Karl Kraus

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Karl Kraus (1920)
Daten zur Person
Personenname Kraus, Karl
Abweichende Namensform
Titel
Geschlecht männlich
PageID 17737
GND 118566288
Wikidata Q44328
Geburtsdatum 28. April 1874
Geburtsort Gitschin, Böhmen 4440310-0
Sterbedatum 12. Juni 1936
Sterbeort Wien 4066009-6
Beruf Satiriker, Publizist, Schriftsteller
Parteizugehörigkeit
Ereignis
Nachlass/Vorlass Österreichische Nationalbibliothek, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Wienbibliothek im Rathaus
Objektbezug Zwischenkriegszeit, Adolf Loos (Portal), Karl Kraus (Portal)
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage, Gedenktage-GW
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Recherche
Letzte Änderung am 12.04.2024 durch WIEN1.lanm09ua1
Begräbnisdatum 15. Juni 1936
Friedhof Zentralfriedhof
Grabstelle Gruppe 5A, Reihe 1, Nummer 33
Ehrengrab ehrenhalber gewidmetes Grab
Bildname Karlkraus.jpg
Bildunterschrift Karl Kraus (1920)
  • 1., Elisabethstraße 20 (Wohnadresse)
  • 4., Lothringerstraße 6 (Sterbeadresse)
  • 3., Hetzgasse 4 (Wirkungsadresse)
  • 1., Maximilianstraße (1) 13 (Wohnadresse)
  • 1., Elisabethstraße 4 (Wohnadresse)
  • 4., Schwindgasse 3 (Wohnadresse)
  • 1., Dominikanerbastei 22/6 (Wohnadresse)
Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Karl Kraus, * 28. April 1874 Gitschin, Böhmen (Jičín, Tschechische Republik), † 12. Juni 1936 Wien, Sprach- und Kulturkritiker, Satiriker, Publizist, Schriftsteller (Dramatiker, Lyriker, Aphoristiker).

Biografie

Herkunft

Karl Kraus war der jüngste Sohn einer elfköpfigen Familie und wurde 1874 in der böhmischen Kleinstadt Jičín geboren. Seine Vorfahren mütterlicherseits – die Kantors und die Frieds – lebten bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Jičín. Kraus' Großvater Ignaz Kantor war dort ein hoch angesehener Arzt, der sich im Revolutionsjahr 1848 als Mitglied der böhmischen Nationalgarde "Svornost" engagierte.

Ernestine Kantor, seine älteste Tochter, heiratete 1859 den damals 26-jährigen Geschäftsmann Jacob Kraus, der aus dem etwa 100 Kilometer entfernten Dolní Kralovice (Unterkralowitz) kam. Im Gegensatz zur weit verzweigten und ins bürgerliche Wien verheirateten Familie Kantor finden sich zu den Vorfahren von Jacob Kraus nur spärliche Daten. Nach seiner Heirat wurde Jacob Kraus allerdings rasch vom unbekannten Zugereisten zum Papier- und Ultramarinfabrikanten, der in den 1870ern auch der jüdischen Kultusgemeinde der Stadt vorstand.

Das Ehepaar Kraus hatte zehn Kinder – Emma, Richard, Aloisia (Louise), Malvine, Alfred, Gustav (1869–1871), Josef, Rudolf, Karl und Marie. Obgleich die Kindersterblichkeit inmitten von Krieg, Epidemien (wie die Cholera) und wirtschaftlichen Einbrüchen (Börsenkrach 1873) hoch war, starb von diesen nur der dritte Sohn Gustav als Kleinkind. Die noch auf der Wiener Familiengruft eingeschriebene Erinnerung an dieses Kind deutet darauf hin, wie schlimm sein Verlust empfunden wurde. 1877 – nach dem Tod seiner Schwiegermutter – übersiedelte Jacob Kraus die große Familie nach Wien, um sein Unternehmen in der Haupt- und Residenzstadt weiter auszubauen. Karl Kraus war damals drei Jahre alt.

Fotografie von Karl Kraus als ca. 5-jähriges Kind


Schulzeit in Wien

Der Umzug nach Wien bedeutete einen scharfen Bruch mit der bisherigen kleinstädtischen Lebenswelt der Familie, den der jüngste Sohn besonders stark wahrnahm. Vorerst wechselte die Familie öfter die Wohnungen, die alle an den Rändern der Inneren Stadt lagen – man war also direkt mit dem Ringstraßenbau konfrontiert.

Ab Mai 1880 besuchte Karl die Volksschule des Wiener Pädagogium. Da er allerdings ein sehr kränkliches Kind war, zog sich die Mutter mit ihm 1883 fast ganzjährig nach Weidlingau zurück – die Verbundenheit mit der Landschaft des Wiener Waldes klingt in späteren Gedichten und Erinnerungen nach.

1884 bis 1892 besuchte Karl Kraus das Franz-Josephs-Gymnasium (1., Stubenbastei 6–8), an dem Hugo Bettauer und Karl Rosner seine Mitschüler waren. Von beiden wurde Kraus als sehr behütetes Kind beschrieben. Hinweise auf jüdische Riten und Feste (etwa die Bar Mitzvah), aber auch auf Begegnungen mit Katholizismus oder Antisemitismus, mit sozialen und gesellschaftlichen Realitäten fehlen aus dieser Zeit völlig.

