Anschlussbewegung: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:anschlussportraet.jpg|390px|thumb|right|Im Stil eines Heiligenbildes umranktes Porträt von Adolf Hitler]]
 
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==Anschlussbewegung nach Ende des ERsten Weltkriegs==
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==Anschlussbewegung nach Ende des Ersten Weltkriegs==
 
Nach dem Ende des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]], als die Lebensfähigkeit Österreichs von vielen in Frage gestellt wurde, bezeichnete die Provisorische Nationalversammlung im Verfassungsgesetz vom 12. November 1918 Österreich als einen Bestandteil der Deutschen Republik ("Deutsch-Österreich"); die politischen Parteien nahmen den "Anschluss" durchwegs in ihre Programme auf. Die treibende Kraft der Anschlussbewegung waren aber die Sozialdemokraten. [[Otto Bauer]] als Staatssekretär für Äußeres betrieb ihn vehement, weil er sich in der Vereinigung mit einem sozialistischen Deutschland die erhoffte soziale Revolution erhoffte. Bauer interpretierte den in den sozialdemokratischen Eliten tief verankerten Deutschnationalismus neu: Die revolutionäre schwarzrotgoldene 1848er-Tradition wurde reaktiviert. In der Anschlussfrage wurde die deutschösterreichische Regierung ganz essentiell angetrieben von der prekären Situation der deutschböhmischen und sudetendeutsche Gebiete, die der neue tschechoslowakische Staat in sein Territorium einbeziehen wollte. Die Option für den Anschluss war die Möglichkeit, die sichelförmign Randgebiete des tschechischen Zentralraums Prag zu entreißen.Aber Otto Bauers Politik der Eile, mit dem er die Entente überrumpeln wollte, ging nicht auf. Bereits die Verhandlungen mit Hugo Haase, dem stellvertretenden Regierungsvorsitzenden in Berlin und Volksbeauftragten für die deutsche Außenpolitik, am 14. November 1918 waren eine Enttäuschung. Als der deutschösterreichische Botschafter Ludo Moritz Hartmann am 25. November 1918 der Reichskonferenz der deutschen Länder die Beschlüsse der deutschösterreichischen Nationalversammlung über den Anschluss überbrachte, gab es zwar Beifall, gleichzeitig schlugen ihm aber auch Vorbehalte entgegen. Am 19. Januar 1919 waren die Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung angesetzt, aus denen die beiden sozialdemokratischen Parteien als die führenden Kräfte hervorgingen. Bei der feierlichen Eröffnung am 6. Februar 1919 war auch ein Passus dem Anschluss Österreichs gewidmet. Die Deutsche Nationalversammlung erklärte am 21. Februar 1919 den Eintritt Deutsch-Österreichs ins Deutsche Reich. Außenminister Ulrich von Brockdorf-Rantzau beteuerte immerhin die Wichtigkeit des Anschlusses, sicherte österreichischen Vertretern auch die Mitarbeit an der neuen Reichsverfassung zu, aber in der praktischen Hilfe an Österreich passierte wenig bis nichts. Deutschösterreich, in dem sich im Winter 1918/19 die Versorgungskrise weiter zugespitzt hatte, war in einer verzweifelten Situation und wollte Klarheit. Zwischen dem 27. Februar und 3. März 1919 fanden unter Leitung der Außenminister Otto Bauer und Ulrich von Brockdorff-Rantzau in Berlin Geheimverhandlungen über den Anschluss statt. Deutschland bremste, wegen der ungeklärten innenpolitischen Verhältnisse, vor allem aber darum, um die in Paris tagende siegreiche Entente nicht gegen sich aufzubringen. Artikel 88 des Friedensvertrags von Saint Germain (1919) verbot Österreich die Bezeichnung "Deutsch-Österreich" und machte einen Verzicht auf die Unabhängigkeit von einer Genehmigung des Völkerbunds abhängig. Bei Gewährung der Genfer-Anleihe von 1922 wurde der Anschluss erneut untersagt.
 
