Anitta Müller-Cohen: Unterschied zwischen den Versionen

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Anitta (Anita) Müller-Cohen (geb. Rosenzweig), * 6. Juni 1890 Wien, † 29. Juni 1962 Tel Aviv, Fürsorgerin, Frauenrechtlerin, Zionistin.
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Anitta Müller-Cohen, * 6. Juni 1890 Wien, † 29. Juni 1962 Tel Aviv, Sozialarbeiterin, Kommunalpolitikerin, Journalistin, Zionistin.
  
==Biographie==
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==Biografie==
Anitta Müller wurde am 6. Juni 1890 als Tochter von Sofie und Salomon Rosenzweig in Wien geboren. Sie engagierte sich bereits im Alter von 18 Jahren in der bürgerlichen Frauenbewegung im Rahmen des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins (AÖF). Am 7. November 1909 heiratete sie den Kaufmann Arnold Müller. Der Erste Weltkrieg brachte eine Zäsur in ihrem Leben. Zuerst arbeitete sie im Rahmen der Kriegsfürsorge, was sie angesichts des Elends der in Wien gestrandeten Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina aber nicht zufrieden stellte. Bereits am 1. September 1914 hatte sie mit einem Heim für Wöchnerinnen eine eigene Hilfsorganisation gegründet. Die "Soziale Arbeitsgemeinschaft Anitta Müller" dehnte ihre Initiativen und Aktivitäten immer mehr aus und errichtete weitere Einrichtungen: einen Kinderhort, Suppen- und Teeanstalten, ein Säuglings- und Mütterheim, eine Arbeitsschule für Frauen und Mädchen sowie Kinderheime und Soldatenausspeisungen. Darüber hinaus gründete sie ein Sozialarchiv und hielt Wirtschaftskurse für Frauen. Während des Krieges arbeitete sie intensiv mit der "Zentralstelle der Fürsorge für Flüchtlinge der Stadt Wien" und nach 1918 mit dem "American Jewish Joint Distribution Committee" zusammen. Anitta Müller-Cohen erreichte wegen ihres Organisationstalents und ihrer Organisationskraft große Bekanntheit. Am 7. März 1918 erhielt sie von Kaiser Karl I. das Kriegsverdienstkreuz.
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Anitta Müller-Cohen, geborene Rosenzweig, kam am 6. Juni 1890 in Wien als Tochter des Kaufmanns Salomon Rosenzweig und seiner Ehefrau Sofie, geborene Schnabel, auf die Welt. Sie wuchs in einem wohlhabenden, bürgerlichen und jüdisch-assimilierten Umfeld auf. Die Informationen über ihren Bildungsweg sind spärlich. Vermutlich besuchte sie nach der Bürgerschule für kurze Zeit das Pensionat "von Hoeniger" in Breslau und absolvierte anschließend eine zweijährige pädagogische Ausbildung zur Volksschullehrerin am städtischen Pädagogikum in Wien. Ob sie die Ausbildung abschloss oder diese durch die Eheschließung ein Ende fand, ist unklar. 1909 heiratete sie den Kaufmann Arnold Müller, Sohn eines Geschäftspartners ihres Vaters. Das Paar hatte eine gemeinsame Tochter, Blanka. Nach der Scheidung von Müller im August 1921 heiratete sie im Oktober desselben Jahres den Kaufmann Samuel Cohen, der zwei Kinder in die Ehe mitbrachte. Die gemeinsame Tochter Ruth wurde 1928 geboren. 1929 übersiedelte die Familie nach Luxemburg und 1932 nach London. 1934 ließ sich Anitta Müller-Cohen gemeinsam mit ihrer Familie dauerhaft in Palästina/Erez Israel nieder. 1948 trennte sie sich von ihrem zweiten Ehemann.
  
