Buch- und Kunstdruckerei Steyrermühl

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Daten zur Organisation
Art der Organisation Firma
Datum von 1872
Datum bis
Benannt nach
Prominente Personen Rudolf Sieghart
PageID 44036
GND 2094805-0
WikidataID
Objektbezug Verlagsgeschichte
Quelle
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Letzte Änderung am 11.11.2020 durch WIEN1.lanm09mer
  • 1., Fleischmarkt 5

Frühere Adressierung
  • Verlag der "Tagblatt-Bibliothek"

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48° 12' 38.95" N, 16° 22' 35.32" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Die Papierfabriks- und Verlags-Gesellschaft Steyrermühl war das bedeutendste und erfolgreichste österreichische Unternehmen des Zeitungswesens und der Papierindustrie. Die Aktiengesellschaft wurde 1872 mit Sitz Fleischmarkt 5) gegründet. Dem Verwaltungsrat gehörte u.a. der Eigentümer des Neuen Wiener Tagblatts an. Das Blatt wurde in die Gesellschaft eingebracht und avancierte zu ihrem einträglichsten Medium. Der Gesellschaft gehörte außerdem die 1869 im öberösterreichischen Traun errichtete Papierfabrik Steyrermühl. 1881 wurde typographisches Institut und Verlag von Ludwig Carl Zamarski in der Gumpendorfer Straße 40-44 erworben und als “Buch- und Kunstdruck Steyrermühl“ weitergeführt, die vor allem durch Aufträge der Staatsbahnen und der Tabakregie ausgelastet war. Der Konzern wies damit einen geschlossenen vertikalen Aufbau aus.

Das Unternehmen entwickelte sich äußerst erfolgreich. 1912 belief sich die Eigenkapitalquote bei einer Bilanzsumme von 14,4 Millionen Kronen auf fast 84 Prozent. Zwischen 1901 und 1912 schüttete die AG 9,5 bis 12,5 Prozent des nominellen Grundkapitals als Dividende aus. Spätestens ab 1914 gewann Rudolf Sieghart dominierenden Einfluss in der Steyrermühl-Konzern. Angeblich kontrollierte das von ihm angeführte Syndikat 90 Prozent des Aktienkapitals, 1923 war es eine Zweidrittelmehrheit. Während des Ersten Weltkriegs und in der Inflationszeit geriet das Unternehmen unter engeren Bankeneinfluss, vorab der Verkehrsbank und nach entsprechenden Fusionen unter den der Bodencreditanstalt sowie 1929 unter den der Creditanstalt. Diese verfügte 1938 mit einem 25,7 prozentigen Anteil über eines der größten Aktienpakete, während sich die Aktienmehrheit in Streubesitz befand. Das Syndikat war 1936 aufgelöst worden.

1918/19 wurden im Steyrerhof (Sitz von Zeitungsdruckerei und Zeitungsverlag) sämtliche Druckmaschinen erneuert. Weitere Investitionen sicherten dem Betrieb den Rang als größte und modernste Zeitungsdruckerei Österreichs. Auch das publizistische Angebot wurde durch neue Zeitschriften und Zeitungen erweitert. Modernisiert und ausgebaut wurde außerdem in der Buch- und Kunstdruckerei, deren im Fwebruar 1923 ins Leben gerufene "Tagblatt-Bibliothek" Belletristik und Sachbücher auf den Markt brachte. Die Gründungsintentuion war, rechtliche Materien einem breiteren Publikum leichter zugänglich zu machen. So erschienen in der Bibliothek unter anderem Werke wie das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, ein Kommentar zur österreichischen Bundesverfassung oder Werke zum Ehe- und Arbeitsrecht. Als besonderer Kundendienst erwarben die Käufer dieser juristischen Literatur den Anspruch auf kostenlosen Bezug von Nachträgen bei Gesetzesänderungen oder anderen wichtigen Neuerungen.

Der große Erfolg dieser populären Publikationen führten zur Fortsetzung der Reihe, deren buchtechnische Ausstattung sukzessive verbessert wurde. Von besonderer Bedeutung war aber auch der Preis nach dem Motto "Für alle verständlich. Für jeden erschwinglich". Der Absatzmarkt, der sich ursprünglich auf Wien und das rechtliche Österreich konzentrierte, konnte nach und nach auf alle deutschsprachigen Ländern ausgedehnt werden. Manche Werke fanden sogar als Unterrichtsbücher an amerikanischen Universitäten Verwendung. Die Tagblatt-Bibliothek wurde oft als österreichisches Pendant zu Reclam betrachtet, waren aber etwas billiger als die Reclam-Bändchen (52 statt 70 Groschen pro Nummer) und umfassten ein viel breiteres Spektrum. Bis 1933 erschienen 412 Werke, auf insgesamt 965 Nummern aufgeteilt. Die thematische Palette der Tagblatt-Bibliothek in reichte von musikalischen Werken über Kinder- und Jugendbücher, Rätselbücher und Spielregeln, Technik und Landwirtschaft, Rechtsmaterien, Geschichte und Kunstgeschichte sowie Reisebeschreibungen bis hin zu Novellen, Romane, Erzählungen und Dramen. Nach dem Selbstverständnis des Verlags wollte man "Bücher des praktischen Lebens" produzieren. [IN ARBEIT]