Nach dem Ende des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]], als die Lebensfähigkeit Österreichs von vielen in Frage gestellt wurde, bezeichnete die Provisorische Nationalversammlung im Verfassungsgesetz vom 12. November 1918 Österreich als einen Bestandteil der Deutschen Republik ("Deutsch-Österreich"); die politischen Parteien nahmen den "Anschluss" durchwegs in ihre Programme auf. Die treibende Kraft der Anschlussbewegung waren aber die Sozialdemokraten. [[Otto Bauer]] als Staatssekretär für Äußeres betrieb ihn vehement, weil er sich in der Vereinigung mit einem sozialistischen Deutschland die erhoffte soziale Revolution erhoffte. Bauer interpretierte den in den sozialdemokratischen Eliten tief verankerten Deutschnationalismus neu: Die revolutionäre schwarzrotgoldene 1848er-Tradition wurde reaktiviert. In der Anschlussfrage wurde die deutschösterreichische Regierung ganz essentiell angetrieben von der prekären Situation der deutschböhmischen und sudetendeutsche Gebiete, die der neue tschechoslowakische Staat in sein Territorium einbeziehen wollte. Die Option für den Anschluss war die Möglichkeit, die sichelförmign Randgebiete des tschechischen Zentralraums Prag zu entreißen.Aber Otto Bauers Politik der Eile, mit dem er die Entente überrumpeln wollte, ging nicht auf. Bereits die Verhandlungen mit Hugo Haase, dem stellvertretenden Regierungsvorsitzenden in Berlin und Volksbeauftragten für die deutsche Außenpolitik, am 14. November 1918 waren eine Enttäuschung. Als der deutschösterreichische Botschafter Ludo Moritz Hartmann am 25. November 1918 der Reichskonferenz der deutschen Länder die Beschlüsse der deutschösterreichischen Nationalversammlung über den Anschluss überbrachte, gab es zwar Beifall, gleichzeitig schlugen ihm aber auch Vorbehalte entgegen. Am 19. Januar 1919 waren die Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung angesetzt, aus denen die beiden sozialdemokratischen Parteien als die führenden Kräfte hervorgingen. Bei der feierlichen Eröffnung am 6. Februar 1919 war auch ein Passus dem Anschluss Österreichs gewidmet. Die Deutsche Nationalversammlung erklärte am 21. Februar 1919 den Eintritt Deutsch-Österreichs ins Deutsche Reich. Außenminister Ulrich von Brockdorf-Rantzau beteuerte immerhin die Wichtigkeit des Anschlusses, sicherte österreichischen Vertretern auch die Mitarbeit an der neuen Reichsverfassung zu, aber in der praktischen Hilfe an Österreich passierte wenig bis nichts. Deutschösterreich, in dem sich im Winter 1918/19 die Versorgungskrise weiter zugespitzt hatte, war in einer verzweifelten Situation und wollte Klarheit. Zwischen dem 27. Februar und 3. März 1919 fanden unter Leitung der Außenminister Otto Bauer und Ulrich von Brockdorff-Rantzau in Berlin Geheimverhandlungen über den Anschluss statt. Deutschland bremste, wegen der ungeklärten innenpolitischen Verhältnisse, vor allem aber darum, um die in Paris tagende siegreiche Entente nicht gegen sich aufzubringen. Artikel 88 des Friedensvertrags von Saint Germain (1919) verbot Österreich die Bezeichnung "Deutsch-Österreich" und machte einen Verzicht auf die Unabhängigkeit von einer Genehmigung des Völkerbunds abhängig. Bei Gewährung der Genfer-Anleihe von 1922 wurde der Anschluss erneut untersagt.
  
 
==Anschlussbewegung in der Zwischenkriegszeit==
 
==Anschlussbewegung in der Zwischenkriegszeit==
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Angesichts des Eindrucks mangelnder Lebensfähigkeit des neugegründeten Staates der durch die Politik der Nachfolgestaaten der Monarchie möglichst rasch „Los von Wien“ zu kommen trachteten befördert wurde und durch die Notwendigkeit ein Fünftel bis sein Viertel der Importe für Nahrungsmittel aufzuwenden, blieb die Anschlussidee für viele Menschen attraktiv. Die Phrase von der Lebensunfähigkeit lebte in den Köpfen weiter, besonders im Bürgertum das von den Auswirkungen des Zerfalls des ehemaligen gemeinsamen Wirtschaftsgebietes am stärksten betroffen war. Das begünstigte einen weitverbreiteten Defaitismus, die Tendenz alles und jenes auf „das Ausland“, den „Völkerbund“ schieben zu wollen.
 
