Hygiene

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Hygieneausstellung, Museumsplatz: 28.4.1925-30.6.1925
Daten zum Begriff
Art des Begriffs Begriffsklärung
Andere Bezeichnung
Frühere Bezeichnung
Nachweisbar von
Nachweisbar bis
Objektbezug Bäder, Antike, Mittelalter, Langes 19. Jahrhundert, Öffentliche Bedürfnisanstalten, Öffentliche Bedürfnisanstalt am Graben, Toilettenwagen, Hygienisches Institut
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 12.12.2022 durch WIEN1.lanm08uns
Bildname WStLA Fotoarchiv Gerlach FC1 00013m.jpg
Bildunterschrift Hygieneausstellung, Museumsplatz: 28.4.1925-30.6.1925

Begriff

Unter dem Begriff Hygiene versteht man sämtliche Maßnahmen, die zur Verhütung von Gesundheitsschäden dienen. Das Wort Hygiene (ὑγιεινή) stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie "Gesundheit".

Antike

Römische Riesenquadern von der Badeanlage des Legionslagers Vindobona.

Wie für viele Aspekte des alltäglichen Lebens, hatten die Griechen auch eine Göttin der Gesundheit, Hygieia. Hygienische Maßnahmen waren oft als religiöse Gebote geschützt.

Bei den Römern spielte Hygiene eine große Rolle: Aquädukte, Thermen, Kanalisation, Spitäler und öffentliche Bedürfnisanstalten zeugen selbst in den entlegensten Orten des Römischen Reiches von den hohen Hygienestandards. Im Wesentlichen wurden die Hygienestandards erst im 19. Jahrhundert wiedererreicht - die Wohnverhältnisse unterschieden sich kaum. Während die ärmere Bevölkerung in ungesunden Wohnungen zusammengepfercht hauste, bewohnte die wohlhabendere Schicht großzügige Villen mit fließendem Wasser und Toiletten.

Die tägliche Körperwäsche galt als selbstverständlich; Zähneputzen, Haarpflege, das Enthaaren von Achseln und Beinen mit Wachs oder Pinzetten sowie das Augenbrauenzupfen, Kosmetik und Parfum waren für beide Geschlechter üblich, wie archäologische und literarische Quellen (z.B.: Aristophanes oder Ovid) bezeugen.

Um großen Epidemien vorzubeugen, durften Tote nur außerhalb der Städte begraben werden.

Öffentliche und private Hygiene im Mittelalter und der frühen Neuzeit

Im mittelalterlichen Wien wie auch in anderen europäischen Städten bestanden durch das Zusammenleben großer Teile der Bevölkerung auf den durch die Stadtmauern begrenzten Raum äußerst unhygienische Verhältnisse im öffentlichen Raum die sich auch auf die Wohnhygiene auswirkten. Zwar war Wien durch die bis heute vorherrschende Westwindlage mit verhältnismäßig frischer Luft begünstigt, doch würden die damals allgegenwärtigen Ausdünstungen einen modernen Magen wohl auf eine harte Probe stellen. Die "Stadtluft" setzte sich aus einer Vielzahl höchst ungünstiger Faktoren zusammen: Die Tierhaltung in der Stadt, man darf sich ruhig freilaufende Schweine in den Gassen vorstellen, die "Privets", Toilettenanlagen in den Innenhöfen, deren Inhalt in Folge einfach auf die Gasse gekippt wurde. Gleichzeitig standen auch Nachttöpfe in Verwendung. Als "Toilettenpapier" wurde Stroh, dürres Gras oder Moos verwendet, in der Oberschicht Hanf und Schafwolle, ab dem späten 17. Jahrhundert auch weiche Tücher. Geruchsintensive Handwerksbetriebe, hier besonders die Gerbereien und Färbereien und nicht zuletzt der offene Fischmarkt am Hohen Markt sorgten für zusätzliche Verschmutzungen. Diese Umstände lassen sich vor allem durch überlieferte Verbote und Verordnungen rekonstruieren. So wird den Hutmachern 1461 verboten, Gerbwasser einfach auf die Gasse zu kippen. Die freilaufenden Schweine, die sich wiederum zumindest teilweise von dem herumliegenden Müll ernährten, sind durch eine Marktordnung belegt, nach der Schweinen die am Markttag bei der Beschädigung von Waren erwischt werden, beide Ohren abzuschneiden seien. Bei dem nächsten Vergehen wurden solchermaßen gekennzeichnete Tiere dann geschlachtet und der Armenspeisung zu Verfügung gestellt.

