Juden: Unterschied zwischen den Versionen

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Juden. Ab 1194 in Wien ansässig, lassen sich Juden zunächst im Bereich Seitenstettengasse-Judengasse nachweisen (Synagoge 1204 erwähnt); 1196 wurde der Jude Schlom (Münzmeister Herzog Friedrichs I.) ermordet. Nach der Erbauung der Burg beim Widmertor (um 1280/1290) erfolgte die Ansiedlung im Bereich Judenplatz-Wipplingerstraße und in den Seitengassen rund um den Judenplatz. Anfangs waren die Juden insbesonders in der landesfürstlichen Finanzverwaltung tätig, ab 1250 tätigten sie jedoch in steigendem Maß Geldgeschäfte mit dem Adel und mit Weingartenbesitzern in der Umgebung Wiens. 1238 erhielten die Wiener Juden von Kaiser Friedrich II. ein Privileg, 1244 waren sie durch die Judenordnung Herzogs Friedrichs II. des Streitbaren unmittelbar betroffen. Wichtige ergänzende Bestimmungen zum Rechtsstatus der Juden (vor allem hinsichtlich des Pfandgeschäfts) enthält das Wiener Stadtrechtsbuch (Ende 13. Jahrhundert). Im 14. Jahrhundert sind alle Einrichtungen der Gemeinde, wie Synagoge, Spital (neben der Synagoge), rituelles Bad (Hohe Brücke), Fleischhof (Färbergasse) und Friedhof (Areal Goethedenkmal bis zur Oper), nachzuweisen. 1338 kam es zu einer Senkung des Zinssatzes von 8 auf 3 Pfennig pro Pfund und Woche. 1406 brach in der Judenstadt ein Brand aus, 1420/1421 erfolgte die Vertreibung und Verbrennung ([[Geserah]]). Bis 1624 gab es für Juden ein prinzipielles Ansiedlungsverbot, doch wurde dieses durch Ausnahmebestimmungen durchbrochen. Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Ausnahmegenehmigungen bedeutend zunahmen, kam es vor 1582 zur Anlage eines neuen jüdischen Friedhofs in der Seegasse (9). Ferdinand II. erteilte den Juden am 6. Dezember 1624 ein neues Privileg zur Ansiedlung im Unteren Werd (2). Die Juden bildeten dort eine eigene Gemeinde mit einem jüdischen Gericht und allen Einrichtungen (samt der Führung eines eigenen Grundbuchs). Nach rechtlicher Schlechterstellung ab 1637 kam es 1669/1670 unter Leopold I. neuerlich zur Vertreibung. Die Stadt Wien erklärte sich bereit, den Ausfall an Judensteuer selbst zu bezahlen. Der Friedhof in der Seegasse wurde einem Bleicher zur Betreuung übertragen. Im Zuge des Türkenkriegs nach 1683 wurde Samuel Oppenheimer nach Wien berufen, der 1686 den Friedhof kaufte und wieder seiner Verwendung zuführte. Um 1700 wanderten einige finanzkräftige Familien (Wertheimer, Schlesinger, Simon Michel und andere) zu; sie konnten sich die Verlängerung ihrer Toleranzen nur durch hohe Zahlungen erkaufen und leisteten auch Beiträge zum Bau der Karlskirche, der Hofbibliothek und des Schlosses Schönbrunn (Umbau durch Pacassi). Durch den Tod Oppenheimers (1703), der fast im Alleingang die erste Phase des Spanischen Erbfolgekriegs finanziert hatte, kam es zum Staatsbankrott und zu schweren Verlusten für alle in böhmischen und in deutschen Städten lebenden Juden. Die restriktiven Maßnahmen gegen die Juden fanden ihren Höhepunkt in den Judenordnungen Maria Theresias (1753 und 1764). In den 70er Jahren begannen sich die Ideen der Toleranz im Sinn des [[Josephinismus]] durchzusetzen. Am 2. Jänner 1782 erließ Joseph II. das [[Toleranzpatent]] für die Juden Wiens und Niederösterreichs, das verschiedene diskriminierende Bestimmungen (vor allem die Leibmaut) gegen die Juden aufhob, ihnen verbesserte Bildungs- und Berufsmöglichkeiten gewährte, andererseits aber dem traditionellen, rabbinisch geprägten Judentum großes Misstrauen entgegenbrachte. Nach wie vor bestand das Verbot, eine eigene Gemeinde zu errichten. 