Schiffschul

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Rekonstruierte Innenansicht der Schiffschul
Daten zum Bauwerk
Art des Bauwerks Synagoge
Datum von 1864
Datum bis 1938
Andere Bezeichnung
Frühere Bezeichnung
Benannt nach
Einlagezahl 1662
Architekt Wilhelm Stiassny, Ignaz Reiser
Prominente Bewohner
PageID 46230
GND
WikidataID
Objektbezug Jüdische Geschichte
Quelle
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Letzte Änderung am 7.11.2023 durch WIEN1.lanm09fri
Bildname Schiffschul Innen.jpg
Bildunterschrift Rekonstruierte Innenansicht der Schiffschul
  • 2., Große Schiffgasse 8

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48° 12' 58.36" N, 16° 22' 32.16" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Synagoge (2., Große Schiffgasse 8: Schiffschul)

Rekonstruierte Außenansicht der Schiffschul
Schiffschul, ehemaliges Verwaltungsgebäude, Aufnahme 2016

Die Schiffschul wurde nach dem Namen der Gasse Große Schiffgasse, in der sie sich befand, benannt. Sie bildete von 1864 bis 1938 das Zentrum des streng orthodoxen, thoratreuen Judentums Wiens, das zeitweise auch in Opposition zur Israelitischen Kultusgemeinde stand. An die 1864 eingeweihte Synagoge schlossen sich weitere Institutionen an, wie ein Lehrhaus, eine Religionsschule, orthodoxe jüdische Vereine, eine koschere Bäckerei und eine koschere Fleischbank. Die Schiffschul wurde vor allem von aus dem Kronland Ungarn zugewanderten ungarischen und slowakischen Jüdinnen und Juden besucht, nachdem ihnen das in Wien 2, Ankergasse (heute Hollandstraße 3) befindliche Bethaus, die Ankerschul zu klein geworden war.[1]

Baugeschichte der Schiffschul

Die Schiffschul bestand aus zwei Gebäuden: Ein kleines Bethaus war 1892 einem Verwaltungsgebäude gewichen, das vom Architekten Wilhelm Stiassny konzipiert wurde. Die Sekretariate der an die Schiffschul angeschlossenen Vereine und ein "Beth Hamidrasch" (Lehrhaus) fanden darin Platz. Dieses Gebäude hatte dem Novemberpogrom 1938 standgehalten und steht noch.
Von der Straße nicht sichtbar wurde die Synagoge in den Jahren 1858 bis 1864 erbaut und am 16. September 1864 eingeweiht. Sie bot Platz für 750 Betende. Zwischen den zwei Gebäuden befand sich ein Hof. Die Synagoge war ein einfacher, schlicht geschmückter Hallenbau mit vergitterten Frauengalerien. Entsprechend dem orthodoxen Ritus befand sich die "Bimah", das Vortragspult zum Vorlesen aus den heiligen Schriften, in der Mitte des Raumes. Der Thoraschrein enthielt orientalische Stilelemente.[2] Im Jahr 1923 wurde vom Architekten Ignaz Reiser an den Magistrat Wien, Magistratsabteilung 36, ein Ansuchen um Bewilligung der Erweiterung und Renovierung der Synagoge eingereicht, das am 23. November 1923 von der Magistratsabteilung 40 bewilligt wurde. Der Umbauplan umfasste eine Modernisierung der historischen Wendeltreppen und des alten hölzernen Dachstuhls und dadurch eine Erweiterung der Synagoge, eine Modernisierung der Sanitäranlagen und Elektroleitungen.[3] Die Renovierungsarbeiten erfolgten 1925. Im Jahr 1938 wurde - noch vor dem Novemberpogrom - eine Schätzung betreffend des Verkehrswertes der Synagoge vorgenommen. Sie hatte 1938 ein Ausmaß von 30 Metern Länge und 15 Metern Breite, verfügte über zwei Galerien und einen Vorbau für den Thoraschrein in Richtung des zweiten Hofes.[4]

Vereine und Institutionen der Schiffschul

Novemberpogrom

Bereits im Oktober 1938 kam es zu Ausschreitungen gegenüber Synagogen, Bethäusern und jüdischen Einrichtungen. Am 15. Oktober 1938 stürmten einige Angehörige der SA in die Schiffschul, schändeten den Thoraschrein, zerstörten Einrichtungsgegenstände und entnahmen Kultgegenstände.[8] Während des Novemberpogroms am 10. November 1938 wurde die Schiffschul durch Brandlegung und Handgranaten vollkommen zerstört. Gebetbücher und Thorarollen wurden auf der Straße verbrannt.[9] Die Fenster und Türen des Verwaltungsgebäudes wurden während des Novemberpogroms eingeschlagen beziehungsweise zerstört.[10]