In den letzten Kriegsjahren entwickelte sie sich zu einer engagierten Zionistin im Umfeld von Robert Stricker, dem Obmann der bürgerlichen "Jüdischnationalen Partei". Anitta Müller saß vom 3. Dezember 1918 bis 5. Mai 1919 für die Freiheitlich-Bürgerliche Partei im provisorischen Wiener Gemeinderat und kandidierte für den Nationalrat. Der Schwerpunkt ihrer organisatorischen Tätigkeit lag nach dem Krieg in der Hilfe für geflohene jüdische Kinder und Waisen. Rund 12.000 Flüchtlinge konnte sie zu Erholungsaufenthalten ins Ausland schicken. Am 11. August 1921 wurde ihre Ehe mit Arnold Müller geschieden, am 13. Oktober 1921 heiratete sie den Kaufmann Samuel Cohen. Als Sozialexpertin erreichte sie in den 1920er Jahren große internationale Bekanntheit, war in vielen Gremien tätig, so als Vizepräsidentin des "Weltbundes jüdischer Frauen". 1934 wanderte sie mit ihrer Familie nach Palästina aus, wo sie sich ebenfalls der Sozialarbeit widmete und sich nach dem "Anschluss" für jüdische Flüchtlinge aus Österreich engagierte. Politisch unterstützte sie die "Herut"-Partei von Menachem Begin. Müler-Cohen starb am 29. Juni 1962 in Tel Aviv.
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Anitta Müller-Cohen war zu ihren Lebzeiten für ihr außerordentliches soziales Engagement bekannt. Während des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]] baute sie eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Wien auf, deren Aktivitäten sie auch nach Kriegsende weiterführte. Zudem setzte sie sich auf politischer Ebene für Frauenrechte, soziale Themen und jüdische Anliegen ein. Im Lauf der Jahre entwickelte sie eine umfassende zionistische Tätigkeit.
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Bereits ab 1908/1909, im Alter von 18 Jahren, brachte sich Anitta Müller-Cohen in der bürgerlichen Frauenbewegung im Rahmen des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins (AÖF) ein, dem sie 1917 auch als Vorstandsmitglied angehörte. Waren ihre Aktivitäten zu Beginn noch überkonfessionell ausgerichtet, konzentrierte sie sich später auf jüdische Sozialarbeit. Die Bekanntschaft mit Bertha Pappenheim, Gründerin des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland, könnte zu dieser thematischen Fokussierung beigetragen haben. Die beiden Frauen lernten sich vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kennen und pflegten zunächst ein enges Verhältnis, ehe um 1920 Anitta Müller-Cohens Engagement für den Zionismus dazu führte, dass der Kontakt abkühlte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits Samuel Cohen kennengelernt. Ihr zweiter Ehemann stammte aus einer orthodoxen Familie, war religiös und ein engagierter Zionist. Während der Beziehung zu Samuel Cohen wurden die Themen Zionismus und Religion auch für Anitta Müller-Cohen wichtiger.
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==Die Soziale Hilfsgemeinschaft Anitta Müller==
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Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs arbeitete Anitta Müller-Cohen zunächst im Rahmen der Kriegsfürsorge in der "Zentralstelle der Fürsorge für die Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina", innerhalb der sie die Abteilung für Wöchnerinnen, die Säuglingsfürsorge, ein Mutterheim und einen Kinderhort leitete. Parallel dazu gründete sie bereits im September 1914 unter Mitarbeit von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten im Rahmen einer eigenen Hilfsorganisation ein Heim für Wöchnerinnen. Rasch dehnte sie ihre Aktivitäten weiter aus und errichtete beispielsweise ein Mütterheim, eine Säuglingsfürsorge, einen Kinderhort, Suppen- und Teeanstalten, Arbeitsschulen für Frauen und Mädchen, eine Kinderheilstätte sowie ein Sozialarchiv zu Ausbildungs- und Dokumentationszwecken. Die Angebote wurden ständig erweitert und umfassten neben Sozialarbeit auch das Sammeln von Spenden sowie die Verbreitung und das Sichtbarmachen der Initiativen. Zunächst unter dem Namen "Wohlfahrtsinstitutionen der Frau Anitta Müller für Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina" geführt, bündelte sie die zahlreichen Tätigkeiten im April 1918 in einem Verein namens "Soziale Hilfsgemeinschaft Anitta Müller".
