Hans Kelsen: Unterschied zwischen den Versionen

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Hans Kelsen kam in Prag als das erste von vier Kindern des deutschsprachigen, jüdischen Ehepaares Abraham und Auguste Kelsen auf die Welt. Sein Vater, der Kaufmann Abraham Littmann Kelsen, der den Namen Adolf Kelsen annahm, stammte aus Brody in Galizien, seine Mutter, eine geborene Löwy, aus Neuhaus in Böhmen. Beide waren bereits Mitte der 1860er Jahre nach Wien gekommen, wo sie im August 1880 im Leopoldstädter Gemeindetempel heirateten. Kurz nach der Hochzeit zog das Paar nach Prag, wo Adolf Kelsen ein Geschäft mit Installateurbedarf führte. 1884 kehrte die Familie mit mittlerweile zwei kleinen Kindern nach Wien zurück, wo der Vater mit einem Geschäftspartner eine "Bronzewaren und Lusterfabrik" gründete. Später folgten weitere alleinige Firmengründungen.
 
Hans Kelsen kam in Prag als das erste von vier Kindern des deutschsprachigen, jüdischen Ehepaares Abraham und Auguste Kelsen auf die Welt. Sein Vater, der Kaufmann Abraham Littmann Kelsen, der den Namen Adolf Kelsen annahm, stammte aus Brody in Galizien, seine Mutter, eine geborene Löwy, aus Neuhaus in Böhmen. Beide waren bereits Mitte der 1860er Jahre nach Wien gekommen, wo sie im August 1880 im Leopoldstädter Gemeindetempel heirateten. Kurz nach der Hochzeit zog das Paar nach Prag, wo Adolf Kelsen ein Geschäft mit Installateurbedarf führte. 1884 kehrte die Familie mit mittlerweile zwei kleinen Kindern nach Wien zurück, wo der Vater mit einem Geschäftspartner eine "Bronzewaren und Lusterfabrik" gründete. Später folgten weitere alleinige Firmengründungen.
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Hans Kelsen besuchte zunächst eine privat geführte evangelische Volksschule, musste dann allerdings aus Kostengründen in eine öffentliche Volksschule wechseln. Anschließend absolvierte er das angesehene [[Akademisches Gymnasium|akademische Gymnasiums]], wo er 1900 maturierte. Es folgten der verpflichtende Militärdienst und das Studium der Rechtswissenschaften an der [[Universität Wien]]. Nach der Promotion am 18. Mai 1906 absolvierte er die Gerichtspraxis am [[Bezirksgericht Leopoldstadt]] und dem [[Landesgericht]] für Strafsachen Wien. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Kelsen bereits entschieden, eine Habilitation anzustreben. Studienaufenthalte führten ihn nach Heidelberg (1907/08 und 1908/09) und Berlin (1910/11), wo er Seminare bei führenden Lehrern auf dem Gebiet des Staatsrechts besuchte. Dazwischen war er immer wieder auch für kurze Zeit in juristischen Berufen tätig. Im Juli 1908 erhielt er eine Anstellung im Handelsmuseum in Wien. 1911 habilitierte er sich für Staatsrecht und Rechtsphilosophie an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Im selben Jahr wurde er Dozent für Verfassungs- und Verwaltungslehre an der [[Exportakademie]]. Im Jahr darauf ging er die Ehe mit Margarete Bondi ein. Das Paar hat zwei gemeinsame Töchter, Anna (1914–2001) und Maria (1915–1994).
 
Hans Kelsen besuchte zunächst eine privat geführte evangelische Volksschule, musste dann allerdings aus Kostengründen in eine öffentliche Volksschule wechseln. Anschließend absolvierte er das angesehene [[Akademisches Gymnasium|akademische Gymnasiums]], wo er 1900 maturierte. Es folgten der verpflichtende Militärdienst und das Studium der Rechtswissenschaften an der [[Universität Wien]]. Nach der Promotion am 18. Mai 1906 absolvierte er die Gerichtspraxis am [[Bezirksgericht Leopoldstadt]] und dem [[Landesgericht]] für Strafsachen Wien. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Kelsen bereits entschieden, eine Habilitation anzustreben. Studienaufenthalte führten ihn nach Heidelberg (1907/08 und 1908/09) und Berlin (1910/11), wo er Seminare bei führenden Lehrern auf dem Gebiet des Staatsrechts besuchte. Dazwischen war er immer wieder auch für kurze Zeit in juristischen Berufen tätig. Im Juli 1908 erhielt er eine Anstellung im Handelsmuseum in Wien. 1911 habilitierte er sich für Staatsrecht und Rechtsphilosophie an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Im selben Jahr wurde er Dozent für Verfassungs- und Verwaltungslehre an der [[Exportakademie]]. Im Jahr darauf ging er die Ehe mit Margarete Bondi ein. Das Paar hat zwei gemeinsame Töchter, Anna (1914–2001) und Maria (1915–1994).
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Mit Ausbruch des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] 1914 rückte Hans Kelsen als Reserveoffizier ein, wurde aber bald ins Kriegsministerium versetzt, wo er zunächst im Kriegsfürsorgeamt und ab 1915 in der Militärjustiz tätig war. 1917 avancierte er zum persönlichen Berater des k. u. k. Kriegsministers Rudolf Stöger-Steiner.
 
