Demobilisierung (1918)

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Auszug aus der Demobilisierungsverordnung (16. November 1918). Quelle: ÖNB KS 16215367
Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses Krieg
Datum von 3. November 1918
Datum bis 31. Dezember 1918
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Gewalt
PageID 56036
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Bildunterschrift Auszug aus der Demobilisierungsverordnung (16. November 1918). Quelle: ÖNB KS 16215367

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Eine Armee zerfällt

Mit dem Kriegsende gerieten nicht nur fast 400.000 Soldaten der k. u. k. Armee aufgrund des am 3. November 1918 geschlossenen Waffenstillstands von Villa Giusti bei Padua in italienische Kriegsgefangenschaft, eine weitaus größere Zahl rüstete ab und hatte nur noch ein Ziel: nach Hause zu gelangen. Für viele führte der Weg über den Bahnknoten Wien, wo Ausschreitungen durch die zurückflutenden Truppen zu befürchten waren.

Sicherheitskräfte in Wien

In Wien war zunächst nur die schwach besetzte Wiener Garnison anwesend. Nach einem Polizeibericht standen Stadtkommandant Mossig am 1. November nur mehr vier Kompanien zur Verfügung, mit denen das Schloss Schönbrunn, die Hofburg, das Belvedere und das Augartenpalais bewacht wurden. Dazu kam die Wiener Polizei, die als "kaisertreu" diskreditiert war, sich aber unter ihrem Chef, dem späteren Bundeskanzler Johann Schober, sehr rasch auf die neue politische Lage einstellte, doch von den Soldaten mit scheelen Augen betrachtet wurde.[1] Einer ernsthaften Auseinandersetzung mit revoltierenden Soldaten wären die Polizeikräfte keineswegs gewachsen gewesen. Am 1. November 1918 leistete Johann Schober den Eid auf den deutschösterreichischen Staatsrat.

Demobilisierung über Wien

Tatsächlich verlief die Demobilisierung im Großen und Ganzen sehr friedlich. Die von Experten auf zwei Jahre veranschlagte Demobilmachung[2] dauerte lediglich drei bis vier Wochen.[3] Nach Augenzeugenberichten gelang den Eisenbahnbeamten das improvisierte Am-Zentrum-Vorbeileiten der Züge.[4]
Aber auch ehemals kriegsgefangene Italiener und Russen versuchten, möglichst rasch über Wien in die Heimat zurückzugelangen. Auf den Bahnhöfen entwickelten sich Handelsplätze, an denen Güter aller Art aus den Heeresbeständen verkauft wurden. Soldaten und Kriegsgefangene aller Nationalitäten betrieben Tauschhandel, vielfach zu überteuerten Preisen. Tausende lagerten auch in den Parks rund um die Bahnhöfe. In der Regel ging es friedlich zu.[5] Den politisch Verantwortlichen kam bei der Abrüstung freilich mehr die Rolle von Zuschauern zu, die nur punktuell steuernd in das Geschehen eingriffen.[6]
Konflikte gab es um die Ablieferung von Waffen, die von den durchfahrenden Truppen meist verweigert wurde. 1.000 tschechische Soldaten entwaffneten am 14. November solche der Volkswehr in der Station Penzing; darauf rückte deren Bereitschaftskompanie aus, um die Durchfahrenden in Stadlau mit vier Maschinengewehren zu erwarten. Bei dem Feuergefecht gab es neben zahlreichen Verwundeten zwei Tote auf deutschösterreichischer und einen Toten auf tschechischer Seite. Ein ähnlicher Vorfall, diesmal nur mit Verletzten, ereignete sich in Klein-Schwechat mit ungarischen Soldaten. Am nächsten Tag prallten am Ostbahnhof ungarische und deutschösterreichische Truppen aufeinander, wobei auch hier Maschinengewehre eingesetzt wurden und Tote zu beklagen waren.[7]
Die Angst vor den heimkehrenden und durchziehenden Soldaten war nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den Behörden und der Polizei sehr groß. So kursierte das Gerücht, dass 10.000 italienische Kriegsgefangene aus Sigmundsherberg im Waldviertel nach Wien marschieren würden. In der Stadt löste dieses Gerücht Panikwellen aus, Heimatschutzgarden bildeten sich.[8] Die Angst vor Heimkehrern und Kriegsgefangenen drückte sich auch darin aus, dass in den Tagen nach dem Waffenstillstand viele Schaufenster in der Innenstadt mit Brettern vernagelt wurden. Vorsichtshalber wurden Anfang November 1918 bei vielen Gebäuden die alten "Doppeladler" und k. u. k. Hoflieferanten-Schilder abgenommen (in Graz hatte dazu am 2. November noch der k.k. Innenminister Edmund Gayer seine Zustimmung gegeben). Vor allem in den Nobelbezirken grassierte die Furcht vor Rache und Abrechnung. Doch die Revolution fand nicht statt.[9]

