Gemeinde (Grundherrschaft)

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Daten zum Eintrag
Datum von
Datum bis 1848
Objektbezug Grundherrschaft, Grundherrschaft (Wien), Herrschaft
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Letzte Änderung am 13.05.2020 durch WIEN1.lanm08son

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Die Dorf- bzw. Ortsgemeinde wird als selbständiger rechtsfähiger Verband im hohen Mittelalter fassbar und erhielt im späten Mittelalter ihre charakteristische Ausprägung. Der Zeitraum vom 14. bis zum 16. Jahrhundert gilt als ihre Blütezeit. In dieser Zeit konnte die Gemeinde dem Einfluss des Inhabers der Herrschaftsrechte, also des Grundherrn, zur Wahrung der Interessen der Gemeindemitglieder entgegen treten. Vor allem in Gebieten mit stark zersplitterten Herrschaftsrechten konnte die Dorf- bzw. Ortsgemeinde eine relativ starke Position erlangen. Der Zusammenschluss der Ortsbevölkerung zu einem rechtsfähigen Verband wird dann auch terminologisch als „gemein“ fassbar. Zudem bilden sich ein Ämterwesen, Rechte und Ordnungen aus. Die Gemeinde wird zum Gerichtsbezirk. Im Lauf des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit wurde die Gemeinde manchmal auch zum siegelführenden Verband. Die Inhaber der Hofstellen bzw. Häuser waren vollberechtigte Mitglieder der Gemeinde. Die Herrschaft besaß ein Mitspracherecht in der Gemeindeversammlung, sofern sie im Ort direkt begütert war. Die Mitglieder der Gemeinde waren zur Teilnahme an der Gemeindeversammlung verpflichtet.

Gemeindeversammlung und Befugnisse

Im ausgehenden Mittelalter trat die Gemeindeversammlung - allgemein Taiding genannt - mehrmals jährlich zusammen. Dies geschah auf dem Anger oder im Haus des Ortsvorstehers, später auch im Gemeindehaus, sofern eines vorhanden war. Man unterschied zwischen ordentlichen Taidingen, die alljährlich zu bestimmten, den Gemeindeangehörigen bekannten Terminen stattfanden, und außerordentlichen, die aus besonderen Anlässen einberufen wurden. Die Kompetenz der Gemeindefunktionäre beruhte einerseits auf Rechten, die ihnen gleichsam von der Gemeindeversammlung bei der Wahl übertragen wurden, zum Beispiel die Verwaltung des Gemeindevermögens, die Regelung der Nutzung der Gemeindeweide und des Gemeindewaldes, die Obsorge für die Instandhaltung von Straßen, Wegen und Brücken im Gemeindegebiet, das Errichten von Uferschutzbauten zur Verminderung der Hochwassergefahr und anderes. Anderseits hatte sie im Rahmen der von der Herrschaft übertragenen Aufgaben Abgaben und Steuern einzuheben, die Gemeindemitglieder zur Robot einzuteilen, die Einquartierungen auf die einzelnen Häuser zu verteilen, Übergriffe gegen herrschaftliche Rechte und Aufsässigkeit von Untertanen gegen die Obrigkeit nach Möglichkeit zu verhindern, zumindest aber sofort zu melden und so weiter. Keinesfalls aber hatten Gemeindefunktionäre Rechte betreffend Vorgänge, die das Innere eines Hauses betrafen.

Bei vielen Funktionen lässt es sich nicht oder nur mit Schwierigkeiten bestimmen, ob sie im Auftrag des Gemeinwesens oder der Herrschaft ausgeübt wurden. Hierzu gehörte die Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit, die Bestrafung von Polizeiübertretungen, die Schlichtung von Streitigkeiten und die Urteilsfindung bei Klagen mit geringem Streitwert, das Treffen gewerbe- und sanitätspolizeilicher Maßnahmen und vieles andere. Umfang und Ausmaß der Rechte der Gemeindefunktionäre hing von der Privilegierung des Gemeinwesens ab.