Mit Ausbruch des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] 1914 rückte Hans Kelsen als Reserveoffizier ein, wurde aber bald ins Kriegsministerium versetzt, wo er zunächst im Kriegsfürsorgeamt und ab 1915 in der Militärjustiz tätig war. 1917 avancierte er zum persönlichen Berater des k. u. k. Kriegsministers Rudolf Stöger-Steiner.
Nach dem Krieg wurde er am 8. Juli 1918 außerordentlicher Professor an der Universität Wien. Ein Jahr später, am 19. Juli 1919, wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. 1920/21 stand er der Wiener rechtswissenschaftlichen Fakultät als Dekan vor. Zudem fungierte er als juristischer Berater für die [[Staatskanzlei]] beziehungsweise ab 1920 für das [[Bundeskanzleramt]]. Als solcher wurde er von Staatskanzler [[Karl Renner]] beauftragt, an der Ausgestaltung der Verfassung mitzuarbeiten. Kelsen war als parteiunabhängiger Experte im Unterausschuss des Verfassungsausschusses der Konstituierenden Nationalversammlung tätig. Zwischen Mai und September 1919 verfasste er Vorentwürfe der Verfassung, die als Grundlage für die schwierigen Verhandlungen dienten. Hans Kelsen zählt somit zu den Architekten des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920, das im Kern bis heute in Kraft ist. Ein besonderes Anliegen war Kelsen dabei die Ausgestaltung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit, die dann auch international Beachtung fand. Er selbst war von 1919 bis zu seiner Abberufung im Februar 1930 Mitglied des [[Verfassungsgerichtshofs]. Als solches war er mit einigen Zankäpfeln zwischen dem Roten Wien und der christlichsozial dominierten Staatsregierung befasst, beispielsweise bei der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs über die sogenannten "[[Eheschließung|Dispensehen]]".
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Nach dem Krieg wurde er am 8. Juli 1918 außerordentlicher Professor an der Universität Wien. Ein Jahr später, am 19. Juli 1919, wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. 1920/21 stand er der Wiener rechtswissenschaftlichen Fakultät als Dekan vor. Zudem fungierte er als juristischer Berater für die [[Staatskanzlei]] beziehungsweise ab 1920 für das [[Bundeskanzleramt]]. Als solcher wurde er von Staatskanzler [[Karl Renner]] beauftragt, an der Ausgestaltung der Verfassung mitzuarbeiten. Kelsen war als parteiunabhängiger Experte im Unterausschuss des Verfassungsausschusses der Konstituierenden Nationalversammlung tätig. Zwischen Mai und September 1919 verfasste er Vorentwürfe der Verfassung, die als Grundlage für die schwierigen Verhandlungen dienten. Hans Kelsen zählt somit zu den Architekten des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920, das im Kern bis heute in Kraft ist. Ein besonderes Anliegen war Kelsen dabei die Ausgestaltung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit, die dann auch international Beachtung fand. Er selbst war von 1919 bis zu seiner Abberufung im Februar 1930 Mitglied des [[Verfassungsgerichtshofs]. Als solches war er mit einigen Zankäpfeln zwischen dem Roten Wien und der christlichsozial dominierten Staatsregierung befasst, beispielsweise bei der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs über die sogenannten "[[Eheschließungev|Dispensehen]]".
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Hans Kelsen wurde nicht nur von seiner Position als Verfassungsrichter entfernt. Auch innerhalb der rechtswissenschaftlichen Fakultät sah er sich zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. 1930 verließ er Wien und nahm eine Professur in Köln an. 1933 von den [[Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]] des Amts enthoben, lehrte er bis 1935 sowie 1938 Völkerrecht in Genf. Von 1936 bis 1938 unterrichtete er in Prag, wo seine Lehrveranstaltungen aufgrund von Drohungen und Störaktionen durch Nationalsozialisten kaum geordnet abgehalten werden konnten. Im Alter von 60 Jahren emigrierte er 1940 mit seiner Ehefrau in die USA. Die beiden erwachsenen Töchter hatten bereits zuvor Genf verlassen und waren ins Exil gegangen. Tochter Maria lebte ebenfalls in den USA. Hans Kelsen war jahrelang auf Basis befristeter Verträge als Lecturer tätig, ehe er ab 1945 wieder eine Professur innehatte. Im selben Jahr nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an.
 
