Kasperltheater

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Das Kasperltheater der Barbara Fux, um 1890
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Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Bildunterschrift Das Kasperltheater der Barbara Fux, um 1890

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Das Kasperltheater oder Wursteltheater, ein Puppenspiel mit Kasperl als komischer Hauptfigur, gehört zu den ältesten Praterunterhaltungen und knüpft gleichermaßen an die Hanswurstiaden (Hanswurst) des 18. Jahrhunderts wie an die Zauberpossen des Vormärz auf den Wiener Volksbühnen an. Das Kasperltheater gab dem Prater seinen populären Namen ("Wurstelprater").

Entwurfszeichnung für das neu zu errichtende Kasperltheater der Barbara Fux, 1872

Geschichte

Der Grazer Schauspieler Josef Anton Stranitzky brachte 1706 die Hans Wurst-Figur nach Wien, für die er das Kostüm eines Salzburger Bauerns wählte. Vorbild dafür waren aus Holz geschnitzte Figuren, mit denen man schon seit dem Spätmittelalter auf Jahrmärkten komische Rollen verkörperte. 1714 trat Stranitzy, Direktor des Kärntnertortheaters, vor dem Kaiserpaar auf. Dem Arlecchino der Commedia dell’arte gab er ein wienerisches Profil.

Der Name Kasperl stammt vom Pressburger Johann Josef La Roche, der in Wien im Leopoldstätter Theater unter diesem Namen als Lumpenhändler auftrat. Bald wurde das Leopoldstädter Theater "Kasperl-Theater" genannt. Kasperl wurde so populär, dass sogar das Geldstück, das der Eintritt ins Theater kostete, im Volksmund "Kasperl" genannt wurde. Der Bühnenreformer Gottsched (1700–1766) wollte sämtliche Hans Wurst-Typen von der Bühne verbannen. Der Theaterzensor Joseph von Sonnenfels bekämpfte ebenfalls im Sinne Gottscheds den Kasperl, der als Wurstel im Puppentheater wieder auflebte.

Praterkasperl

Besonders im Prater fand er ein geeignetes Terrain. Die ersten beiden Attraktionen nach der Öffnung des Jagdgebietes für die Bevölkerung 1766 waren eine Bierausschank und ein Kasperltheater. Bereits 1782 gab es im Prater das Gasthaus "Zum Hanswurst". Das älteste Kasperltheater dürfte der sogenannte "Kaiserwurstel" gewesen sein. Um 1830 entstand das berühmte Wursteltheater der Barbara Fux. Ende des 19. Jahrhundert gab es im Prater zahlreiche Kasperltheater; so wurde etwa 1898 eines im Kaisergarten aufgestellt. In den 1920er und 1930er Jahren ging jedoch ihre Zahl kontinuierlicher zurück. Bis zur Zerstörung des Praters im Jahr 1945 bestanden im Prater zwei beliebte Kasperltheater. Eines stand auf dem Platz "Zum Segen Gottes", ein anderes in der Nähe des "Toboggan". Wolfgang Kindler spielte seit 1958 in der Straße des Ersten Mai 55b mit seinem "Kasperl & Strolchi". Das Kasperltheater befand sich skurriler Weise unter einem Dach mit dem Cinema Erotica, dem ersten Sex-Kino in Wien. Nach Kindlers Tod im Jahr 1985 bespielte der Schweizer Puppenspieler Peter Meier vom Circus Knie das Kasperltheater für zwei Saisonen. 1993 übernahmen die Puppenspieler Thomas Ettl und Elis Veit des "Original Wiener Praterkasperls" (vormals Zanni) eine kleine Bude neben dem "Gasthaus zum Englischen Reiter". 1997 übersiedelte der "Original Wiener Praterkasperl" in eine großzügige Container-Anlage mit Garten in die Nähe des Schweizerhauses. 2006 eröffnet das neue Wurstel-Theater am neuen Wurstel-Platz. Neben Kindervorstellungen gibt es nun wieder kabarettistische Erwachsene-Vorstellungen.

Puppentheater

Ab dem 19. Jahrhundert gibt es auch kleine Kasperltheater, die in Kinderzimmern des Bürgertums weite Verbreitung fanden.

Historische Vorlagen der Kasperlfigur

Im altindischen Rigveda bekämpft der lebensfrohe Kindgott Indra vor über 3.000 Jahren mit seiner Pritsche ein Schmuzelmoster. Indra wird immer wieder als Vögelchen bezeichnet und Vogelmenschen spielen in der antiken Komödie von Griechenland und Italien eine wesentliche Rolle. Ein Spielgefährte des Indra ist im Rigveda der zipfelmützige Kindgott Mithra. Bereits von Mithra hat vermutlich der Kasperl seine rote Zipfelmütze. In der neapolitanischen Figur des Pulcinella finden wir die Vogelmaske wieder. Von dieser Schnabel-Form stammt Kasperls große Nase. Pucinella heißt "Kleines Huhn" und die komische Figur des Pulcinella hat sich im Stegreiftheater der italienischen Renaissance in ganz Europa verbreitet. In England wird er zum Punch, in Frankreich zum Polichinelle, in Russland zu Petruschka und auch Mozarts Papageno steht in dieser Tradition. Das bunte Flickengewand des Kasperls stammt vom Helequin, einem gutmütigen Teufel der römischen Unterwelt aus dem sich die Figur des Harlekin entwickelte. Helequin war Aufseher in der römischen Unterwelt und führte die Verstorbenen (meist aus Mitleid mit Liebenden) mit seiner Pritsche bewaffnet am Höllenhund vorbei wieder ins Leben. In der Commedia dell’arte wurde aus dieser aufmüpfigen und beliebten Figur Harlekin. Aus dem räudigen Fell des Teufels wurden die bunten Rhomben des so typischen Kostümes. Noch heute ähnelt das Krokodil im Pulcinella-Theater mit seinem zotteligen Fell einem Hund. Hellequins Charakter findet sich auch im Kasperl wieder: er ist freundlich, hilfsbereit, lustig, triebhaft, faul, im doppelten Sinne schlagfertig und setzt sich bedenkenlos über Autoritäten hinweg.

Text: Elis Veit, Original Wiener Praterkasperl


Praterkasperl 2017

Literatur

  • Ursula Storch: Das Pratermuseum. 62 Stichwörter zur Geschichte des Praters. Wien: Eigenverl. d. Museen d. Stadt Wien 1993, S. 34 f.
  • Gottfried Heindl: Wien. Brevier einer Stadt. Wien [u.a.]: P. Neff 1972, S. 142
  • Marcello La Speranza: Prater-Kaleidoskop. Eine fotohistorische Berg- und Talfahrt durch den Wiener Wurstelprater. Wien: Picus-Verlag 1997