Schulpflicht: Unterschied zwischen den Versionen

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==Einführung==
 
==Einführung==
Am 6. Dezember 1774 wurde unter Maria Theresia eine "Allgemeine Schulordnung " erlassen ([[Theresianische Schulordnung]]), in deren Gefolge auch einheitliche [[Schulbuch|Schulbücher]] gedruckt wurden und die die Unterrichtspflicht vorsah. Die 6jährige Trivialschule vermittelte Elementarschulunterricht, die darauf aufbauende 2-3jährige Hauptschule auch vertiefende Kenntnisse in den realistischen Gegenständen. Der Schulbesuch lag lediglich bei 30%, da viele Kinder die Trivialschulen nur 1-2 Jahre besuchten. Diese Situation verbesserte sich nur langsam. Um 1850 kamen rund die Hälfte der Wiener Kinder der sechsjährigen Schulpflicht nach.<ref>Felix Olegnik: Historisch-statistische Übersichten von Wien. Teil 3 (Mitteilungen aus Statistik und Verwaltung der Stadt Wien 1958 Sonderheft 1), S. 23.</ref> Unter Kaiser [[Joseph II.]] wurde in Verordnungen von 20.10.1781 und 14.1.1786 die Nichtbeachtung des Schulzwangs mit Strafen belegt.<ref>Anton Mayer, Geschichte der geistigen Cultur in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart. Ein Beitrag zu einer Geschichte der geistigen Cultur im Südosten Deutschlands. Band 1, Wien: W. Seidel & Sohn 1878, S. 119.</ref>
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Am 6. Dezember 1774 wurde unter Maria Theresia eine "Allgemeine Schulordnung " erlassen ([[Theresianische Schulordnung]]), in deren Gefolge auch einheitliche [[Schulbuch|Schulbücher]] gedruckt wurden und die die Unterrichtspflicht vorsah. Die 6jährige [[Trivialschule]] vermittelte Elementarschulunterricht, die darauf aufbauende 2-3jährige [[Hauptschule]] auch vertiefende Kenntnisse in den realistischen Gegenständen. Der Schulbesuch lag lediglich bei 30%, da viele Kinder die Trivialschulen nur 1-2 Jahre besuchten. Diese Situation verbesserte sich nur langsam. Um 1850 kamen rund die Hälfte der Wiener Kinder der sechsjährigen Schulpflicht nach.<ref>Felix Olegnik: Historisch-statistische Übersichten von Wien. Teil 3 (Mitteilungen aus Statistik und Verwaltung der Stadt Wien 1958 Sonderheft 1), S. 23.</ref> Unter Kaiser [[Joseph II.]] wurde in Verordnungen von 20.10.1781 und 14.1.1786 die Nichtbeachtung des Schulzwangs mit Strafen belegt.<ref>Anton Mayer, Geschichte der geistigen Cultur in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart. Ein Beitrag zu einer Geschichte der geistigen Cultur im Südosten Deutschlands. Band 1, Wien: W. Seidel & Sohn 1878, S. 119.</ref>
  
 
==Regelung von 1869==
 
==Regelung von 1869==
Das [[Reichsvolksschulgesetz]] vom 14. Mai 1869 legte eine achtjährige "Unterrichtspflicht" fest, die auch im häuslichen Unterricht erfüllt werden kann. Noch 1890 besuchten rund 60% der Volksschülerinnen und Volksschüler nach Ende der Schulpflicht Berufsvorbereitungskurse, um den fehlenden Volksschulabschluss nachzuholen. Erst im „Roten Wien“ (1918-1934) gelang es die Schulpflicht weitestgehend durchzusetzen, dies auch deshalb, weil Kinderarbeit an Bedeutung verlor und rigoroser verfolgt wurde.
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Das [[Reichsvolksschulgesetz]] vom 14. Mai 1869 legte eine achtjährige "Unterrichtspflicht" fest, die auch im häuslichen Unterricht erfüllt werden kann. Noch 1890 besuchten rund 60% der Volksschülerinnen und Volksschüler nach Ende der Schulpflicht Berufsvorbereitungskurse, um den fehlenden Volksschulabschluss nachzuholen. Erst im „[[Rotes Wien|Roten Wien]]“ (1918-1934) gelang es die Schulpflicht weitestgehend durchzusetzen, dies auch deshalb, weil [[Kinderarbeit]] an Bedeutung verlor und rigoroser verfolgt wurde.
  
