Anschlussbewegung: Unterschied zwischen den Versionen

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==Bildquellen zur Volksabstimmung über den "Anschluss" (10. April 1938)==
 
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In den Wochen vor dem 10. April 1938, dem Tag der Volksabstimmung über den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, war Wien einer Propagandaoffensive ausgesetzt, die in ihrer Intensität bis dahin unbekannt war. Auf diese Weise gelang es den neuen nationalsozialistischen Machthabern, eine Art permanente Volksfeststimmung zu erzeugen. Bis zum Tag der Abstimmung steigerte sich diese Stimmung noch und kulminierte in einem regelrechten Vereinigungstaumel.
 
In den Wochen vor dem 10. April 1938, dem Tag der Volksabstimmung über den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, war Wien einer Propagandaoffensive ausgesetzt, die in ihrer Intensität bis dahin unbekannt war. Auf diese Weise gelang es den neuen nationalsozialistischen Machthabern, eine Art permanente Volksfeststimmung zu erzeugen. Bis zum Tag der Abstimmung steigerte sich diese Stimmung noch und kulminierte in einem regelrechten Vereinigungstaumel.
  
 
==Propagandaaktionen in der ganzen Stadt==
 
==Propagandaaktionen in der ganzen Stadt==
 
 
Mit den modernsten Medien der damaligen Zeit war die erprobte NS-Propagandamaschinerie ausgezogen, um die noch unentschlossenen Teile der österreichischen Bevölkerung von einer gleichsam paradiesischen Zukunft im "Dritten Reich" zu überzeugen. Filme, Plakate, Flugtransparente, Lichtreklame, Flugzettel, Bilder und Musik aus 20.000 gratis verteilten "Volksempfängern" sollten ebenso dazu beitragen wie 200.000 in der Stadt plakatierte Hitlerbilder.
 
Mit den modernsten Medien der damaligen Zeit war die erprobte NS-Propagandamaschinerie ausgezogen, um die noch unentschlossenen Teile der österreichischen Bevölkerung von einer gleichsam paradiesischen Zukunft im "Dritten Reich" zu überzeugen. Filme, Plakate, Flugtransparente, Lichtreklame, Flugzettel, Bilder und Musik aus 20.000 gratis verteilten "Volksempfängern" sollten ebenso dazu beitragen wie 200.000 in der Stadt plakatierte Hitlerbilder.
  
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==Werbeslogans und Prachtbauten==
 
==Werbeslogans und Prachtbauten==
 
 
Der bei diesen Veranstaltungen am häufigsten skandierte Spruch "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" war auf unzähligen Plakaten und Transparenten anzutreffen. Diese wiederum fanden sich auf so gut wie allen öffentlichen, aber auch auf unzähligen privaten Gebäuden. Weiters war dieser Spruch auf monströsen Propagandaskulpturen und auf Straßenbahnwaggons montiert. Es waren aber auch andere Sätze wie "Reicht Euch die Hände Germanen von [[Donau]] bis zum Rhein" zu lesen. Die größte Propagandaskulptur stand vor dem Westbahnhof. Für die Ankommenden waren die drei quaderförmigen Säulen, die mit Hakenkreuzen beziehungsweise einem Reichsadler bekrönt waren, unübersehbar. Die beiden äußeren Säulen waren circa 15 Meter hoch, die mittlere etwas niedriger. Auch an vielen anderen wichtigen Stellen des Stadtverkehrs waren Propagandabauten in allen möglichen Formen errichtet worden, etwa am unteren Ende der [8Mariahilfer Straße]], auf dem [[Hietzing]]er Hauptplatz, vor der [[Staatsoper]], vor dem Rathaus und vor dem Universitätsgebäude. Auf letzterem war eine große Karte des Deutschen Reiches samt Österreich zu sehen. Die zwischen diesen Ländern eingezeichnete Grenze war dabei rot durchgestrichen und darüber ein Schriftzug mit "75 Millionen - JA!" zu lesen.
 