1792/1793 wurde die Aufsicht über die Juden dem Judenamt übertragen, das ab 1797 der Polizei-Oberdirektion unterstand, sowie das Institut der Vertreter der Wiener Judenschaft geschaffen. Der neuerliche wirtschaftliche Aufstieg einiger jüdischer Familien am Ende des 18. Jahrhunderts und während der Napoleonischen Kriege führte zum Wunsch der Wiener Juden, eine repräsentative [[Synagoge]] zu erbauen. (Errichtung des Stadttempels 1825/1826 in der Seitenstettengasse durch [[Josef Kornhäusel]]). 1826 wurden Isak Noa Mannheimer als Religionslehrer und Salomon Sulzer an den Stadttempel berufen. In dieser Zeit begann die Diskussion über die Emanzipation der Wiener Juden, die auch in die Verfassungsdiskussionen der Jahre nach 1848 einfloss. 1848 war der jüdische Arzt Dr. [[Adolf Fischhof]] wesentlich an der Revolution beteiligt. Bis 1861/1867 bestanden noch verschiedene Beschränkungen für die Juden; dennoch setzte schon damals eine beträchtliche Zuwanderung zunächst aus Ungarn und Böhmen ein. Ab 1852 wurde die Judenschaft als Kultusgemeinde verstanden, das heißt offiziell als Religionsgemeinschaft. Neben den traditionellen Beschäftigungen der führenden Familien im Geschäft mit Staatspapieren und im Bankwesen traten der Eisenbahnbau, industrielle Zweige sowie bildungsbürgerliche und künstlerische Bereiche. Für den sozialen Aufstieg hatte der Textilhandel eine besondere Bedeutung. Die Wiener Juden spielten eine bedeutende Rolle als Mäzene und Förderer sozialer Einrichtungen, außerdem gab es bedeutende Wissenschaftler, insbesondere unter Ärzten, Juristen und Nationalökonomen, später auch in den Geisteswissenschaften. Der sich parallel zur Emanzipation fortsetzende [[Antisemitismus]] erlebte gegenüber der josephinisch geprägten Zeit eine Verschärfung; aus den religiösen Argumenten ([[Sebastian Brunner]]) entwickelten sich bald wirtschaftliche und soziale ([[Karl Lueger]]), schließlich jedoch rassistische ([[Georg von Schönerer]]). Nach einem Höhepunkt in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ebbte die Bewegung etwas ab. Unter den Abwehr- und Gegenbewegungen wurde am bedeutendsten der vom Wiener Journalisten und Schriftsteller [[Theodor Herzl]] begründete politische Zionismus. Die Zahl der Juden in Wien erreichte knapp vor dem ersten Weltkrieg annähernd 180.000. 1890 wurden die Verhältnisse durch das Israelitische Kultusgesetz geregelt. Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangten zunehmend Vertreter des Zionismus in den Kultusvorstand; auch der letzte Präsident vor 1938 ([[Desider Friedmann]]) war Zionist. Mit der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich setzte die systematische Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung der Wiener Juden ein ([[Holocaust]]). Von den 180.000 Juden kamen etwa 60.000 in Konzentrationslagern um, 120.000 konnten sich retten oder wurden vertrieben. 1945 etablierte sich die Gemeinde neu, darunter nur wenige Mitglieder, deren Familien bereits vor 1938 in Wien gelebt hatten. Seit den 70er Jahren kam es zur Zuwanderung aus Gebieten der damaligen Sowjetunion. Die [[Israelitische Kultusgemeinde]] hat derzeit (1993) etwa 6.000-7.000 Mitglieder. Seit den 80er Jahren entwickelt sich ein lebhaftes kulturelles und religiöses Gemeindeleben.
