Genossenschaftsverlag

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Daten zur Organisation
Art der Organisation Verlag
Datum von 1919
Datum bis 1922
Benannt nach
Prominente Personen
PageID 69652
GND
WikidataID
Objektbezug Verlagsgeschichte
Quelle Murray G. Hall: Österr. Verlagsgeschichte
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Letzte Änderung am 25.11.2020 durch WIEN1.lanm09was

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Im deutschen Sprachraum kam bereits im Zeitalter der Aufklärung die Idee auf, sein eigener Verleger zu werden. Schon Friedrich Gottlieb Klopstock machte sich über die Möglichkeit einer "Literatur ohne Buchhandel" Gedanken, als er am Vorabend der Französischen Revolution 1773 seine "Deutsche Gelehrtenrepublik" konzipierte. Das Prinzip war, Schriftsteller und Gelehrte aus den Händen "blutsaugerischer" Verleger zu lösen und ihnen den Ertrag ihrer Arbeit uneingeschränkt zukommen zu lassen. Die "Deutsche Gelehrtenrepublik" kam über die ersten Anfänge nicht hinaus; eine 1781 in Dessau von Karl Christopher Reiche gegründete "Buchhandlung der Gelehrten" hielt sich fast vier Jahre, bevor sie in einem etablierten Verlag (Göschen) unterging. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die "Sozialisierung des dichterischen Schaffens" von Standesvertretungen vehement propagiert. Dem von Unterhaltungsschriftstellern dominierten Markt wollte man nicht auch die anspruchsvolle Literatur anvertrauen. Bald darauf entstanden auch in Österreich genossenschaftliche organisierte Verlage.

"Daimon" und "Der neue Daimon"

Im Februar des Jahres 1918 erschien zum ersten Mal eine literarische Zeitschrift des (österreichischen) Expressionismus: "Daimon". Herausgeber war der Arzt Jacob Levy Moreno,"verantwortlicher Redakteur" war Ernst Wilhartitz, in dessen Verlagsdruckerei "Frisch & Co." sowohl der "Daimon" als auch dessen Nachfolger "Der neue Daimon" hergestellt wurde. Der "Daimon" wurde nach den vier Folgen des Jahres 1918 ab Jänner 1919 als "Der neue Daimon. Eine Monatsschrift" fortgeführt. Sie erschien im Verlag der "Daimon-Schriften", Wien I., Bauernmarkt 9. Levy blieb bis zum Herbst 1919 Herausgeber. Mit Heft 3/4, April 1919 erschien die Zeitschrift in einem "neuen" Verlag, dem "Genossenschaftsverlag". Sonst hatte sich nichts geändert: Standort, Herausgeber, Redakteur und Drucker blieben gleich, nur die Rechtsform war eine andere. Stichwort: "Sozialisierung des dichterischen Schaffens".

Genossenschaftsverlag

1919 schlossen sich sechs Autoren bzw. Schriftsteller zu einer Genossenschaft zusammen. Die "Mitglieder des ersten Vorstandes" waren: Jacob Levy Moreno, Albert Ehrenstein, Franz Werfel, Hugo Sonnenschein, Fritz Lampl und Alfred Adler. Mitglied der Genossenschaft konnte jeder Autor werden, von dem ein Werk zum Verlag angenommen wurde – womit der Verlag sämtliche Autorenrechte erwarb – und der überdies einen einmaligen Beitrag von K 250 (Geschäftsanteil) erlegte. Der "Genossenschaftsverlag" war nicht die einzige Verlagsgenossenschaft in Österreich zu dieser Zeit. Es sind hier vor allem das literarische Umfeld, die vielen Geistesverwandtschaften, die personellen und ideellen Brücken in der Wiener Literaturszene dieser Zeit, die die Komponenten für ein interessantes Kapitel österreichischer Literaturgeschichte liefern und gerade beim "Genossenschaftsverlag" konvergieren mehrere Strömungen der Zeit, wie Aktivismus und Expressionismus. Der Genossenschaftsverlag stand inmitten eines reich verästelten Netzwerkes, das Mitglieder des 1908 durch eine Vereinsumbildung gegründeten "Akademischen Verbands für Literatur und Musik in Wien" ebenso umfasste wie den Kreis um Robert Müller und Druck- bzw. Verlagsunternehmen wie den Anzengruber-Verlag, Brüder Suschitzky, den Verlag Frisch & Co., den Ed. Strache Verlag, die Waldheim-Eberle AG. und den Verlag E. P. Tal & Co. Seit ihrer Gründung im April 1919 bemühte sich die Genossenschaft um eine Buchhandelskonzession, scheiterte letztlich aber an der Bürokratie und am mangelnden Bedarf an Buchhandlungen, da Mitte 1919 im favorisierten 1. Bezirk bereits ca. 240 Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen bestanden hatten. Die Alleinauslieferung übernahm Waldheim-Eberle. Am 2. Juni 1920 zog Fritz Lampl als Vorstandsmitglied der Genossenschaft das Konzessionsgesuch zurück. Im Laufe des Jahres 1919 erschienen sechs Doppelhefte des "Neuen Daimon". Mit November 1919 wanderte die Produktion von der Druckerei "Frisch & Co." zur "Waldheim-Eberle A.G". Mehr oder weniger als Ergänzung zum "Neuen Daimon" erschien ab 1919 unter dem Titel "Die Gefährten" eine neue ungezählte Serie. Unter den Autoren finden sich durchaus prominente Namen, z. B.:
Hugo Sonnenschein: Slowakische Lieder.
Albert Ehrenstein: Die Nacht wird.
Franz Werfel: Der Dschin. Ein Märchen; Gedichte aus „Der Gerichtstag“; Blasphemie eines Irren.
Aus den Reden des Gotamo Buddha. Deutsch von Karl Eugen Neumann.
Jakob Moreno Levy: Das Testament des Vaters.
Heinrich Mann: Der Weg zur Macht. Drama in 3 Akten; Die Tote. Novelle.
Alfred Döblin: Das verwerfliche Schwein. Novelle; Lydia und Mäxchen. Tiefe Verbeugung in einem Akt; Lusitania. 3 Szenen.
Otto Stoessl: Der Hirt als Gott. Eine dramatische Sage in 3 Aufzügen.
Fritz Lampl: Flucht. Komödie in drei Akten.
Albert Ehrenstein: Karl Kraus.
Isidor Quartner: Gedichte aus dem Nachlaß.
Ernst Weiß: Stern der Dämonen. Roman; Franta Zlin. Novelle; Der bunte Dämon. Gedicht.
Oskar Kokoschka: Der weiße Tiertöter.

Robert Zellermayer, Die Erzählung. Der Krüppel. Tagebuchblätter und Aufzeichnungen aus dem Nachlaß N.R.’s, ausgewählt und herausgegeben von Stefan Tafler.

Obwohl sich manche dieser Publikationen gut verkauften und Auflagen von 2.000, 3.000 oder 4.000 Stück erreichten (Heinrich Mann), ließ der Verkaufserfolg generell zu wünschen übrig. Die bis 1922 angesammelten Schulden waren existenzbedrohend. Die Krise des Buchhandels hatte auch den "Genossenschaftsverlag" getroffen.

Literatur