Der bei diesen Veranstaltungen am häufigsten skandierte Spruch "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" war auf unzähligen Plakaten und Transparenten anzutreffen. Diese wiederum fanden sich auf so gut wie allen öffentlichen, aber auch auf unzähligen privaten Gebäuden. Weiters war dieser Spruch auf monströsen Propagandaskulpturen und auf Straßenbahnwaggons montiert. Es waren aber auch andere Sätze wie "Reicht Euch die Hände Germanen von [[Donau]] bis zum Rhein" zu lesen. Die größte Propagandaskulptur stand vor dem Westbahnhof. Für die Ankommenden waren die drei quaderförmigen Säulen, die mit Hakenkreuzen beziehungsweise einem Reichsadler bekrönt waren, unübersehbar. Die beiden äußeren Säulen waren circa 15 Meter hoch, die mittlere etwas niedriger. Auch an vielen anderen wichtigen Stellen des Stadtverkehrs waren Propagandabauten in allen möglichen Formen errichtet worden, etwa am unteren Ende der [8Mariahilfer Straße]], auf dem [[Hietzing]]er Hauptplatz, vor der [[Staatsoper]], vor dem Rathaus und vor dem Universitätsgebäude. Auf letzterem war eine große Karte des Deutschen Reiches samt Österreich zu sehen. Die zwischen diesen Ländern eingezeichnete Grenze war dabei rot durchgestrichen und darüber ein Schriftzug mit "75 Millionen - JA!" zu lesen.
  
 
==Zielgruppenorientierte Werbung==
 
==Zielgruppenorientierte Werbung==
 
 
Manche Propagandasprüche richteten sich an konkrete Zielgruppen wie etwa die Arbeiterschaft, die in Wien traditionellerweise der Sozialdemokratie verbunden war. Auf einem etwa vier Meter hohen, vor dem Rathaus aufgestellten Quader war in großen Lettern die Aufschrift "Seid Sozialisten der Tat" zu lesen. Auf einem anderen Foto ist zu sehen, wie vor den Wiener Gaswerken eine uniformierte Kapelle spielt, darüber ein Transparent mit der Aufschrift: "Durch unseren Führer Adolf Hitler wieder in Arbeit und Brot. Die Opfer vom Februar 1934". Ganz offensichtlich warben die neuen Machthaber um Personen, die durch den Verlust ihrer Arbeitsplätze zu Opfern des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes geworden waren.
 
Manche Propagandasprüche richteten sich an konkrete Zielgruppen wie etwa die Arbeiterschaft, die in Wien traditionellerweise der Sozialdemokratie verbunden war. Auf einem etwa vier Meter hohen, vor dem Rathaus aufgestellten Quader war in großen Lettern die Aufschrift "Seid Sozialisten der Tat" zu lesen. Auf einem anderen Foto ist zu sehen, wie vor den Wiener Gaswerken eine uniformierte Kapelle spielt, darüber ein Transparent mit der Aufschrift: "Durch unseren Führer Adolf Hitler wieder in Arbeit und Brot. Die Opfer vom Februar 1934". Ganz offensichtlich warben die neuen Machthaber um Personen, die durch den Verlust ihrer Arbeitsplätze zu Opfern des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes geworden waren.
 
Auf dem katholischen Milieu verhaftete Wählerinnen und Wähler zielte eine riesige Tafel vor dem Stephansdom. Sie zeigte zwei Engelsfiguren, die ihre Arme zum Gruß dem Wort "JA" entgegenstreckten. Ein Straßenschild am "Adolf-Hitler-Platz" war wie ein katholisches Heiligenbild gestaltet. Mit frischem Tannenreisig umrahmt und blumengeschmückt, zeigte es ein Porträt des "Führers". Über einem Kriegerdenkmal, auf dessen Sockel ein Kruzifix montiert war, war der monumentale Schriftzug "Sie starben, damit Deutschland lebe" zu lesen. Auch die Gefallenen Österreich-Ungarns wurden damit für das Deutsche Reich vereinnahmt.
 
Auf dem katholischen Milieu verhaftete Wählerinnen und Wähler zielte eine riesige Tafel vor dem Stephansdom. Sie zeigte zwei Engelsfiguren, die ihre Arme zum Gruß dem Wort "JA" entgegenstreckten. Ein Straßenschild am "Adolf-Hitler-Platz" war wie ein katholisches Heiligenbild gestaltet. Mit frischem Tannenreisig umrahmt und blumengeschmückt, zeigte es ein Porträt des "Führers". Über einem Kriegerdenkmal, auf dessen Sockel ein Kruzifix montiert war, war der monumentale Schriftzug "Sie starben, damit Deutschland lebe" zu lesen. Auch die Gefallenen Österreich-Ungarns wurden damit für das Deutsche Reich vereinnahmt.
  
 
==Überwältigende Zustimmung==
 
==Überwältigende Zustimmung==
 
 
Schon seit den Märztagen des "Anschlusses" waren gegenüber der jüdischen Bevölkerung Wiens pogromartige Ausschreitungen im Gange. Auch Verhaftungen und Deportierungen der führenden Persönlichkeiten des Ständestaates sowie der Sozialdemokratie, der Kommunistischen Partei und der Monarchisten fanden statt. Angesichts dessen wirkt das überwältigend positive Ergebnis von 99,6 Prozent Ja-Stimmen als geradezu obszön. Zu diesem Ergebnis gilt es festzuhalten, dass etwa acht Prozent der Bevölkerung (Juden und verhaftete politische Gegner) von den Wahlen von vorneherein ausgeschlossen blieben. Ebenso bestanden Ängste, dass eine Nein-Stimme nicht anonym bleiben würde.
 
