Böhmische Hofkanzlei
48° 12' 41.76" N, 16° 22' 12.40" E zur Karte im Wien Kulturgut
Böhmische Hofkanzlei (1, Wipplingerstraße 7, Judenplatz 11, Fütterergasse 2, Jordangasse 2; Konskriptionsnummer 384).
Vorgängergebäude
Hier standen ursprünglich viele kleine Häuser, die im Zuge der Aufhebung der Judenstadt 1421 von Herzog Albrecht V. beschlagnahmt wurden. Als Grundlage dieser Beschreibung dient ein von Albert Camesina gezeichneter Plan, der die Judenstadt im Jahr 1421 darstellt.
Haus A
Dieses Haus kam in den Besitz der Gemeinde und wurde 1423 verkauft. 1599 wurde es vom späteren Bürgermeister Veit Resch erworben. Es wurde im Jahr 1752 abgebrochen.
Haus B
Albrecht V. verkaufte Haus B 1426 einer Privatperson, die es aber offenbar bereits ab 1423 nutzen durfte. Nach 1482 kam das Gebäude aus unbekannten Gründen in den Besitz der Gemeinde Wien (beschlagnahmt?), die es 1511 verkaufte. Da das Haus am Beginn des 17. Jahrhunderts zunehmend verfiel und Steuern nicht bezahlt worden waren, wurde es von der Gemeinde Wien (erneut) beschlagnahmt und 1620 wieder verkauft. Nach 1645 wurde das Haus wegen nicht bezahlter Steuern und anderer Schulden öffentlich versteigert. Um 1753 wurde es abgebrochen und das Areal zur Vergrößerung der "Böhmischen Hofkanzlei" verwendet.
Haus C
Hier standen ursprünglich zwei Häuser, die von Albrecht V. 1422 verkauft wurden. Im Camesinaplan wird jedoch nur ein Gebäude dargestellt. Es ist daher anzunehmen, dass sie vom neuen Besitzer zu einem verbaut wurden. Erstaunlich hoch war der Kaufpreis (470 Pfund Wiener Pfennig), der sich beim nächsten Besitzerwechsel (1438) auf einen Bruchteil (130 Pfund Wiener Pfennig) verringert hatte. Kurz nach 1489 fiel das Haus einem Brand zum Opfer. Zwischen 1498 und 1509 wurde es neu errichtet. Nach 1553 brannte auch dieses Gebäude ab, wurde aber vor 1562 wiederhergestellt. 1754 wurde es in den Bau der "Böhmischen Hofkanzlei" einbezogen.
Haus D
Haus D wurde von Albrecht V. verschenkt und vom neuen Besitzer noch 1422 verkauft. Nachdem es häufig hohen Beamten gehört hatte, wurde es am 22. Mai 1699 von Franz Ulrich von Kinsky erworben, um es in den geplanten Bau der "Böhmischen Hofkanzlei" einzubeziehen.
Haus E
Wie Haus A kam auch dieses Gebäude in den Besitz der Gemeinde und wurde 1523 von dieser verkauft. 1598 kaufte der spätere Bürgermeister Paul Wiedemann eine Haushälfte. Nach mehreren Besitzerwechseln wurde diese Hälfte 1652 an das Zisterzienserstift in Wiener Neustadt verkauft, das bis dahin ein Haus am Laurenzerberg besaß, das nun aufgegeben wurde. Im halben Haus am Judenplatz wurde in der Folge der Stiftshof eingerichtet, der bis 1708 bestand. In diesem Jahr wurde nämlich das Grundstück für die Erweiterung der "Böhmischen Hofkanzlei" benötigt. Die andere Haushälfte gehörte ab 1647 den jeweiligen Besitzern des Hauses D.
Haus F "Zum goldenen Ring"
Was nach der Aufhebung der Judenstadt mit diesem Haus geschah, ist unklar, es kam aber vor 1445 in Privatbesitz. 1454 wurde es von Flötzer Hans Een, dem Vater des Bürgermeisters Stephan Een, erworben und vier Jahre später wieder verkauft. 1509 erwarb es ein Fleischhacker, der es der Fleischhackerzeche stiftete, die dafür drei wöchentliche Messen ausrichten musste. 1520 wurde es vom Zechmeister wieder verkauft. Am 23. April 1714 wurde das Haus, das zu dieser Zeit den Schildnamen "Zum goldenen Ring" trug, an einen unbekannten Käufer verkauft und in die Erweiterung der "Böhmischen Hofkanzlei" miteinbezogen.