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Juden. Ab 1194 in Wien ansässig, lassen sich Juden zunächst im Bereich Seitenstettengasse-Judengasse nachweisen (Synagoge 1204 erwähnt); 1196 wurde der Jude Schlom (Münzmeister Herzog Friedrichs I.) ermordet. Nach der Erbauung der Burg beim Widmertor (um 1280/1290) erfolgte die Ansiedlung im Bereich Judenplatz-Wipplingerstraße und in den Seitengassen rund um den Judenplatz. Anfangs waren die Juden insbesonders in der landesfürstlichen Finanzverwaltung tätig, ab 1250 tätigten sie jedoch in steigendem Maß Geldgeschäfte mit dem Adel und mit Weingartenbesitzern in der Umgebung Wiens. 1238 erhielten die Wiener Juden von Kaiser Friedrich II. ein Privileg, 1244 waren sie durch die Judenordnung Herzogs Friedrichs II. des Streitbaren unmittelbar betroffen. Wichtige ergänzende Bestimmungen zum Rechtsstatus der Juden (vor allem hinsichtlich des Pfandgeschäfts) enthält das Wiener Stadtrechtsbuch (Ende 13. Jahrhundert). Im 14. Jahrhundert sind alle Einrichtungen der Gemeinde, wie Synagoge, Spital (neben der Synagoge), rituelles Bad (Hohe Brücke), Fleischhof (Färbergasse) und Friedhof (Areal Goethedenkmal bis zur Oper), nachzuweisen. 1338 kam es zu einer Senkung des Zinssatzes von 8 auf 3 Pfennig pro Pfund und Woche. 1406 brach in der Judenstadt ein Brand aus, 1420/1421 erfolgte die Vertreibung und Verbrennung ([[Geserah]]). Bis 1624 gab es für Juden ein prinzipielles Ansiedlungsverbot, doch wurde dieses durch Ausnahmebestimmungen durchbrochen. Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Ausnahmegenehmigungen bedeutend zunahmen, kam es vor 1582 zur Anlage eines neuen jüdischen Friedhofs in der Seegasse (9). Ferdinand II. erteilte den Juden am 6. Dezember 1624 ein neues Privileg zur Ansiedlung im Unteren Werd (2). Die Juden bildeten dort eine eigene Gemeinde mit einem jüdischen Gericht und allen Einrichtungen (samt der Führung eines eigenen Grundbuchs). Nach rechtlicher Schlechterstellung ab 1637 kam es 1669/1670 unter Leopold I. neuerlich zur Vertreibung. Die Stadt Wien erklärte sich bereit, den Ausfall an Judensteuer selbst zu bezahlen. Der Friedhof in der Seegasse wurde einem Bleicher zur Betreuung übertragen. Im Zuge des Türkenkriegs nach 1683 wurde Samuel Oppenheimer nach Wien berufen, der 1686 den Friedhof kaufte und wieder seiner Verwendung zuführte. Um 1700 wanderten einige finanzkräftige Familien (Wertheimer, Schlesinger, Simon Michel und andere) zu; sie konnten sich die Verlängerung ihrer Toleranzen nur durch hohe Zahlungen erkaufen und leisteten auch Beiträge zum Bau der Karlskirche, der Hofbibliothek und des Schlosses Schönbrunn (Umbau durch Pacassi). Durch den Tod Oppenheimers (1703), der fast im Alleingang die erste Phase des Spanischen Erbfolgekriegs finanziert hatte, kam es zum Staatsbankrott und zu schweren Verlusten für alle in böhmischen und in deutschen Städten lebenden Juden. Die restriktiven Maßnahmen gegen die Juden fanden ihren Höhepunkt in den Judenordnungen Maria Theresias (1753 und 1764). In den 70er Jahren begannen sich die Ideen der Toleranz im Sinn des [[Josephinismus]] durchzusetzen. Am 2. Jänner 1782 erließ Joseph II. das [[Toleranzpatent]] für die Juden Wiens und Niederösterreichs, das verschiedene diskriminierende Bestimmungen (vor allem die Leibmaut) gegen die Juden aufhob, ihnen verbesserte Bildungs- und Berufsmöglichkeiten gewährte, andererseits aber dem traditionellen, rabbinisch geprägten Judentum großes Misstrauen entgegenbrachte. Nach wie vor bestand das Verbot, eine eigene Gemeinde zu errichten. 1792/1793 wurde die Aufsicht über die Juden dem Judenamt übertragen, das ab 1797 der Polizei-Oberdirektion unterstand, sowie das Institut der Vertreter der Wiener Judenschaft geschaffen. Der neuerliche wirtschaftliche Aufstieg einiger jüdischer Familien am Ende des 18. Jahrhunderts und während der Napoleonischen Kriege führte zum Wunsch der Wiener Juden, eine repräsentative [[Synagoge]] zu erbauen. (Errichtung des Stadttempels 1825/1826 in der Seitenstettengasse durch [[Josef Kornhäusel]]). 