Im Oktober 1891 starb Ernestine Kraus in der Maximilianstraße, wo die Familie Kraus sich endgültig niedergelassen hatte, an einem Luftröhrenkatharrh. Karl war siebzehn Jahre alt und erschreckte die Familie durch die Gewalt seiner Trauer. Lebenslang bewahrte er ihren letzten Brief und ihre Todesanzeige, der er ein Haar der Toten ebenso wie ein Blatt, das auf ihr Grab gefallen war, beigelegt hatte, auf. Das mit "Familiensache" beschriftete Kuvert befindet sich heute noch in seinem Nachlass.

Studium und Frühwerk

Um 1892 begann der 17-Jährige das Café Griensteidl, das sich eben als Treffpunkt einer neuen Literatengeneration etablierte, regelmäßig aufzusuchen. Er bemühte sich um Aufnahme in die Literatenclique "Jung-Wien" und suchte Kontakte zu Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler zu etablieren.

Besonders Felix Salten wurde zu einem wichtigen Mentor, der zwischen dem sich radikal für den Naturalismus einsetzenden Kraus und der sich immer wieder neu positionierenden Clique vermittelte. Kraus wiederum war 1893/1894 Saltens Vertrauter in dessen Liaison mit der sozialdemokratischen Frauenrechtlerin Charlotte Glas. Saltens Umgang mit Glas – die ein uneheliches Kind auf die Welt brachte, das nach vier Monaten verstarb – dürfte ein Grund für den Bruch zwischen den beiden und die Abkehr vom Literatenkreis "Jung-Wien" gewesen sein; vorrangig ging es in den folgenden Konflikten aber um (künstlerische) Selbstbehauptung, Konkurrenz und Neid.

Ab Juni 1895 begann Kraus in Artikeln mit satirischen Spitzen auf die "Jung-Wiener" loszugehen. Viele der Topoi, die hier bereits auftauchten, fanden Eingang in Kraus' erste bekannte umfangreichere Satire "Die demolierte Literatur", in der er sich die Mitglieder der "Jung-Wiener-Clique" der Reihe nach vornahm. Der Text erschien in vier Folgen im Herbst/Winter 1896 in der neu gegründeten "Wiener Rundschau". Ohrfeigen, Duellforderungen und Ehrenklagen folgten und Kraus hatte nun mit der tonangebenden Literaturszene von Wien gebrochen. Nur die Freundschaft zu Peter Altenberg hatte aus dieser Zeit Bestand.

Wie seine Brüder besuchte Karl Kraus ab 1892 die Universität. Er studierte zunächst bis 1894 Rechtswissenschaften, dann Philosophie und Germanistik und brach erst 1898 das Studium ab.

Bereits in der Schul- und Studienzeit versuchte er aber vor allem, sich als Autor zu etablieren und schrieb Artikel und Rezensionen für verschiedene österreichische und deutsche Zeitschriften ("Die Gesellschaft", "Magazin für Litteratur", "Liebelei", "Wiener Familien-Journal" etc.). Zusammen mit seinem Schulfreund Anton Lindner arbeitete Kraus zudem an einer Satirenanthologie, die kritisch-soziale Satire im deutschsprachigen Raum sammeln und pflegen wollte. Dazu richteten die beiden Herausgeber ein Büro mit dem Stempel "Redaktion der Satirenanthologie" im Haus der Familie Kraus in der 1., Maximilianstraße 13 ein, lancierten einen Aufruf zur Mitarbeit in Zeitschriften und sandten zahlreiche Anfragen an bekannte Schriftsteller aus.

Nicht zuletzt erprobte sich Kraus in seiner Jugendzeit als Schauspieler. In einer Inszenierung von Schillers "Die Räuber" spielte er am Volkstheater in Rudolfsheim den Franz Moor und fiel durch. Mehr Erfolg hatte er als Vorleser "moderner" Autoren wie Gerhart Hauptmann – im Curhaus in Bad Ischl, im großen Saal des Museums in München sowie im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein las Kraus 1893 "Die Weber" und bekam gute Kritiken.

Fotografie von Karl Kraus als Jugendlicher, um 1888

"Die Fackel"

"Die demolierte Literatur" war ein großer Publikumserfolg und Kraus, der vorläufig noch als Korrespondent der "Breslauer Zeitung" arbeitete und auch kurz eine Mitarbeit in der "Neuen Freien Presse" erwog, begann 1898 über eine eigene Zeitschrift nachzudenken. "Die Fackel" erschien zwischen Anfang April 1899 und Februar 1936 in 922 Nummern auf 22.578 Seiten. Sie wurde zu einem Leitmedium der Wiener Moderne; ihr einziger Herausgeber und ab 1911 einziger Autor war Karl Kraus. Von 1901 bis zum Tod Karl Kraus wurde die Fackel bei Jahoda & Siegel gedruckt.

Während Karl Kraus in den ersten zehn Jahren seiner Herausgeberschaft noch Allianzen und Kooperationen mit anderen zeit- und gesellschaftskritischen Unternehmen und Personen suchte, Autoren wie Frank Wedekind, Oscar Wilde oder Georg Trakl in seiner Zeitschrift brachte und junge Kollegen wie Otto Soyka oder Berthold Viertel zur Mitarbeit einlud, begann 1911 die Phase der Alleinautorschaft. In spannungsreicher Auseinandersetzung mit Heinrich Heine positionierte sich Kraus als Sprachdenker neu und auch biografisch setzte er entscheidende Einschnitte: Nachdem er bereits 1899 aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetreten war, ließ er sich 1911 heimlich katholisch taufen; Adolf Loos war sein Pate.