Haus G "Zum schwarzen Stern"
Dieses Haus lässt sich erst 1442 urkundlich nachweisen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts verfügte die damalige Besitzerin, dass das Haus nach ihrem Tod zu verkaufen und der Erlös für ewige Messen und arme Leute anzulegen sei (der Verkauf erfolgte 1513). Da die Käufer ohne Erben starben, fiel das Gebäude an die Stadt Wien, die es 1533 verkaufte. Aufgrund einer gerichtlichen Exekution kam es um 1600 (Eintragung ins Grundbuch 1602) in den Besitz der Gottsleichnamsbruderschaft St. Michael, die es 1612 wieder abstieß. Ab 1734 verschwindet das Haus, das nun den Namen "Zum schwarzen Stern" trug, aus den Grundbüchern.
Haus H/1
Die Gemeinde Wien, die nach 1421 in dessen Besitz gekommen war, verkaufte es am 9. September 1423. Im Jahr 1531 wurde das Haus H/2 vom Haus H/1 abgetrennt. 1748 wird es zum letzten Mal urkundlich genannt.
Haus H/2
1531 kaufte Benedikt Khölbl, der zu den meistgenannten Baumeistern des 16. Jahrhunderts zählt und den Turmhelm der Kirche Maria am Gestade nach der Belagerung von 1529 wiederherstellte, einen Teil des Hauses H/1, den er von diesem abtrennen ließ. Fortan bildete dieser ein selbständiges Objekt. Benedikt Khölbl vererbte es seinen Kindern und Enkeln (darunter der Hofsteinmetzmeister Paul Khölbl). Von diesen erwarb es 1578 der Hoftischler Georg Haas († 1595), der am Umbau des Niederösterreichischen Landhauses in der Herrengasse maßgeblich beteiligt war. Der letzte Hinweis auf dieses Haus stammt aus dem Jahr 1746.
Haus J
Albrecht V. verschenkte das Haus J am 30. April 1427. In der Folge stieg der Wert dieses Hauses beträchtlich: Während es 1430 um 50 Pfund Wiener Pfennig verkauft wurde, kostete es zwischen 1469 und 1483 bereits 125 Pfund Wiener Pfennig und erzielte 1485 einen Preis von 350 Pfund Wiener Pfennig! Die Ursache für diese Wertsteigeung ist nicht bekannt. 1661 wurde es öffentlich versteigert und von Martin, Bischof zu Lambach und Domherr zu Olmütz sowie Weihbischof von Passau verkauft. Nach seinem Tod kam das Haus in den Besitz seiner nächsten Verwandten, die es am 4. September 1669 verkauften.
Haus K
Bis 1450 ist nicht bekannt, wem das Haus gehörte. Der im Camesinaplan eingetragene letzte jüdische Besitzer dürfte auf einem Irrtum Camesinas beruhen. Kurz nach 1747 wurde das Gebäude abgebrochen.
Böhmische Hofkanzlei
Neben der (allgemeinen) Hofkanzlei gab es ab 1527 eine besondere "Böhmische Hofkanzlei". Sie war 1628 am Graben untergebracht, laut Czeike (Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien) 1662 aber schon in einem Haus in der Wipplingerstraße, zu dem 1698 noch zwei und 1708 abermals zwei angrenzende Häuser erworben wurden. Harrer (Paul Harrer: Wien, seine Häuser) hingegen gibt an, dass die "Böhmische Hofkanzlei" im Jahr 1700 aus zwei Häusern bestand. Er vermutet, dass es sich dabei um die Häuser D und E gehandelt habe.
Neubau 1710-1714
1710-1714 entstand ein Neubau mit Schaufront gegen die Wipplingerstraße nach Plänen von Johann Bernhard Fischer von Erlach. Laut Harrer ersetzte er die bisherigen Häuser D, E und F. Der von den österreichischen, böhmischen und mährischen Ständen finanzierte Bau wurde 1715 seiner Bestimmung übergeben.
Die bereits erwähnte Front zeigt eine neue Stilphase Fischer von Erlachs, die durch eine Reise des Künstlers in die Niederland und nach England beeinflusst wurde. Die ursprünglich in den Straßenzug eingebundene neunachsige Schaufront wird durch den mit einem Dreiecksgiebel geschmückten Mittelrisalit beherrscht, der im Erdgeschoß in seiner ganzen Breite zu einem Atlantenportal ausgbildet ist. Die Statuen der böhmischen Könige auf der Attika gingen im Laufe der Zeit verloren.
Directionalgebäude
Die 1749 verfügte Eingliederung der bisherigen Böhmischen und Österreichischen Hofkanzlei in das neugeschaffene "Directorium in publicis et cameralibus" gab Anlass zu einem Erweiterungsbau anstelle von acht angrenzenden Häusern (laut Harrer handelte es sich dabei um die Häuser A, B, C, G, H/1, H/2, J und K), den Matthias Gerl 1751-1754 in Anpassung an die Fassade des Kernbaus durchführte. Es handelt sich dabei um den an der Fütterergasse gelegenen Trakt. Auf der Seite der Jordangasse wurde nur ein schmaler Zubau (eine Fensterachse) errichtet. Gleichzeitig wurde laut Harrer in diesem Trakt die Theresienkapelle eingerichtet (laut Czeike befand sie sich im Südwest-Eck). Der restliche freigewordene Grund wurde zur Verbreiterung der Jordangasse verwendet.