1826 wurden Isak Noa Mannheimer als Religionslehrer und Salomon Sulzer an den Stadttempel berufen. In dieser Zeit begann die Diskussion über die Emanzipation der Wiener Juden, die auch in die Verfassungsdiskussionen der Jahre nach 1848 einfloss. 1848 war der jüdische Arzt Dr. [[Adolf (Ephraim) Fischhof|Adolf Fischhof]] wesentlich an der Revolution beteiligt. Bis 1861/1867 bestanden noch verschiedene Beschränkungen für die Juden; dennoch setzte schon damals eine beträchtliche Zuwanderung zunächst aus Ungarn und Böhmen ein. Ab 1852 wurde die Judenschaft als Kultusgemeinde verstanden, das heißt offiziell als Religionsgemeinschaft. Neben den traditionellen Beschäftigungen der führenden Familien im Geschäft mit Staatspapieren und im Bankwesen traten der Eisenbahnbau, industrielle Zweige sowie bildungsbürgerliche und künstlerische Bereiche. Für den sozialen Aufstieg hatte der Textilhandel eine besondere Bedeutung. Die Wiener Juden spielten eine bedeutende Rolle als Mäzene und Förderer sozialer Einrichtungen, außerdem gab es bedeutende Wissenschaftler, insbesondere unter Ärzten, Juristen und Nationalökonomen, später auch in den Geisteswissenschaften. Der sich parallel zur Emanzipation fortsetzende [[Antisemitismus]] erlebte gegenüber der josephinisch geprägten Zeit eine Verschärfung; aus den religiösen Argumenten ([[Sebastian Brunner]]) entwickelten sich bald wirtschaftliche und soziale ([[Karl Lueger]]), schließlich jedoch rassistische ([[Georg Schönerer|Georg von Schönerer]]). Nach einem Höhepunkt in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ebbte die Bewegung etwas ab. Unter den Abwehr- und Gegenbewegungen wurde am bedeutendsten der vom Wiener Journalisten und Schriftsteller [[Theodor Herzl]] begründete politische Zionismus. Die Zahl der Juden in Wien erreichte knapp vor dem ersten Weltkrieg annähernd 180.000. 1890 wurden die Verhältnisse durch das Israelitische Kultusgesetz geregelt. Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangten zunehmend Vertreter des Zionismus in den Kultusvorstand; auch der letzte Präsident vor 1938 ([[Desider Friedmann]]) war Zionist. Mit der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich setzte die systematische Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung der Wiener Juden ein ([[Holocaust]]). Von den 180.000 Juden kamen etwa 60.000 in Konzentrationslagern um, 120.000 konnten sich retten oder wurden vertrieben. 1945 etablierte sich die Gemeinde neu, darunter nur wenige Mitglieder, deren Familien bereits vor 1938 in Wien gelebt hatten. Seit den 70er Jahren kam es zur Zuwanderung aus Gebieten der damaligen Sowjetunion. Die [[Israelitische Kultusgemeinde]] hat derzeit (1993) etwa 6.000-7.000 Mitglieder. Seit den 80er Jahren entwickelt sich ein lebhaftes kulturelles und religiöses Gemeindeleben.
  
  

Version vom 1. August 2014, 10:56 Uhr

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Letzte Änderung am 1.08.2014 durch WIEN1.lanm09dun

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Juden. Ab 1194 in Wien ansässig, lassen sich Juden zunächst im Bereich Seitenstettengasse-Judengasse nachweisen (Synagoge 1204 erwähnt); 1196 wurde der Jude Schlom (Münzmeister Herzog Friedrichs I.) ermordet. Nach der Erbauung der Burg beim Widmertor (um 1280/1290) erfolgte die Ansiedlung im Bereich Judenplatz-Wipplingerstraße und in den Seitengassen rund um den Judenplatz. Anfangs waren die Juden insbesonders in der landesfürstlichen Finanzverwaltung tätig, ab 1250 tätigten sie jedoch in steigendem Maß Geldgeschäfte mit dem Adel und mit Weingartenbesitzern in der Umgebung Wiens. 