700 Vorlesungen

Um 1910 erweiterte Kraus zudem seine Wirkungsfelder und trat nun regelmäßig als Vorleser auf: Das erste Mal las er im Berliner Salon Cassirer, der Kunstgalerie des Verlegers und Kunsthändlers Paul Cassirer. Eingeladen worden war er von Herwarth Waldens Verein für Kunst. Insgesamt trat Karl Kraus bis 1936 als Vorleser in über 40 europäischen Städten auf. Seine Lesungen waren kein exklusives Minderheitenprogramm, sondern bald fixer Bestandteil des zentraleuropäischen Kulturlebens – ab 1918 hielt Kraus selten unter 20 und teilweise sogar über 50 Vorlesungen pro Jahr ab, füllte die Säle des Wiener Konzerthauses und nutzte sogar den aufkommenden Flugverkehr, um Auftritte in verschiedensten Städten hintereinander reibungslos zu ermöglichen. Seine nicht unerheblichen Einnahmen spendete er anteilig und führte darüber genau Buch.

Der Verlauf der Vorlesungen, die Konzeption des Programmzettels wie auch der Umgang mit den Spenden folgten bald strengen Vorschriften, um die sein Publikum wusste und an die es sich zu halten hatte. Auch das schlichte Bühnensetting eines Tisches mit Leselampe, das den Vorleser ganz in den Mittelpunkt rückte, gehörte zu dieser Ritualisierung. Vielfach begleiteten vortreffliche Pianisten wie Otto Janowitz, Viktor Junk, Franz Mittler, Eduard Steuermann und dessen Schüler Georg Knepler Kraus beim Lesen und auch Singen. Zeitweise gab es Kooperationen mit anderen Organisationen – etwa mit dem "Akademischen Verband für Literatur und Musik" oder der Sozialdemokratischen Kunststelle um David Josef Bach –, doch im Wesentlichen blieben die Vorlesungen ebenso wie die "Fackel" ganz unter Kraus‘ Kontrolle.

Zum Erfolg der Vorlesungen dürfte die außerordentliche Begabung Kraus’ für die Mimesis gesprochener Sprache beigetragen haben. Schon früh standen einzelne Essays und später auch Ansprachen oder Reden im Mittelpunkt von Vorlesungen, die dem Publikum zuerst gesprochen und erst nachher gedruckt präsentiert wurden und mit denen Kraus seine Zuhörerinnen und Zuhörer beeinflussen und zu (politischem) Handeln bewegen wollte. Eine weitere Besonderheit war Kraus’ Lesen von Dramen, bei dem er ohne Requisiten alle Rollen sprach. Das Lesen von "fremden" Werken hatte dabei zwei Funktionen: Kraus verteidigte einerseits seinen Kanon – Shakespeare, Nestroy und Offenbach – und wollte andererseits durch seine Vorlesungen neueren Tendenzen des Theaters (wie den Anfängen des "Regietheaters") entgegenwirken: Ihm ging es um die literarischen Qualitäten der gelesenen Werke. Die Vorlesungen seiner "Klassiker" bezeichnete er später als "Theater der Dichtung".

Karl Kraus' Reisepass
Vorlesungsankündigung 1914
Ankündigung von Kraus' 300. Vorlesung im Großen Konzerthaussaal

"Die Letzten Tage der Menschheit" und andere Dramen

Während des Ersten Weltkriegs war Kraus einer von wenigen, die sehr früh und konsequent antimilitaristisch und pazifistisch auftraten. Seine Dokumentation und Verarbeitung dieser Zeit verdichtete sich zu dem Monumentaldrama "Die letzten Tage der Menschheit". Die Entstehung von Kraus’ Weltkriegsdrama erstreckte sich über sieben Jahre zwischen 1915 und 1922. Edward Timms hat auf die Bedeutung dieser Entstehungszeit für die Komposition des Werks hingewiesen, insbesondere was die Entwicklung der politischen Ideen des Verfassers betrifft, der im Laufe der Kriegsjahre seine antimilitaristische Haltung und seine Kritik an Österreich und Deutschland entschieden radikalisierte.

Die erste Erwähnung des Plans der "Letzten Tage der Menschheit" findet sich in einem Brief an Sidonie Nádherný von Borutín vom 29. Juli 1915. Der erste öffentliche Hinweis auf das seit dem Sommer 1915 im Entstehen begriffene Kriegsdrama ist der Abdruck der Szene "Monolog des Nörglers" auf den Schlussseiten des "Fackel"-Heftes vom Oktober 1915, mit der Anmerkung "Aus einer Tragödie 'Die letzten Tage der Menschheit. Ein Angsttraum.' Schluss eines Aktes."