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==Politisches Engagement==
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Ihr soziales Engagement machte Anitta Müller-Cohen rasch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Im März 1918 erhielt sie von Kaiser [[Karl I.]] für ihre Wohltätigkeitsarbeit das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse. Ihre Expertise und ihre zunehmende Bekanntheit prädestinierten sie für politische Agenden. 1918 wurde sie Mitglied in der Kommission für Frauenarbeit innerhalb des neugegründeten Ministeriums für soziale Fragen. Als man im November 1918 den für circa zwei Jahre existierenden "Jüdische[n] Nationalrat für Deutsch-Österreich" ins Leben rief, übernahm Anitta Müller-Cohen die Leitung des Organisationsamtes für soziale Angelegenheiten.
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Vom 3. Dezember 1918 bis 22. Mai 1919 vertrat sie die Freiheitlich-Bürgerliche Partei im Provisorischen [[Gemeinderat]] der Stadt Wien. Anitta Müller-Cohen war somit eine der insgesamt zwölf ersten [[Politikerinnen in der Ersten Republik|weiblichen Gemeinderätinnen]] und zudem die jüngste Abgeordnete. Die Sozialexpertin wurde in den Ausschuss für die städtische Wohnungsfürsorge gewählt.
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1919 gründete sie gemeinsam mit Erna Patak den Jüdischen Frauenbund Österreichs.
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Am 17. Oktober 1920 kandidierte sie bei den Wahlen zum [[Nationalrat]] an zweiter Stelle für die [[Jüdische Partei|Jüdischnationale Partei]], konnte allerdings kein Mandat erringen. Einhergehend mit ihrem politischen Engagement trat sie verstärkt bei Wahlauftritten und als Journalistin in Erscheinung. Sie publizierte unter anderem in der deutschsprachigen jüdischen Tageszeitung "Wiener Morgenzeitung".
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Ihre politische Tätigkeit gewann eine zunehmend stärkere internationale Ausrichtung. Anitta Müller-Cohen übernahm die Leitung des Krankenressorts der österreichischen Sektion des "American Jewish Joint Distribution Committees" (gegründet 1919 in Wien) und nahm ab 1920 regelmäßig an den Jüdischen Welthilfskonferenzen teil, wo sie mehrmals auch in den Vorstand gewählt wurde. Dasselbe gilt für die ab Mitte der 1920er Jahre stattfindenden Weltkongresse Jüdischer Frauen und Zionistischer Frauen. Die zunehmende internationale Vernetzung ging mit einer umfassenden Reisetätigkeit innerhalb Europas, in die USA sowie mit zahlreichen kürzeren und längeren Aufenthalten in Palästina/Erez Israel einher.
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Nach ihrer Übersiedlung nach Palästina 1934 unterstützte sie in ihrer neuen Heimat zionistische, teils nationalistische Organisationen zur israelischen Staatsgründung, beispielsweise 1945 die militärische Untergrundorganisation "Etzel" unter Menachem Begin. Im Zuge der Staatsgründung schloss sie sich der Herut-Partei an, innerhalb der sie eine Frauenbewegung aufbaute.
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Auch ihr soziales und (frauen-)politisches Engagement setzte sie fort. Viele ihrer Aktivitäten wiesen einen Österreichbezug auf. Unter anderem reorganisierte sie 1934/1935 die österreichische Einwanderungsorganisation Hitachdut Olej Austria (HOA), der sie als Vorstandsmitglied und später als Vorsitzende angehörte. Nach dem sogenannten "[[Anschluss]]" 1938 verstärkte sie ihren Einsatz für Flüchtlinge aus Österreich. Sie gehörte 1954 dem Vorstand des neu gegründeten "Council of Jews from Austria" in Tel Aviv an. 1956 wurde sie in den Vorstand der Freundschaftsgesellschaft Israel-Österreich gewählt.
  