Zwar waren die Hauseigentümer zur regelmäßigen Räumung der Senkgruben und zur Beseitigung des Mülls verpflichtet, doch wie sich aus den vielen überlieferten Beschwerden schließen lässt nahmen es die meisten wegen der damit verbundenen Kosten nicht allzu genau. Für die Räumung der Senkgruben war ein eigenes Gewerbe zuständig, die erstmals 1370 erwähnten "purgatores privete" oder "Kotkönigen". Aufgrund der beschriebenen Umstände darf die Allgegenwart von Krankheit und Siechtum nicht verwundern. Das Trinkwasser wurde aus Brunnen gezogen, die nur wenige Meter hinter den Abtritten lagen. Pest, Pocken, Typhus und Darmerkrankungen waren Haupttodesursachen. Das schlimmste Ereignis dieser Art war sicherlich die Pestepidemie 1349.

Ein tieferes Verständnis für Hygiene war nicht vorhanden, betrachteten doch auch Gebildete nach der Humoralpathologie Krankheiten als durch ein Ungleichgewicht der Körpersäfte ausgelöst oder durch Miasmen (aus dem Boden aufsteigende Dämpfe) übertragen. Über das Problem von Infektionen ("Contagiösität") bestanden nur unklare Vorstellungen.

Immerhin erfreuten sich Badstuben größerer Beliebtheit. Sie dienten primär als Dampfbäder, weniger als Wannenbäder. Im Spätmittelalter erreichte ihre Zahl 29. Da die Badstuben im nicht unbegründeten Verdacht standen als verdeckte Bordelle zu dienen, verschlechterte sich ihr Ruf vor allem ab dem 16. Jahrhundert. Das oft lockere Treiben in den Badstuben, aber auch das Ausbrechen von Seuchen bewirkte im 16. Jahrhundert einen Rückgang des Badens, im 17./18. Jahrhundert kam es fast außer Gebrauch. 1736 zählte man in und vor der Stadt 28, Ende des 18. Jahrhunderts in der Stadt selbst hingegen nur mehr sechs bürgerliche Bäder die wegen der hohen Benützungsgebühren nur mäßig frequentiert wurden. Das einfache Volk badete verstärkt in der wärmeren Jahreszeit in offenen Gewässern was den Anstoß der städtischen Obrigkeiten erregte.

Im Barockzeitalter galt in der adeligen Oberschicht die häufige Reinigung mit Wasser als unfein. Puder und Parfüm galten als Formen der „Reinigung“. Düfte sollten unangenehme Körpergerüche übertünchen. Erst im Zeitalter der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich eine Hygienebewegung in der der in Wien lehrende Johann Peter Frank eine wichtige Rolle spielte.

Hygiene als wissenschaftliche Disziplin

Mit seinen Schriften über die „Medizinische Polizei" inaugurierte der medizinische Kliniker Frank an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert das spätere medizinische Unterrichtsfach Hygiene. Ab 1804 wurde diese Disziplin durch die neue vom kaiserlichen Protomedicus entworfene Studienordnung an der Universität Wien als „Staatsarzneikunde" gemeinsam mit der Gerichtsmedizin gelehrt. „Hygiene" hieß allerdings schon 1784 die Gesundheitslehre, die der kaiserliche Protochirurgus Giovanni Alessandro Brambilla an der medizinisch-chirurgischen Josephs-Akademie (Josephinum) eingeführt hatte. Die tatsächliche Betreuung der Stadt Wien, die vom „morbus Viennensis" (der Tuberkulose) verfolgt war und in der immer wieder epidemieartig Typhus und Cholera (beispielsweise 1831 und 1854) ausbrachen, übernahm Mitte des 19. Jahrhunderts die „Gesellschaft der Ärzte". Sie wünschte bereits 1852 eine Trennung der Fächer Hygiene und Gerichtsmedizin. Der Bau der (ersten) Hochquellenleitung (1869-1873) nach zehnjähriger Debatte war zu einem guten Teil der Geschichte der Ärzte zu verdanken.