Erste Seite des Manuskripts zu "Die Letzten Tage der Menscheit"

In der Folgezeit arbeitete Kraus intensiv an dem Drama, dessen erste Fassung im Wesentlichen im Juli 1917 – zensurbedingt vorläufig ohne Aussicht auf Veröffentlichung – mit der Ausführung des Epilogs fertig vorlag. Nochmals überarbeitet, wurde diese Fassung dann zwischen Dezember 1918 und August 1919 in sukzessiven Sonderheften der "Fackel" veröffentlicht. Es handelt sich um die sogenannte "Aktausgabe", deren rasches Erscheinen unmittelbar nach Kriegsende anschaulich darlegt, wie wichtig es Kraus war, in den politischen Kontext der Nachkriegswelt und der jungen österreichischen Republik mit seiner apokalyptischen Vision der blutigen letzten Jahre der Monarchie direkt einzugreifen. In den nachfolgenden Jahren wurde die Aktausgabe nochmals stark überarbeitet, in Bezug auf die Anordnung der Szenenfolge und auf die Einfügung neuer Szenen, sodass der Gesamtumfang des Dramas von 170 auf 220 Szenen (einschließlich Prolog und Epilog) stieg. Es handelt sich somit um einen grundsätzlich neuen Text, der in wichtigen Punkten aus der Perspektive der aktiven Solidarisierung mit der österreichischen Republik zu verstehen ist. Die neue Ausgabe erschien im Mai 1922 in einer Auflage von 5.000 Exemplaren.

Als Theatertext sind die "Die letzten Tage der Menschheit" ohne unmittelbares Vorbild in der deutschsprachigen Literatur – schon allein der riesige Umfang des Kriegsdramas und seine nie dagewesene grundsätzlich offene Form sondern es ab von jeder herkömmlichen Theatertradition. Grundlegend ist über weite Strecken hindurch die Auswertung von Zeitungsmaterial, parallel zu dessen Einbeziehung in die Hefte der von Kraus selbst so genannten "Kriegsfackel". Nicht zu unterschätzen sind auch die aus privaten Mitteilungen herrührenden Materialien.

Ein Grundvorwurf, mit dem sich der Satiriker spätestens seit dem Erscheinen der "Letzten Tage der Menschheit" konfrontiert sah, war der Vorwurf der Nestbeschmutzung – oder drastischer ausgedrückt, des Vaterlandsverrats. Während die Autorschaft des Weltkriegsdramas Kraus im Ausland großes Ansehen einbrachte, wurde er in Österreich und in Deutschland für seine Kritik am Nationalismus und für seine konsequente Antikriegshaltung angegriffen.

Auch in den 1920ern fuhr Kraus damit fort, sich des dramatischen Mediums als Mittel der Polemik und der Satire bei verschiedenen Gelegenheiten zu bedienen – "Literatur oder man wird doch da sehn. Magische Operette in zwei Teilen" (1921) gehörte in den Zusammenhang der jahrelangen Kontroverse mit Franz Werfel; "Wolkenkuckucksheim. Phantastisches Versspiel in 3 Akten" (1923) benutzte "Die Vögel" des Aristophanes als Vorlage und speiste sich aus der Empörung Kraus' über die kürzlich errichteten Salzburger Festspiele; "Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten" (1928) dokumentierte die Korruptionsaffäre um Imre Bekessy. Nur "Traumstück" (1923) und "Traumtheater. Spiel in einem Akt" (1924) fallen aus dieser Reihe und laufen auf eine Selbstvergewisserung des Dichters hinaus. Im Gegensatz zu den "Letzten Tage der Menschheit" wurden all diese Dramen nie breit rezipiert, sie gelten als wenig bühnentauglich und wurden dementsprechend kaum aufgeführt.

Ankündigung von Kraus' Drama "Traumstück" und einer Vorlesung

Lyrik

1913 begann Karl Kraus eine lebenslange, wenngleich mehrfach unterbrochene Liebesbeziehung zu der böhmischen Baronin Sidonie Nádherný von Borutín und trat ab diesem Zeitpunkt auch verstärkt als Lyriker hervor. Kraus' lyrisches Œuvre, rechnet man ihm auch die "Nachdichtung" (1933) der Sonette Shakespeares zu, weist den beachtlichen Umfang von etwa 600 Gedichten auf; dennoch gilt Kraus als Randfigur der deutschsprachigen Lyrik. Die Einschätzung, wonach er "nicht eigentlich" Lyriker sei, beruht einerseits darauf, dass die Lyrik im Verhältnis zur Essayistik und Dramatik in Kraus' Gattungsensemble jedenfalls in quantitativer Hinsicht einen deutlich untergeordneten Stellenwert hat, andererseits ist die germanistische Vernachlässigung der Gedichte eine Folge seiner Abgrenzung zu den zeitgenössisch dominanten lyrischen Tendenzen.

Ein Blick auf die Publikationsgeschichte zeigt, dass Kraus selbst seinen lyrischen Projekten große Wichtigkeit beimaß. Als erste Veröffentlichung im während des Krieges gegründeten "Verlag der Schriften von Karl Kraus" wählte er den ersten Band der "Worte in Versen", die bis 1930 in insgesamt 9 Bänden erschienen. Die fünf ersten Bände sind Sidonie Nádherný von Borutín gewidmet.

