende und "rassische Minderheiten" korrellierte mit einer Sozialpolitik, die jede selbständige Interessensorganisierung der Arbeitnehmer unmöglich machte. Dem Staat wurde der uneingeschränkte Zugriff auf die Arbeitsbeziehungen ermöglicht und die Sozialpolitik Aufrüstungs- und Kriegszwecken untergeordnet; koordinierter Widerstand war unter diesen Bedingungen unmöglich. Die betrieblichen Widerstandsgruppen standen untereinander praktisch in keiner Verbindung. Nach Kriegsbeginn wurde die Parole der Arbeitssabotage und der individuellen passiven Resistenz ausgegeben; zahlreiche Angehörige der ehemaligen Freien Gewerkschaft und der Einheitsgewerkschaft bezahlten ihr antifaschistisches Engagement mit ihrem Leben.

Zweite Republik

Der bereits seit den Gründungsjahren angestrebte zentralistische Aufbau der Gewerkschaft nach dem Industriegruppenprinzip wurde am 15. April 1945 durch die Gründung des Österreichischen Gewerbschaftsbundes gleichsam "von oben" vollzogen (Genehmigung durch die sowjetrussische Militärkommandantur am 30. April). Von Beginn an standen die Gewerkschaften, welche die historischen Lehren aus der Zwischenkriegszeit zu ziehen gewillt waren, hinter einer Lohnpolitik, die zunächst einem "Zwangssparen" gleichkam, eine hohe Rate der Kapitalakkumulation garantieren sollte und die Kosten der Budgetstabilisierung auf die Arbeitnehmer abwälzte. Die Politik des Österreichischen Gewerkschaftsbundes wurde in dieser Zeit auch vom Trauma der Massenarbeitslosigkeit der 30er Jahre bestimmt. Auf längere Sicht hat diese zurückhaltende, an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Lohnpolitik zu einer Erhöhung der Realeinkommen und einer Ausdehnung der sozialen Sicherheit geführt. Das Ziel war die Vollbeschäftigung; immer wieder wurde auf längerfristige Wirtschaftskonzepte, Forcierung des Exports, Förderung der industriellen Investitionen und Stärkung der Konsumproduktion gepocht. Über das sozial- und wirtschaftspolitische Instrument der "Verstaatlichten Industrie" bekam die Arbeitnehmerorganisation gleichsam "staatstragenden" Charakter. In den Gremien der "Sozialpartnerschaft" drückten sich die Transformierung des Klassenkampfs und der Geist der gesellschaftlichen Kräfte als "Gleichgewicht zwischen den Klassen" aus. Die schweren krisenhaften Erschütterungen der Weltwirtschaft Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre offenbarten nicht nur die massive Krisenanfälligkeit des großteils verstaatlichten Grund- und Schwerindustriesektors, sondern sie ließen auch eine Krise dieses gesamtgewerkschaftlichen Konzepts zutage treten. Übermaß, Bürokratisierung, ungenügend entwickelte innerverbandliche Demokratie, einseitiges Festhalten an technologischem Fortschrittsglauben und wirtschaftlichem Wachstum, Nichtbeachtung der ökologischen Krise sowie ein geringeres soziologisches Gewicht der Arbeiterbasis und das Entstehen breiter Mittelschichten, die für traditionelle gewerkschaftliche Politik schwer zu gewinnen sind, stellen den Österreichischen Gewerbschaftsbund am Ende des 20. Jahrhunderts vor qualitativ völlig neue Herausforderungen. Gewerkschaftskongress.

Literatur

  • Julius Deutsch: Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. 2 Bände. 1929-1931
  • Fritz Kienner: Die österreichischen Gewerkschaften. 3 Bände. 1951-1979
  • Gerhard Meißl: Gewerkschaft und industrielle Arbeitsbeziehungen 1889-1914. In: Wien Maderthaner [Hg.]: Sozialdemokratie und Habsburgerstaat. 1988, S. 53 ff.
  • Margarete Grandner: Kooperative Gewerkschaftpolitik in der Kriegswirtschaft. Die freien Gewerkschaften Österreichs im Ersten Weltkrieg. 1992
  • Ulrike Weber-Felber: Wege aus der Krise. Freie Gewerkschaften und Wirtschaftspolitik in der 1. Republik. 1990
  • Franz Traxler: Evolutiongewerkschaftliche Interessensvertretung. Entwicklungslogik und Organisationsdynamik gewerkschaftlichen Handelns am Beispiel Österreichs. 1982
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 45 f., 92, 111 f., 150 ff., 209 f., 280.