Siehe auch Wien 1918

Literatur

  • Gerhard Artl: Das Kriegsende von 1918 und seine Auswirkungen in Niederösterreich. In: Willibald Rosner / Reinelde Motz-Linhart [Hg.]: Niederösterreich 1918 bis 1922. St. Pölten: Institut für Landeskunde von Niederösterreich 2007 (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde, 39), S. 17-36
  • Jacob Burckhardt: Porträts und Begegnungen. Bern / München / Wien: Scherz 1971 (Gesammelte Werke, 4)
  • Julius Deutsch: Ein weiter Weg. Lebenserinnerungen. Zürich / Leipzig / Wien: Amalthea 1960
  • Edmund Glaise von Horstenau / Rudolf Kiszling [Red.]: Das Kriegsjahr 1918. Wien 1938 (Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914-1918, 7)
  • Maureen Healy: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I. Cambridge: ambridge University Press 2004 (Studies in the social and cultural history of modern warfare, 17)
  • Rudolf Neck [Hg.]: Österreich im Jahre 1918. Berichte und Dokumente. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1968
  • Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die geordnete Transformation. Elend, Aufruhr, Putschversuche und gewalttätige Störungen im Wien von 1918 bis 1922. In: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 48/1 (2018), S. 27-36

Einzelnachweise

  1. Rudolf Neck [Hg.]: Österreich im Jahre 1918. Berichte und Dokumente. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1968, S. 94-98.
  2. Gerhard Artl: Das Kriegsende von 1918 und seine Auswirkungen in Niederösterreich. In: Willibald Rosner / Reinelde Motz-Linhart [Hg.]: Niederösterreich 1918 bis 1922. St. Pölten: Institut für Landeskunde von Niederösterreich 2007 (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde, 39), S. 17–19.
  3. Edmund Glaise von Horstenau / Rudolf Kiszling [Red.]: Das Kriegsjahr 1918. Wien 1938 (Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914-1918, Band 7), S. 758–765.
  4. Carl Jacob Burckhardt: Porträts und Begegnungen. Bern / München/ Wien: Scherz 1971 (Gesammelte Werke, 4), S. 15.
  5. Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die geordnete Transformation. Elend, Aufruhr, Putschversuche und gewalttätige Störungen im Wien von 1918 bis 1922. In: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 48/1 (2018), S. 27.
  6. Julius Deutsch: Ein weiter Weg. Lebenserinnerungen. Zürich / Leipzig / Wien: Amalthea 1960, S. 20.
  7. Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die geordnete Transformation. Elend, Aufruhr, Putschversuche und gewalttätige Störungen im Wien von 1918 bis 1922. In: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 48/1 (2018), S. 27.
  8. Maureen Healy: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I. Cambridge: ambridge University Press 2004 (Studies in the social and cultural history of modern warfare, 17), S. 141.
  9. Alfred Pfoser / Andreas Weigl: Die geordnete Transformation. Elend, Aufruhr, Putschversuche und gewalttätige Störungen im Wien von 1918 bis 1922. In: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 48/1 (2018), S. 27.