Zentralstelle für jüdische Auswanderung

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Daten zur Organisation
Art der Organisation Behörde
Datum von 1938
Datum bis
Benannt nach
Prominente Personen Alois Brunner, Anton Brunner, Anton Burger, Adolf Eichmann, Franz Novak
PageID 42361
GND
WikidataID
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Quelle
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Letzte Änderung am 2.03.2015 durch DYN.pauldvorak
  • 4., Prinz-Eugen-Straße 22

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48° 11' 39.14" N, 16° 22' 31.19" E  zur Karte im Wien Kulturgut

Die Zentralstelle wurde per Erlass des Gauleiters Josef Bürckel am 20. August 1938 gegründet und hatte ihren Sitz im vormaligen Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße 22 im vierten Wiener Gemeindebezirk. Sie war eine Einrichtung des Sicherheitsdienstes der SS und sollte dazu dienen, die durch den Terror der NSDAP forcierte jüdische Auswanderung zu beschleunigen, die Vertriebenen dabei aber möglichst effizient um große Teile ihres Hab und Guts zu bringen. Sie wurde bis zu ihrer Schließung im März 1943 zur wichtigsten Institution der systematischen Beraubung, Vertreibung und schließlich zur Deportation und Ermordung von 200.000 Wiener Jüdinnen und Juden. Sämtliche Auswanderungsanträge von Juden mussten über die Zentralstelle abgewickelt werden. Formaler Chef der Zentralstelle war in seiner Funktion als Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD der SS-Führer Franz Walter Stahlecker, später der Leiter der Staatspolizeistelle Wien und Chef der Wiener Gestapo Franz Josef Huber. Zum tatsächlichen Leiter der Zentralstelle wurde im August 1938 der SS-Untersturmführer Adolf Eichmann ernannt. Zu Eichmanns wichtigsten Mitarbeitern zählten Franz Novak, Alois Brunner, Anton Burger, Karl Rahm, Franz Stuschka, Herbert Gerbing, Anton Zita, Josef Weiszl, Richard Hartenberger, Ernst Girzick, Ferdinand Daurach, Ernst Brückler und Alfred Slawik, die später zu den maßgeblichen Organisatoren des Völkermordes an den europäischen Juden gehören sollten. Nachdem Adolf Eichmann im Sommer 1939 in Prag mit der Organisation der dortigen, nach Wiener Vorbild gestalteten Zentralstelle für jüdische Auswanderung beauftragt worden war, trat in Wien Alois Brunner an seine Stelle, übernahm aber erst im Jänner 1941 auch offiziell die Leitung der Wiener Zentralstelle. Das Gebäude der Zentralstelle wurde während des Krieges beschädigt, an seiner Stelle wurde nach 1945 die heutige Arbeiterkammer errichtet.


Funktionsweise

Die Zentralstelle und die in ihr angesiedelten Exposituren anderer Verwaltungsstellen sollten als eine Art Behörden-Fließbandsystem fungieren, und die Dokumentenbeschaffung beschleunigen. Die Ausstellung etwa eines Passes sollte nur noch acht Tage, die eines polizeilichen Führungszeugnisses höchstens 48 Stunden dauern. In den ersten Monaten nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich war die Auswanderung dadurch behindert worden, dass Menschen, die das Land verlassen wollten dazu unzählige Ämter aufsuchen mussten. Die Einrichtung der Zentralstelle sollte eine Vereinfachung dieser bürokratischen Abläufe bewirken. Immer noch mussten Ausreisewillige allerdings neben der Zentralstelle eine Vielzahl anderer Ämter aufsuchen. Im Wesentlichen diente die Einrichtung der Zentralstelle aber nicht der Erleichterung der Auswanderung für die Betroffenen. Vielmehr sollte sie es dem NS-Apparat erleichtern, seine jüdischen Opfer besser auszuplündern, indem man sämtliche Behörden unter einem gemeinsamen Dach versammelte und damit einen gigantischen Beraubungsvorgang effizient koordinieren konnte. Wesentliche Aufgaben innerhalb dieses Systems wurden zwangsweise der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) und damit den Opfern selbst übertragen. Die Möglichkeit der Auswanderung endete offiziell mit dem 23. Oktober 1941. Doch schon wenige Monate nach Kriegsbeginn 1939 erfolgten die ersten Deportationen aus Wien, wobei die Zentralstelle auch dabei eine wesentliche Rolle spielte und bereits im Oktober 1939 die ersten zwangsweisen Transporte aus Wien in den Osten abwickelte. Zwischen Februar 1941 und Oktober 1942 organisierte sie nunmehr unter der Leitung von Alois Brunner die Deportation der meisten noch in Wien verbliebenen jüdischen Frauen, Männer und Kinder. Zur Erfassung ihrer Opfer bediente sie sich dabei abermals der IKG. Anton Brunner (oft als „Brunner II“ bezeichnet, um ihn von Alois Brunner zu unterscheiden) leitete 1941 und 1942 die so genannten „Kommissionierungen“, die Zusammenpferchung der Opfer in Sammellagern und -wohnungen, die der Deportation vorausgingen. Die Durchführung der Massendeportationen in Wien war so effizient, dass sie zum Vorbild für ähnliche Aktionen im gesamten restlichen NS-Herrschaftsbereich wurde. Die „Eichmannmänner“ (Hans Safrian), die sich solchermaßen in Wien „bewährt“ hatten, wurden nun in ganz Europa, von Saloniki über Paris bis Bratislava und Budapest eingesetzt. Überall dort ging nach bewährtem Muster der Deportation die Konzentration und Beraubung voraus. Zunächst wurden die zu Deportierenden noch schriftlich in Sammellager befohlen. Als die ersten Nachrichten über Masssenerschießungen der Abtransportierten durchsickerten, leisteten viele der Einberufung keine Folge mehr und versuchten unterzutauchen. Die Zentralstelle ging daher dazu über, ihre Opfer durch sogenannte „Ausheber“ in deren Wohnungen abholen und in die Sammellager bringen zu lassen, die unter der Aufsicht von SS-Männern der Zentralstelle standen.