Leiter der Tagblatt-Bibliothek zur Zeit des Jubiläums – genau genommen seit März 1931 – und bis zum „Anschluß“ war der am 17.1.1896 geborene Verleger Ernst Pisko. Pisko wurde ohne Anerkennung des gesetzlichen Abfertigungsanspruchs am 29. April 1938 von Steyrermühl als Jude fristlos entlassen. Er verließ das deutsche Reichsgebiet am 15. Juli 1938. Mehr noch: er wurde mehrmals verhaftet und interniert, doch dürfte ihm 1939 die Flucht nach England gelungen sein. [6] Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt.

Das Vorhaben der Tagblatt-Bibliothek, österreichische Autoren eines österreichischen Verlags durch den österreichischen Buchhandel in die Welt zu tragen, wurde besonders auf dem Gebiet der Belletristik verwirklicht. Auf diesem Gebiet erschienen in den ersten zehn Jahren der Tagblatt-Bibliothek über 120 Werke. Gepflegt wurden neben „Klassikern“ wie

Büchner, Goethe, Grillparzer, Hauff, E.T.A. Hoffmann, Keller, Kleist, Kürnberger, Nestroy, Ed. Pötzl, Raimund, Rosegger, Schiller, Sealsfield, Stifter und fremdsprachigen Autoren wie

Balzac, Barbusse, Daudet, Galsworthy, Gautier, de Maupassant, E.A. Poe, R.L. Stevenson, P. Mulford, A. Trollope, Tschechow, Whitman, O. Wilde

besonders „moderne“, in der Regel österreichische Autoren, und zwar in einem Ausmaß, das nicht immer von anderen, rein belletristischen österreichischen Verlagen übertroffen wurde. Hierunter befinden sich 1923-33 u.a. folgende Autoren:

R.H. Bartsch, Gisela Berger, M. Brociner, P. Busson, F. Dörmann, A. Engel, L. Fischmann, M. Hartwich, Rud. Hawel, Frank Heller, Hella Hofmann, R. Hohlbaum, Ed. Kapralik, Rud. Kraßnigg, Rud. Jer. Kreutz, S. Loewy, Fr. Molnár, K. Schönherr, Maria Stona, K.H. Strobl, F. Stüber-Gunther, Rud. Stürzer, Erwin Weill.

Auf dem Gebiet der fremdsprachigen Literatur fanden neben Lehr- und Wörterbüchern die „Zwei-Sprachen-Bücher“ großen Anklang. Zur Auswahl standen Englisch-Deutsch, Esperanto (!) – Deutsch, Französisch-Deutsch, Italienisch-Deutsch und Spanisch-Deutsch.

Bis zum „Anschluß“ kletterte die Zahl der Nummer der Tagblatt-Bibliothek auf über 1200 Mit dem „Anschluß“ mußte der Steyrermühl-Verlag samt Buch- und Kunstdruckerei arisiert und zwangsverkauft werden; er ging an die „Ostmärkische Zeitungsgesellschaft K.G.“, sodaß die Tagblatt-Bibliothek nun in diesem Verlag weiter erschien. 1945, nach Ende des Kriegs, mußten die Steyrermühl-Druckereien aus staatspolitischen Gründen auf zehn Jahre an den von der Kommunistischen Partei Österreichs betriebenen Globus-Verlag verpachtet werden. Auf diese Art und Weise „erbte“ der Globus-Verlag einen Teil des berühmten „Tagblatt-Archivs“. Im Globus-Verlag wurde die Tagblatt-Bibliothek eine Zeitlang fortgesetzt.

In der Weltwirtschaftskrise bewahrte das Unternehmen eine solide Finanzierungs- und Kapitalstruktur. Waren 1926 im gesamten Unternehmen 2.800 Personen beschäftigt, konnte die Beschäftigtenzahl ab 1934 bei rund 2.000 gehalten werden. Mit Stand 1938 beschäftigte die Zeitungsdruckerei ca. 285 Mitarbeiter, die Buchdruckerei ca. 300.

