Tschechen

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Chor der Wiener Tschechen feiert Jan Hus ('Seht den Ketzer!') am Tschechischen-Herz-Platz um 1930.
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Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Bildname Tschechischer Chor.jpg
Bildunterschrift Chor der Wiener Tschechen feiert Jan Hus ('Seht den Ketzer!') am Tschechischen-Herz-Platz um 1930.

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Tschechische Kaufleute waren bereits im Mittelalter in Wien ansässig und werden auch von Schmeltzl (1548) und Lazius (1619) erwähnt. Zuwanderer (vor allem Herrschaftsdiener und Arbeiter) kamen auch während des 30jährigen Kriegs nach Wien.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (in der eine relativ starke tschechische Einwanderung festzustellen ist) erfolgte die Ansiedlung überwiegend in den Vorstädten Landstraße und Wieden; 1761 erschien die erste tschechische Zeitung in Wien (eine zweite folgte 1813-1818).

Unter Joseph II. wurde an der Universität Wien 1775 eine Lehrkanzel für tschechische Sprache geschaffen. Maria am Gestade wurde die tschechische Nationalkirche (1820). Die Industrialisierung der Gründerzeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte eine wesentliche Verstärkung der Zuwanderung zur Folge; vorwiegend kamen Arbeiter (beispielsweise Ziegelindustrie) und Handwerker (insbesondere Schneider, Schuster, Tischler, Schlosser, Schmiede und Hafner) nach Wien, die rund zwei Drittel der Einwanderer stellten; dazu kam weibliches Dienstpersonal (besonders böhmische Köchinnen, Dienstmädchen und Ammen) in den adeligen und großbürgerlichen Haushalten. Aber auch Akademiker zogen in die Haupt- und Residenzstadt; so kamen neben anderen Professoren auch bedeutende Männer der II. Medizinischen Schule aus Böhmen und Mähren an die Wiener Universität.

Der starke Zuzug führte bald zur Etablierung slawischer Vereine: 1862 wurde der "Slawische Gesangsverein" begründet (aus dem 1866 der tschechische Verein "Lumir" hervorging), 1863 entstand der Theaterverein "Pokrok", 1864 der slawische Geselligkeitsverein "Slovanská Beseda", 1868 der "Akademische Verein" und ein vom "Tschechoslowakischen Arbeiterverband" errichteter Schulausschuss (aus dem 1872 der "Komensky-Verein" hervorging, der 1882 in Favoriten die erste tschechische Schule Wiens eröffnete).

Die genaue Zahl der Zuwanderer ist nicht erfassbar, doch gaben bei der Volkszählung 1900 rund 103.000 der damals 1,7 Millionen Einwohner Wiens Tschechisch oder Slowakisch als Muttersprache an (obwohl der Begriff "Umgangssprache" von den Statistikern oft merkwürdig interpretiert wurde). Um die Jahrhundertwende erreichte der tschechische Bevölkerungsanteil, besonders im zehnten Bezirk, seinen Höhepunkt; hier ergaben sich auch, insbesondere in den Ziegelwerken, häufig soziale Unzukömmlichkeiten, die von Viktor Adler 1888 angeprangert wurden.

Nach dem Ersten Weltkrieg übersiedelten zwar rund 150.000-200.000 Tschechen aus Österreich in den neuen Staat "Tschechoslowakei", doch zählte man bei der Volkszählung 1923 in Wien dennoch 81.435 Personen mit tschechischer oder slowakischer Muttersprache. Die bei den Gemeinderatswahlen am 4. Mai 1919 kandidierende "Partei der sozialistischen und demokratischen Tschechoslowaken" entsandte in den Gemeinderat acht der 165 Gemeinderäte und stellte einen Stadtrat (bei späteren Gemeinderatswahlen trat sie nicht mehr in Erscheinung). Nach 1923 gab es in Wien eine Reihe tschechischer Schulen (zwei Mittel-, sechs Haupt- und 21 Volksschulen, eine Handelsschule), 17 Kindergärten und zwei Tageszeitungen, die in eigenen Druckereien hergestellt wurden. Durch die Nationalsozialisten wurden 1938-1942 alle tschechischen Einrichtungen aufgelöst.

Nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" kamen 1968/1969 rund 162.000 Flüchtlinge nach Österreich. Von den 1991 in Österreich befindlichen 19.458 Personen mit tschechischer Umgangssprache lebte fast die Hälfte in Wien.

Erlöserkirche (3, Rennweg 63) ("Böhmische Kirche"), Böhmischer Prater, Zum Schützen (Böhmisches Casino). Tschechischer Dritter Orden des heiligen Franziskus.

Literatur

  • Monika Glettler: Die Wiener Tschechen um 1900. Strukturanalyse einer nationalen Minderheit in der Großstadt. München / Wien: Oldenbourg 1972
  • Monika Glettler: Böhmisches Wien. Wien: Herold 1985
  • Monika Glettler: Tschechen und Slowaken in Wien. In: Peter Eppel (Red.): Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1996 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 217 ), S. 102 ff.
  • Karl M. Brousek: Wien und seine Tschechen. Integration und Assimilation einer Minderheit im 20. Jahrhundert. In: Schriftenreihe des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 7 (1980)
  • Jiři Kořalka: Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815-1914. In: Schriftenreihe des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 18 (1991)
  • Adolf Mais: Die Tschechen in Wien. In: Wiener Geschichtsblätter 12 (1957), S. 56 ff.
  • Walter Hummelberger: Die Wiener Tschechen und der "Anschluß". In: Felix Czeike (Hg.): Wien 1938. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 293 ff.
  • Johann Neumann: Tschechische Familiennamen in Wien. Eine namenskundliche Dokumentation. Wien: Holzhausen 1977
  • Tino Erben [Red.]: Traum und Wirklichkeit. Wien 1870 – 1930. Wien: Eigenverlag der Museen der Stadt Wien 1985 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 93), S. 152 ff.
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien [u.a.] : Jugend & Volk 1988, S. 127 f. (Tschechische Sozialisten)