Carl Furtmüller

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Daten zur Person
Personenname Furtmüller, Carl
Abweichende Namensform Molitor, Karl; Schratt, Karl
Titel Dr. phil., Hofrat
Geschlecht männlich
PageID 884
GND 119548062
Wikidata Q1038190
Geburtsdatum 2. August 1880
Geburtsort Wien
Sterbedatum 1. Jänner 1951
Sterbeort Mariapfarr, Salzburg
Beruf Pädagoge, Psychologe, Leiter des Pädagogischen Intituts der Stadt Wien
Parteizugehörigkeit Sozialdemokratische Arbeiterpartei
Ereignis
Nachlass/Vorlass Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Gedenktage
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Letzte Änderung am 19.10.2023 durch WIEN1.lanm09fri
Begräbnisdatum 29. April 1977
Friedhof Feuerhalle Simmering
Grabstelle Abt. 1, Ring 3, Gruppe 9, Nummer 13
Ehrengrab ehrenhalber gewidmetes Grab

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Familiäre Beziehung
Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Carl Furtmüller, * 2. August 1880 Wien, † 1. Jänner 1951 Mariapfarr, Salzburg. Pädagoge, Psychologe.

Herkunft und Familie

Carl Furtmüllers Vater Josef war Disponent in einer Handelsfirma; seine Mutter Caroline Biermann war die Tochter eines jüdischen Händlers, die zum katholischen Glauben konvertierte.

1904 heiratete er Aline Furtmüller, die Tochter des russischen jüdischen Emigranten Samuel Klatschko.

Bildungsweg, Lehrtätigkeit, politisches Engagement

Carl Furtmüller besuchte das Schottengymnasium, wo er 1898 mit Auszeichnung maturierte. Im selben Jahr begann er sein Studium an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Er belegte Germanistik als Hauptfach und Philosophie und Französisch als Nebenfächer. Seine Laufbahn als Mittelschullehrer begann Furtmüller 1901 als noch ungeprüfter Supplent am Wiener Sophiengymnasium. 1902 promovierte er mit der Dissertation "Die Theorie des Epos bei den Brüdern Schlegel, den Klassikern und Wilhelm von Humboldt" zum Doktor der Philosophie. Danach legte er die Lehramtsprüfungen für Deutsch, Latein, Griechisch, Philosophie und Französisch ab.

Schon als Gymnasiast schloss sich Furtmüller der sozialdemokratischen Bewegung an. Die Überwindung des Bildungsprivilegs der besitzenden Klasse wurde sein lebensbestimmendes politisches Ziel, und er engagierte sich für Schulreform und Erwachsenenbildung. Während seiner Studienzeit wurde er im 1895 gegründeten Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein aktiv und 1901 in dessen Vorstand gewählt. Im selben Jahr erfolgte seine Aufnahme als jüngstes Mitglied in den Gründungsausschuss des Volksheims, der ersten Volkshochschule Österreichs.

Von 1904 bis 1909 wurde Carl Furtmüller nach Kaaden (heute Kadaň, Tschechien) versetzt, wo er am Gymnasium Deutsch, Latein und Griechisch unterrichtete und eine Ortsgruppe des Vereins "Freie Schule" gründete, in dem der Schulreformer Otto Glöckel die treibende Kraft war. 1909 kehrte er nach Wien zurück, wo er an der Wiedner Realschule lehrte. Unterbrochen wurde seine Lehrtätigkeit durch den Kriegsdienst 1914 bis 1918, aus dem er eine Malariaerkrankung mitbrachte, unter der er noch Jahre lang litt. 1918 wurde er Mitbegründer und Obmann der "Vereinigung sozialdemokratischer Mittelschullehrer".

Psychologe

Alfred Adler, mit dem Furtmüller engen Kontakt unterhielt, führte ihn in die 1902 von Sigmund Freud begründete Psychologische Mittwoch-Gesellschaft ein, den ersten psychoanalytischen Arbeitskreis und Vorläufer der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Seinen ersten Vortrag über "Erziehung oder Fatalismus" hielt Furtmüller am 15. Dezember 1909. Unter dem Pseudonym Karl Molitor publizierte er im Rahmen der 1910 veröffentlichten Diskussion der Psychoanalytischen Vereinigung seinen Aufsatz zum Thema Schülerselbstmord.