 
==Literatur==
 
==Literatur==
Dieter J. Hecht: Zwischen Feminismus und Zionismus. Die Biografie einer Wiener Jüdin. Anitta Müller-Cohen (1890-1962). Wien: Böhlau 2008 (= L'Homme Schriften ; 15)
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* Ilse Korotin [Hg.]: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 2. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2016, S. 2328
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* Dieter J. Hecht: Zwischen Feminismus und Zionismus. Die Biografie einer Wiener Jüdin. Anitta Müller-Cohen (1890–1962). Wien: Böhlau 2008 (L'Homme Schriften, 15)
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* Elke Krasny: Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien. Wien: Metroverlag 2008, S. 172
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* Susanne Feigl: Politikerinnen in Wien. 1848–2000. Biographien. Wien: Frauenbüro Wien 2000, S. 32 f.
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* Wolfgang Solt: Mitglieder des Gemeinderates der Stadt Wien (Wiener Landtages) und des Stadtsenates der Stadt Wien (der Wiener Landesregierung) 1918−1934. Wien: 1995
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*[https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/structure/1811455 Wienbibliothek Digital: Oswald Knauer: Der Wiener Gemeinderat 1861−1962. In: Handbuch der Stadt Wien. Band 77. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1963] [Stand: 04.11.2019]
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* [https://fraueninbewegung.onb.ac.at/node/3034 Frauen in Bewegung: 1848–1938: Anitta Müller-Cohen] [Stand: 04.11.2019]
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* [https://litkult1920er.aau.at/litkult-lexikon/mueller-anitta/ Österreichische Kultur und Literatur der 20er Jahre – transdisziplinär: Müller-Cohen, Anitta] [Stand: 04.11.2019]
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==Links==
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== Weblinks ==
* [http://de.wikipedia.org/wiki/Anita_M%C3%BCller-Cohen Wikipedia: Anita Müller-Cohen]
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* [https://www.wien.gv.at/advuew/internet/AdvPrSrv.asp?Layout=politiker&Type=K&POLLAY=histpolsuche&PERSONCD=2014092510060344&SUCHNAME=M%FCller%20Anitta&HP=Y&PERIODE=&RF=01&ICD=2011021810214075 POLAR − Wiener Politikerinnen und Politiker Archiv − Gemeinderätinnen 1918−1934: Anitta Müller]
* [http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_cohen.htm Frauen in Bewegung: Anita Müller-Cohen]
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* [https://de.wikipedia.org/wiki/Anitta_Müller-Cohen Wikipedia: Anita Müller-Cohen]
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* [http://www.fraueninbewegung.onb.ac.at/Pages/PersonDetail.aspx?p_iPersonenID=8674853 Frauen in Bewegung: Anitta Müller-Cohen]

Aktuelle Version vom 18. Oktober 2023, 13:13 Uhr

Plakat für eine Ausstellung von Anitta Müllers Arbeitsschule (1917), Wienbibliothek im Rathaus, Plakatsammlung, Signatur: P-35367
Daten zur Person
Personenname Müller-Cohen, Anitta
Abweichende Namensform Müller, Anitta; Cohen, Anita; Rosenzweig, Anitta
Titel
Geschlecht weiblich
PageID 42892
GND 188052747
Wikidata Q94517
Geburtsdatum 6. Juni 1890
Geburtsort Wien
Sterbedatum 29. Juni 1962
Sterbeort Tel Aviv
Beruf Kommunalpolitikerin, Journalistin
Parteizugehörigkeit Freiheitlich-Bürgerliche Partei, Jüdischnationale Partei
Ereignis
Nachlass/Vorlass
Objektbezug Jüdische Geschichte, Frauenbewegung
Quelle Gedenktage, POLAR
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 18.10.2023 durch WIEN1.lanm09fri
Begräbnisdatum
Friedhof Tiberias
Grabstelle
Bildname SchuleAnittaMüller.jpg
Bildunterschrift Plakat für eine Ausstellung von Anitta Müllers Arbeitsschule (1917), Wienbibliothek im Rathaus, Plakatsammlung, Signatur: P-35367

Es wurden noch keine Adressen zu dieser Person erfasst!

Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft
  • Mitglied des Provisorischen Gemeinderates der Stadt Wien (03.12.1918 bis 22.05.1919)

  • Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse (Übernahme: 7. März 1918)

Anitta Müller-Cohen, * 6. Juni 1890 Wien, † 29. Juni 1962 Tel Aviv, Sozialarbeiterin, Kommunalpolitikerin, Journalistin, Zionistin.

