Maria Theresia Paradis
Maria Theresia Paradis, * 15. Mai 1759 Stadt 482 ("Zum Schab-den-Rüssel"; 1, Rabensteig 8), † 1. Februar 1824 Wien 1, Rabensteig 8 (St. Marxer Friedhof), blinde Pianistin, Komponistin, Sängerin, Musikpädagogin. Tochter des Juristen Joseph Anton Paradis (* 24. Juli 1733), der 1759 nach Wien versetzt wurde, von 1776 bis 1785 Hofsekretär bei der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei war und 1785 bis 1807 Regierungsrat bei der niederösterreichischen Regierung.
Maria Theresia Paradis, Zeitgenossin Wolfgang Amadeus Mozarts und Joseph Haydns, galt als herausragende Persönlichkeit der Wiener Musikwelt und spielte vor den Monarchen Europas.
Paradis ist schon als Kind erblindet. Als man ihre hohe musikalische Begabung und ihr gutes Gedächtnis erkannte, wurde ihr von Maria Theresia, die ihre Taufpatin war und sie spielen gehört hatte, ein Stipendium von jährlich 200 Österreichischen Gulden gewährt. So konnte Paradis bei Koželuch, Salieri, Righini, Abbé Vogler und anderen Gesang, Klavier und Kompositionslehre studieren. 1778 suchte sie erfolglos Heilung durch die Hypnosemethode des Arztes Franz Anton Mesmer. Mesmer, der ihr nahegetreten sein soll, musste aus Wien flüchten. 1780 strich ihm Joseph II. die bis dahin ausbezahlte Unterstützung.
Weltweite Bekanntheit der blinden Musikerin
1783 bis 1786 unternahm Paradis eine große Konzertreise nach Salzburg. Dort komponierte Wolfgang Amadeus Mozart, der sie bei Mesmer kennengelernt hatte, für sie ein Klavierkonzert und Leopold Mozart gab ihr Ratschläge für die Tournee. Dann reiste sie nach München, Frankfurt am Main und Koblenz sowie in die Schweiz, nach Paris, London und Brüssel, Dresden, Berlin und Prag. Während ihrer Konzertreise lernte sie in Paris Valentin Haüy kennen, der 1784 das "Institut royale des jeunes aveugles" gegründet hatte, die erste - und heute noch existierende - Blindenerziehungsanstalt in Frankreich. In Wien wurde vom Armenbezirksdirektor der Josefstadt, Johann Wilhelm Klein, 1804 eine private Kinderblindenschule gegründet, die 1816 als "k. k. Blindeninstitut" in staatliche Verwaltung übernommen wurde.
Paradis trat als Interpretin ihrer eigenen, typisch wienerischen Lieder auf. Sie komponierte aber auch das Melodrama "Ariadne und Bacchus", Singspiele, ein Trio, Sonaten und Variationen. Nach ihrer Rückkehr nach Wien gab sie kaum noch Konzerte und widmete sich stattdessen eigenen Kompositionen. Ihr umfangreiches, kompositorisches Werk umfasst Kantaten, Lieder, Klavierkonzerte, Kammermusik und Opern, die erfolgreich aufgeführt wurden.
Musikschule für junge Frauen
1808 gründete die Pianistin in ihrer Wohnung im "Schadenrüsselhaus" (Konskriptionsnummer Stadt 482, 1950 demoliert, entspricht der heutigen Adresse 1, Rabensteig 8) eine Klavierschule, die sogenannte "Musikalische Bildungsanstalt für Frauen". Dort bildete sie blinde und sehende junge Frauen musikalisch aus. Die Konzerte, die sie 1809 bis 1814 durch ihre Schülerinnen vor der Wiener Gesellschaft aufführen ließ, erregten großes Aufsehen und wurden in der Presse kommentiert: "Man hört in diesen Musiken nicht nur die Compositionen der älteren und neueren Autoren des Inlandes (…) sondern auch die berühmtesten Ausländer (…). Zwey liebe Mädchen, die so klein waren, dass ich sie nicht sehen konnte, bis ich mich zum Clavier drängte, spielten gar vortrefflich ein Doppelconcert von Schuster. Auch im Gesang fand ich gute Schülerinnen, welche eine herrliche Schule verraten", schrieb ein Kritiker der "Allgemeinen musikalischen Zeitung" im April 1810.