 
==Aufhebung im Zug rassischer Verfolgung==
 
==Aufhebung im Zug rassischer Verfolgung==
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Zug des „Anschluss“ im März 1938 erhielt die Schulpflicht eine diametral andere Bedeutung ([[Schule im Nationalsozialismus]]). Im Sinn der NS-Rassenideologie wurden etwa 16.000 Schülerinnen und Schüler an allen Wiener Schulen die den Nationalsozialisten aus rassistischen, politischen und nationalistischen Gründen nicht in die „deutsch arische Volksgemeinschaft“ des Dritten Reichs passten „ausgesondert“ und in der Folge auch aus den anfangs noch zur Verfügung gestellten Auffangschulen vertrieben.   
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Mit der Machtübernahme der [[Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]] im Zug des „[[Anschluss]]“ im März 1938 erhielt die Schulpflicht eine diametral andere Bedeutung ([[Schule im Nationalsozialismus]]). Im Sinn der NS-Rassenideologie wurden etwa 16.000 Schülerinnen und Schüler an allen Wiener Schulen die den Nationalsozialisten aus rassistischen, politischen und nationalistischen Gründen nicht in die „deutsch arische Volksgemeinschaft“ des Dritten Reichs passten „ausgesondert“ und in der Folge auch aus den anfangs noch zur Verfügung gestellten Auffangschulen vertrieben.   
  
 
==Ausweitung==
 
==Ausweitung==
Nach Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse auch im Schulwesen nach Ende des Zweiten Weltkrieges kam es 1952 zu einer Änderung beim Schulantrittsalter. Schülerinnen und Schüler die zwischen September und Dezember das sechste Lebensjahr vollendeten durften über Antrag der Eltern nur dann der Schulpflicht nachkommen, wenn Schulleiter und Schularzt die Schulreife attestierten. Eine Revision der Entscheidung konnte bis Ende des ersten Kalenderjahres erfolgen. Im Rahmen des [[Schulgesetzwerk 1962|Schulgesetzwerkes 1962]] wurde im Schulpflichtgesetz vom 25. Juli 1962 die Unterrichtspflicht geregelt. Sie beginnt am 1. September nach Vollendung des sechsten Lebensjahrs eines Kindes und dauert neun Jahre. Kinder, die zwischen dem 1. September und dem 31. Dezember das sechste Lebensjahr vollenden und schulreif (schulfähig) sind, können auf Ansuchen ihrer Eltern aufgenommen werden. Im Zusammenhang mit der Ausdehnung der Schulpflicht wurde ein „polytechnisches Jahr“ eingeführt.
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Nach Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse auch im [[Schulwesen]] nach Ende des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] kam es 1952 zu einer Änderung beim Schulantrittsalter. Schülerinnen und Schüler die zwischen September und Dezember das sechste Lebensjahr vollendeten durften über Antrag der Eltern nur dann der Schulpflicht nachkommen, wenn Schulleiter und Schularzt die Schulreife attestierten. Eine Revision der Entscheidung konnte bis Ende des ersten Kalenderjahres erfolgen. Im Rahmen des [[Schulgesetzwerk 1962|Schulgesetzwerkes 1962]] wurde im Schulpflichtgesetz vom 25. Juli 1962 die Unterrichtspflicht geregelt. Sie beginnt am 1. September nach Vollendung des sechsten Lebensjahrs eines Kindes und dauert neun Jahre. Kinder, die zwischen dem 1. September und dem 31. Dezember das sechste Lebensjahr vollenden und schulreif (schulfähig) sind, können auf Ansuchen ihrer Eltern aufgenommen werden. Im Zusammenhang mit der Ausdehnung der Schulpflicht wurde ein „polytechnisches Jahr“ eingeführt.
  