Die Erste Republik, Sozialdemokratie und neue Medien

Kraus' Enttäuschung über die Politik der österreichischen Eliten führte nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Hinwendung zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Dabei zeigte sich Kraus als entschiedener Republikaner, der sogar eine Bundeshymne schrieb, aber keineswegs als geübter Demokrat und schon gar nicht als Sozialdemokrat. Obgleich er 1919 dazu aufrief, die Sozialdemokratische Partei zu wählen, der "Arbeiterzeitung" eine gewisse Sonderstellung zuerkannte und in den folgenden Jahren zahlreiche Vorlesungen und Republikfeiern zusammen mit der Sozialdemokratischen Kunststelle gestaltete, wurde Kraus nie Parteimitglied.

Vorlesungsprogramm 1919 mit Wahlaufruf

Schon Mitte der 1920er Jahre kam es vermehrt zu Spannungen, als Kraus die Kulturpolitik der Partei als zu bürgerlich kritisierte und diese wiederum begann, seine unklare politische Verortung zu debattieren. Da Kraus als Satiriker die Spielregeln des Parlamentarismus nicht besonders hochhielt und strategische Dilemmata von Parteien nicht berücksichtigte, verschärften sich die Auseinandersetzungen rasch. So unterstützte die Sozialdemokratie Kraus erst spät und halbherzig in seinen Kampagnen gegen den korrupten Zeitungsmogul Imre Békessy und gegen den Polizeipräsidenten Johann Schober, den Kraus nach dem von ihm verantworteten Blutbad anlässlich des Justizpalastbrandes zum Rücktritt aufforderte.

1932 erschien "Hüben und Drüben", Krausʼ Abrechnung mit der österreichischen Sozialdemokratie, in der er ihr vor allem Versagen im Kampf gegen den aufkommenden Nationalsozialismus und das Festhalten am "Anschluss"-Gedanken an Deutschland vorwarf. Seine Überzeugung, dass jene Partei, in die er Hoffnungen gesetzt hatte, der Brutalität des Nationalsozialismus nicht gewachsen war, kostete ihn am Ende viele Anhängerinnen und Anhänger, aber auch viele Freundinnen und Freunde.

Vor dem Krieg hatte sich Kraus' Medienkritik besonders gegen die "Neue Freie Presse" gerichtet, die er für stilistisch besser und daher gefährlicher hielt. In den 1920er Jahren verlagerte sich Kraus’ Kampf von den anspruchsvolleren Medien hin zu Boulevardzeitungen, vor allem zu der von Imre Békessy verlegten Zeitschrift "Die Stunde". Im Gegensatz zu den in Frakturschrift und monotonen Spalten gesetzten, etablierten Zeitungen, war die "Stunde "allein durch ihr Layout modern. Sie brachte erstmals Nachrichten zu Kino-, Radio- und Sportereignissen und berichtete über Scheidungen, Bankrotte und Selbstmorde. In diesem Zusammenhang etablierte die "Stunde" auch Erpressung von Inserenten beziehungsweise Unterschlagung oder Verbreitung von Informationen gegen Geld. Kraus, der von Anfang an die Abhängigkeit der Medien von Anzeigen kritisiert und Korruption aufgezeigt hatte, nahm den Kampf gegen Békessy auf, der mit retuschierten Fotos von und bizarren Falschmeldungen über Kraus provozierte und konterte. Mithilfe seines Anwalts Oskar Samek gelang es Karl Kraus, genug Druck aufzubauen, um den "Schuft" am Ende dieser Auseinandersetzung aus Wien zu vertreiben.

Gerichtsprozesse

Gerichtliche Prozesse begleiteten das Werk von Kraus von Anfang an, doch erst 1919 – nach entscheidenden Rechtsreformen der Ersten Republik, die unter anderem die Abschaffung der Todesstrafe brachten – begann Karl Kraus, generell eine demokratisierte Gerichtsbarkeit als Verbündete seiner Kampagnen zu sehen. Vor allem auf Basis eines neuen Presserechts klagte er nun Ungerechtigkeit nicht mehr nur in der "Fackel" an, sondern ging auch regelmäßig vor Gericht. Der junge Rechtsanwalt Oskar Samek, der vorerst eigentlich nur geringfügige Berichtigungsklagen für Karl Kraus abwickeln sollte, wurde ab 1922 rasch zu seinem wichtigsten "Mitarbeiter". Entsprechend der neuen Strategie waren Kraus' Polemiken in der "Fackel" nun auch oft auf eine Austragung im Gerichtssaal hin angelegt.

Mappe der Kanzlei Oskar Samek, Karl Kraus contra Arbeiterzeitung

Zwischen 1922 und 1936 trat Kraus rund 60 Mal als Kläger auf, wurde aber nur etwa zehnmal selbst zum Beklagten. Es kam zu etwa zwanzig größeren Verhandlungen, von denen Kraus und Samek – als zunehmend eingespieltes Team – weit mehr als die Hälfte gewannen. Es waren zumeist Mediendelikte, Ehrenbeleidigungsdelikte und Urheberrechtsdelikte, die Kraus und Samek vor Gericht brachten, aber auch Vertragsbruch, Erpressung, falsche Zeugenaussage und gefährliche Drohung wurden geklagt oder angezeigt. Kraus und Samek wollten insbesondere Gegner wie Alfred Kerr, Imre Békessy oder Johann Schober vor Gericht bringen und sammelten Material gegen sie. Im Falle Békessy gelang es, allein durch die Vorbereitung von Anklagen solchen Druck aufzubauen, dass jener aus Wien floh. Generell erreichte Kraus in den späten 1920er Jahren durch die Kombination von publizistischem und gerichtlichem Vorgehen Höhepunkte seiner kritischen Wirksamkeit. Aus dem juristischen Umgang mit Oskar Samek wurde im Lauf der Zeit eine Freundschaft, die bis zu Kraus’ Tod 1936 anhielt.