Innerhalb der "Großdeutschen", aber auch in anderen politischen Lagern, spielte die Anschlussbewegung weiterhin eine Rolle. In den 1920er Jahren verlor der Gedanke an Attraktivität, wurde jedoch seitens Deutschlands durch die Gründung verschiedener Verbände weiter gepflegt (unter anderem 1920 Wiener Ortsgruppe des "Österreichisch-Deutschen Volksbundes"; 1925 Gründung der "Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft" in Wien, Organ "Deutsche Einheit" 1926; Deutscher Schulverein). Unter [[Johannes Schober]] wurde der Versuch einer wirtschaftlichen Vereinigung geprüft (Zollunion, 1931), doch wurde eine solche Union durch das Haager Internationale Schiedsgericht als friedensvertragswidrig verboten. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers in Deutschland (30. Jänner 1933) kam es zu verschiedenen Maßnahmen, die einen Anschluss erzwingen sollten (Wirtschaftsboykott, "Tausend-Mark-Sperre" für Touristen, Sabotageakte, Attentate, illegale Unterwanderung, Unterstützung der österreichischen [[Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]], in denen das ursprüngliche "Nationale Lager" aufging). Auf ihrem letzten Parteitag (14.-16. Oktober 1933) strichen die Sozialdemokraten daraufhin den "Anschlussartikel" aus ihrem Parteiprogramm. Der Einmarsch deutscher Truppen am 12. März 1938 stellte die Welt vor die vollendete Tatsachen des so genannten Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich beziehungsweise der (historisch in keiner Weise begründeten) "Wiedervereinigung". Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte eine Anschlussbewegung nicht mehr entstehen.
 
Innerhalb der "Großdeutschen", aber auch in anderen politischen Lagern, spielte die Anschlussbewegung weiterhin eine Rolle. In den 1920er Jahren verlor der Gedanke an Attraktivität, wurde jedoch seitens Deutschlands durch die Gründung verschiedener Verbände weiter gepflegt (unter anderem 1920 Wiener Ortsgruppe des "Österreichisch-Deutschen Volksbundes"; 1925 Gründung der "Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft" in Wien, Organ "Deutsche Einheit" 1926; Deutscher Schulverein). Unter [[Johannes Schober]] wurde der Versuch einer wirtschaftlichen Vereinigung geprüft (Zollunion, 1931), doch wurde eine solche Union durch das Haager Internationale Schiedsgericht als friedensvertragswidrig verboten. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers in Deutschland (30. Jänner 1933) kam es zu verschiedenen Maßnahmen, die einen Anschluss erzwingen sollten (Wirtschaftsboykott, "Tausend-Mark-Sperre" für Touristen, Sabotageakte, Attentate, illegale Unterwanderung, Unterstützung der österreichischen [[Nationalsozialismus|Nationalsozialisten]], in denen das ursprüngliche "Nationale Lager" aufging). Auf ihrem letzten Parteitag (14.-16. Oktober 1933) strichen die Sozialdemokraten daraufhin den "Anschlussartikel" aus ihrem Parteiprogramm. Der Einmarsch deutscher Truppen am 12. März 1938 stellte die Welt vor die vollendete Tatsachen des so genannten Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich beziehungsweise der (historisch in keiner Weise begründeten) "Wiedervereinigung". Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte eine Anschlussbewegung nicht mehr entstehen.
  
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== Literatur ==  
 
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* Isabella Ackerl: Die Großdeutschen und der Anschluß. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 158 ff.
 
* Isabella Ackerl: Die Großdeutschen und der Anschluß. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 158 ff.
* Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Mit einem Nachwort von Karl R. Stadler, Wien 2007.
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* Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Wien 2018
* Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (1938–1940), Wien 1988.
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* Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (1938–1940), Wien 1988
* Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994.
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* Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994
* Gerhard Jagschitz: NSDAP und "Anschluß" in Wien 1938. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 147 ff.
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* Alfred Pfoser/Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Gründungsjahre der österreichischen Republik, Salzburg/Wien: Residenz 2017
* Helene Maimann: Die Reaktionen der Auslandspresse auf den "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 116 ff
 
 
* Gerald Stourzh u.a. [Hg.]: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des "Anschlusses" vom März 1938. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 16)
 
* Gerald Stourzh u.a. [Hg.]: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des "Anschlusses" vom März 1938. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 16)

Version vom 12. März 2018, 17:57 Uhr

Propaganda für die Volksabstimmung im April 1938
Daten zum Eintrag
Datum von 1800
Datum bis 1945
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Recherche
Letzte Änderung am 12.03.2018 durch WIEN1.lanm08wei
Bildname Anschlussbewegung.jpg
Bildunterschrift Propaganda für die Volksabstimmung im April 1938

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Anstecknadel zum Anschluss an Deutschland (ca. 1918).

