Arbeiterbüchereien: Unterschied zwischen den Versionen

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Arbeiterbüchereien. Die von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) eingerichteten Volksbüchereien ("Arbeiterbüchereien") wurden nach den [[Februarkämpfe|Februarkämpfen]] 1934 beschlagnahmt und 1934-1936 zunächst durch den "Verein Arbeiterbüchereien" weitergeführt. 1936 erfolgte ihre Kommunalisierung ("Arbeiterbüchereien der Stadt Wien"), 1938 entstanden die "Städtischen Büchereien" (heute [[Büchereien Wien]]). Nach dem Zweiten Weltkrieg verzichtete die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) auf die Rückgabe der Bibliotheken zugunsten der Aufrechterhaltung der Kommunalisierung; gleichzeitig vereinbarten alle drei damals bestehenden politischen Parteien, auf die Eröffnung parteieigener Bibliotheken zu verzichten.
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==Anfänge==
 
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Die Bildung nahm von Anfang an einen hohen Stellenwert in der [[Arbeiterbewegung]] ein; die ersten Arbeiterorganisationen formierten sich als [[Arbeiterbildungs¬vereine]]. Die Industrialisierung und der Aufstieg des liberalen Bürgertums führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu größerer Wertschätzung von Wissen und Bildung. Auf dem Gebiet der [[Volksbildung]] trafen sich die Interessen des liberalen Bürgertums und der jungen Arbeiterbewegung. Der 1887 gegründete [[Volksbildung | Wiener Volksbildungsverein]] schuf bis 1914 ein Büchereisystem mit 27 Zweigstellen, die jährlich zwei Millionen Entlehnungen verzeichneten. Ein engagierter Vorkämpfer auf dem Gebiet der Volksbildung war [[Josef Luitpold Stern]], Leiter der sozialdemokratischen Bildungszentrale und Mitbegründer der "Büchergilde Gutenberg".
[[Büchereien Wien]]
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==Erste Republik==
 
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In der Zwischenkriegszeit erreichte die Entwicklung der Arbeiterbüchereien ihren Höhepunkt. Die von der Arbeiterbildungskonferenz 1928 beschlossenen Richtlinien sahen im Buch ein wesentliches Bildungsinstrument. Vor allem in den neu errichteten Gemeindebauten entstanden Büchereien in architektonisch anspruchsvoll gestalteten Räumen (der Sandleitenhof in Ottakring ist ein eindrucksvolles Beispiel); für Kinder wurden ebenfalls Büchereien eingerichtet. So meldete die [[Sozialistische Bildungszentrale|Bildungszentrale]] 1928, dass der Bezirk Meidling die erste gut angelegte Kinderbücherei betreibe. Auch international fand das Bibliothekswesen der Arbeiterkulturbewegung große Beachtung. 1932 wurden in über 60 Arbeiterbüchereien 2,36 Millionen Entlehnungen erfasst.
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==Austrofaschismus/Nationalsozialismus==
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Die gewaltsame Unterdrückung der Arbeiterbewegung nach den [[Februarkämpfe|Februarkämpfen 1934]] setzte dieser Expansion ein jähes Ende: Die Arbeiterbüchereien wurden durch das Regime beschlagnahmt, das Personal wurde weitgehend ausgetauscht und die literaturpolitische Ausrichtung geändert. Nach dieser "Säuberung" der Bestände führte der "Verein Arbeiterbüchereien" von 1934 bis 1936 den Betrieb weiter. 1936 wurden die Arbeiterbüchereien kommunalisiert und unter dem Titel "Arbeiterbüchereien der Stadt Wien" weitergeführt.  
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Spätestens nach der Kommunalisierung hatten die Arbeiterbüchereien nicht mehr viel mit ihren sozialdemokratischen Wurzeln gemein. Die gesamte Ausrichtung der Bibliotheken war drastisch verändert worden. Die gravierendsten Veränderungen brachten vermutlich die - ob ihrer Willkür und Ausmaße völlig absurd anmutenden - "Zensurmaßnahmen" mit sich. An die 27.000 Bücher (rund 1.500 Titel) wurden von der Ausleihe gesperrt und die meisten von ihnen später vermutlich "eingestampft". Ein massiver Büchermangel war die Folge. Der freie Zugang zur Literatur wurde aber auch durch andere Maßnahmen erschwert, zum Beispiel durch die Einführung so genannter "Eignungsvermerke" und "Lesergruppen": Nach eingehender "Leserberatung" sollten nur mehr "geeignete" Bücher an die Leserinnen und Leser verliehen werden. In ihrer Literaturpolitik förderte die austrofaschistische Büchereileitung vor allem die Ausgabe von "einfacher Literatur". Für die Buchanschaffung war die "österreichische Note" ausschlaggebend: Nur mehr Bücher, "die sich in positiver Weise auf Österreich beziehen", sollten erfasst werden. Die Buchausgabe wurde auf drei Werke pro Entlehnung beschränkt. Für "Wissenschaft" war in den Augen der neuen Leitung kein Platz in den Arbeiterbüchereien; die Sachbuchliteratur wurde in den Hintergrund gedrängt.
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Unter nationalsozialistischer Leitung wurden die "Arbeiterbüchereien der Stadt Wien"1938 in die "Wiener Städtischen Büchereien" umgewandelt. Bücher jüdischer Autoren wurden aus dem Bestand entfernt, der Bestand an belletristischen Werken wurde zugunsten von Sachbüchern im Sinne der NS-Weltanschauung reduziert. Ab Dezember 1941 konnten die Leser und Leserinnen pro Besuch nur einen Roman entlehnen. Ihre Zahl sank stark, die Professionalisierung der Bibliothekare stieg hingegen an. Feste Dienstposten wurden eingerichtet, und das Personal hatte eine Ausbildung an einer der deutschen Volksbüchereischulen zu absolvieren
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==Nachkriegszeit==
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Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann auch für die Städtischen Büchereien der Wiederaufbau. Von den ehemaligen Arbeiterbüchereien war nur noch ein Drittel übriggeblieben (1945 gab es 23 Zweigstellen), und die Buchbestände waren durch die Säuberungen der Austrofaschisten und Nationalsozialisten dezimiert worden. Buchbeschaffung und Instandsetzung von Zweigstellen waren daher die ersten Ziele der Nachkriegszeit.
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Da die Sozialdemokraten auf die Rückgabe der Arbeiterbüchereien verzichteten, konnten die Städtischen Büchereien (heute: [[Büchereien Wien]]) somit der neuen Stadtverwaltung eingegliedert werden. Gleichzeitig vereinbarten alle drei im Nationalrat vertretenen politischen Parteien (ÖVP, SPÖ, KPÖ), auf die Eröffnung parteieigener Bibliotheken zu verzichten.  
 