Mappe der Kanzlei Oskar Samek, Karl Kraus contra Völkischer Beobachter
Karl Kraus im Gerichtssaal im Prozess contra Alfred Kerr

Die Dritte Walpurgisnacht und die Zerstörung der Demokratie

Kraus richtete sich in der Ersten Republik vielfach polemisch gegen die "Institutionalisierung von Gangstertum und Gewalttätigkeit" und begann auch früh, gegen die faschistische Mentalität sowie den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich anzuschreiben. Insofern war Kraus in nationalsozialistischen Kreisen, bei den sogenannten "Hakenkreuzlern" schon in den 1920er Jahren als pazifistischer Schriftsteller jüdischer Abstammung verschrien. Er erhielt nicht nur antisemitische Schmähbriefe und anonyme Drohungen, sondern wurde auch öffentlich in den Zeitungen der republikfeindlichen Rechten diffamiert.

Von Wien aus versuchte er, sich zudem ein Bild vom verbrecherischen Charakter der NS-Herrschaft zu machen, nachdem sich diese Anfang 1933 etabliert hatte. Er beschloss dann allerdings, den bereits gesetzten, fast 400-seitigen Text zurückzuziehen, Konsequenzen für sich und andere fürchtend. Kraus' "geheime" Arbeit wurde 1952 posthum als sogenannte "Dritte Walpurgisnacht" veröffentlicht. Dieses Hauptwerk seiner späten Jahre gilt heute als eine der hellsichtigsten Analysen von Sprache und Realität des Nationalsozialismus und beginnt mit dem oft missverstandenen ersten Satz "Mir fällt zu Hitler nichts ein". Karl Kraus hat darin die ersten acht Monate des Hitler-Regimes in allen Bereichen dokumentiert und die ersten Konzentrationslager, Folterungen, die Reaktionen von Intellektuellen (etwa Martin Heidegger und Gottfried Benn), die Lügen der Propaganda und vieles mehr beschrieben. Der polemisch-satirische Essay, der schon im Sommer 1933 den Nationalsozialismus in all seinen wesentlichen Merkmalen erfasste, ist schwer lesbar, wurde jedoch vielfach übersetzt und entkräftet jedenfalls das Vorurteil, man hätte nicht schon sehr bald wissen können, wie gefährlich die Nazis tatsächlich waren.

Notizen zu "Dritte Walpurgisnacht"

Karl Kraus überraschte sein Publikum, als er 1933/1934 den autoritären Kurs des christlichsozialen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß und seine Ausschaltung des Parlaments nach dem 4. März 1933 befürwortete, weil er sich von diesem einen besseren Schutz vor der nationalsozialistischen Gefahr versprach als von der sozialdemokratischen Führung.

Bis dahin hatte er in der Ersten Republik keinerlei Sympathien für christlichsoziale Politik und Kultur, die die Bundesregierung und auch die österreichischen Bundesländer bestimmte, gezeigt. Im Gegenteil: Er, der sich 1911 hatte taufen lassen, trat 1923 aus der katholischen Kirche wieder aus, nachdem diese im Ersten Weltkrieg die Waffen der Kriegsparteien gesegnet hatte und nicht nur in der Person des Bundeskanzlers Ignaz Seipel Religion und Politik in für Kraus inakzeptabler Weise verband. Er verstärkte seine Attacken gegen die tendenziöse Berichterstattung der christlichsozialen "Reichspost", die in ihrem katholischen Chauvinismus und ihrer Aufhetzung zu Rassenhass für ihn zu einem weiteren Paradebeispiel für journalistische Gewissenlosigkeit wurde. Und er dokumentierte immer wieder den Antisemitismus des christlichsozialen Lagers und schuf in diesen Zusammenhängen den Typus des "Kasmaders", der als idealer Leser der "Reichspost" katholische Frömmigkeit mit Deutschnationalismus und antisemitischen Vorurteilen verband.

Als sich jedoch Ende der 1920er Jahre die Konflikte zuspitzten und besonders, nachdem er 1933 den Untergang der Sozialdemokratie in Deutschland beobachtet hatte, zeigte sich bei Kraus nicht nur eine deutliche Demokratieskepsis, sondern auch jene Sehnsucht nach einem starken Mann, die schon in seiner Bewunderung für Franz Ferdinand und Otto Bismarck zum Ausdruck gekommen war.

Sein Eintreten für das austrofaschistische Regime – für das er in den letzten Jahren den Preis großer Vereinsamung zahlte – hatte mit Krausʼ klarem Blick auf die Realität des Nationalsozialismus, mit seiner Sympathie für Dollfuß und auch mit seiner Enttäuschung über die österreichische Sozialdemokratie zu tun. Dass Karl Kraus auch im Februar 1934 an seiner scharfen Kritik an der österreichischen Sozialdemokratie festhielt und Dollfuß für ihn zum "Retter" vor dem Nationalsozialismus wurde, verstörte viele Kraus-Anhänger im In- und Ausland.