1875 wurde an der Universität Wien die Lehrkanzel für Hygiene geschaffen und mit dem Militärhygieniker Josef Nowak (1814-1886) besetzt. Es ist kein Zufall, dass gerade dieses Fach aus der medizinisch-chirurgischen Militärakademie Josephs II. hervorging (in deren Ehrenhof noch heute die 1787 von Johann Martin Fischer geschaffene Statue der Hygieia steht Hygieiabrunnen), denn die hauptsächlich Sorge der Militärärzte galt immer der „Conservation des Mannes". Kenntnisse der Chemie, Mikrobiologie, experimentellen Physiologie und Pathologie sowie der Immunologie mussten dem jeweiligen Fachvertreter der Hygiene zur Verfügung stehen. Zeitlich und auch fachlich parallel wirkten Ende des 19. Jahrhunderts. der Militärhygieniker Florian von Kratschmer-Forstberg und Max von Gruber, der die Lehrkanzel an der Universität Wien 1887-1902 (als außerordentlicher, ab 1892 als ordentlicher Professor) führte, allerdings 1902 (als es ihm nicht gelungen war, den Neubau seines Instituts durchzusetzen) einem Ruf an die Universität München folgte (Zweitnachfolger des Fachbereichs im deutschen Sprachraum, Max von Pettenkofer). Zu Grubers Wiener Schülern zählten der Nobelpreisträger Karl Landsteiner und der Begründer der Lehre von der Allergie, Clemens von Pirquet. 1903 wurde die Hygiene als obligates Prüfungsfach in die neue Studienordnung an der Wiener Universität aufgenommen. Unter dem Gruber-Schüler Arthur Schattenfroh (1905-1923) wurde 1908 das neue Hygienische Institut, eröffnet. Ihm folgten 1924-1937 Roland Graßberger, 1937-1945 Max Eugling, 1945-1951 Marius Kaiser und 1951-1959 Richard Bieling. Hans Moritsch (1924-1965), der 1962-1965 als Ordinarius für Hygiene in Wien wirkte, starb als Opfer einer beruflich erworbenen schweren Infektion. Entsprechend der vor allem in den letzten 50 Jahren erfolgten Auffächerung der medizinischen Spezialdisziplinen in weitere Untergruppen sind aus dem ehemaligen Mutterfach Hygiene folgende selbständige Institute an der Universität Wien hervorgegangen: Hygiene, Umwelthygiene, Virologie, spezifische Prophylaxe, Tropenmedizin und Sozialmedizin.

Die sanitäre Revolution im 19. Jahrhundert

Bis in das dritte Viertel des 19. Jahrhunderts änderte sich an der Haushaltshygiene wenig. Lediglich die Oberschicht verfügte über Bäder in den Wohnhäusern und Innentoiletten. Durch die massenhafte Produktion von Papier wurde die Nutzung von Zeitungspapier für die Reinigung in der Toilette gebräuchlich. Doch erst ab der Zeit um 1900 wurde Toilettenpapier nicht mehr als Luxusartikel sondern für den Massenverkauf produziert. Die Einrichtung von WCs verbreitete sich von Großbritannien ausgehend erst langsam. Eine wesentliche Veränderung trat durch die Errichtung der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung im Jahr 1873 ein. WCs wurden nun in neu errichteten Häusern Standard. Die Ausstattung mit Innentoiletten blieb dennoch selten und auf adelige und bürgerliche Wohnhäuser beschränkt. Im Bereich der Badeanstalten kamen im 19. Jahrhundert auch Hallenbäder auf, wodurch auch im Winter der Besuch von Bädern möglich wurde. Deren erstes war das (Dianabad [2], errichet 1841-1843. 1826 wurden in Wien 13 Schwimm- und Warmbadeanstalten gezählt, 1831 erhielten auch Frauen die Erlaubnis zum Schwimmen. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete die Stadtverwaltung Kommunal-, Floß- und Freibäder am Schüttel, im Kaiserwasser und im Prater (1862). Ab 1887 wurden zur Ergänzung der eher dem Vergnügen dienenden Warmbäder zur Körperreinigung städtische Brausebäder eingerichtet ("Tröpferlbäder"). Das älteste Europas befand sich in der Mondscheingasse. 1910 gab es 17 dieser "Volks(brause)bäder", nach dem Ersten Weltkrieg 19.