1760 wurde das Directorium aufgelöst, die "Österreichisch-Böhmische Hofkanzlei" eingerichtet. Vorübergehend (laut Czeike 1761-1782; laut Harrer 1761-1840er Jahre) war im Palais auch die Oberste Justizstelle (Justizministerium) untergebracht. 1782 beseitigte man die Theresienkapelle.
19. Jahrhundert
Durch das Bombardement in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1809 erlitt das Gebäude schwere Schäden, sodass es innen und außen umfassend restauriert werden musste. 1822 entfernte man Statuen und Deckengemälde. 1848 zog nach Auflösung der "Österreichisch-Böhmischen Hofkanzlei" das neugeschaffene Innenministerium ein. 1895-1897 wurden nach Plänen von Emil Ritter von Förster die Repräsentationsräume neu gestaltet und technische Neuerungen durchgeführt.
20. Jahrhundert
1920 trat an die Stelle des Innenministeriums das "Staatsamt für Inneres und Unterricht", 1924 zogen Dienststellen des Landwirtschaftsministeriums ein, 1936-1938 war das Gebäude Sitz des Bundesgerichtshofs, und 1941-1945 amtierten hier Senate des Reichsverwaltungsgerichts. Auch die Generaldirektion der österreichischen Salinen war einige Zeit in dem Gebäude untergebracht.
Durch notwendige Arbeiten an Wasserleitungen musste 1937 die Wipplingerstraße vor dem Gebäude (zwischen Fütterergasse und Jordangasse) aufgegraben werden. Dabei stieß man in einer Tiefe von 3,40 Metern auf aufrecht stehende Mauern aus der Römerzeit mit völlig erhaltenen kleinen Bogenfenstern. Die verwendeten Ziegel trugen die Stempel der X. Legion und Jahreszahlen aus dem ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus. In einem der freigelegten Räume war die römische Bodenheizung erhalten geblieben.
Am 12. März 1945 wurde die Nordost-Ecke durch Bomben zerstört. An der Jordangasse (drei Fensterachsen) und der Wipplingerstraße (bis zum Mittelrisalit) stürzte das Haus teilweise komplett ein. Dabei wurde den Genien, die die böhmische Landeskrone behüten, der Kopf abgerissen. Auch die Innenräume wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen.
1946-1951 wurde das Gebäude wiederaufgebaut, wobei eine Fußgeherpassage an der Wipplingerstraße geschaffen wurde. Auf der dem Hohen Markt zugewandten Seite wurde eine Marmortafel angebracht, die die Geschichte des Hauses beschreibt. Seit 1946 ist das Palais Sitz des Verwaltungsgerichtshofs. Auch der Verfassungsgerichtshof wurde hier untergebracht, er übersiedelte jedoch im August 2012 in das Haus Freyung 8. In den 1960er Jahren erfolgte eine Generalsanierung.
Literatur
- Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, S. 176
- Gabriele Praschl-Bichler: Wien speziell. Architektur des Barock. Wo finde ich Schlösser, Palais, Öffentliche Profanbauten, Kirchen, Klöster, Bürgerhäuser, Denkmäler, Brunnen, Museen, Sammlungen in Wien. Wien: Christian Brandstätter Verlag 1990, S. 45 f.
- Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. (Photomechan. Wiedergabe [d. Ausg. v. 1883]). Cosenza: Brenner 1967, Band 1, S. 639
- Paul Kortz: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hg. vom Oesterreichischen Ingenieur und Architekten-Verein. Wien: Gerlach & Wiedling 1906. Band 2, 1906, S. 127 f.
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 359
- Eduard Irmisch: Beiträge zur Baugeschiehte des Palais des K. K. Ministeriums des Inneren (Ehemals Palais der Böhmischen Hofkanzlei). In: Allgemeine Bauzeitung. Österreichische Vierteljahresschrift für den öffentlichen Baudienst Jg. 68.1903, S. 1-9
- Bruno Grimschitz: Wiener Barockpaläste. Wien: Wiener Verl. 1947, S. 23 ff.
- Nikolaus Schwärzler [Red.]: Die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts in Österreich. Das Palais der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei. Informationsschrift über den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichthof. Wien: Verfassungsgerichtshof 1983
- Paul Harrer-Lucienfeld: Wien, seine Häuser, Geschichte und Kultur. Band 2, 2. Teil. Wien ²1952 (Manuskript im WStLA), S. 420-438 und 519