Nach Alfred Adlers Austritt aus der Psychoanalytischen Vereinigung 1911 wurde Furtmüller dessen wichtigster Mitarbeiter beim Aufbau der individualpsychologischen Schule. Im April 1914 erschien die erste Nummer der "Zeitschrift für Individualpsychologie", für die Adler und Furtmüller als Herausgeber zeichneten. Im selben Jahr stellten die beiden Autoren in "Heilen und Bilden" ärztlich-pädagogische Arbeiten des Vereins für Individualpsychologie vor.

Bildungsreformer

Nach dem Ersten Weltkrieg war Carl Furtmüller führend an der großen Schulreform beteiligt, die Otto Glöckel im Rahmen des Roten Wien verwirklichte. Ihr wichtigstes Ziel war die Schaffung eines der neuen Republik angemessenen Schulsystems mit demokratischem Erziehungsstil, Gemeinschaftsgesinnung und gleichen Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft. Neben Viktor Fadrus und Hans Fischl zählte Furtmüller zu den einflussreichsten Pädagogen der Ersten Republik (siehe auch Fi-Fa-Fu).

1919 wurde Furtmüller in die Reformabteilung des Unterrichtsministeriums berufen, Als Otto Glöckel 1922 die Leitung des Stadtschulrats für Wien übernahm, folgte ihm Furtmüller in die neue Schulbehörde. Als Landesschulinspektor für Mittelschulen und Leiter des Schulversuchs für die Allgemeine Mittelschule setzte er sich für eine Reform ein, die zwar nicht mit der angestrebten Verwirklichung der Einheitsschule für die gesamte Republik, aber doch mit dem Kompromiss eines Einheitslehrplanes für die ganze Dauer der Schulpflicht endete. Furtmüller förderte die Errichtung von Erziehungsberatungsstellen und verhalf Alfred Adler, auf dessen Individualpsychologie sich die Wiener Schulreform stützte, zu einer Dozentenstelle am Pädagogischen Institut der Stadt Wien.

Fragen der Schulreform standen auch im Mittelpunkt von Furtmüllers zahlreichen Publikationen dieser Zeit. Von 1930 bis 1933 gab er die "Wiener Schule", die pädagogische Beilage des Verordnungsblatts des Stadtschulrats, heraus.

Exil, Rückkehr, Tod

Unter dem austrofaschistischen Regime wurde Furtmüller 1934 seines Amtes enthoben. Bis 1938 unterstützte das Ehepaar die im Untergrund agierende Opposition; im Juni 1939 emigrierte es nach Paris, wo Furtmüller für die von Otto Bauer herausgegebene Zeitschrift "Der Sozialistische Kampf" arbeitete. 1940 flüchteten Carl und Aline Furtmüller nach Spanien, wo sie verhaftet und mehrere Monate im Gefängnis festgehalten wurden. Ein von US-Präsident Roosevelt persönlich erteiltes Visum ermöglichte ihre Freilassung und Ausreise in die Vereinigten Staaten, wo Carl Furtmüller u. a. als Lehrer in Baltimore, dann bei einer Radiostation in New York arbeitete und für das "Austrian Labor Committee" tätig war.

1941 starb Aline Furtmüller an Leukämie. Carl Furtmüller kehrte 1947 mit seiner zweiten Frau Leah nach Wien zurück, wo er die Leitung des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien übernahm. Am 1. Jänner 1951 erlag er im Weihnachtsurlaub in Mariapfarr einem Herzinfarkt.

Ehrungen

Mit Genehmigung des Bürgermeisters vom 9. April 1969 wurde Carl Furtmüller ein Urnengrab ehrenhalber auf Friedhofsdauer gewidmet (Feuerhalle Simmering, Urnenhain, Abt. 1, Ring 3, Gruppe 9, Nr. 13). Die Beisetzung der Urne fand am 29. April 1977 statt.

Die städtische Wohnhausanlage in Wien 5, Ziegelofengasse 12-14, ursprünglich Aline Furtmüller-Hof, wurde nach dem Tod Carl Furtmüllers 1952 in Furtmüllerhof umbenannt. Eine Gedenktafel im Hausflur rechts nennt "Hofrat Dr. Carl Furtmüller" als Mitschöpfer der Wiener Schulreform und Pioneer der Einheitsschule in Österreich.

