Camillo Castiglioni

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Camillo Castiglioni
Daten zur Person
Personenname Castiglioni, Camillo
Abweichende Namensform
Titel
Geschlecht männlich
PageID 16853
GND 123556805
Wikidata Q79091
Geburtsdatum 22. Oktober 1879
Geburtsort Triest
Sterbedatum 19. Dezember 1957
Sterbeort Rom
Beruf Financier
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 23.11.2022 durch WIEN1.lanm08jan
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname Camillocastiglioni.jpg
Bildunterschrift Camillo Castiglioni
  • 4., Prinz- Eugen-Straße 28 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Camillo Castiglioni, * 22. Oktober 1879 Triest, † 19. Dezember 1957 Rom, Financier, Sohn eines Mathematiklehrers und Rabbiners. Aufstieg durch Börsengeschäfte, ab 1902 in Wien ansässig.

Vorkriegsjahre

Der Sohn eines Triestiner Mathematiklehrers und späterem Rabbiners erlebte in jungen Jahren als Export-/Importkaufmann in der Gummiindustrie eine steile Karriere. Im Jahr 1902 wurde er nach von den Österreichisch-Amerikanischen Gummiwerken (später Semperit) von Istanbul nach Wien berufen wo er schon 1909 zum Direktor aufstieg.[1] Die Gummiwerke vertrieben vor allem Autoreifen, was ihm der Auto- und Flugzeugindustrie näher brachte. Er wurde Mitbegründer des Österreichischen Aero-Clubs. Er besaß einen Ballonführerschein und gründete 1909 die Motor-Luftfahrzeug GmbH. Anläßlich des 80. Geburtstags von Kaiser Franz Joseph I. fand am 18. August 1910 der erste Flug eines Motorflugzeugs über Wien statt. Als am am 28. November 1909 für den ersten von Castiglioni gelieferten lenkbaren Militärballon Parseval I die Abnahmefahrt für die österreichische Heeresverwaltung über Wien stattfand war Castiglioni dabei.[2]

Kriegsgewinner

Schon vor Kriegsbeginn trat Castiglioni als Direktor der Semperit AG zurück. Er widmete sich nun ganz eigenen Geschäften. Seine Verbindungen waren so wichtig, dass der bayerische Kronprinz Rupprecht ihm 1917 mit dem Komturkreuz des Michaelsordens auszeichnete. Als Lieferant einer ganzen Luftflotte erhielt er auch einen österreichischen Orden. Bei Kriegsende zählte Castiglioni bereits zu den sehr reichen Männern seiner Zeit.[3] Mit dem Kriegseintritt der USA hatte er die Zeichen der Zeit erkannt und liquide Mittel in den Franken- und Dollarraum verschoben, während Investitionskredite in Kronen und Reichsmark weiterliefen.[4]

Finanzier und Spekulant

Zur Figur öffentlichen Interesses wurde der Unternehmer und Finanzmann jedoch erst nach Kriegsende. Der im Krieg angehäufte Reichtum ermöglichte es Castiglioni 1918, das Palais in der vornehmen Wiener Prinz-Eugen-Straße und die bedeutende Gemäldesammlung des Alt-Wiener Patriziers Eugen Miller-Aichholz zu erwerben.[5] Zum „Big Player“ auf dem Finanzparkett wurde er durch die Erlangung des Präsidentenamtes der Wiener Depositenbank am 29. August 1919. Diese Bank machte er de facto zu seiner Privatbank. Er betrieb in den Jahren 1919, 1920 und 1921 mehrere Kapitalerhöhungen von 80 auf 750 Millionen Kronen, zog die Bezugsrechte der Emissionen weitgehend an sich, blieb die Einzahlungen schuldig, ließ sich die Emissionssumme als Kredit auszahlen und bot als Sicherheit junge Aktien. Mit diesem kaufte er neue Aktien, bezahlte mit dem mittlerweile stark an Wert verlorenen Geld den alten Kredit zurück. Castiglioni erwarb so Mehrheitsbeteiligungen an zahlreichen Industrieunternehmungen.[6]

