Elfriede Gerstl
Elfriede Gerstl, * 16. Juni 1932 Wien, † 8. April 2009 Wien, Schriftstellerin.
Biographie
Die Tochter eines jüdischen Zahnarztes überlebte die Zeit von 1938 bis 1945 mit ihrer Familie versteckt in Wien. Ab 1952 studierte sie einige Semester Medizin und Psychologie und begann Anfang der 1950er Jahre zu schreiben. Seit 1951 veröffentlicht sie in Zeitschriften und Verlagen der österreichischen literarischen Gegenszene. 1962 erschien ihr erster Gedichtband "Gesellschaftsspiele mit mir".
Als einzige Frau im Umkreis der Autoren der "Wiener Gruppe" und der frühen Aktionisten, die aus Wien vertrieben wurden, lebte sie in den bewegten 1960er Jahren als Stipendiatin des Literarischen Colloquiums in Berlin, wo sie zusammen mit Hubert Fichte und Peter Bichsel den Gemeinschaftsroman "Das Gästehaus" (1965) verfasste. 1968/1969 konzipierte sie unter dem Eindruck der politischen Ereignisse ihren Prosatext "Spielräume" (1977), in dem sie die ritualisierte Scheinkommunikation der Berliner bzw. Wiener Subkulturszene vorführte. Der Text beschrieb auch die Probleme, als weibliche Intellektuelle angemessen zu leben. Gerstl verband ihre Themen mit analytischen Sprach- und Formexperimenten sowie Montagetechniken. Ihre Texte bezeichnen ähnlich den Arbeiten von Elfriede Czurda oder Elfriede Jelinek eine spezifisch österreichische Variante der Frauenliteratur.
Weiteren Veröffentlichungen in den 1970er und 1980er Jahren folgte 1993 der Sammelband "Unter einem Hut. Essays und Gedichte", der vergriffene Texte aus früheren Bänden vereinte, 1995 "Kleiderflug. Texte – Textilien – Wohnen", 1998 "Die fliegende Frieda" (Jugendbuch) und 1999 "Alle Tage Gedichte". (Wien). Ironisch spielte Gerstl mit Sprichwörtern in der Postkartenserie "Logo(s)" (2004), die auf 50 Karten Aphorismen sammelte. 2006 publizierte sie im Band "Wien: die Stadt lesen. Diskurse, Erzählungen, Gedichte, Bilder" Texte, die sich mit der Stadt Wien, vor allem auch mit ihren sprachlichen Besonderheiten auseinandersetzten.
Die Schriftstellerin war außerdem Gründungsmitglied der Grazer Autorenversammlung. 2010 wurde der Elfriede-Gerstl-Steg im Stadtpark nach ihr benannt.
Literatur
- Sigrid Schmid-Bortenschlager: Der analytische Blick. In: Carine Kleiber/Erika Tunner [Hg.]: Frauenliteratur in Österreich von 1945 bis heute. Bern/Frankfurt am Main/New York 1986, S. 109–129
- Herbert J. Wimmer: In Schwebe halten – Spielräume von Elfriede Gerstl – ein Diskursbuch literarischer und gesellschaftlicher Entwicklungen der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. 2. Auflage. Wien: Edition Praesens 1998
- Konstanze Fliedl/Christa Gürtler [Hg.]: Dossier Elfriede Gerstl. Literaturwissenschaftliche Arbeiten zu Elfriede Gerstl. Graz: Literaturverlag Droschl 2002
- Elfriede Gerstl: "wer ist denn schon zu Hause bei sich". Hg. von Christa Gürtler und Martin Wedl. Wien: Zsolnay 2012 (Profile, 19)
- Dagmar Winkler-Pegoraro: Elfriede Gerstl. "Sprache(n), Spiele, Spielräume". – Experimentelle Literatur in Österreich. Diss., Univ., Wien. Wien 1999