Charlotte Glas

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Charlotte Glas (rechts vorne) mit Therese Schlesinger, Adelheid Popp, Anna Boschek und Amalie Seidel
Daten zur Person
Personenname Glas, Charlotte
Abweichende Namensform Glas-Pohl, Charlotte; Glas, Lotte
Titel
Geschlecht weiblich
PageID 71057
GND 129068640
Wikidata Q18916689
Geburtsdatum 17. Jänner 1873
Geburtsort Wien 4066009-6
Sterbedatum 15. Februar 1944
Sterbeort Zürich 4068038-1
Beruf Schriftstellerin, Aktivistin
Parteizugehörigkeit Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Karl Kraus (Portal)
Quelle Gedenktage
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Letzte Änderung am 28.07.2023 durch WIEN1.lanm09lue
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname Frauenreichskomitee1904.jpg
Bildunterschrift Charlotte Glas (rechts vorne) mit Therese Schlesinger, Adelheid Popp, Anna Boschek und Amalie Seidel

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Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Charlotte Glas, * 17. Jänner 1873 Wien, † 15. Februar 1944 Zürich, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin.

Biografie

Charlotte Glas war das sechste von sieben überlebenden Kindern des Ehepaars Markus Glas (gebürtig in Böhmen) und Rosalia Glas (gebürtige Plautus aus Ungarn), das sein Geld mit Schneiderei verdiente.

Bereits als sehr junge Frau begann sie sich für Sozialismus und Feminismus zu engagieren. In den Vereins- und Versammlungsanzeigen der "Arbeiter-Zeitung" wurde im April 1893 erstmals ein Vortrag eines "Fräulein Charlotte Glas" über "Die Frau in der sozialen Bewegung" angekündigt. Ab diesen Zeitpunkt trug die Genossin Glas, wie sie beim nächsten Mal schon genannt wurde, etwa alle zwei Wochen vor 200 bis 1.000 Menschen vor und sprach beispielsweise über "Die Frau in der Vergangenheit", "Kapitalismus und Frauenarbeit", "Frauen-Emanzipation", "Moderne Sittlichkeit", "Die Bestimmung des Weibes" oder "Wie sollen die Arbeiter sich bilden", aber auch über Émile Zola oder Henrik Ibsen. Ab 1893 schrieb sie regelmäßig für die Arbeiterinnen-Zeitung, in der die "Wahlrechtsbewegung und die Frauen" eines ihrer wichtigen Themen war.

Etwa vier Jahre jünger als ihre Genossin Adelheid Popp, war sie wie diese bald eine der gefragtesten Rednerinnen unter den sozialdemokratischen Frauen und gehörte dort mit Popp, Anna Altmann, Anna Boschek, Amalie Seidel und Therese Schlesinger zu den zentralen Aktivistinnen, deren Reden oft Turbulenzen auslösten. Immer wieder schritten Polizeibeamte, die die Veranstaltungen überwachten, ein und lösten Versammlungen auf.

