Gestapoleitstelle Wien

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Daten zur Organisation
Art der Organisation Behörde
Datum von 1938
Datum bis
Benannt nach
Prominente Personen Karl Ebner
PageID 20957
GND
WikidataID
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 27.09.2017 durch DYN.krabina
  • 1., Schottenring 11
  • 1., Herrengasse 7
  • 1., Herrengasse 13
  • 1., Morzinplatz 4

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48° 12' 36.51" N, 16° 21' 54.83" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Gestapoleitstelle Wien. Am 15. März 1938 errichtete der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, im Auftrag von Heinrich Himmler (Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei) die Gestapoleitstelle Wien, die de facto sämtliche politisch-polizeilichen Aufgaben der österreichischen Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit übernahm (Gebäude der Gestapo). Der Amtsbereich der Gestapoleitstelle Wien erstreckte sich 1938-1945 auf das Gebiet von "Groß-Wien" sowie das gesamte Territorium von Niederösterreich, auf Teile von Südmähren (mit Znaim) und das nördliche Burgenland (mit Eisenstadt); in diesem Amtsbereich bestanden drei Außendienststellen (St. Pölten, Wiener Neustadt, Znaim) sowie drei Grenzpolizeikommissariate (Eisenstadt, Gmünd, Wien).

Personal

Der Personalstand der Gestapo betrug 800-950 Personen, knapp die Hälfte der in der "Ostmark" stationierten Gestapoangehörigen (der Anteil der Österreicher am Personal der Wiener Dienststelle betrug 1938-1942 rund 95%, 1942-1944 rund 84% und 1944/1945 80,6%, der Anteil an den Führungskräften stieg von 68,3% [1938] auf 82,2% [1945]). Die Mehrzahl der Gestapoangehörigen (70-97%) versah vor 1938 Dienst bei der österreichischen Polizei (davon 50-60% als Kriminal- und 30-40% als Sicherheitswachebeamte), der Rest kam von der Bundesgendarmerie.

Aufgaben

Der Schwerpunkt der "politischen Gegnerbekämpfung" lag 1938-1945 nicht auf dem Gebiet der organisierten Opposition, sondern bei "Arbeitsdelikten" (Arbeitsvertragsbruch, Verstöße gegen Betriebs- und Arbeitsregelungen und dergleichen) sowie bei der Bekämpfung krimineller Delikte ausländischer Arbeiter. Zwischen September 1938 und Juni 1944 wurden 47.348 Festnahmen durchgeführt, darunter 30.881 wegen "Arbeitsvertragsbruchs" und ähnlichen Delikte (65,2%). Auf Festnahmen wegen "kommunistischer Aktivitäten" entfielen 3.571 (7,9%), auf solche wegen "reaktionärer", "legitimistischer" oder sonstiger oppositioneller Handlungen 2.945 (6,2%). "Judenangelegenheiten" spielten mit 1.902 Festnahmen (4%) deshalb eine geringere Rolle, weil bis März 1943 die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" einen Großteil der Amtshandlungen (einschließlich Festnahmen und Inhaftierungen) durchführte und die Gestapoleitstelle Wien diese Agenden erst zu diesem Zeitpunkt übernahm. Die Berliner Oberbehörde maß im Amtsbereich der Gestapoleitstelle Wien der Bekämpfung kommunistischer Aktivitäten und der Spionagebekämpfung die höchste Bedeutung bei. Im Gesamtkomplex der "politische Gegnerbekämpfung" zählte die Gestapoleitstelle Wien zu den zuverlässigsten und engagiertesten Gestapodienststellen im deutschen Herrschaftsbereich. Bei den Ermittlungen der Wiener Gestapo kamen jene Methoden und Mittel zum Einsatz, von denen die Gestapoangehörigen überzeugt waren, dass sie zu einer "zufriedenstellenden" Aufklärung der Tatbestände führen würden; viele Häftlinge trugen derart schwere Verletzungen davon, dass sie in der Gerichtshaft, in Strafanstalten oder Konzentrationslagern daran starben, zahlreiche andere trugen lebenslange physische oder psychische Schäden davon.

Sammelakt des Volksgerichts zur Wiener Gestapo

Im August 1945 wurde zum Zweck gerichtlicher Voruntersuchungen wegen des Verdachts nationalsozialistischer Verbrechen oder der illegalen Mitgliedschaft bei der NSDAP von 1933 bis 1938 das Volksgericht eingerichtet. Die Unterlagen, die das Volksgericht bei den Untersuchungen zusammengetragen hat, ermöglichen es heute, den Namen der Täterinnen und Täter in Wien ein Gesicht zu geben. Die Volkgerichtsakten wurden 2006 aus dem Landesgericht in das Wiener Stadt- und Landesarchiv (MA 8) übernommen. Besonders eingehend wurde nach Mitgliedern der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Wien gefahndet. Die Gestapo-Leitstelle Wien am Morzinplatz verfügte über etwa 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und war damit die größte Gestapo-Leitstelle des "Dritten Reiches".

Sammelakt

Als Grundlage für die Fahndung wurde ein Sammelakt unter dem Titel "UT Gestapo" angelegt. Damit bezweckte das Gericht die Rekonstruktion der Gliederung und Verantwortlichkeiten der Gestapo sowie die koordinierte Erfassung aller Gestapo-Mitglieder. Der Sammelakt besteht aus einem fünf Zentimeter dicken Papierakt und zwei Ordnern mit Fotos.