Anschlussbewegung. Unter dieser Bezeichnung verstand man Bestrebungen, die eine Vereinigung Österreichs mit Deutschland zum Ziel hatten (siehe auch Anschluss).

Anschlussbewegung in der Monarchie

Erstmals tauchen derartige Gedanken in der Zeit der Romantik auf, als man den mittelalterlichen Begriff des Heiligen Römischen Reiches mit einem deutschen Nationalstaat gleichzusetzen versuchte. Ausgelöst durch die Revolution von 1848 wurde neuerlich eine Vereinigung diskutiert; die "Großdeutschen" im Frankfurter Parlament (1848/1849) strebten jedoch eine Vereinigung unter österreichischer Führung an. Durch den preußisch-österreichischen Krieg von 1866 kamen diese Gedanken zum Erliegen. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts griff Georg Schönerer den Gedanken in anderer Form wieder auf; er stützte sich vor allem auf Studenten, Intellektuelle und Teile des Bürgertums.

Werbung für den Anschluss auf einem Straßenbahnwaggon
Monumentale Bauten beherrschten das Stadtbild
Im Stil eines Heiligenbildes umranktes Porträt von Adolf Hitler

Anschlussbewegung nach Ende des Ersten Weltkriegs

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die Lebensfähigkeit Österreichs von vielen in Frage gestellt wurde, bezeichnete die Provisorische Nationalversammlung im Verfassungsgesetz vom 12. November 1918 Österreich als einen Bestandteil der Deutschen Republik ("Deutsch-Österreich"); die politischen Parteien nahmen den "Anschluss" durchwegs in ihre Programme auf. Die treibende Kraft der Anschlussbewegung waren aber die Sozialdemokraten. Otto Bauer als Staatssekretär für Äußeres betrieb ihn vehement, weil er sich in der Vereinigung mit einem sozialistischen Deutschland die erhoffte soziale Revolution erhoffte. Bauer interpretierte den in den sozialdemokratischen Eliten tief verankerten Deutschnationalismus neu: Die revolutionäre schwarzrotgoldene 1848er-Tradition wurde reaktiviert. In der Anschlussfrage wurde die deutschösterreichische Regierung ganz essentiell angetrieben von der prekären Situation der deutschböhmischen und sudetendeutsche Gebiete, die der neue tschechoslowakische Staat in sein Territorium einbeziehen wollte. Die Option für den Anschluss war die Möglichkeit, die sichelförmign Randgebiete des tschechischen Zentralraums Prag zu entreißen.Aber Otto Bauers Politik der Eile, mit dem er die Entente überrumpeln wollte, ging nicht auf. Bereits die Verhandlungen mit Hugo Haase, dem stellvertretenden Regierungsvorsitzenden in Berlin und Volksbeauftragten für die deutsche Außenpolitik, am 14. November 1918 waren eine Enttäuschung. Als der deutschösterreichische Botschafter Ludo Moritz Hartmann am 25. November 1918 der Reichskonferenz der deutschen Länder die Beschlüsse der deutschösterreichischen Nationalversammlung über den Anschluss überbrachte, gab es zwar Beifall, gleichzeitig schlugen ihm aber auch Vorbehalte entgegen. Am 19. Januar 1919 waren die Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung angesetzt, aus denen die beiden sozialdemokratischen Parteien als die führenden Kräfte hervorgingen. Bei der feierlichen Eröffnung am 6. Februar 1919 war auch ein Passus dem Anschluss Österreichs gewidmet. Die Deutsche Nationalversammlung erklärte am 21. Februar 1919 den Eintritt Deutsch-Österreichs ins Deutsche Reich. Außenminister Ulrich von Brockdorf-Rantzau beteuerte immerhin die Wichtigkeit des Anschlusses, sicherte österreichischen Vertretern auch die Mitarbeit an der neuen Reichsverfassung zu, aber in der praktischen Hilfe an Österreich passierte wenig bis nichts. Deutschösterreich, in dem sich im Winter 1918/19 die Versorgungskrise weiter zugespitzt hatte, war in einer verzweifelten Situation und wollte Klarheit. Zwischen dem 27. Februar und 3. März 1919 fanden unter Leitung der Außenminister Otto Bauer und Ulrich von Brockdorff-Rantzau in Berlin Geheimverhandlungen über den Anschluss statt. Deutschland bremste, wegen der ungeklärten innenpolitischen Verhältnisse, vor allem aber darum, um die in Paris tagende siegreiche Entente nicht gegen sich aufzubringen. Artikel 88 des Friedensvertrags von Saint Germain (1919) verbot Österreich die Bezeichnung "Deutsch-Österreich" und machte einen Verzicht auf die Unabhängigkeit von einer Genehmigung des Völkerbunds abhängig. Bei Gewährung der Genfer-Anleihe von 1922 wurde der Anschluss erneut untersagt.