Hans Kelsen wurde nicht nur von seiner Position als Verfassungsrichter entfernt. Auch innerhalb der rechtswissenschaftlichen Fakultät sah er sich zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. 1930 verließ er Wien und nahm eine Professur in Köln an. 1933 von den [[Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]] des Amts enthoben, lehrte er bis 1935 sowie 1938 Völkerrecht in Genf. Von 1936 bis 1938 unterrichtete er in Prag, wo seine Lehrveranstaltungen aufgrund von Drohungen und Störaktionen durch Nationalsozialisten kaum geordnet abgehalten werden konnten. Im Alter von 60 Jahren emigrierte er 1940 mit seiner Ehefrau in die USA. Die beiden erwachsenen Töchter hatten bereits zuvor Genf verlassen und waren ins Exil gegangen. Tochter Maria lebte ebenfalls in den USA. Hans Kelsen war jahrelang auf Basis befristeter Verträge als Lecturer tätig, ehe er ab 1945 wieder eine Professur innehatte. Im selben Jahr nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an.
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Hans Kelsen zählt heute zu den wichtigsten Rechtswissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. Sein Name ist untrennbar mit dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz verbunden, doch erbrachte er auch auf dem Gebiet des Völkerrechts, der Staatslehre und Politikwissenschaften international anerkannte Leistungen. Als Theoretiker begründete Kelsen die Wiener Schule der Rechtstheorie ("Reine Rechtslehre", "Stufenbau der Rechtsordnung"). Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
 
Hans Kelsen zählt heute zu den wichtigsten Rechtswissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. Sein Name ist untrennbar mit dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz verbunden, doch erbrachte er auch auf dem Gebiet des Völkerrechts, der Staatslehre und Politikwissenschaften international anerkannte Leistungen. Als Theoretiker begründete Kelsen die Wiener Schule der Rechtstheorie ("Reine Rechtslehre", "Stufenbau der Rechtsordnung"). Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
  

Version vom 6. Oktober 2020, 14:38 Uhr

Hans Kelsen, 1958
Daten zur Person
Personenname Kelsen, Hans
Abweichende Namensform
Titel Dr. iur., o. Prof., Dr.rer.pol. h.c.
Geschlecht männlich
PageID 3453
GND 118561219
Wikidata
Geburtsdatum 11. Oktober 1881
Geburtsort Prag
Sterbedatum 19. April 1973
Sterbeort Orinda bei Berkeley, USA
Beruf Jurist, Schriftsteller, Rechtswissenschaftler
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass Hans Kelsen-Institut
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Recherche
Letzte Änderung am 6.10.2020 durch WIEN1.lanm09lue
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle
Bildname Hans Kelsen.jpg
Bildunterschrift Hans Kelsen, 1958
  • 17., Winklergasse 6 (Wohnadresse)
  • 8., Wickenburggasse 23/25 (Wohnadresse)
  • 3., Marokkanergasse 20 (Wohnadresse)
  • 4., Belvederegasse 3 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft
  • Dr. rer. pol. h. c., Universität Wien (Übernahme: 1961)
  • Dr.-Karl-Renner-Preis (Verleihung: 1953)
  • Ehrenring der Stadt Wien (Verleihung: 16. September 1966)
  • Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (Verleihung: 1962)
  • Großes Goldenes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich (Verleihung: 1971)
  • Großes Silbernes Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich (Verleihung: 1967)

  • Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien (1920 bis 1921)
  • Mitglied des Verfassungsgerichtshofes (03.05.1919 bis 15.02.1930)
  • wissenschaftlicher Mitarbeiter der Staatskanzlei (1918 bis 1921)
  • ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien (19.07.1919 bis 1930)
  • ordentlicher Professor an der Universität Köln (1930 bis 1933)
  • Lehrtätigkeit am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales, Genf (1933 bis 1935)
  • Lehrtätigkeit am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales, Genf (1938 bis 1938)
  • Lehrtätigkeit an der deutschen Universität, Prag (1936 bis 1938)
  • Lecturer, Harvard Law School (1940 bis 1942)
  • Lecturer, Political Science Department, University of California, Berkeley (1943 bis 1945)
  • Professor, Political Science Department, University of California, Berkeley (1945 bis 1952)
  • Dozent für Verfassungs- und Verwaltungslehre an der Exportakademie (1911 bis 1918)

Hans Kelsen, * 11. Oktober 1881 Prag, † 19. April 1973 Orinda bei Berkeley, USA, Rechtswissenschaftler, Rechtstheoretiker, Hochschullehrer.