Entstehungsprozess des Sammelakts des Volksgerichts zur Gestapo und die Rechtsgrundlage

Mit der Anlage des Sammelakts Vg 4c Vr 5840/1947 bezweckte das Wiener Landesgericht eine allgemeine und koordinierte Erfassung der Gestapo und Ausforschung aller ihrer Mitglieder. Es handelt sich um einen fünf Zentimeter dicken Papierakt samt zwei Ordnern mit Fotos, von denen die meisten Passbildformat aufweisen.

Der Akt setzt mit einer Aktenübersicht ein. Die Anklage wurde gegen UT (unbekannter Täter) Gestapo-Angehörige gemäß § 3 Kriegsverbrechergesetz erhoben. Das Kriegsverbrechergesetz vom 26. Juni 1945 (Staatsgesetzblatt 32/1945), beschlossen von der provisorischen Staatsregierung, legt unter § 3 fest: Quälereien und Misshandlungen: Strafausmaß fünf bis zehn Jahre schwerer Kerker bis Todesstrafe; Absatz 3: Dieses Verbrechens sind insbesonders schuldig und mit dem Tode zu bestrafen: "...alle nicht ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben betraute leitende Beamte der Geheimen Staatspolizei (Gestapo)".

Verfahrensbeginn

Erhebungen wurden vom Staatsanwalt Dr. Wolfgang Laßmann durchgeführt. Er beantragte die Einvernahme Franz Josef Hubers (Leiter Gestapo-Leitstelle Wien 1938 bis 1944) und Dr. Rudolf Mildners (1944 bis 1945 Leiter Gestapo-Leitstelle Wien) in Nürnberg und Garmisch-Partenkirchen, um die in den Einzeluntersuchungen in Wien gegen Gestapo-Beamtinnen und -Beamte getätigten Aussagen zu überprüfen. Hierfür benötigte er allerdings die Erlaubnis der amerikanischen Behörden.

Lichtbilder für Täteridentifikation

Die Fotos im Sammelakt gehen auf eine Initiative des Staatsanwalts Laßmann zurück. Er beantragte die Auflegung aller Lichtbilder ehemaliger Gestapo-Angehöriger. Während sich die Einvernahme der führenden Gestapo-Mitglieder in die Länge zog, machte die Idee rasche Fortschritte, diese Lichtbilder in einer öffentlich zugänglichen Ausstellung zu zeigen. Die Bevölkerung sollte in die Suche nach den Täterinnen und Tätern miteinbezogen werden. Die Justiz erhoffte sich, dass Besucherinnen und Besucher der Ausstellung Gestapo-Täterinnen und -Täter identifizieren könnten.

Ergebnisse

Bis Dezember 1947 kam es zu keiner der von Dr. Pausinger geplanten Einvernahmen Hubers in Nürnberg. Die Fotos wurden seinem "Dauervertreter" Dr. Karl Ebner vorgelegt, der sie - wie aus Randbemerkungen in einer beigefügten Liste ersichtlich wird - bezüglich der Namenszuweisung kommentierte. Mildner konnte nicht einvernommen werden, da er aus dem Kriegsgefangenenlager geflüchtet war. Am 26. November 1949 erfolgte der Antrag des Staatsanwalts, das Verfahren gegen UT gemäß § 412 Strafprozessordnung abzubrechen. § 412 legt das Verfahren wider Unbekannte, Abwesende oder Flüchtige fest: "Das Verfahren ist in solchen Fällen erst, wenn keine Anhaltpunkte zu weiteren Nachforschungen mehr vorhanden sind, bis zur künftigen Entdeckung oder Auffindung des Täters einzustellen." Der Akt enthält unter anderem Material über den Bau des Modells, die Herstellung der Fotos und dazugehörige Rechnungen, eine provisorische Konkordanzliste von Fotonummern und Namen, Organisationsunterlagen der Gestapo, Kontakte mit den amerikanischen Stellen in Nürnberg und einige von dort zur Verfügung gestellte Kopien zur Organisation der Gestapo. Die Rückmeldungen der Bevölkerung sind darin leider nicht enthalten. Mögliche Folgen der Ausstellung lassen sich nur anhand einzelner Volksgerichtsverfahren nachweisen.

Biografien ausgewählter Gestapo-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter

Das Wiener Stadt- und Landesarchiv ermöglicht durch die systematische Erschließung und die grundsätzliche Eröffnung des Zugangs zu den Volksgerichtsakten, die Personen hinter der verbrecherischen Organisation Gestapo in ihren Taten darzustellen. Der Nazi-Terror erhält ein Gesicht. Die Biografien ausgewählter Gestapo-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind damit um eine Facette reicher.

Literatur

  • Thomas Mang: "Gestapo-Leitstelle Wien - Mein Name ist Huber". Wer trug die lokale Verantwortung für den Mord an den Juden Wiens? Münster: LIT-Verlag 2003 (Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes zu Widerstand, NS-Verfolgung und Nachkriegsaspekten, 1)
  • Thomas Mang: Die Unperson. Karl Ebner, Judenreferent der Gestapo Wien. Eine Täterbiografie. Bozen: Raetia 2013
  • Johanna Mertinz / Winfried R. Garscha [Hg.]: Mut, Mut - noch lebe ich. Die Kassiber der Elfriede Hartmann aus der Gestapo-Haft. Wien: Mandelbaum-Verlag 2013
  • Franz Weisz: Die geheime Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Wien 1938 - 1945. Organisation, Arbeitsweise und personale Belange. Diss. Univ. Wien. Wien 1991
  • Franz Weisz: Die Gestapo in Wien. In: Archiv. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung 8 (1992), S. 210 ff.
  • Franz Weisz: Die Gestapoleitstelle Wien. In: Wiener Geschichtsblätter 47 (1992), 231 ff.

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