1238 erhielten die Wiener Juden von Kaiser Friedrich II. ein Privileg, 1244 waren sie durch die Judenordnung Herzogs Friedrichs II. des Streitbaren unmittelbar betroffen. Wichtige ergänzende Bestimmungen zum Rechtsstatus der Juden (vor allem hinsichtlich des Pfandgeschäfts) enthält das Wiener Stadtrechtsbuch (Ende 13. Jahrhundert). Im 14. Jahrhundert sind alle Einrichtungen der Gemeinde, wie Synagoge, Spital (neben der Synagoge), rituelles Bad (Hohe Brücke), Fleischhof (Färbergasse) und Friedhof (Areal Goethedenkmal bis zur Oper), nachzuweisen. 1338 kam es zu einer Senkung des Zinssatzes von 8 auf 3 Pfennig pro Pfund und Woche. 1406 brach in der Judenstadt ein Brand aus, 1420/1421 erfolgte die Vertreibung und Verbrennung (Geserah). Bis 1624 gab es für Juden ein prinzipielles Ansiedlungsverbot, doch wurde dieses durch Ausnahmebestimmungen durchbrochen. Als gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Ausnahmegenehmigungen bedeutend zunahmen, kam es vor 1582 zur Anlage eines neuen jüdischen Friedhofs in der Seegasse (9). Ferdinand II. erteilte den Juden am 6. Dezember 1624 ein neues Privileg zur Ansiedlung im Unteren Werd (2). Die Juden bildeten dort eine eigene Gemeinde mit einem jüdischen Gericht und allen Einrichtungen (samt der Führung eines eigenen Grundbuchs). Nach rechtlicher Schlechterstellung ab 1637 kam es 1669/1670 unter Leopold I. neuerlich zur Vertreibung. Die Stadt Wien erklärte sich bereit, den Ausfall an Judensteuer selbst zu bezahlen. Der Friedhof in der Seegasse wurde einem Bleicher zur Betreuung übertragen. Im Zuge des Türkenkriegs nach 1683 wurde Samuel Oppenheimer nach Wien berufen, der 1686 den Friedhof kaufte und wieder seiner Verwendung zuführte. Um 1700 wanderten einige finanzkräftige Familien (Wertheimer, Schlesinger, Simon Michel und andere) zu; sie konnten sich die Verlängerung ihrer Toleranzen nur durch hohe Zahlungen erkaufen und leisteten auch Beiträge zum Bau der Karlskirche, der Hofbibliothek und des Schlosses Schönbrunn (Umbau durch Pacassi). Durch den Tod Oppenheimers (1703), der fast im Alleingang die erste Phase des Spanischen Erbfolgekriegs finanziert hatte, kam es zum Staatsbankrott und zu schweren Verlusten für alle in böhmischen und in deutschen Städten lebenden Juden. Die restriktiven Maßnahmen gegen die Juden fanden ihren Höhepunkt in den Judenordnungen Maria Theresias (1753 und 1764). In den 70er Jahren begannen sich die Ideen der Toleranz im Sinn des Josephinismus durchzusetzen. Am 2. Jänner 1782 erließ Joseph II. das Toleranzpatent für die Juden Wiens und Niederösterreichs, das verschiedene diskriminierende Bestimmungen (vor allem die Leibmaut) gegen die Juden aufhob, ihnen verbesserte Bildungs- und Berufsmöglichkeiten gewährte, andererseits aber dem traditionellen, rabbinisch geprägten Judentum großes Misstrauen entgegenbrachte. Nach wie vor bestand das Verbot, eine eigene Gemeinde zu errichten. 1792/1793 wurde die Aufsicht über die Juden dem Judenamt übertragen, das ab 1797 der Polizei-Oberdirektion unterstand, sowie das Institut der Vertreter der Wiener Judenschaft geschaffen. Der neuerliche wirtschaftliche Aufstieg einiger jüdischer Familien am Ende des 18. Jahrhunderts und während der Napoleonischen Kriege führte zum Wunsch der Wiener Juden, eine repräsentative Synagoge zu erbauen. (Errichtung des Stadttempels 1825/1826 in der Seitenstettengasse durch Josef Kornhäusel). 1826 wurden Isak Noa Mannheimer als Religionslehrer und Salomon Sulzer an den Stadttempel berufen. In dieser Zeit begann die Diskussion über die Emanzipation der Wiener Juden, die auch in die Verfassungsdiskussionen der Jahre nach 1848 einfloss. 