Mit Bekanntwerden der Bedingungen des Friedensvertrages von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919 eröffneten sich für Castiglioni neue Perspektiven. Die Artikel 132 ff. sahen die nahezu völlige Entwaffnung Österreichs vor und die Auslieferung des Kriegsgeräts an die Alliierten. Nach Artikel 72 konnten österreichische Staatsbürger auf nunmehr italienischem Gebiet um die italienische Staatsbürgerschaft ansuchen. Im September 1919 optierte Castiglioni in Triest daher für Italien.[7]

Großes aufsehen erregte Castiglionis Rolle beim Ankauf großer Aktienpakate der Alpine Montangesellschaft, deren Präsident er wurde und die ihm „zu einer der führenden Persönlichkeiten der Großindustrie in Österreich“ aufsteigen ließ.[8] Die Alpine hatte auf Grund der Kohlenblockade der Tschechoslowakei große Schwierigkeiten. In dieser Situation erwarben die Fiat-Gruppe über Vermittlung des Bankiers Richard Kola und Castiglioni über die Hälfte der Aktien des Unternehmens. Eine Sozialisierung, wie von den Sozialdemokraten angestrebt, und von Finanzminister Schumpeter verhindert, war damit vom Tisch. Aber auch für den Fiat-Konzern erwiesen sich die Probleme der Versorgung der Alpine mit Kohle als nicht lösbar. An dem Weiterkauf des Aktienpakets an den deutschen Stinnes-Konzern und damit verknüpfte Kohlenlieferungen knüpften sich nun große Hoffnungen die jedoch die französisch-deutsche Waffenstillstandskommission zunichte machte.[9] Die Alpine-Transaktion sorgte in der Presse für großes Aufsehen. Die „Börsenwegelagerer dreier Länder“ hätten sich um die Alpine gerauft, wie „Der Abend“ kritisch feststellte.[10]

Camillo Castiglionis besaß exzellente Beziehungen zur Politik. Dank dieser zahlte er die zwischen 1916 und 1918 angefallene Kriegssteuer von etwa 5,7 Millionen Kronen bis 1921 nur etwa zur Hälfte, bereits in stark entwerteten Kronen. Für den Rest begnügte sich der Bund mit einem Garantiebrief der Depositenbank. Auf Grund der Hyperinflation wurde ihm dieser Rest de facto erlassen. Nicht ganz zufällig ging auch im Frühjahr 1923 der Steuerakt Castiglionis im Finanzministerium verloren.[11]

Abstieg

Im Jahr 1924 brach Finanzspiel rund um Castiglionis Kredite allerdings angesichts einer missglückten Spekulation gegen den französischen Franc zusammen. Zu Beginn des Jahres 1924 fiel der Kurs des franzöischen Franc rapide, weil Spekulanten, allen voran Camillo Castiglioni und Dr. Fritz Mannheimer vom Bankhaus Mendelssohn, darauf wetteten. Mittels Termingeschäften mit französischen Gütern, durch den Erwerb von Aktien auf Termin, vor allem aber durch Franken-Kredite die einige Monate später in Dollar zurück gezahlt wurden. Ein 100-Millionen-Dollarkredit des New Yorker Bankhauses J.P. Morgan für die Banque de France ließ die Spekulation jedoch platzen. Castiglioni und die von ihm kontrollierte Depositenbank hatte sich in großem Maß an der Devisenspekulation beteiligt was die Bank zusammenbrachen ließ[12]. Castiglioni erlitt große Vermögensverluste die ihm zum Verkauf der Industriebeteiligungen und der Kunstsammlung zwangen; eine Strafanzeige nach dem Zusammenbruch der Allgemeinen Depositenbank wegen Veruntreuung von Spareinlagen führte aber zu keiner Verurteilung.[13] Nach 1924 verlegte Castiglioni seine Aktivitäten zunächst nach Berlin, dann nach Italien (wo er Mussolini Kredite verschaffte). Nach 1945 vermittelte er auch Darlehen an die jugoslawische Regierung.