Schon seit den Märztagen des "Anschlusses" waren gegenüber der jüdischen Bevölkerung Wiens pogromartige Ausschreitungen im Gange. Auch Verhaftungen und Deportierungen der führenden Persönlichkeiten des Ständestaates sowie der Sozialdemokratie, der Kommunistischen Partei und der Monarchisten fanden statt. Angesichts dessen wirkt das überwältigend positive Ergebnis von 99,6 Prozent Ja-Stimmen als geradezu obszön. Zu diesem Ergebnis gilt es festzuhalten, dass etwa acht Prozent der Bevölkerung (Juden und verhaftete politische Gegner) von den Wahlen von vorneherein ausgeschlossen blieben. Ebenso bestanden Ängste, dass eine Nein-Stimme nicht anonym bleiben würde.
  
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* Helene Maimann: Die Reaktionen der Auslandspresse auf den "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 116 ff
 
* Helene Maimann: Die Reaktionen der Auslandspresse auf den "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 116 ff
 
* Gerald Stourzh u.a. [Hg.]: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des "Anschlusses" vom März 1938. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 16)
 
* Gerald Stourzh u.a. [Hg.]: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des "Anschlusses" vom März 1938. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 16)
* Zeitzeugnisse, https://www.wien.gv.at/kultur/archiv/geschichte/zeugnisse/anschlussbilder.html (24.08.2016)
 

Version vom 24. August 2016, 14:35 Uhr

Propaganda für die Volksabstimmung im April 1938
Daten zum Eintrag
Datum von 1800
Datum bis 1945
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Recherche
Letzte Änderung am 24.08.2016 durch WIEN1.lanm08mic
Bildname Anschlussbewegung.jpg
Bildunterschrift Propaganda für die Volksabstimmung im April 1938

Es wurden noch keine Bezeichnungen erfasst!


Anschlussbewegung. Unter dieser Bezeichnung verstand man Bestrebungen, die eine Vereinigung Österreichs mit Deutschland zum Ziel hatten.

Erstmals tauchen derartige Gedanken in der Zeit der Romantik auf, als man den mittelalterlichen Begriff des Heiligen Römischen Reiches mit einem deutschen Nationalstaat gleichzusetzen versuchte. Ausgelöst durch die Revolution von 1848 wurde neuerlich eine Vereinigung diskutiert; die "Großdeutschen" im Frankfurter Parlament (1848/1849) strebten jedoch eine Vereinigung unter österreichischer Führung an. Durch den preußisch-österreichischen Krieg von 1866 kamen diese Gedanken zum Erliegen. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts griff Georg Schönerer den Gedanken in anderer Form wieder auf; er stützte sich vor allem auf Studenten, Intellektuelle und Teile des Bürgertums.

Werbung für den Anschluss auf einem Straßenbahnwaggon
Monumentale Bauten beherrschten das Stadtbild
Im Stil eines Heiligenbildes umranktes Porträt von Adolf Hitler

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die Lebensfähigkeit Österreichs von vielen in Frage gestellt wurde, bezeichnete die Provisorische Nationalversammlung im Verfassungsgesetz vom 12. November 1918 Österreich als einen Bestandteil der Deutschen Republik ("Deutsch-Österreich"); die politischen Parteien nahmen den "Anschluss" durchwegs in ihre Programme auf. Artikel 88 des Friedensvertrags von Saint Germain (1919) verbot Österreich die Bezeichnung "Deutsch-Österreich" und machte einen Verzicht auf die Unabhängigkeit von einer Genehmigung des Völkerbunds abhängig. (Bei Gewährung der Anleihe von 1922 wurde der Anschluss erneut untersagt.) Innerhalb der "Großdeutschen", aber auch in anderen politischen Lagern, spielte die Anschlussbewegung weiterhin eine Rolle. In den 1920er Jahren verlor der Gedanke an Attraktivität, wurde jedoch seitens Deutschlands durch die Gründung verschiedener Verbände weiter gepflegt (unter anderem 1920 Wiener Ortsgruppe des "Österreichisch-Deutschen Volksbundes"; 1925 Gründung der "Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft" in Wien, Organ "Deutsche Einheit" 1926; Deutscher Schulverein). Unter Johannes Schober wurde der Versuch einer wirtschaftlichen Vereinigung geprüft (Zollunion, 1931), doch wurde eine solche Union durch das Haager Internationale Schiedsgericht als friedensvertragswidrig verboten. Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers in Deutschland (30. Jänner 1933) kam es zu verschiedenen Maßnahmen, die einen Anschluss erzwingen sollten (Wirtschaftsboykott, "Tausend-Mark-Sperre" für Touristen, Sabotageakte, Attentate, illegale Unterwanderung, Unterstützung der österreichischen Nationalsozialisten, in denen das ursprüngliche "Nationale Lager" aufging). Auf ihrem letzten Parteitag (14.-16. Oktober 1933) strichen die Sozialdemokraten daraufhin den "Anschlussartikel" aus ihrem Parteiprogramm. Der Einmarsch deutscher Truppen am 12. März 1938 stellte die Welt vor die vollendete Tatsachen des so genannten Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich beziehungsweise der (historisch in keiner Weise begründeten) "Wiedervereinigung". Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte eine Anschlussbewegung nicht mehr entstehen.