 
Ein neues Problem für die vollständige Verwirklichung der Unterrichtspflicht entstand durch die „[[Gastarbeiter]]wanderung“. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1972 ergab, dass nur etwa 60% der schulpflichtigen Kinder dieser Migrantengruppe die Schule besuchten. Die Situation besserte sich erst als auch immer mehr Migrantinnen und Migranten ihren Aufenthalt als dauerhaft ansahen. Ein Zusammenhang zwischen mangelndem Nachkommen der Schulpflicht und Bildungsferne der Eltern blieb als latentes Problem allerdings weiterhin bestehen.
 
Ein neues Problem für die vollständige Verwirklichung der Unterrichtspflicht entstand durch die „[[Gastarbeiter]]wanderung“. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1972 ergab, dass nur etwa 60% der schulpflichtigen Kinder dieser Migrantengruppe die Schule besuchten. Die Situation besserte sich erst als auch immer mehr Migrantinnen und Migranten ihren Aufenthalt als dauerhaft ansahen. Ein Zusammenhang zwischen mangelndem Nachkommen der Schulpflicht und Bildungsferne der Eltern blieb als latentes Problem allerdings weiterhin bestehen.

Version vom 29. September 2021, 10:37 Uhr

Daten zum Eintrag
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Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 29.09.2021 durch WIEN1.lanm08pom

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Ungeregelte Verhältnisse

Bis in das 18. Jahrhundert konnte von Schulpflicht noch keine Rede sein. Für Knaben aus dem Bürgertum existierten ab dem 13. Jahrhundert einige Schulen die Grundkenntnisse vermittelten, ein Teil der Oberschicht ließ ihre Söhne durch Hauslehrer unterrichten, manche Mädchen erhielten in einzelnen Nonnenklöstern Unterricht. Im Jahr 1770 besuchten von rund 19.000 Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren lediglich 4.700 regelmäßig eine Schule. Alle anderen wurden privat unterrichtet, erhielten ihre Bildung in Winkelschulen oder Fabrikschulen oder genossen gar keine Schulbildung.

Einführung

Am 6. Dezember 1774 wurde unter Maria Theresia eine "Allgemeine Schulordnung " erlassen (Theresianische Schulordnung), in deren Gefolge auch einheitliche Schulbücher gedruckt wurden und die die Unterrichtspflicht vorsah. Die 6jährige Trivialschule vermittelte Elementarschulunterricht, die darauf aufbauende 2-3jährige Hauptschule auch vertiefende Kenntnisse in den realistischen Gegenständen. Der Schulbesuch lag lediglich bei 30%, da viele Kinder die Trivialschulen nur 1-2 Jahre besuchten. Diese Situation verbesserte sich nur langsam. Um 1850 kamen rund die Hälfte der Wiener Kinder der sechsjährigen Schulpflicht nach.[1] Unter Kaiser Joseph II. wurde in Verordnungen von 20.10.1781 und 14.1.1786 die Nichtbeachtung des Schulzwangs mit Strafen belegt.[2]

Regelung von 1869

Das Reichsvolksschulgesetz vom 14. Mai 1869 legte eine achtjährige "Unterrichtspflicht" fest, die auch im häuslichen Unterricht erfüllt werden kann. Noch 1890 besuchten rund 60% der Volksschülerinnen und Volksschüler nach Ende der Schulpflicht Berufsvorbereitungskurse, um den fehlenden Volksschulabschluss nachzuholen. Erst im „Roten Wien“ (1918-1934) gelang es die Schulpflicht weitestgehend durchzusetzen, dies auch deshalb, weil Kinderarbeit an Bedeutung verlor und rigoroser verfolgt wurde.