Beziehungen

Zeit seines Lebens setzte sich Karl Kraus für den Schutz der Privatsphäre ein. Sexualität und Erotik waren für ihn Privatsache, in die sich die Öffentlichkeit nicht aburteilend und schon gar nicht strafrechtlich einzumischen habe – das galt für außereheliche Sexualität ebenso wie für gleichgeschlechtliche Liebe. Frühe Texte wie "Sittlichkeit und Kriminalität" (1902/1908), aber auch viele seiner Aphorismen dokumentieren diese Haltungen.

Über Kraus’ privates und erotisches Leben sollte zu Lebzeiten wenig bekannt werden. Er inszenierte sich als isolierter Einzelkämpfer und Nächte durcharbeitender Misanthrop. Trotz des Topos seiner Isoliertheit verfügte Kraus über einen weiten Freundes- und Bekanntenkreis. Teile desselben versammelte er gern um seinen Tisch in verschiedenen Kaffeehäusern, wobei sich sein "Kreis" über Jahre und Lebensphasen vielfach veränderte. Im Sommer nahm er sich Auszeiten von Arbeit und Geselligkeit und fuhr an die Nord- oder Ostsee, nach Frankreich oder Böhmen.

Karl Kraus heiratete nie, er lebte niemals mit einer Frau zusammen und hatte auch keine Kinder. Es gab jedoch einige lang andauernde Beziehungen in seinem Leben, deren wichtigste – nach seiner verstorbenen Jugendliebe, der Schauspielerin Annie Kalmar – die heimliche Liaison mit der böhmischen Baronin Sidonie Nadherny von Borutín war, die ab 1913 mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod andauerte. "Sidi", wie er sie nannte, hätte er auch gern geheiratet. Sie war eine der sehr wenigen Personen, denen er in oder nach intensiven, der Produktion der "Fackel" gewidmeten Nächten noch lange Briefe schrieb.

Abseits dieser großen Lieben gab es in seinem Leben zahlreiche Affären, Freundschaften und erotische Begegnungen mit verschiedenen Frauen - unter ihnen Mary Dobrženský, Mechthilde von Lichnowsky oder Bertha Maria Denk. Zu den problematischsten gehört wohl die Geschichte um die damals vierzehnjährige Irma Karczewska – sie wurde von Kraus und seinen Freunden benutzt, um Ideen von "sexueller Emancipation" auszuleben.

Zwar gab es auch heftige Brüche von Freundschaften und Liebesbeziehungen in seinem Leben, doch grundsätzlich war Kraus privat für seine Loyalität und Hilfsbereitschaft bekannt.

Seine Wohnung in der 4., Lothringerstraße 6 war voll von Fotografien seiner Familie, Freundinnen und Freunden sowie von Personen, die ihm auf die eine oder andere Art wichtig waren.

Karl Kraus im Park von Schloss Janowitz, 1933


Erinnerungskultur

Karl Kraus zog sich in seinen letzten Lebensjahren sehr zurück und starb im Juni 1936.

Eigenhändiges Testament von Karl Kraus, errichtet am 27. und 28. August 1935

Nach seinem Tod begannen seine Freundinnen und Freunde, die Erinnerung an ihn als bedeutenden Mann zu sichern – seine Totenmaske wurde abgenommen, es gab Gedenkfeiern und das Arbeitszimmer seiner Wohnung in der Lothringerstraße 6 wurde in das Haus seines Testamentsvollstreckers und Nachlassverwalters Oskar Samek übersiedelt – dort (15., Reindorfgasse 18) ließ es Samek originalgetreu wiederaufbauen. In diesen Gedenkraum, der als "Kraus-Museum" bezeichnet wurde und Kraus-Verehrenden offenbar auf Anfrage zugänglich gemacht wurde, drang im November 1938, als Samek bereits ins Exil geflohen war, die SA ein und beschlagnahmte beziehungsweise zerstörte den Inhalt.

Dennoch konnte Kraus' literarisches und publizistisches Vermächtnis zu großen Teilen gerettet werden. Freundinnen und Freund wie Helene Kann, die schon zu seinen Lebzeiten Kraus' Handschriften archiviert hatte, Anita Kössler und eben Samek nahmen jeweils große Teile des Nachlasses mit ins Exil in die Schweiz, nach Schweden und in die USA.

Im Exil lebte die Erinnerung an Karl Kraus in verschiedensten Gruppen, für die er ein wichtiger, kritischer Bezugspunkt blieb oder auch erst wurde, weiter.

Nach 1945 kamen die einzelnen Bestandteile des heutigen Kraus-Archivs im Abstand von über fünf Jahrzehnten wieder nach Wien zurück und befinden sich heute in der Wienbibliothek im Rathaus, die Kraus auch in seinem Testament als Institution vorgeschlagen hatte.

Eine zentrale Rolle spielte hierbei der 1945 bis 1949 amtierende KPÖ-Kulturstadtrat Viktor Matejka, der als einer von wenigen Exilierte zur Rückkehr aufforderte und sich im postnationalsozialistischen Österreich um eine "Kraus-Renaissance" bemühte. 1946 gründete er zusammen mit Leopold Liegler und Edwin Rollett die kurzlebige "Karl Kraus-Gesellschaft", die etwa Sidonie Nádherný von Borutín, Karl Farkas und Ludwig von Ficker zu ihren Mitgliedern zählte.