Eigentumsverhältnisse: Arisierung und Restitution

Der Verein "Beth Hamidrasch Thora Ez Chaim" (Baum des Lebens) wurde durch Kaufvertrag vom 20. Juni 1892 Eigentümer der Schiffschul. Aufgrund einer Entscheidung des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände erhielt der bereits pensionierte ehemalige Bezirkshauptmann von Neunkirchen Oskar Lukas das Eigentumsrecht an dem Gebäude durch Kaufvertrag vom 12. Mai 1939 und benützte es nach "Abräumung der Tempelruinen" als Wohnhaus. Der nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder gegründete Verein "Beth Hamidrasch Thora Ez Chaim" erhielt das Gebäude am 3. Februar 1950 aufgrund eines Teilerkenntnisses der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen zurück.[11] Oskar Lukas erhob Beschwerde gegen das Teilerkenntnis der Rückstellungskommission und bestritt die Tatsache eines Vermögensentzugs mit dem Argument, dass der Verein aufgelöst wäre und keine "Rechtspersönlichkeit" mehr bestanden habe. Seinem Begehren wurde von der Rückstellungskommission nicht stattgegeben. Das Verfahren dauerte bis 1964.[12] Die Vereine "Beth Hamidrasch Thora Ez Chaim" und "Adass Jisroel" wurden im Jahr 1947 von den drei Proponenten Benno Kern, Heinrich Seliger und Simche Alter reaktiviert. Ein Rechtsstreit mit der Israelitischen Kultusgemeinde, die sich als alleinige Rechtsnachfolgerin der durch den Stillhaltekommissar aufgelösten Vereine sah, folgte.[13] Das Propentenkomitee der wieder errichteten Vereine und andere Vertreter der Orthodoxie setzten sich gegenüber der Israelitischen Kultusgemeinde durch und errichteten in der Schiffschul gegen den Widerstand des dort wohnenden Ariseurs Oskar Lukas (verstorben 1955) wieder ein Zentrum des orthodoxen Judentums. Pläne von Benno Kern für einen Neubau der Schiffschul durch Petitionen an österreichische Politiker und Politikerinnen scheiterten am Willen und an der Finanzierung.[14]

Belegung des ehemaligen Verwaltungsgebäudes in der Gegenwart

Gegenwärtig befindet sich im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Schiffschul der Bethausverein "Khal Chassidim" unter Leitung des Rabbiners Avraham J. Schwartz, sowie der Verein "Hamidasch Thora etz Chayim" unter der Leitung von Rabbiner Michael Pressburger. Über einige Jahre hindurch fanden aus dem Iran ausgewanderte Jüdinnen und Juden vor ihrer weiteren Reise in die Zielländer USA und Israel eine religiöse Heimat in der Schiffschul. Der Platz, an dem die Synagoge der Schiffschul stand, bildet gegenwärtig eine unverbaute Fläche.

Bedeutende Rabbiner

In den Jahren 1853 bis 1893 wirkte Salomon (Salman) Spitzer, ein Schwiegersohn des Chatam Sofer aus Pressburg, als Rabbiner an der Schiffschul. Als letzter Rabbiner ab Ende des Ersten Weltkrieges bis 1938 war Sigmund Jeschaja Fürst tätig.[15]

Quellen

Literatur

  • Ruth Burstyn: Die “Schiffschul“. Geschichte und Hintergründe. In: Heilige Gemeinde. Judentum in Wien. Sammlung Max Berger. Historisches Museum der Stadt Wien 108. Sonderausstellung. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1988, S. 45-50
  • Pierre Genee: Wiener Synagogen. Wien: Löcker 2014, S. 73 f.
  • Bob Martens / Herbert Peter: Die zerstörten Synagogen Wiens. Virtuelle Spaziergänge. Budapest: Mandelbaum Verlag 2009, S. 31-40
  • Elisheva Shirion: Gedenkbuch der Synagogen und Jüdischen Gemeinden Österreichs. Hg. vom Synagogen Memorial, Jerusalem. Wien: Berger-Horn 2012 (Synagogen Gedenkbücher Deutschland und Deutschsprachige Gebiete, 5: Österreich), S. 56-58
  • Vergangenheit und Zukunft der Wiener Schiffschul. Gespräch mit Benno Kern. In: DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift 57 (Juni 2003), S. 6-11 (DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ruth Burstyn: Die "Schiffschul". Geschichte und Hintergründe. In: Heilige Gemeinde. Judentum in Wien. Sammlung Max Berger. Historisches Museum der Stadt Wien 108. Sonderausstellung. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1988, S. 45-50.
  2. Pierre Genee: Wiener Synagogen. Wien: Löcker 2014, S. 73 f.
  3. Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 114, A1: 2. Bezirk, EZ 1662.
  4. Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Stillhaltekommissar Wien, IV Ac 31: A2/11, Schachtel 555.
  5. Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A32: 5671/1938 (Frauenhilfe der Adass Jisroel)
  6. Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A32: 8584/1933 (Beth-Hamidrasch-Thora-Ez-Chaim [Baum des Lebens)]
  7. Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A32: 9542/1936 (Bethaus- und Unterstützungsverein Agudas Stretyner Chasidym; Ahawas Chesed der Schiffschule)
  8. Yad Vashem, 05/118.
  9. Elisheva Shirion: Gedenkbuch der Synagogen und Jüdischen Gemeinden Österreichs. Hg. vom Synagogen Memorial, Jerusalem. Wien: Berger-Horn 2012 (Synagogen Gedenkbücher Deutschland und Deutschsprachige Gebiete, 5: Österreich), S. 58.
  10. Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Stillhaltekommissar Wien, IV Ac 31: A2/11, Schachtel 555.
  11. Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 119, A41: 2. Bezirk, Nr. 156.
  12. Wiener Stadt- und Landesarchiv, Landesgericht für Zivilrechtssachen, A29: 60Rk 151/48.
  13. Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt 119, A33: 669/47 und 1239/47.
  14. Vergangenheit und Zukunft der Wiener Schiffschul. Gespräch mit Benno Kern. In: DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift 57 (Juni 2003), S. 6-11. Siehe DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift.
  15. Elisheva Shirion: Gedenkbuch der Synagogen und Jüdischen Gemeinden Österreichs. Hg. vom Synagogen Memorial, Jerusalem. Wien: Berger-Horn 2012 (Synagogen Gedenkbücher Deutschland und Deutschsprachige Gebiete, 5: Österreich), S. 57.