== Literatur ==  
 
== Literatur ==  
* Robert Danneberg: Die Wiener Arbeiterbibliotheken. In: Der Kampf 4 (1911), S. 320 ff.
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* Robert Danneberg: Die Wiener Arbeiterbibliotheken. In: Der Kampf. Sozialdemokratische Monatsschrift, Band 4. Wien: Verlag Georg Emmerling 1911, S. 320-326
* Herbert Exenberger: Die Arbeiterbibliotheken der Stadt Wien nach dem März 1938. In: Wien 1938. [Hg.und für den Inhalt verantwortlich Felix Czeike.] Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 237 ff.
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* Herbert Exenberger, Die Wiener Arbeiterbüchereien. Ihre Geschichte und ihre kulturellen Leistungen im Dienste der Wiener Volksbildung, Typoskript 1968
* Gisela Kolar: Ein "Vorspiel". Die Wiener Arbeiterbüchereien im Austrofaschismus. Dipl.-Arb. Wien, Universität Wien, 2008 [Volltext|http://othes.univie.ac.at/1730/]
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* Herbert Exenberger: Die Arbeiterbüchereien der Stadt Wien nach dem März 1938. In: Wien 1938. Hg. von Felix Czeike. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 237 ff.
 
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* Gisela Kolar: Ein "Vorspiel". Die Wiener Arbeiterbüchereien im Austrofaschismus. Dipl.-Arb. Universität Wien. Wien 2008, Download: [http://othes.univie.ac.at/1730/]
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* Alfred Pfoser: Literatur und Austromarxismus. Wien: Löcker 1980
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* Michael Stickler: Die Volksbüchereibewegung in Österreich. In: Franz Unterkircher et al.: Die Bibliotheken Österreichs in Vergangenheit und Gegenwart. Wiesbaden: Reichert 1980 (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens, Bd. 7), S.157-194
 
==Links==
 
==Links==
 
* [http://www.dasrotewien.at/arbeiterbuechereien.html Das rote Wien: Arbeiterbüchereien]
 
* [http://www.dasrotewien.at/arbeiterbuechereien.html Das rote Wien: Arbeiterbüchereien]
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* [https://www.buechereien.wien.at/de/ueberuns/geschichte#Arbeiterbüchereiwesen Büchereien Wien]

Version vom 4. Oktober 2016, 17:07 Uhr

Wer leiht mir Bücher? Die Wiener Arbeiterbüchereien (Plakat aus dem Jahr 1929)
Daten zum Eintrag
Datum von
Datum bis
Objektbezug
Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
Export RDF-Export (Resource Description Framework) RDF
Recherche
Letzte Änderung am 4.10.2016 durch DYN.elfriede pokorny
Bildname Arbeiterbüchereien.jpg
Bildunterschrift Wer leiht mir Bücher? Die Wiener Arbeiterbüchereien (Plakat aus dem Jahr 1929)

Es wurden noch keine Bezeichnungen erfasst!