Der lebenslange Kraus-Bewunderer und revolutionäre Sozialist Paul Schick, selbst aus dem Exil zurückgekehrt, und seine Frau Sophie Schick bearbeiteten dort den riesigen Bestand und wirkten – als ein Knotenpunkt eines großen Netzwerks – wie Matejka auf eine "Kraus-Renaissance" hin. Die Schicks schrieben sich nicht nur durch ihre ungewöhnliche Ordnung stark in den Kraus-Bestand ein, sondern Paul Schick prägte auch durch seine rororo-Monografie "Karl Kraus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten" die Forschung. Im September 1970 – vor seinem 100. Geburtstag – wurde die Karl-Kraus-Gasse in Wien nach dem Publizisten benannt.

2006 veränderte die Digitalisierung der "Fackel" die Kraus-Forschung erneut. Die Online-Edition der "AAC-Fackel"des Austrian Academy Corpus konnte elaboriert durchsucht werden und neue Zusammenhänge aufzeigen, die sich bislang auch beim noch so gründlichen Lesen nicht erschlossen hatten. Gerade die Gründlichkeit des Lesens und Belegens, auf die Kraus so viel Wert gelegt hatte, wurde aber durch die digitale Verfügbarkeit des Werkes nicht gefördert. So ist es bemerkenswert, dass neben Lichtenberg, Tucholsky, Einstein und Bismarck keinem deutschsprachigen Schriftsteller mehr Falschzitate unterschoben werden als Karl Kraus.

Karl Kraus ist heute – speziell online – weiterhin mit vielen Aphorismen präsent und sein Antikriegsdrama "Die letzten Tage der Menschheit" wird in vielen Sprachen aufgeführt. Mit einer Werkausgabe und einem Handbuch muss er inzwischen als kanonisiert gelten und dennoch bleibt er – wie Bestsellerautor Jonathan Franzen es formulierte – eigenartig "fremd". Einen institutionalisierten Erinnerungsort, der die nach wie vor hochaktuelle Krausʼsche Sprach- und Medienkritik pflegt und verbreitet, gibt es bis heute nicht.

Weitere Informationen

Quellen

Literatur (Auswahl)

  • Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
  • Ari Linden: Karl Kraus and the Discourse of Modernity. Illinois: Northwestern University Press 2020
  • Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher. Wien: Zsolnay 2020
  • Gilbert Carr: Demolierung – Gründung – Ursprung. Zu Karl Kraus' Frühen Schriften und zur frühen Fackel. Würzburg: Königshausen und Neumann 2019
  • Katharina Prager [Hg.]: Geist versus Zeitgeist. Karl Kraus in der Ersten Republik. Wien: Metroverlag / Wienbibliothek im Rathaus 2018
  • Simon Ganahl: Karl Kraus und Peter Altenberg. Eine Typologie moderner Haltungen. Konstanz: Konstanz University Press 2015
  • Eiji Kouno: Die Performativität der Satire bei Karl Kraus: zu seiner "geschriebenen Schauspielkunst". Berlin: Duncker & Humbolt 2015
  • Brigitte Stocker: Rhetorik eines Protagonisten gegen die Zeit. Karl Kraus als Redner in den Vorlesungen 1919 bis 1932. Wien: LIT-Verlag 2013
  • Edward Timms: Dynamik der Kreise, Resonanz der Räume. Die schöpferischen Impulse der Wiener Moderne. Weitra: Bibliothek der Provinz 2013
  • Irina Djassemy: Die verfolgende Unschuld. Zur Geschichte des autoritären Charakters in der Darstellung von Karl Kraus. Wien: Böhlau 2011
  • Friedrich Pfäfflin [Hg.]: Aus großer Nähe. Karl Kraus in Berichten aus Weggefährten und Widersachern. Göttingen: Wallstein 2008
  • Edward Timms: Karl Kraus. Apokalyptic Satirist. The Post-War Crisis and the Rise of the Swastika. London: Yale University Press 2005
  • Karl Kraus. Briefe an Sidonie Nádherny von Borutín. 1913–1936. Hg. mit Dokumenten und Anmerkungen von Friedrich Pfäfflin. Göttingen: Wallstein 2005
  • George C. Avery [Hg.]: Feinde in Scharen. Ein wahres Vergnügen dazubeisein. Karl Kraus – Herwarth Walden. Briefwechsel 1909–1912. Göttingen: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 2002
  • Ulrich Ott / Friedrich Pfäfflin [Hg.]: Karl Kraus. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach. Marbach a. Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1999
  • Edward Timms: Karl Kraus. Satiriker der Apokalypse. Leben und Werk 1874 bis 1918. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999
  • Karl Kraus contra ...: die Prozeßakten der Kanzlei Oskar Samek in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Hg. von Herwig Würtz, bearb. u. kommentiert von Hermann Böhm. Band 1–4. Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek 1995–1997
  • Kurt Krolop: Reflexionen der Fackel. Neue Studien über Karl Kraus. Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften 1994
  • Kurt Krolop: Sprachsatire als Zeitsatire bei Karl Kraus. Berlin: Akademie Verlag 1992
  • Paul Schick: Karl Kraus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1976
  • Otto Kerry: Karl Kraus. Eine Bibliographie. München: Kösel 1970


Karl Kraus im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.

Weblinks