1918 bis in die Gegenwart

Hygieneausstellung. Räume der Internationalen Hygieneausstellung im Messepalast, 28.4. bis 30. 6. 1925
Hygieneausstellung. Räume der Internationalen Hygieneausstellung
Hygiene-Artikel wie Klopapier wurden zur Zeit der "Coronakrise" vielfach gehamstert.

Die industrielle Massenproduktion erlaubte seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts die billige Produktion von Seife, Waschmitteln und anderen Hygieneprodukten wie etwa auch Toilettepapier. Den Durchbruch erlebte die breite Hygienisierung der Bevölkerung ab der Zwischenkriegszeit. Ein wichtiger Eckpfeiler der Gesundheitspolitik im Roten Wien war die Hygienisierung und Medikalisierung der Arbeiterschaft. Zu diesem Zweck wurden bahnbrechende Initiativen im Bereich des kommunalen Wohnbaus und dem Bäderbau ergriffen. Das 1923 beschlossene Wohnbauprogramm im Roten Wien sorgte für die laufende Vermehrung von Wohnungen mit Innentoilette. Bis 1934 entstanden über 60.000 dieser Wohnungen. Zudem diente der Bau zahlreicher öffentlicher Bäder („Bäderprogramm“) der Popularisierung der privaten Hygiene. In der Zwischenkriegszeit erlebten auch die "Tröpferlbäder" ihre Hochblüte. 1923 zählte man 2,73 Millionen, 1928 4,95 Millionen und 1931 6,08 Millionen Besucher. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das kommunale Wohnbauprogramm verstärkt fortgesetzt. Nunmehr verfügten die neu errichteten kommunalen Wohnungen über Innentoiletten und Duschen oder Bädern, eine Ausstattung die auch im übrigen Wohnbau (Genossenschaftsbau) zum Standard gehörte. Zahl und Anteil der Substandardwohnungen ohne WC und Bad nahm dadurch kontinuierlich ab. 1961 verfügten 27% der Wiener Wohnungen über Bad und WC, 1971 48%, 1981 71%. Auch das Bäderangebot wurde beträchtlich erweitert.

2020 hat die COVID-19-Pandemie für ein größeres Hygiene-Bewusstsein gesorgt.

Literatur

  • Karl Brunner/Petra Schneider [Hg.]: Umwelt Stadt. Geschichte des Natur und Lebensraumes Wien. Wien: Böhlau 2005
  • Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 589 ff.
  • Erna Lesky: Von der Staatsarzneikunde zur Hygiene. In: Wiener klinische Wochenschrift. Wien / New York: Springer 1959 (71), Heft 10, S. 168 ff.
  • Erna Lesky: 100 Jahre Hygiene in Österreich. In: Zentralblatt für Bakteriologie, Mikrobiologie und Hygiene, Abteilung l. Original-Band 164. 1977, S. 413 ff.
  • Helmut Wyklicky: 175 Jahre Hygiene in Österreich. In:Zentralblatt für Bakteriologie, Mikrobiologie und Hygiene, Abteilung l. Original-Band 172. 1981, S. 441 ff.
  • Helmut Wyklicky: 175 Jahre Hygiene in Österreich. In: Briefmarken-Abhandlung, 08.05.1980, abgebildet die Hygieia Klimts
  • L. Breitenecker: Die Bedeutung J. P. Franks für die Entwicklung der Hygiene in Österreich. In: Wiener klinische Wochenschrift. Wien / New York: Springer 1959 (71), S. 165 ff.
  • H. Reichel: Die Entwicklung der Hygiene als Lehrfach. In: Wiener klinische Wochenschrift. Wien / New York: Springer 1933 (46), S. 738 ff.
  • Wikipedia: Hygiene im Römischen Reich