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Zweite Wiener Medizinische Schule

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Die Wiener Medizin im Vormärz

Trotz der im Zeitalter der Aufklärung gemachten Fortschritte in Richtung einer kritischen Methode verfügte die vormärzliche Medizin über keine geeignete wissenschaftliche Fundierung. Vielmehr übte sie sich in spekulativer Theorie die dem Lebensgeist eine zentrale Rolle zuwies. Da sich dieser empirisch nicht nachweisen ließ, gab es kaum therapeutische Erfolge.

Die wissenschaftliche Wende

Eine entscheidende Veränderung im wissenschaftlichen Zugang zur Erforschung von Krankheit ging von der pathologischen Anatomie aus. Als Nachfolger des Pathologen Johannes Wagner hatte Carl von Rokitansky ab 1834 die Professur für pathologische Anatomie inne. Im Lauf seiner vierzigjährigen Tätigkeit sezierte er etwa 100.000 Leichen und kam dadurch zu Schlussfolgerungen über krankhafte Veränderungen von Organen die er in einem dreibändigen Lehrbuch festhielt. Nach Kritik des deutschen Mediziners Rudolf Virchow führte er diese Veränderungen auf die Zellularpathologie zurück und begründete damit in Wien die molekularbiologische Richtung in der Medizin. Auf Basis der "anatomische Klinik" entwickelte er eine Lehre von den Krankheitskonstitutionen. Er stand dabei in enger wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Joseph Skoda. Skoda hatte 1836 eine Arbeit über die Perkussion vorgelegt in der nachwies, dass durch diese Methode entdeckte gleiche Erscheinungen auf unterschiedliche Krankheiten zurückzuführen sind, gleiche Krankheiten jedoch auch zu unterschiedlichen Erscheinungen. Nur durch das Zusammentreffen bestimmter Erscheinungen ließen sich Krankheiten bestimmen. Skoda begründete damit die Diagnostik bei Atmungs- und Herzkrankheiten durch regelmäßige Erhebung akustischer Befunde am Krankenbett. Durch Vergleich seiner Ergebnisse mit jenen aus der Obduktion verglich und verifizierte er diese Befunde. Skoda erwarb sich zudem Verdienste für die Gründung einer Abteilung für Hautkrankheiten die später Ferdinand Hebra übernahm. Auf seinen Antrag wurde 1849 eine zweite medizinische Klinik am Allgemeinen Krankenhaus eingerichtet. Joseph Skoda zählte auch zu den wenigen die die Erkentnisse des Geburtshelfers Ignaz Philipp Semmelweis erkannte und würdigte. Semmelweis hatte als Ursache des Kindbettfiebers die Übertragung einer "putreszierenden Substanz" nachgewiesen, erfuhr aber in Wien keine Anerkennung. Skodas Erfolge lagen primär in der Diagnostik. Die Therapie mittels Punktieren erwies sich mangels bakterieller Kenntnisse und des Eindringens von Luft als richtungsweisend aber zu Skodas Zeiten als zu gefährlicher Eingriff der nur bei Todesgefahr angewandt wurde. Vor allem auf die noch in den Kinderschuhen steckende Pharmakologie war es zurückzuführen, dass die Fortschritte in der Diagnostik jene in der Therapie weit übertrafen. Es blieb daher vielfach beim therapeutischen Nihilismus.

Die Ausfächerung der medizinischen Disziplinen

Rokitanskys, Skodas und Hebras Methoden lockten viele Schüler an die Wiener Universität. Sie begründete den Weltruf der Zweiten Wiener medizinischen Schule. In der Therapie erzielte Ferdinand Hebra auch erste größere therapeutische Erfolge. Es gelang ihm nachzuweisen, dass Hautkrankheiten nicht ausschließlich auf Störungen des gesamten Organismus beruhen mussten und daher durch purgative Methoden zu behandeln wären. Vielmehr schuf er mit einem Lehrbuch der Hautkrankheiten eine Basis für entsprechende Differenzierungen. Für Therapien verwendete er Schwefel, Jodpräparate, Kautschuk und das Wasserbett. Großen internationalen Ruf erwarb sich auch der Anatom Joseph Hyrtl. Er entwickelte neue Präparierungstechniken, begründete das anatomische Museum und verfasste ein Lehrbuch der beschreibenden Anatomie.

Die Lehre von der Lokalisation der Krankheiten führte zu einer Aufsplitterung der Medizin in Spezialfächer selbst für die Psychiatrie. Moriz Heider begründete die wissenschaftliche Zahnheilkunde, Adam Politzer die Otologie, Ludwig Tuerck und Johann Nepomuk Czermak die Laryngologie, Ferdinand Hebra die Dermatologie und Theodor Meynert die Psychiatrie, wobei Joseph Hyrtl die makroskopische Anatomie, Carl Wedl die mikrokopische Anatomie und Ernst Wilhelm von Brücke die Physiologie vertraten.

Nach dem Chirurgen Franz Schuh wurde 1867 Theodor Billroth nach Wien berufen, der durch Narkose und Antiseptik in die Lage versetzt wurde, selbst als Experimentalforscher die Chirurgie in Wien auf den Höhepunkt ihrer Zeit zu bringen.

Literatur

  • Sabine Fellner/Katrin Unterreiner: Medizin in Wien. Semmelweis, Billroth & Co. Wien: Metroverlag 2010
  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6)
  • Erna Lesky: Meilensteine der Wiener Medizin. Große Ärzte Österreichs in drei Jahrhunderten. Wien: Maudrich 1981
  • Leopold Schönbauer: Das medizinische Wien. Geschichte, Werden, Würdigung. Wien: Urban & Schwarzenberg 1947
  • Theodor Puschmann: Die Medicin in Wien während der letzten 100 Jahre. Wien: Perles 1884
  • Max Neuburger: Das alte medizinische Wien in zeitgenössischen Schilderungen. Wien: Perles 1921
  • Max Neuburger: Die Wiener Medizinische Schule im Vormärz. Wien: Rikola 1921
  • Helmut Wyklicky: 200 Jahre Allgemeines Krankenhaus Wien. Wien: Jugend & Volk 1984