Bildquellen zur Volksabstimmung über den "Anschluss" (10. April 1938)

In den Wochen vor dem 10. April 1938, dem Tag der Volksabstimmung über den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, war Wien einer Propagandaoffensive ausgesetzt, die in ihrer Intensität bis dahin unbekannt war. Auf diese Weise gelang es den neuen nationalsozialistischen Machthabern, eine Art permanente Volksfeststimmung zu erzeugen. Bis zum Tag der Abstimmung steigerte sich diese Stimmung noch und kulminierte in einem regelrechten Vereinigungstaumel.

Propagandaaktionen in der ganzen Stadt

Mit den modernsten Medien der damaligen Zeit war die erprobte NS-Propagandamaschinerie ausgezogen, um die noch unentschlossenen Teile der österreichischen Bevölkerung von einer gleichsam paradiesischen Zukunft im "Dritten Reich" zu überzeugen. Filme, Plakate, Flugtransparente, Lichtreklame, Flugzettel, Bilder und Musik aus 20.000 gratis verteilten "Volksempfängern" sollten ebenso dazu beitragen wie 200.000 in der Stadt plakatierte Hitlerbilder.

Anhand einer im Wiener Stadt- und Landesarchiv (MA 8) archivierten Fotoserie lassen sich viele der damaligen Propagandaaktionen heute noch nachvollziehen. Dazu gehören mehrere Großveranstaltungen, die im Vorfeld der Volksabstimmung stattgefunden haben wie etwa der Beamtenappell auf dem in Adolf Hitler-Platz umbenannten Wiener Rathausplatz am 8. April 1938. 70.000 öffentlich Bedienstete nahmen daran teil. Ein weiteres Beispiel sind die Massenausspeisungen von Wiener Bürgerinnen und Bürgern am Heldenplatz durch die deutsche Polizei. Für über 2.000 Personen waren Tische und Bänke auf- und Gulaschkanonen bereitgestellt. Den Höhepunkt dieser Veranstaltungen bildete der "Tag des Großdeutschen Reiches" am 9. April 1938. Adolf Hitler war dazu eigens nach Wien angereist und fuhr am Vortag des Palmsonntags wie ein Messias im offenen Wagen durch die Mariahilfer Straße zum Rathaus. Dort hielten er und Propagandaminister Joseph Goebbels vom Balkon aus eine Rede.

Werbeslogans und Prachtbauten

Der bei diesen Veranstaltungen am häufigsten skandierte Spruch "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" war auf unzähligen Plakaten und Transparenten anzutreffen. Diese wiederum fanden sich auf so gut wie allen öffentlichen, aber auch auf unzähligen privaten Gebäuden. Weiters war dieser Spruch auf monströsen Propagandaskulpturen und auf Straßenbahnwaggons montiert. Es waren aber auch andere Sätze wie "Reicht Euch die Hände Germanen von Donau bis zum Rhein" zu lesen. Die größte Propagandaskulptur stand vor dem Westbahnhof. Für die Ankommenden waren die drei quaderförmigen Säulen, die mit Hakenkreuzen beziehungsweise einem Reichsadler bekrönt waren, unübersehbar. Die beiden äußeren Säulen waren circa 15 Meter hoch, die mittlere etwas niedriger. Auch an vielen anderen wichtigen Stellen des Stadtverkehrs waren Propagandabauten in allen möglichen Formen errichtet worden, etwa am unteren Ende der [8Mariahilfer Straße]], auf dem Hietzinger Hauptplatz, vor der Staatsoper, vor dem Rathaus und vor dem Universitätsgebäude. Auf letzterem war eine große Karte des Deutschen Reiches samt Österreich zu sehen. Die zwischen diesen Ländern eingezeichnete Grenze war dabei rot durchgestrichen und darüber ein Schriftzug mit "75 Millionen - JA!" zu lesen.