1848 war der jüdische Arzt Dr. Adolf Fischhof wesentlich an der Revolution beteiligt. Bis 1861/1867 bestanden noch verschiedene Beschränkungen für die Juden; dennoch setzte schon damals eine beträchtliche Zuwanderung zunächst aus Ungarn und Böhmen ein. Ab 1852 wurde die Judenschaft als Kultusgemeinde verstanden, das heißt offiziell als Religionsgemeinschaft. Neben den traditionellen Beschäftigungen der führenden Familien im Geschäft mit Staatspapieren und im Bankwesen traten der Eisenbahnbau, industrielle Zweige sowie bildungsbürgerliche und künstlerische Bereiche. Für den sozialen Aufstieg hatte der Textilhandel eine besondere Bedeutung. Die Wiener Juden spielten eine bedeutende Rolle als Mäzene und Förderer sozialer Einrichtungen, außerdem gab es bedeutende Wissenschaftler, insbesondere unter Ärzten, Juristen und Nationalökonomen, später auch in den Geisteswissenschaften. Der sich parallel zur Emanzipation fortsetzende Antisemitismus erlebte gegenüber der josephinisch geprägten Zeit eine Verschärfung; aus den religiösen Argumenten (Sebastian Brunner) entwickelten sich bald wirtschaftliche und soziale (Karl Lueger), schließlich jedoch rassistische (Georg von Schönerer). Nach einem Höhepunkt in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ebbte die Bewegung etwas ab. Unter den Abwehr- und Gegenbewegungen wurde am bedeutendsten der vom Wiener Journalisten und Schriftsteller Theodor Herzl begründete politische Zionismus. Die Zahl der Juden in Wien erreichte knapp vor dem ersten Weltkrieg annähernd 180.000. 1890 wurden die Verhältnisse durch das Israelitische Kultusgesetz geregelt. Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangten zunehmend Vertreter des Zionismus in den Kultusvorstand; auch der letzte Präsident vor 1938 (Desider Friedmann) war Zionist. Mit der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich setzte die systematische Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung der Wiener Juden ein (Holocaust). Von den 180.000 Juden kamen etwa 60.000 in Konzentrationslagern um, 120.000 konnten sich retten oder wurden vertrieben. 1945 etablierte sich die Gemeinde neu, darunter nur wenige Mitglieder, deren Familien bereits vor 1938 in Wien gelebt hatten. Seit den 70er Jahren kam es zur Zuwanderung aus Gebieten der damaligen Sowjetunion. Die Israelitische Kultusgemeinde hat derzeit (1993) etwa 6.000-7.000 Mitglieder. Seit den 80er Jahren entwickelt sich ein lebhaftes kulturelles und religiöses Gemeindeleben.


Literatur

  • Hans Tietze: Die Juden Wiens: Geschicht - Wirtschaft - Kultur. Wien: Edition Atelier 1987
  • Siegmund Maier: Die Wiener Juden: Kommerz, Kultur, Politik 1700-1900. Wien/Berlin: R. Löwit 1918
  • Marsha L. Rozenblit: Die Juden Wiens 1867-1914. Assimilation und Identität. Wien [u.a.]: Böhlau 1989
  • A. F. Pribram (Hg.): Urkunden und Akten zur Geschichte der Juden in Wien. 2 Bände. Wien: [o.V.] 1918
  • K. Lohrmann: Zur mittelalterlichen Geschichte der Juden in Österreich. Forschungslage und Literaturüberblick seit 1945. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 93 (1985), S. 115 ff.
  • K. Lohrmann: Judenschaden, Marktschutzrecht und Pfanddarlehen im Wiener Stadtrechtsbuch. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien. 47/48 (1991/1992), S. 213 ff.
  • K. Lohrmann: Judenrecht und Judenpolitik im mittelalterlichen Österreich. Wien [u.a.]: Böhlau 1990
  • Walter Messing: Beiträge zur Geschichte der Juden in Wien und Niederösterreich im 16. Jahrhundert. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien l (1939), S. 11 ff.
  • Walter Messing: Die Kontributionen der Wiener Judenschaft im 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 3/4 (1942), S. 14 ff.
  • Wolfgang Häusler: Der Weg des Wiener Judentums von der Toleranz zur Emanzipation. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 30/31 (1974/1975), S. 84 ff.
  • Häusler-Lessing-Berger: Judaica. Die Sammlung Berger. Kult und Kultur des europäischen Judentums. 1979
  • J. Fraenkel (Hg.): The Jews of Austria. 1967
  • Herbert Nikitsch: Die Juden in Währing. In: Unser Währing. Vierteljahresschrift des Museumsvereins Währing 23 (1988), Heft 2
  • Herbert Exenberger: Die Geschichte der Juden in Simmering. In: Davidische Jüdische Kulturzeitschrift 6 (1994), Nummer 21, S. 6 ff.