Biografie

Hans Kelsen kam in Prag als das erste von vier Kindern des deutschsprachigen, jüdischen Ehepaares Abraham und Auguste Kelsen auf die Welt. Sein Vater, der Kaufmann Abraham Littmann Kelsen, der den Namen Adolf Kelsen annahm, stammte aus Brody in Galizien, seine Mutter, eine geborene Löwy, aus Neuhaus in Böhmen. Beide waren bereits Mitte der 1860er Jahre nach Wien gekommen, wo sie im August 1880 im Leopoldstädter Gemeindetempel heirateten. Kurz nach der Hochzeit zog das Paar nach Prag, wo Adolf Kelsen ein Geschäft mit Installateurbedarf führte. 1884 kehrte die Familie mit mittlerweile zwei kleinen Kindern nach Wien zurück, wo der Vater mit einem Geschäftspartner eine "Bronzewaren und Lusterfabrik" gründete. Später folgten weitere alleinige Firmengründungen.

Hans Kelsen besuchte zunächst eine privat geführte evangelische Volksschule, musste dann allerdings aus Kostengründen in eine öffentliche Volksschule wechseln. Anschließend absolvierte er das angesehene akademische Gymnasiums, wo er 1900 maturierte. Es folgten der verpflichtende Militärdienst und das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Nach der Promotion am 18. Mai 1906 absolvierte er die Gerichtspraxis am Bezirksgericht Leopoldstadt und dem Landesgericht für Strafsachen Wien. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Kelsen bereits entschieden, eine Habilitation anzustreben. Studienaufenthalte führten ihn nach Heidelberg (1907/08 und 1908/09) und Berlin (1910/11), wo er Seminare bei führenden Lehrern auf dem Gebiet des Staatsrechts besuchte. Dazwischen war er immer wieder auch für kurze Zeit in juristischen Berufen tätig. Im Juli 1908 erhielt er eine Anstellung im Handelsmuseum in Wien. 1911 habilitierte er sich für Staatsrecht und Rechtsphilosophie an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Im selben Jahr wurde er Dozent für Verfassungs- und Verwaltungslehre an der Exportakademie. Im Jahr darauf ging er die Ehe mit Margarete Bondi ein. Das Paar hat zwei gemeinsame Töchter, Anna (1914–2001) und Maria (1915–1994).

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 rückte Hans Kelsen als Reserveoffizier ein, wurde aber bald ins Kriegsministerium versetzt, wo er zunächst im Kriegsfürsorgeamt und ab 1915 in der Militärjustiz tätig war. 1917 avancierte er zum persönlichen Berater des k. u. k. Kriegsministers Rudolf Stöger-Steiner.

Nach dem Krieg wurde er am 8. Juli 1918 außerordentlicher Professor an der Universität Wien. Ein Jahr später, am 19. Juli 1919, wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. 1920/21 stand er der Wiener rechtswissenschaftlichen Fakultät als Dekan vor. Zudem fungierte er als juristischer Berater für die Staatskanzlei beziehungsweise ab 1920 für das Bundeskanzleramt. Als solcher wurde er von Staatskanzler Karl Renner beauftragt, an der Ausgestaltung der Verfassung mitzuarbeiten. Kelsen war als parteiunabhängiger Experte im Unterausschuss des Verfassungsausschusses der Konstituierenden Nationalversammlung tätig. Zwischen Mai und September 1919 verfasste er Vorentwürfe der Verfassung, die als Grundlage für die schwierigen Verhandlungen dienten. Hans Kelsen zählt somit zu den Architekten des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920, das im Kern bis heute in Kraft ist. Ein besonderes Anliegen war Kelsen dabei die Ausgestaltung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit, die dann auch international Beachtung fand. Er selbst war von 1919 bis zu seiner Abberufung im Februar 1930 Mitglied des [[Verfassungsgerichtshofs]. Als solches war er mit einigen Zankäpfeln zwischen dem Roten Wien und der christlichsozial dominierten Staatsregierung befasst, beispielsweise bei der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs über die sogenannten "Dispensehen".