Zielgruppenorientierte Werbung

Manche Propagandasprüche richteten sich an konkrete Zielgruppen wie etwa die Arbeiterschaft, die in Wien traditionellerweise der Sozialdemokratie verbunden war. Auf einem etwa vier Meter hohen, vor dem Rathaus aufgestellten Quader war in großen Lettern die Aufschrift "Seid Sozialisten der Tat" zu lesen. Auf einem anderen Foto ist zu sehen, wie vor den Wiener Gaswerken eine uniformierte Kapelle spielt, darüber ein Transparent mit der Aufschrift: "Durch unseren Führer Adolf Hitler wieder in Arbeit und Brot. Die Opfer vom Februar 1934". Ganz offensichtlich warben die neuen Machthaber um Personen, die durch den Verlust ihrer Arbeitsplätze zu Opfern des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes geworden waren. Auf dem katholischen Milieu verhaftete Wählerinnen und Wähler zielte eine riesige Tafel vor dem Stephansdom. Sie zeigte zwei Engelsfiguren, die ihre Arme zum Gruß dem Wort "JA" entgegenstreckten. Ein Straßenschild am "Adolf-Hitler-Platz" war wie ein katholisches Heiligenbild gestaltet. Mit frischem Tannenreisig umrahmt und blumengeschmückt, zeigte es ein Porträt des "Führers". Über einem Kriegerdenkmal, auf dessen Sockel ein Kruzifix montiert war, war der monumentale Schriftzug "Sie starben, damit Deutschland lebe" zu lesen. Auch die Gefallenen Österreich-Ungarns wurden damit für das Deutsche Reich vereinnahmt.

Überwältigende Zustimmung

Schon seit den Märztagen des "Anschlusses" waren gegenüber der jüdischen Bevölkerung Wiens pogromartige Ausschreitungen im Gange. Auch Verhaftungen und Deportierungen der führenden Persönlichkeiten des Ständestaates sowie der Sozialdemokratie, der Kommunistischen Partei und der Monarchisten fanden statt. Angesichts dessen wirkt das überwältigend positive Ergebnis von 99,6 Prozent Ja-Stimmen als geradezu obszön. Zu diesem Ergebnis gilt es festzuhalten, dass etwa acht Prozent der Bevölkerung (Juden und verhaftete politische Gegner) von den Wahlen von vorneherein ausgeschlossen blieben. Ebenso bestanden Ängste, dass eine Nein-Stimme nicht anonym bleiben würde.

Der Propagandamaschinerie gelang es, bei sehr vielen Leuten negative Erfahrungen und bestehende Bedenken auszublenden. Die Menschen gönnten sich einen Augenblick des Glücks und des Triumphes, letzterer vor allem gegenüber den Gegnern des Ersten Weltkrieges. Die nationalsozialistische Propaganda belebte die starke Empfindung eines 1918 beziehungsweise 1919 in Versailles und Saint Germain en Laye erlittenen Unrechts wieder. Ebenso entfachte sie den bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland von nahezu allen politischen Kräften gehegten Wunsch nach einem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich neu. Viele Österreicherinnen und Österreicher empfanden die Republik Österreich als politisch bedeutungslos und konnten sich mit ihr nur schwer anfreunden.

Die Ja-Empfehlungen des in der Sozialdemokratie hoch angesehenen Karl Renner, des Kardinals Theodor Innitzer als Repräsentanten der österreichischen Bischofskonferenz sowie von Vertretern der Evangelischen Kirche haben bei vielen dazu beigetragen, letzte Bedenken auszuräumen. Dass selbst die Vertreter der tschechischen und slowakischen Minderheit für ein "Ja" geworben haben, zeigt, dass bei den genannten gesellschaftlichen Gruppen und ihren Repräsentanten keineswegs nur Überzeugungen und Hoffnungen, sondern auch massive Ängste um die eigene Klientel eine Rolle gespielt haben.

Literatur

  • Gerhard Jagschitz: NSDAP und "Anschluß" in Wien 1938. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 147 ff.
  • Isabella Ackerl: Die Großdeutschen und der Anschluß. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 158 ff.
  • Helene Maimann: Die Reaktionen der Auslandspresse auf den "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich. In: Wien 1938. [Hg. und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 116 ff
  • Gerald Stourzh u.a. [Hg.]: Österreich, Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des "Anschlusses" vom März 1938. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1990 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 16)