Ämter

Zur Durchführung dieser Aufgaben bedurfte es gewisser Ämter. Das wichtigste war das des Ortsvorstehers, auch Amtmann oder Ortsrichter. Er leitete nicht nur die Versammlungen, sondern war auch der Herrschaft gegenüber verantwortlich. Manchmal wurde er auch von dieser eingesetzt oder zumindest bestätigt. Weiters gab es den Gemeinderat und die Gemeindeversammlung. Die Vorsteher wurden in der Regel in der Gemeindeversammlung gewählt, durften aber ihr Amt erst antreten, wenn sie von der zuständigen Herrschaft die Bestätigung erhalten hatten. Dem Richter standen einige Männer zur Seite, die bei Gerichtsverhandlungen als Schöffen fungieren und ihn in anderen Angelegenheiten beraten sollten. Sie wurden häufig als Geschworene bezeichnet, weil sie bei Amtsantritt einen Eid zu schwören hatten, oder nach ihrer Zahl Vierer, Sechser, Achter und so weiter genannt. Die Bezeichnung Rat war nur bei größeren Gemeinden üblich. In Märkten und Städten sprach man von einem Markt- oder Stadtrat.

Unter dem Einfluss der Hausväter-Literatur und danach auch des Naturrechts trat eine gewisse Rückentwicklung des Gemeindewesens ein. Im aufgeklärten Absolutismus wurden die Gemeinden als störende Zwischenglieder empfunden. Nichtsdestotrotz blieben zumindest Reste kommunaler Selbstverwaltung bestehen.

Wiener Kontext

In einem städtischen grundherrschaftlichen Umfeld weiteten sich die Aufgaben der Ortsgemeinden und ihrer Vertreter aus. Indem aus agrarischen Dorfgemeinden immer mehr verstädternde Ortseinheiten wurden, veränderten und verdichteten sich Aufgaben und verkomplizierten sich Befugnisse in der Gemengelage mit herrschaftlicher Ortsobrigkeit und Grundobrigkeit. Seit dem Spätmittelalter wurden aus den Dorf- bzw. Ortsgemeinden im stadtnahen Gebiet bereits Vorstadtgemeinden. Die Verwaltung der Vorstädte hatten im Rahmen der jeweiligen Ortsgemeinde gewählte Ausschüsse zu besorgen, an deren Spitze ein Grundrichter stand. Diese Grundgerichte führten eigene Siegel, die so genannten Grundgerichtssiegel oder Grundsiegel, manchmal auch Gemeindesiegel.

Der Prozess der Verstädterung verstärkte sich in der Frühen Neuzeit und intensivierte sich insbesondere nach der Zweiten Türkenbelagerung 1683, bis es schließlich 1848 zur Abschaffung der Grundherrschaft kam. Die Gemeinden erhielten im Provisorischen Gemeindegesetz 1849 einen neuen Status. Die Wiener Vorstädte wurden 1850 auf Basis der Provisorischen Gemeindeordnung mit der Inneren Stadt zu einem gemeinsamen Gemeindegebiet zusammengeschlossen. Die Vororte außerhalb des Linienwalls bestanden weiterhin als Ortsgemeinden im Sinn des Gemeindegesetzes. Sie wurden 1890/1892 nach Wien eingemeindet.

Quellen

Literatur

  • Helmuth Feigl: Die niederösterreichische Grundherrschaft. Vom ausgehenden Mittelalter bis zu den theresianisch-josephinischen Reformen. St. Pölten: Verein für Landeskunde von Niederösterreich 1998 (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich Bd. 16, 2. Auflage), insbesondere S. 89-105
  • Helmuth Feigl: Verwaltung in Österreich. Von Maximilian I. bis zur Revolution 1848. In: Einführung in das Archivwesen für den Gehobenen Dienst in Archiven (Scrinium Sonderband 1, herausgegeben von Gerhard Pferschy und Peter Csendes, 2. Auflage). Wien: 2002.
  • Hans K. Schulze: Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter Bd. 2. Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Hof, Dorf und Mark, Burg, Pfalz und Königshof, Stadt. Berlin, Köln, Mainz: Verlag W. Kohlhammer 1986.
  • K.S. Bader: Dorf. Dorfgenossenschaft, Dorfgemeinde und Dorforgane. In: Lexikon des Mittelalters. Lachen am Zürichsee: Coron Verlag Monika Schoeller & Co. 1999, Bd. III, Sp. 1277.