Anschlussbewegung in der Zwischenkriegszeit

Angesichts des Eindrucks mangelnder Lebensfähigkeit des neugegründeten Staates der durch die Politik der Nachfolgestaaten der Monarchie möglichst rasch „Los von Wien“ zu kommen trachteten befördert wurde und durch die Notwendigkeit ein Fünftel bis sein Viertel der Importe für Nahrungsmittel aufzuwenden, blieb die Anschlussidee für viele Menschen attraktiv. Die Phrase von der Lebensunfähigkeit lebte in den Köpfen weiter, besonders im Bürgertum das von den Auswirkungen des Zerfalls des ehemaligen gemeinsamen Wirtschaftsgebietes am stärksten betroffen war. Das begünstigte einen weitverbreiteten Defaitismus, die Tendenz alles und jenes auf „das Ausland“, den „Völkerbund“ schieben zu wollen. Innerhalb der "Großdeutschen", aber auch in anderen politischen Lagern, spielte die Anschlussbewegung weiterhin eine Rolle. In den 1920er Jahren verlor der Gedanke an Attraktivität, wurde jedoch seitens Deutschlands durch die Gründung verschiedener Verbände weiter gepflegt (unter anderem 1920 Wiener Ortsgruppe des "Österreichisch-Deutschen Volksbundes"; 1925 Gründung der "Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft" in Wien, Organ "Deutsche Einheit" 1926; Deutscher Schulverein). Unter Johannes Schober wurde der Versuch einer wirtschaftlichen Vereinigung geprüft (Zollunion, 1931), doch wurde eine solche Union durch das Haager Internationale Schiedsgericht als friedensvertragswidrig verboten. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers in Deutschland (30. Jänner 1933) kam es zu verschiedenen Maßnahmen, die einen Anschluss erzwingen sollten (Wirtschaftsboykott, "Tausend-Mark-Sperre" für Touristen, Sabotageakte, Attentate, illegale Unterwanderung, Unterstützung der österreichischen Nationalsozialisten, in denen das ursprüngliche "Nationale Lager" aufging). Auf ihrem letzten Parteitag (14.-16. Oktober 1933) strichen die Sozialdemokraten daraufhin den "Anschlussartikel" aus ihrem Parteiprogramm. Der Einmarsch deutscher Truppen am 12. März 1938 stellte die Welt vor die vollendete Tatsachen des so genannten Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich beziehungsweise der (historisch in keiner Weise begründeten) "Wiedervereinigung". Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte eine Anschlussbewegung nicht mehr entstehen.

Siehe auch: Anschluss; Volksabstimmung zum Anschluss

Videos

Stummfilmausschnitte aus dem Jahr 1925: Der erste Teil des Films dokumentiert Anreise und Empfang von Mitgliedern des „Deutsch-Österreichischen Volksbundes" durch Mitglieder des „Österreichisch-Deutschen Volksbundes". Der zweite Teil zeigt die im Zuge dieses Zusammentreffens organisierte Massenveranstaltung vor dem Wiener Rathaus. WStLA, Filmarchiv der media wien, 302
Ausschnitt eines Kompilationsfilms mit historischen Aufnahmen der Jahre 1938 - 1945 für das Gedenkjahr 1963, in dem sich der „Anschluss" Österreichs zum 25 Mal jährte. WStLA, Filmarchiv der media wien, 736

Literatur

  • Isabella Ackerl: Die Großdeutschen und der Anschluß. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 158 ff.
  • Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Wien 2018
  • Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (1938–1940), Wien 1988
  • Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994
  • Alfred Pfoser/Andreas Weigl: Die erste Stunde Null. Gründungsjahre der österreichischen Republik, Salzburg/Wien: Residenz 2017
  • Gerald Stourzh u.a. [Hg.]: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des "Anschlusses" vom März 1938. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 16)