Nach dem “Anschluss“ unter kommissarische Verwaltung gestellt, wurde die Zeitungsproduktion vom Konzern abgetrennt und an die eigens gegründete Ostmärkische Zeitungsverlag GmbH (später KG im Besitz des Herold-Verlags Berlin) verkauft. Sie kam damit wie die Druckereibetriebe mehr oder weniger direkt unter die Kontrolle des NSDAP-Zentralverlags Franz Eher Nachf. München. Die Papierfabrikwurde mit einem Papiererzeuger bei Krumau fusioniert. Nach 1945 pachtete die KPÖ die Druckereien für ihren Globus Buchverlag, in dessen Programm auch die “Tagblatt Bibliothek“ überging. In den 1950er Jahren trat Fritz Molden als Pächter auf. Der Konzern kam in den Folgejahren nach wechselnden Beteiligungen zu 90 Prozent in den Besitz der BAWAG, die 1996 ihre Mehrheitsbeteiligung verkaufte. Das Gebäude in der Gumpendorfer Straße war 1975 abgerissen worden.

Steyrermühl heute als Papiermuseum

Das Papiermuseum befindet sich in der ehemaligen Papierfabrik Ausfahrt Laakirchen West (früher Steyrermühl). Dort wo von 1868 bis 1988 Papier und Zellstoff erzeugt wurden befinden sich heute auf einer Fläche von über 4.000 m2 das Österreichische Papiermachermuseum, ein Druckereimuseum, ein Feuerwehrmuseum, eine Handschöpferei, eine integrative Malschule, eine Kunstgalerie, sowie ein modernes Veranstaltungszentrum.

Träger dieser Einrichtungen ist der Verein Österreichisches Papiermachermuseum, der im Jahr 1993 gegründet wurde. Am 1. Juni 1997 wurde nach jahrelangen Gestaltungsarbeiten im Bereich der ehemaligen Papiermaschinen 4 und 5 und der Zellstoffbleicherei das Österreichische Papiermachermuseum eröffnet. 2000 folgte die Eröffnung des Druckereimuseums. Die Eröffnung des völlig neu adaptierten Veranstaltungszentrums fand 2003 statt, außerdem gab es eine Teilnahme an der Landesausstellung 2008 im Salzkammergut, bei welcher der gesamte Museumsbereich des Papiermachermuseum völlig neu gestaltet wurde. Weiters wurde im Rahmen der Landesausstellung eine Brücke über die Traun errichtet. Finanziert wird das Museum aus Museumseintritten, der Vermietung der Veranstaltungsräumlichkeiten, aus Mitgliedsbeiträgen privater Mitglieder und Firmenmitglieder, sowie aus Sponsorengeldern. Auch Privatpersonen haben die Möglichkeit, die Museums - und Kulturarbeit mit einem jährlichen Beitrag zu unterstützen. Sie erhalten als Gegenleistung freien Museumseintritt sowie 20% Ermäßigung bei den Kulturveranstaltungen des Museums.

Literatur

  • Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918–1938. Band 2: Belletristische Verlage der Ersten Republik. Wien/Graz/Köln: Böhlau 1985
  • Peter Eigner, Andreas Resch: Steyrermühl und Vernay: Die zwei größten Wiener Zeitungskonzerne der Zwischenkriegszeit, in: Herbert Matis, Andreas Resch, Dieter Stiefel (Hrsg.): Unternehmertum im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft, LIT-Verlag, Wien 2010.
  • Anton Durstmüller, 500 Jahre Druck in Österreich. Die österreichischen graphischen Gewerbe zwischen 1918 und 1982, Bd. 3, Hauptverband der graphischen Unternehmungen Österreichs: Wien, 1988.
  • Peter Melichar: Arisierungen und Liquidierungen im Papier- und Holzsektor; in: Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller, Berthold Unfried, Fritz Weber, Ökonomie der Arisierung, Teil 2: Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen. Zwangsverkauf, Liquidierung und Restitution von Unternehmen in Österreich 1938 bis 1960, Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission 10/2, Oldenbourg: Wien und München, 2004.
  • Christa Köstner, “Wie das Salz in der Suppe“. Zur Geschichte eines kommunistischen Verlags – Der Globus Verlag. Diplomarbeit Wien, 2001.
  • Franz Mathis, Big Business in Österreich, Verlag für Geschichte & Politik: Wien 1990.
  • Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Bd. 3: Deutsches Reich und Protektorat September 1939-September 1941. Oldenbourg, München 2002
  • "Bawag verkauft Mehrheitsbeteiligung am Papierkonzern Steyrermühl", Wirtschaftsblatt, 27.7.1996.
  • Steyrermühl wird zum Papiermuseum: http://www.papiermuseum.at/ (04.08.2016)