Folgende Institutionen verfügten über Exposituren in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien (Anderl/Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, S. 126-127):

-die IKG, die Aktion Gildemeester und das Palästina-Amt (zuständig für den Empfang und die Anleitung der Auswanderungswilligen)

-die Reichspost -das Zentralamt für soziale Abgaben -das Zentralmeldeamt für den Wohnungsnachweis - Polizei- und Justizbehörden (Kriminal-, Staats-, Devisen- und Wirtschaftspolizei, das Strafregister und die Staatsanwaltschaft sowie das Inspektorat für Prostitution, Mädchenhandel und Arbeitsscheue) zur Ausstellung des Führungszeugnisses -das Wanderungsamt/Passamt Bräunerstraße (die in bestimmten Fällen für die Passaustellung zuständige Polizeistelle) -das Finanzamt und das Zentraltax- und Gebührenbemessungsamt für die Steuerunbedenklichkeitsbescheinigung -die Vermögensverkehrsstelle -unter der Bezeichnung der „Devisenstelle“ das Dorotheum, das Markatamt, die Devisenstelle selbst, die Hausbeschau, eine Stelle für die Abgaben an die Deutsche Golddiskontbank (Dego), das Zolloberamt sowie das Bundesdenkmalamt -die Bemessungskontrolle zur Nachbemessung der Vorschreibungen von IKG und Aktion Gildemeester -die Umlagekasse -die Passausgabe

Die Zentralstelle begann, auf Konzepte des SD der SS aus den späten dreißiger Jahren gestützt, jüdische Organisationen zur administrativen Kooperation heranzuziehen, um auf diese Art Personalkosten zu sparen und die Durchführung antijüdischer Maßnahmen und für den Prozess der Auswanderung elementaren Aktivitäten der jüdischen Gemeinde zu überantworten. Meist mündliche Weisungen ergingen von der Zentralstelle an die Kultusgemeinde, die viele der eigentlich in den Kompetenzbereich der Zentralstelle fallenden Aufgaben übernahm, und so zum Werkzeug der Verfolger wurde. Die Zentralstelle fungierte als Aufsichtsbehörde der IKG, die in Wochenberichten Auskunft über die Anzahl der Auswanderungsanträge und die Zahl der abgefertigten Auswanderer geben musste. Sowohl die Vermögensverkehrsstelle als auch die Devisenstelle war dem Ansturm an Ausreisewilligen immer weniger gewachsen und gaben Ende 1939 Aufgaben an die IKG was Einreichungen betreffend Umzugsgut, Devisen Sperrkonten betraf ab. Anträge die an die Devisen -bzw. die Vermögensverkehrsstelle gerichtet waren wurden ab diesem Zeitpunkt also bei der IKG eingereicht, welche sie an die Zentralstelle bzw. die Devisen bzw. Vermögensverkehrsstelle weiterleitete. Die NS-Behörden bearbeiteten diese dann und retournierten sie an die IKG.


Literatur:

Gabriele Anderl: Flucht und Vertreibung 1938-1945. In: Traude Horvath/Gerda Neyer (Hg.): Auswanderungen aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 1996.

Gabriele Anderl/Dirk Rupnow: DieZentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution, Wien-München: Oldenbourg 2004.

Wolfgang Benz [Hg.]: Lexikon des Holocaust. München: C.H. Beck 2002.

Thomas Mang: Die Unperson. Karl Ebner – Judenreferent der Gestapo in Wien. Eine Täterbiografie, Bozen: Edition Raetia 2013.

Hans Safrian: Eichmann und seine Gehilfen. Frankfurt am Main: Fischer 1997.