Merkantilgericht

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Wiener Merkantilprotokoll
Daten zur Organisation
Art der Organisation Behörde
Datum von 1717
Datum bis 1849
Benannt nach
Prominente Personen
PageID 2334
GND
WikidataID
Objektbezug Handelsgericht, Frühe Neuzeit, Merkantilprotokoll
Quelle
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Letzte Änderung am 11.12.2023 durch WIEN1.lanm08tau
Bildname Merkantilprotokoll.jpg
Bildunterschrift Wiener Merkantilprotokoll

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  • Merkantil- und Wechselgericht

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Firmenakt des Merkantil- und Wechselgerichts zu Großhändler Johann Heinrich Fels

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts forderte der Wiener Kaufmannsstand, bestehend aus den Niederlegern, Hofbefreiten und Kramern, eine Regelung seiner Rechtsverhältnisse und die Einführung eines eigenen Handels- und Wechselgerichts in Wien. In einem Gutachten des Handelsstands aus dem Jahr 1708 wurde unter anderem die aufgesplitterte Gerichtsorganisation, die jeden der drei Handelsstände einem eigenen Gericht zuordnete (Niederleger der niederösterreichischen Regierung, Hofbefreite dem Hofmarschallamt, Bürgerliche dem Stadtgericht), als Schwächung empfunden.

Falls es zu einem Rechtsstreit zwischen zwei Kaufleuten oder zwischen Kaufmann und Schuldner kam, führten die unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten zu sehr langen Prozessen und hohen Prozesskosten. So kam es, dass kleine Schulden kaum eingeklagt wurden, da die Kosten für den Prozess die zu erwarteten Beträge weit überstiegen. Eine eigenständige Handelsgerichtsbarkeit als "Judicium Mercantile" nach deutschem Vorbild könnte hier massive Verbesserungen bewirken.

Wechselordnung von 1717

Dem Gutachten von 1708 wurde der Entwurf einer Wechselordnung beigelegt, der als Grundlage der Wiener Wechselordnung vom 10. September 1717 diente. Diese Wechselordnung sollte mit den oben genannten Missständen aufräumen und Rechtssicherheit unter den Kaufleuten herstellen. Ausschlaggebend für die Zuständigkeit des neu zu schaffenden Standesgerichts war der Wechselbrief. Für Streitigkeiten in Bezug auf "formige Wechsel", die formale Kriterien wie Ort, Datum, Art und Höhe der Rückzahlung sowie die Unterschriften der Vertragsparteien enthielten, war nun das Wechselgericht zuständig. Für "ohnformige Wechsel", die diese Kriterien nicht erfüllten, war bei Verträgen zwischen Kaufleuten das Wechselgericht, bei Streitigkeiten zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann das herkömmliche Gericht zuständig.

Das in der Wechselordnung von 1717 geschaffene Wechselgericht war ein aus zwei Instanzen bestehendes selbständiges Standesgericht für die Handels- und Kaufleute. Der leitende Richter, dem sechs Beisitzer zur Seite standen, wurde vom gesamten Handelsstand auf jeweils zwei Jahre alternierend aus jeweils einer der drei Klassen des Handelsstands - Niederleger, Hofbereite und bürgerliche Kaufleute - gewählt. Damit sollte die fachliche Kompetenz des Gerichts gewährleistet sein. Sie alle mussten vom Kaiser bestätigt werden. Das Gericht sollte wöchentlich jeweils am Montag und Donnerstag tagen, bei Notfällen aber jederzeit zusammentreten können.

Das Appellationsgericht als zweite Instanz setzte sich ebenfalls aus einem Richter aus dem Herrenstand und sechs Merkantilräten zusammen. Ein Rat stammte aus der niederösterreichischen Regierung, einer war obristhofmarschallischer Assessor und einer war Stadtgerichtsassessor, dazu kam je ein Rat aus jedem der drei Stände des Handelsstandes. Dieses Appellations-Wechselgericht umgehend nach Stimmenmehrheit zu entscheiden. Als dritte Instanz war die Hofkanzlei zuständig.

Fallitenordnung von 1734

Durch die Fallitenordnung von Karl VI. vom 18. August 1734 wurde das Aufgabengebiet des Gerichts erweitert. Aufgrund zahlreicher Bankrotte wurde die Führung des Merkantilprotokolls präzisiert, um sämtliche Gesellschafter eines Unternehmens sowie die Höhe des Kapitals zu erfassen. Auch ein Mindesteinlagekapital wurde vorgeschrieben, das vom Umfang und Ort des Handelsbetriebs abhängig war. Dieses Kapital musste in den Oblatorien der Kaufleute genannt und im Merkantilprotokoll verzeichnet werden. Eheverträge mussten dem Merkantilgericht zur Kenntnis gebracht und ebenfalls verzeichnet werden. Im Fall eines Konkurses hatten Ehefrauen keine bevorzugten Ansprüche aus dem Firmenvermögen, wenn die Konkursmasse nicht ausreichte.

Reformen

Da die Wechselordnung von 1717 nur inkonsequent umgesetzt wurde, wurde das selbständige Merkantil- und Wechselgericht mit Dekret von 2. Mai 1749 aufgehoben. Alle Akten und Protokolle mussten schon im Jahr zuvor an die niederösterreichische Regierung abgegeben werden, die die Agenden übertragen bekam. In der Hofkommission überprüfte der niederösterreichische Regierungsrat Joseph von Pelser die Unterlagen und stellte gravierende Mängel fest. Bereits 1758 wurde eine „Neuverfasste Handlungs- und Fallitenordnung“ erlassen, die einerseits die Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns regelte, andererseits aber auch die Inhalte des Merkantilprotokolls.

Im Jahr 1762 wurde wieder ein eigenständiges Wechsel- und Merkantilgericht eingerichtet. Im Jahr darauf wurde das Wechselpatent in weitere Sprachen übersetzt und in anderen Teilen der Monarchie eingeführt. Mit der "Wechsel- und Merkantilgerichtsordnung" von 1763 erhielt dieses Gericht eine neue Organisation.

Vermutlich aufgrund von Unregelmäßigkeiten und Absprachen unter den Gerichtspersonen verordnete Kaiser Joseph II. 1782 die Auflösung des Wechselgerichts. Diese Aufhebung scheint jedoch nie umgesetzt worden zu sein und 1786 wurde das Wechselgericht in seinem Wirkungsbereich bestätigt, aber neu organisiert. Das Gericht wurde nun vom Vizepräsidenten des niederösterreichischen Landrechts geführt, ihm zur Seite standen zwei Rechtsgelehrte und je ein Vertreter der drei Handelsklassen. Die Selbständigkeit des Merkantil- und Wechselgerichts als Standesgericht war damit beseitigt.

Nach 1849 erfolgte mit einer Übergangsphase die Ablösung durch das Handelsgericht.

Quellen

Literatur

  • Stefan Wedrac: Die Anfänge der Wiener Handelsgerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert. In: Thomas Olechowski / Christoph Schmetterer / Eva Ortlieb [Hg.]: Gerichtsvielfalt in Wien. Forschungen zum modernen Gerichtsbegriff. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2016 (Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs, 6. Jahrgang/2), S. 315-323
  • Vom Merkantil-Protokoll zum Firmenbuch [Katalog zur Ausstellung vom 18.-20.4.1991 in Salzburg anläßlich der Europatage des österr. Notariats]. Salzburg: 1991