Aufhebung im Zug rassischer Verfolgung

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Zug des „Anschluss“ im März 1938 erhielt die Schulpflicht eine diametral andere Bedeutung (Schule im Nationalsozialismus). Im Sinn der NS-Rassenideologie wurden etwa 16.000 Schülerinnen und Schüler an allen Wiener Schulen die den Nationalsozialisten aus rassistischen, politischen und nationalistischen Gründen nicht in die „deutsch arische Volksgemeinschaft“ des Dritten Reichs passten „ausgesondert“ und in der Folge auch aus den anfangs noch zur Verfügung gestellten Auffangschulen vertrieben.

Ausweitung

Nach Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse auch im Schulwesen nach Ende des Zweiten Weltkrieges kam es 1952 zu einer Änderung beim Schulantrittsalter. Schülerinnen und Schüler die zwischen September und Dezember das sechste Lebensjahr vollendeten durften über Antrag der Eltern nur dann der Schulpflicht nachkommen, wenn Schulleiter und Schularzt die Schulreife attestierten. Eine Revision der Entscheidung konnte bis Ende des ersten Kalenderjahres erfolgen. Im Rahmen des Schulgesetzwerkes 1962 wurde im Schulpflichtgesetz vom 25. Juli 1962 die Unterrichtspflicht geregelt. Sie beginnt am 1. September nach Vollendung des sechsten Lebensjahrs eines Kindes und dauert neun Jahre. Kinder, die zwischen dem 1. September und dem 31. Dezember das sechste Lebensjahr vollenden und schulreif (schulfähig) sind, können auf Ansuchen ihrer Eltern aufgenommen werden. Im Zusammenhang mit der Ausdehnung der Schulpflicht wurde ein „polytechnisches Jahr“ eingeführt.

Ein neues Problem für die vollständige Verwirklichung der Unterrichtspflicht entstand durch die „Gastarbeiterwanderung“. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1972 ergab, dass nur etwa 60% der schulpflichtigen Kinder dieser Migrantengruppe die Schule besuchten. Die Situation besserte sich erst als auch immer mehr Migrantinnen und Migranten ihren Aufenthalt als dauerhaft ansahen. Ein Zusammenhang zwischen mangelndem Nachkommen der Schulpflicht und Bildungsferne der Eltern blieb als latentes Problem allerdings weiterhin bestehen.

Ausbildungspflicht

Mit 1. Juli 2017 wurde die Ausbildungspflicht bis zum 18. Lebensjahr eingeführt. Ihr kann durch Besuch einer weiterführenden Schule, einer Lehre oder durch eine Ausbildung am Arbeitsmarktservice nachgekommen werden.

Schulgesetzwerk 1962

Links:

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20009604 (Ausbildungspflichtgesetz)


Literatur

  • Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater (Geschichte der Stadt Wien 8). Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015, 585-780.
  • Leo Kövesi/ Friedrich Jellouschek: Die Schulgesetze des Bundes. 1963
  • Anton Mayer, Geschichte der geistigen Cultur in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart. Ein Beitrag zu einer Geschichte der geistigen Cultur im Südosten Deutschlands. Band 1, Wien: W. Seidel & Sohn 1878
  • Felix Olegnik: Historisch-statistische Übersichten von Wien. Teil 3 (Mitteilungen aus Statistik und Verwaltung der Stadt Wien 1958 Sonderheft 1)

Links

  1. Felix Olegnik: Historisch-statistische Übersichten von Wien. Teil 3 (Mitteilungen aus Statistik und Verwaltung der Stadt Wien 1958 Sonderheft 1), S. 23.
  2. Anton Mayer, Geschichte der geistigen Cultur in Niederösterreich von der ältesten Zeit bis in die Gegenwart. Ein Beitrag zu einer Geschichte der geistigen Cultur im Südosten Deutschlands. Band 1, Wien: W. Seidel & Sohn 1878, S. 119.