Biografie

Anitta Müller-Cohen, geborene Rosenzweig, kam am 6. Juni 1890 in Wien als Tochter des Kaufmanns Salomon Rosenzweig und seiner Ehefrau Sofie, geborene Schnabel, auf die Welt. Sie wuchs in einem wohlhabenden, bürgerlichen und jüdisch-assimilierten Umfeld auf. Die Informationen über ihren Bildungsweg sind spärlich. Vermutlich besuchte sie nach der Bürgerschule für kurze Zeit das Pensionat "von Hoeniger" in Breslau und absolvierte anschließend eine zweijährige pädagogische Ausbildung zur Volksschullehrerin am städtischen Pädagogikum in Wien. Ob sie die Ausbildung abschloss oder diese durch die Eheschließung ein Ende fand, ist unklar. 1909 heiratete sie den Kaufmann Arnold Müller, Sohn eines Geschäftspartners ihres Vaters. Das Paar hatte eine gemeinsame Tochter, Blanka. Nach der Scheidung von Müller im August 1921 heiratete sie im Oktober desselben Jahres den Kaufmann Samuel Cohen, der zwei Kinder in die Ehe mitbrachte. Die gemeinsame Tochter Ruth wurde 1928 geboren. 1929 übersiedelte die Familie nach Luxemburg und 1932 nach London. 1934 ließ sich Anitta Müller-Cohen gemeinsam mit ihrer Familie dauerhaft in Palästina/Erez Israel nieder. 1948 trennte sie sich von ihrem zweiten Ehemann.

Anitta Müller-Cohen war zu ihren Lebzeiten für ihr außerordentliches soziales Engagement bekannt. Während des Ersten Weltkriegs baute sie eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Wien auf, deren Aktivitäten sie auch nach Kriegsende weiterführte. Zudem setzte sie sich auf politischer Ebene für Frauenrechte, soziale Themen und jüdische Anliegen ein. Im Lauf der Jahre entwickelte sie eine umfassende zionistische Tätigkeit.

Bereits ab 1908/1909, im Alter von 18 Jahren, brachte sich Anitta Müller-Cohen in der bürgerlichen Frauenbewegung im Rahmen des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins (AÖF) ein, dem sie 1917 auch als Vorstandsmitglied angehörte. Waren ihre Aktivitäten zu Beginn noch überkonfessionell ausgerichtet, konzentrierte sie sich später auf jüdische Sozialarbeit. Die Bekanntschaft mit Bertha Pappenheim, Gründerin des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland, könnte zu dieser thematischen Fokussierung beigetragen haben. Die beiden Frauen lernten sich vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kennen und pflegten zunächst ein enges Verhältnis, ehe um 1920 Anitta Müller-Cohens Engagement für den Zionismus dazu führte, dass der Kontakt abkühlte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits Samuel Cohen kennengelernt. Ihr zweiter Ehemann stammte aus einer orthodoxen Familie, war religiös und ein engagierter Zionist. Während der Beziehung zu Samuel Cohen wurden die Themen Zionismus und Religion auch für Anitta Müller-Cohen wichtiger.

Die Soziale Hilfsgemeinschaft Anitta Müller

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs arbeitete Anitta Müller-Cohen zunächst im Rahmen der Kriegsfürsorge in der "Zentralstelle der Fürsorge für die Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina", innerhalb der sie die Abteilung für Wöchnerinnen, die Säuglingsfürsorge, ein Mutterheim und einen Kinderhort leitete. Parallel dazu gründete sie bereits im September 1914 unter Mitarbeit von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten im Rahmen einer eigenen Hilfsorganisation ein Heim für Wöchnerinnen. Rasch dehnte sie ihre Aktivitäten weiter aus und errichtete beispielsweise ein Mütterheim, eine Säuglingsfürsorge, einen Kinderhort, Suppen- und Teeanstalten, Arbeitsschulen für Frauen und Mädchen, eine Kinderheilstätte sowie ein Sozialarchiv zu Ausbildungs- und Dokumentationszwecken. Die Angebote wurden ständig erweitert und umfassten neben Sozialarbeit auch das Sammeln von Spenden sowie die Verbreitung und das Sichtbarmachen der Initiativen. Zunächst unter dem Namen "Wohlfahrtsinstitutionen der Frau Anitta Müller für Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina" geführt, bündelte sie die zahlreichen Tätigkeiten im April 1918 in einem Verein namens "Soziale Hilfsgemeinschaft Anitta Müller".