Mäzen

Castiglioni kontrollierte in der Nachkriegszeit eine ihm hörige Presse und trat als Wissenschafts- und Kunstmäzen auf. Er spendete 1922 200 Millionen Kronen dem Unterrichtsministerium die teilweise zur Einrichtung des Barockmuseums im Belvedere verwendet wurden. Auch die Forschungsinstitute der Universität Wien erhielten zu Weihnachten 1923 eine namhafte Spende. Im selben Jahr gründete er mit zwei anderen Industriellen die Schauspielhaus AG und finanzierte für Max Reinhardt den Umbau des Theaters in der Josefstadt der 1,5 Millionen Schweizer Franken kostete.[14] In seinem Palais in der Prinz-Eugen-Straße 28), welches er 1919 um 1,5 Millionen Kronen erworben hatte und großzügig ausbaute befand sich seine große Kunstsammlung, darunter eine Reihe von Tiepolo-Gemälden die vom Vorbesitzer Josef von Miller zu Aichholz stammten und mitverkauft worden waren. Durch die Schulden Castiglionis verlor das Palais allerdings schon in den 1930er Jahren viel von seinem Glanz. Es wurde im September 1944 vom Finanzamt Wien Innere Stadt zwangsversteigert.[15]

Quellen

Literatur

  • Karl Ausch: Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption. Wien [u.a.]: Europa Verlag 1968.
  • Dizionario biografico degli italiani. Roma: Istituto della Enciclopedia italiana 1960.
  • Franz Planer (Hg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft 1929. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte, Wien: Verlag Franz Planer 1929, S. 89 f.
  • Oliver Kühschelm: Vom glanzvollen Aufstieg bis zur „Tragödie alten Reichtums“. Familien- und Firmenstrukturen im Haus Miller-Aichholz. In: Hannes Stekl (Hg.), Bürgerliche Familien. Lebenswege im 19. und 20. Jahrhundert (Bürgertum in der Habsburgermonarchie 8), Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2000, S. 109-167.
  • Franz Mathis: " ... weil Herr Castiglioni in Österreich eben nicht verfolgt werden darf." Ein Justizskandal und seine mediale Rezeption. In: Michael Gehler, Hubert Sickinger (Hg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. Thaur/Wien/München: Kulturverlag 1996, S. 185-193.
  • Franz Mathis: Camillo Castiglioni und sein Einfluß auf die österreichische Industrie. In: Sabine Weiss [Hg.]: Historische Blickpunkte. Festschrift für Johann Rainer zum 65. Geburtstag ... Innsbruck: Institut für Sprachwissenschaft der Universität 1988 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, 25), S. 423 ff.
  • Martin Pollner: Camillo Castiglioni. Ein Lebensbild. In: Wiener Geschichtsblätter 66 (2011), S. 111-150.
  • Reinhard Schlüter: Der Haifisch. Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni. Wien: Paul Zsolnay Verlag 2015.
  • Dieter Stiefel: Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2012.

Einzelnachweise

  1. Reinhard Schlüter: Der Haifisch. Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni. Wien: Paul Zsolnay Verlag 2015, S. 30, 40 f.; Dieter Stiefel: Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 2012, S. 12.
  2. Martin Pollner: Camillo Castiglioni. Ein Lebensbild. In: Wiener Geschichtsblätter 66 (2011), S. 114 f.
  3. Pollner, Castiglioni, S. 116-118
  4. Schlüter, Haifisch, S. 85
  5. Oliver Kühschelm: Vom glanzvollen Aufstieg bis zur „Tragödie alten Reichtums“. Familien- und Firmenstrukturen im Haus Miller-Aichholz. In: Hannes Stekl (Hg.), Bürgerliche Familien. Lebenswege im 19. und 20. Jahrhundert (Bürgertum in der Habsburgermonarchie 8), Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2000, S. 127
  6. Pollner, Castiglioni, S. 120
  7. Schlüter, Haifisch, S. 97
  8. Franz Planer (Hg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft 1929. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte, Wien: Verlag Franz Planer 1929, S. 90.
  9. Stiefel, Castiglioni, S. 61; Pollner, Castiglioni, S. 122 f.
  10. Sozialpolitische Wochenplaudereinen. In: Der Abend, 3. März 1921
  11. Ausch, Banken, S. 159; Stiefel, Castiglioni, S. 125-127.
  12. Stiefel, Castiglioni, S. 156-182
  13. Franz Mathis: " ... weil Herr Castiglioni in Österreich eben nicht verfolgt werden darf." Ein Justizskandal und seine mediale Rezeption. In: Michael Gehler, Hubert Sickinger (Hg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. Thaur/Wien/München: Kulturverlag 1996, S. 185-193.
  14. Stiefel, Castiglioni, S. 326-338
  15. Stiefel, Castiglioni, S. 311-318