Hans Kelsen wurde nicht nur von seiner Position als Verfassungsrichter entfernt. Auch innerhalb der rechtswissenschaftlichen Fakultät sah er sich zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. 1930 verließ er Wien und nahm eine Professur in Köln an. 1933 von den Nationalsozialisten des Amts enthoben, lehrte er bis 1935 sowie 1938 Völkerrecht in Genf. Von 1936 bis 1938 unterrichtete er in Prag, wo seine Lehrveranstaltungen aufgrund von Drohungen und Störaktionen durch Nationalsozialisten kaum geordnet abgehalten werden konnten. Im Alter von 60 Jahren emigrierte er 1940 mit seiner Ehefrau in die USA. Die beiden erwachsenen Töchter hatten bereits zuvor Genf verlassen und waren ins Exil gegangen. Tochter Maria lebte ebenfalls in den USA. Hans Kelsen war jahrelang auf Basis befristeter Verträge als Lecturer tätig, ehe er ab 1945 wieder eine Professur innehatte. Im selben Jahr nahm er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an.

Hans Kelsen zählt heute zu den wichtigsten Rechtswissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. Sein Name ist untrennbar mit dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz verbunden, doch erbrachte er auch auf dem Gebiet des Völkerrechts, der Staatslehre und Politikwissenschaften international anerkannte Leistungen. Als Theoretiker begründete Kelsen die Wiener Schule der Rechtstheorie ("Reine Rechtslehre", "Stufenbau der Rechtsordnung"). Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Hans Kelsen erhielt drei Honorarprofessuren, zwölf Ehrendoktorate, mehrere Akademiemitgliedschaften und zahlreiche andere Auszeichnungen. Aus Anlass seines 90. Geburtstages richtete die Republik Österreich 1971 mit dem Hans Kelsen-Institut eine Stiftung zur Pflege seines wissenschaftlichen Werkes ein. Das Institut verwaltet nicht nur seinen Nachlass, sondern publiziert in einer eigenen Schriftenreihe regelmäßig Texte von und über Hans Kelsen und sein Wirken.

Literatur

  • Thomas Olechowski: Hans Kelsen. Biographie eines Rechtswissenschaftlers. Tübingen: Mohr Siebeck 2020
  • Thomas Olechowski: Biographische Untersuchungen zu Hans Kelsen. In: Rechtsgeschichtliche Vorträge 64 (2011), S. 3–19
  • Hans Kelsen: Autobiographie (1947). In: Hans Kelsen im Selbstzeugnis. Sonderpublikation anlässlich des 125. Geburtstages von Hans Kelsen am 11. Oktober 2006. Hg. Von Matthias Jestaedt. Tübingen: Mohr Siebeck 2006
  • Isabella Ackerl / Friedrich Weissensteiner: Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik, Wien: Ueberreuter 1992
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1988, S. 176 f.
  • Rathaus-Korrespondenz. Wien: Presse- und Informationsdienst 05. 11. 1981
  • Wilhelm Brauneder [Hg.]: Juristen in Österreich. 1200 - 1980. Wien: Orac 1987, S. 290 ff., 323 ff. (Werkverzeichnis)
  • Robert Walter: Hans Kelsen - Ein Leben im Dienste der Wissenschaft. Wien: Manz 1985
  • Wilhelm Deutschmann: 200 Jahre Rechtsleben in Wien. Advokaten, Richter, Rechtsgelehrte. 21. November 1985 bis 9. Februar 1986. Wien: Eigenverl. d. Museen d. Stadt Wien 1985 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 96), S. 23
  • Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anläßlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken, 25. 09. 1981
  • Österreichische Akademie der Wissenschaften: Almanach. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1973, Band 123, S. 410 ff.
  • Rudolf Aladár Metáll: Hans Kelsen. Leben und Werk. Wien: F. Deuticke 1969
  • Werner Röder / Herbert A. Strauss: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 / International biographical dictionary of Central European émigrés 1933 – 1945. Hg. vom Institut für Zeitgeschichte München und von der Research Foundation for Jewish Immigration. München [u.a.]: Saur 1980-1999
  • Hans Giebisch / Gustav Gugitz: Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Hollinek 1963
  • Neue deutsche Biographie. Hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Duncker & Humblot 1953 - lfd.
  • Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Hrsg. von Franz Planer. Wien: F. Planer 1929
  • Neue österreichische Biographie. 1815 – 1918. Wien [u.a.]: Amalthea-Verlag 1923-1935. Band 20
  • 650 plus – Geschichte der Universität Wien: Hans Kelsen [Stand: 05.10.2020]
  • Website des Hans Kelsen-Instituts [Stand: 05.10.2020]

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