Politisches Engagement

Ihr soziales Engagement machte Anitta Müller-Cohen rasch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Im März 1918 erhielt sie von Kaiser Karl I. für ihre Wohltätigkeitsarbeit das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse. Ihre Expertise und ihre zunehmende Bekanntheit prädestinierten sie für politische Agenden. 1918 wurde sie Mitglied in der Kommission für Frauenarbeit innerhalb des neugegründeten Ministeriums für soziale Fragen. Als man im November 1918 den für circa zwei Jahre existierenden "Jüdische[n] Nationalrat für Deutsch-Österreich" ins Leben rief, übernahm Anitta Müller-Cohen die Leitung des Organisationsamtes für soziale Angelegenheiten. Vom 3. Dezember 1918 bis 22. Mai 1919 vertrat sie die Freiheitlich-Bürgerliche Partei im Provisorischen Gemeinderat der Stadt Wien. Anitta Müller-Cohen war somit eine der insgesamt zwölf ersten weiblichen Gemeinderätinnen und zudem die jüngste Abgeordnete. Die Sozialexpertin wurde in den Ausschuss für die städtische Wohnungsfürsorge gewählt. 1919 gründete sie gemeinsam mit Erna Patak den Jüdischen Frauenbund Österreichs. Am 17. Oktober 1920 kandidierte sie bei den Wahlen zum Nationalrat an zweiter Stelle für die Jüdischnationale Partei, konnte allerdings kein Mandat erringen. Einhergehend mit ihrem politischen Engagement trat sie verstärkt bei Wahlauftritten und als Journalistin in Erscheinung. Sie publizierte unter anderem in der deutschsprachigen jüdischen Tageszeitung "Wiener Morgenzeitung".

Ihre politische Tätigkeit gewann eine zunehmend stärkere internationale Ausrichtung. Anitta Müller-Cohen übernahm die Leitung des Krankenressorts der österreichischen Sektion des "American Jewish Joint Distribution Committees" (gegründet 1919 in Wien) und nahm ab 1920 regelmäßig an den Jüdischen Welthilfskonferenzen teil, wo sie mehrmals auch in den Vorstand gewählt wurde. Dasselbe gilt für die ab Mitte der 1920er Jahre stattfindenden Weltkongresse Jüdischer Frauen und Zionistischer Frauen. Die zunehmende internationale Vernetzung ging mit einer umfassenden Reisetätigkeit innerhalb Europas, in die USA sowie mit zahlreichen kürzeren und längeren Aufenthalten in Palästina/Erez Israel einher.

Nach ihrer Übersiedlung nach Palästina 1934 unterstützte sie in ihrer neuen Heimat zionistische, teils nationalistische Organisationen zur israelischen Staatsgründung, beispielsweise 1945 die militärische Untergrundorganisation "Etzel" unter Menachem Begin. Im Zuge der Staatsgründung schloss sie sich der Herut-Partei an, innerhalb der sie eine Frauenbewegung aufbaute. Auch ihr soziales und (frauen-)politisches Engagement setzte sie fort. Viele ihrer Aktivitäten wiesen einen Österreichbezug auf. Unter anderem reorganisierte sie 1934/1935 die österreichische Einwanderungsorganisation Hitachdut Olej Austria (HOA), der sie als Vorstandsmitglied und später als Vorsitzende angehörte. Nach dem sogenannten "Anschluss" 1938 verstärkte sie ihren Einsatz für Flüchtlinge aus Österreich. Sie gehörte 1954 dem Vorstand des neu gegründeten "Council of Jews from Austria" in Tel Aviv an. 1956 wurde sie in den Vorstand der Freundschaftsgesellschaft Israel-Österreich gewählt.

Literatur


Weblinks