Lotte Glas stand im Verlauf des Jahres 1894 dreimal in Wien und Steyr vor Gericht: Aufgrund ihrer Rede bei der großen Arbeiterinnen-Versammlung in der Penzinger Au am 1. Oktober 1893 warf man ihr das "Verbrechen der Beleidigung von Mitgliedern des kaiserlichen Hauses" vor und verurteilte sie im Jänner 1894 zu vier Monaten schweren Kerkers – dieses Urteil wurde allerdings wenige Wochen später wieder aufgehoben und Glas freigesprochen. Weil sie am 1. Mai 1894 "Ein Hoch auf die internationale revolutionäre Socialdemokratie" ausgerufen hatte, wurde sie Ende Juli am Wiener Landesgericht zu 14 Tagen Arrest verurteilt. 21 Passagen ihrer Rede über "Koalitionsrecht und die Arbeiterschaft" im Hotel Schiff am 20. Mai 1894 führten im November zu einer Verhandlung gegen Glas am Schwurgericht Steyr. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde sie dort wegen Beleidigung des Parlaments, der Staats- und Communal-Institutionen sowie der Polizei zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Wie Lotte Glas sich selbst erinnerte, war sie auch abseits ihrer Aufenthalte in Gerichtssälen und Gefängnissen – mit denen die "damals politisch tätigen Frauen ziemlich alle" zu tun hatten – als "Sozialistin" und als "redendes Frauenzimmer" ein "Novum" oder ein "Unikum". Die Neue Freie Presse staunte in einem der Gerichtssaal-Berichte über ihre "sichtlich über ihren Stand hinausgehende Gewandtheit und Bildung". Glas wurde abwechselnd als Handarbeiterin, Erzieherin und Arbeitslose, die von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit einige Einkünfte habe, beschrieben und soll – den Zeitungsberichten über sie folgend – "die Bürgerschule und zwei Classen einer Fortbildungsschule" absolviert haben. Immer wieder wurde ihre "Energie" und ihr "interessante Erscheinung" betont.

Im Umfeld des Café Griensteidl, in dem unter anderem die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowie die Wiener Literaturszene (Jung-Wien) zusammenkamen, begegnete Glas Karl Kraus und Felix Salten. Mit Letzterem begann sie im Winter 1893/94 eine Liebesbeziehung und gebar um den 27. März 1895 anonym im Wiener Gebär- und Findelhaus in der Alserstraße eine gemeinsame Tochter. Das Baby Marie Charlotte Lambert wurde in Pflege nach Gerasdorf gegeben, wo es am 27. Juli 1895 starb und zwei Tage später von seinen ungenannt bleibenden Eltern am Gerasdorfer Friedhof begraben wurde. Die Geschichten um Lotte Glas, mit der Salten Anfang 1896 endgültig brach, waren ein wesentlicher Grund für das Zerwürfnis von Kraus und Salten, das um die Jahreswende 1896/97 mit Kraus' Abrechnung in "Die demolirte Literatur", mit Ohrfeigen, Duellforderungen und einem Prozess endete.

Insgesamt dürfte Lotte Glas auch auf die Jung-Wiener Eindruck gemacht haben. Arthur Schnitzler, der sie im Frühjahr 1894 kennenlernte, machte sie in seinem 1908 erschienenem Roman "Der Weg ins Freie" als Therese Golowski zu einer zentralen Figur.

Glas trat 1897 aus der jüdischen Gemeinde Wiens aus. 1898 war sie mit Anna Boschek Gründungsmitglied des Frauenreichskomitees der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und bemühte sich, damit ein zentrales Organ für die Arbeiterinnenbewegung zu schaffen. Im August 1900 heiratete sie den Diplomaten Otto Pohl. Ihre gemeinsame Tochter war die Malerin Annie Pohl (verh. Chiaromonte, * 21. September 1901, Wien – † 28. August 1941, Toulouse). Charlotte Glas-Pohl hielt weiterhin Vorträge und schrieb regelmäßig für die "Arbeiter-Zeitung". Ihre Texte kamen nun aus ganz Europa, da sie durch die Berufslaufbahn ihres Mannes regelmäßig den Wohnort wechseln musste. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg dürfte sie sich von ihrem Mann getrennt haben, da dieser mit einer neuen Lebensgefährtin zusammenlebte. In den 1920er Jahren arbeitete sie als Sekretärin der internationalen Gewerkschaftsorganisation.

Literatur

  • Katharina Prager: "Und waschen Sie mir den Kopf ordentlich!" Felix Salten und Karl Kraus. In: Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne. Hg. von Marcel Atze unter Mitarbeit von Tanja Gausterer. Wien / Salzburg: Residenz Verlag 2020, S. 162–183.
  • Siegfried Mattl: Between Socialism and Feminism: Charlotte Glas (1873–1944). In: Religions, Jg. 7, H. 8, August 2016, Beitrag 97, 10 Seiten, online.

Links