Teil-Nachlass

Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung (VGA), Nachlass Carl und Aline Furtmüller, Kartons 1-2, Mappen 1-22. Inhalt: Korrespondenz, Manuskripte, Zeitungsausschnitte, persönliche Dokumente, Fotos.

Werke

(Auswahl)

  • Die Philosophie Schillers und der Deutschunterricht in den Oberklassen des Gymnasiums. In: Programm des deutschen k. k. Staats-Obergymnasiums in Kaaden. Veröffentlicht am Schlusse des Schuljahres 1905, S. 1-12
  • Psychoanalyse und Ethik. Eine vorläufige Untersuchung. München: Ernst Reinhardt 1912 (Schriften des Vereins für freie psychoanalytische Forschung, 1)
  • Heilen und Bilden. Ärztlich-pädagogische Arbeiten des Vereins für Individualpsychologie. Hg. von Alfred Adler und Carl Furtmüller. München: Ernst Reinhardt 1914 (Neuauflagen, darunter: Neu hg. von Wolfgang Metzger. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch 1973, 1983)
  • Zeitschrift für Individualpsychologie. Studien aus dem Gebiete der Psychotherapie, Psychologie und Pädagogik. Hg. von Alfred Adler und Carl Furtmüller. München: Ernst Reinhardt ab 1914
  • Auf dem Weg zur Schulgemeinde. Ein Stück Wiener Mittelschulreform. Wien: Jugend und Volk 1926 (aus der Monatsschrift: Die Quelle 1925,10/12)
  • Innere Reform! Amtliches Gutachten des Stadtschulrates für Wien über die Lehrplan-Entwürfe für die Mittelschulen und die Hauptschule. Wien: Jugend und Volk 1928
  • Otto Glöckel und die Schulreform. In: Zehn Jahre Schulreform in Österreich. Eine Festgabe, Otto Glöckel, dem Vorkämpfer der Schulerneuerung, gewidmet von seinen Mitarbeitern. Wien: Jugend und Volk 1929, S. 1-8
  • Denken und Handeln. Schriften zur Psychologie 1905-1950. Von den Anfängen der Psychoanalyse zur Anwendung der Individualpsychologie. Hg. von Lux Furtmüller. München: Ernst Reinhardt 1983

Literatur

(Auswahl)

  • Oskar Achs: Carl Furtmüller 1880-1951. Sozialismus und Individualpsychologie. Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung, Dokumentation 4/1997
  • Irmgard Fuchs: Carl Furtmüller - ein Politiker im Dienste der Jugend. In: Alfred Lévy / Gerald Mackenthun [Hg.]: Gestalten um Alfred Adler. Pioniere der Individualpsychologie. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002, S. 81-98
  • Lux Furtmüller: Carl Furtmüller. Ein Lebenslauf. In: Denken und Handeln. Schriften zu Psychologie 1905-1950. Von den Anfängen der Psychoanalyse zur Anwendung der Individualpsychologie. Hg. von Lux Furtmüller. München: Ernst Reinhardt 1983, S. 15-21
  • Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Österreichische Nationalbibliothek [Hg.], Red. Susanne Blumesberger [et al.] Band 1, München: K. G. Saur 2002, S. 400
  • Bernhard Handlbauer: Die Freud-Adler-Kontroverse. Frankfurt am Main: Psychosozial-Verlag 1990 (2002)
  • Bernhard Handlbauer: Carl Furtmüller (1880-1951). In: Ernst Federn / Gerhard Wittenberger [Hg.]: Aus dem Kreis um Sigmund Freud. Zu den Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1992, S. 141-149
  • Elke Mühlleitner: Biographisches Lexikon der Psychoanalyse. Die Mitglieder der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft und der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1902-1938. Tübingen: edition diskord 1992, S. 114-116
  • Werner Röder / Herbert A. Strauss [Hg.]: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band I, München [u. a.]: K. G. Saur 1980, S. 210
  • Friedrich Stadler [Hg.]: Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft. Band 2. Wien [u.a.]: Jugend und Volk 1988 (Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Institutes für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften, 62), S. 274
  • Kurt Stimmer [Hg.]: Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer. Wien / München: Jugend & Volk 1988, S. 137-138

Weblinks