Pionierin der Blindenbildung
Die pädagogischen Fähigkeiten Maria Theresia Paradis wurden gerühmt. Zu ihren Schülerinnen pflegte sie ein freundschaftliches Verhältnis. Sie gilt als Pionierin der Blindenbildung, wobei sie gerade für die musikalische Blindenerziehung besondere Hilfsmittel entwarf und spezielle Methoden entwickelte. Sie selbst unterzog sich im Laufe ihres Lebens einer Reihe schmerzhafter Operationen, um ihre Sehkraft herzustellen.
Testament von Maria Theresia Paradis
Als Maria Theresia Paradis am 1. Februar 1824 in ihrer Wohnung im Alter von 64 Jahren am "Nervenfieber" starb, erwies sich, dass ihr testamentarisch vermachtes Vermögen zur Bedeckung der Schulden nicht reichte. Als Universalerben hatte sie ihren Lebensgefährten, den "Hauptzollamtsoffizial" Johann Riedinger, eingesetzt. Dieser übergab - "um den Willen der Erblasserinn zu ehren" - trotz der überwiegenden Passiva die testamentarischen Legate. Darunter war auch ein ihrer Schülerin Fanny Diwald vermachtes Instrument, ein Fortepiano des geschätzten Klavierbauers Joseph Brodmann.
Wohnorte
- 1759 Stadt 482 (1, Rotenturmstraße 27, Rabensteig 8);
- 1760 Bockisches Haus (1, Kärntner Straße);
- 1776 Vorstadt Landstraße (3, Landstraßer Hauptstraße 32);
- 1779-1785 Stadt 680 (1, Rotenturmstraße 29);
- 1787-1791 Stadt 655 (1, Rotenturmstraße 22);
- 1793/1794 Stadt 943 (1, Franziskanerplatz 1, Weihburggasse 17);
- 1795 Stadt 139 (1, Kohlmarkt 18);
- 1798-1807 Stadt 517 (1, Rotenturmstraße 27, Rabensteig 8).
1894 wurde in Döbling die Paradisgasse nach der blinden Musikerin benannt.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv-Akten - Persönlichkeiten, P14.1: Testament von Maria Theresia Paradis
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv-Akten - Persönlichkeiten, P14.2: Verlassenschaftsabhandlung von Maria Theresia Paradis
Literatur
- Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Commission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften. 56 Bände. Leipzig: Duncker & Humblot 1875-1912
- Franz Gräffer / Johann Jacob Heinrich Czikann: Oesterreichische National-Encyklopädie oder alphabetische Darlegung der wissenswürdigsten Eigenthümlickeiten des österreichischen Kaiserthumes in Rücksicht auf Natur, Leben und Institutionen, Industrie und Commerz. Wien: Beck in Komm. 1835-1837
- Österreichisches biographisches Lexikon 1815 – 1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Wien/Graz: Böhlau 1954 - lfd.
- Walter Pillich: Die Konzertreisen der Maria Theresia Paradis im Lichte der diplomatischen Berichte. In: Wiener Geschichtsblätter 17 (1962), S. 41 ff.
- Hugo Riemann: Riemann Musiklexikon. In drei Bänden. Personenteil L-Z. Mainz: Schott 1961
- Hermann Ulrich: Maria Theresia Paradis und Dr. Franz Anton Mesmer. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 17/18 (1961/62), S. 149 ff.
- Hermann Ulrich: Maria Theresia Paradis und Mozart. In: Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) 4 (1949), S. 316 ff.
- Constantin von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich. Enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche 1750 bis 1850 im Kaiserstaate und in seinen Kronländern gelebt haben. 60 Bände. Wien: Verlag der typografisch-literarisch-artistischen Anstalt 1856-1891. Register 1923
- Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) 16 (1961), S. 97
- Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) 17 (1962), S. 11
- Volksblatt Magazin, 14.07.1989, S. 6 f.
- Die Presse, 18.08.1962
- Arbeiter-Zeitung. Zentralorgan der Sozialistischen Partei Österreichs, 28.05.1959
- Salzburger Nachrichten, Österreich Ausgabe, 25.07.1992
- Rathaus-Korrespondenz, 14.05.1959