Anfänge

Die Bildung nahm von Anfang an einen hohen Stellenwert in der Arbeiterbewegung ein; die ersten Arbeiterorganisationen formierten sich als Arbeiterbildungs¬vereine. Die Industrialisierung und der Aufstieg des liberalen Bürgertums führten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu größerer Wertschätzung von Wissen und Bildung. Auf dem Gebiet der Volksbildung trafen sich die Interessen des liberalen Bürgertums und der jungen Arbeiterbewegung. Der 1887 gegründete Wiener Volksbildungsverein schuf bis 1914 ein Büchereisystem mit 27 Zweigstellen, die jährlich zwei Millionen Entlehnungen verzeichneten. Ein engagierter Vorkämpfer auf dem Gebiet der Volksbildung war Josef Luitpold Stern, Leiter der sozialdemokratischen Bildungszentrale und Mitbegründer der "Büchergilde Gutenberg".

Erste Republik

In der Zwischenkriegszeit erreichte die Entwicklung der Arbeiterbüchereien ihren Höhepunkt. Die von der Arbeiterbildungskonferenz 1928 beschlossenen Richtlinien sahen im Buch ein wesentliches Bildungsinstrument. Vor allem in den neu errichteten Gemeindebauten entstanden Büchereien in architektonisch anspruchsvoll gestalteten Räumen (der Sandleitenhof in Ottakring ist ein eindrucksvolles Beispiel); für Kinder wurden ebenfalls Büchereien eingerichtet. So meldete die Bildungszentrale 1928, dass der Bezirk Meidling die erste gut angelegte Kinderbücherei betreibe. Auch international fand das Bibliothekswesen der Arbeiterkulturbewegung große Beachtung. 1932 wurden in über 60 Arbeiterbüchereien 2,36 Millionen Entlehnungen erfasst.

Austrofaschismus/Nationalsozialismus

Die gewaltsame Unterdrückung der Arbeiterbewegung nach den Februarkämpfen 1934 setzte dieser Expansion ein jähes Ende: Die Arbeiterbüchereien wurden durch das Regime beschlagnahmt, das Personal wurde weitgehend ausgetauscht und die literaturpolitische Ausrichtung geändert. Nach dieser "Säuberung" der Bestände führte der "Verein Arbeiterbüchereien" von 1934 bis 1936 den Betrieb weiter. 1936 wurden die Arbeiterbüchereien kommunalisiert und unter dem Titel "Arbeiterbüchereien der Stadt Wien" weitergeführt. Spätestens nach der Kommunalisierung hatten die Arbeiterbüchereien nicht mehr viel mit ihren sozialdemokratischen Wurzeln gemein. Die gesamte Ausrichtung der Bibliotheken war drastisch verändert worden. Die gravierendsten Veränderungen brachten vermutlich die - ob ihrer Willkür und Ausmaße völlig absurd anmutenden - "Zensurmaßnahmen" mit sich. An die 27.000 Bücher (rund 1.500 Titel) wurden von der Ausleihe gesperrt und die meisten von ihnen später vermutlich "eingestampft". Ein massiver Büchermangel war die Folge. Der freie Zugang zur Literatur wurde aber auch durch andere Maßnahmen erschwert, zum Beispiel durch die Einführung so genannter "Eignungsvermerke" und "Lesergruppen": Nach eingehender "Leserberatung" sollten nur mehr "geeignete" Bücher an die Leserinnen und Leser verliehen werden. In ihrer Literaturpolitik förderte die austrofaschistische Büchereileitung vor allem die Ausgabe von "einfacher Literatur". Für die Buchanschaffung war die "österreichische Note" ausschlaggebend: Nur mehr Bücher, "die sich in positiver Weise auf Österreich beziehen", sollten erfasst werden. Die Buchausgabe wurde auf drei Werke pro Entlehnung beschränkt. Für "Wissenschaft" war in den Augen der neuen Leitung kein Platz in den Arbeiterbüchereien; die Sachbuchliteratur wurde in den Hintergrund gedrängt. Unter nationalsozialistischer Leitung wurden die "Arbeiterbüchereien der Stadt Wien"1938 in die "Wiener Städtischen Büchereien" umgewandelt. Bücher jüdischer Autoren wurden aus dem Bestand entfernt, der Bestand an belletristischen Werken wurde zugunsten von Sachbüchern im Sinne der NS-Weltanschauung reduziert. Ab Dezember 1941 konnten die Leser und Leserinnen pro Besuch nur einen Roman entlehnen. Ihre Zahl sank stark, die Professionalisierung der Bibliothekare stieg hingegen an. Feste Dienstposten wurden eingerichtet, und das Personal hatte eine Ausbildung an einer der deutschen Volksbüchereischulen zu absolvieren

Nachkriegszeit

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann auch für die Städtischen Büchereien der Wiederaufbau. Von den ehemaligen Arbeiterbüchereien war nur noch ein Drittel übriggeblieben (1945 gab es 23 Zweigstellen), und die Buchbestände waren durch die Säuberungen der Austrofaschisten und Nationalsozialisten dezimiert worden. Buchbeschaffung und Instandsetzung von Zweigstellen waren daher die ersten Ziele der Nachkriegszeit. Da die Sozialdemokraten auf die Rückgabe der Arbeiterbüchereien verzichteten, konnten die Städtischen Büchereien (heute: Büchereien Wien) somit der neuen Stadtverwaltung eingegliedert werden. Gleichzeitig vereinbarten alle drei im Nationalrat vertretenen politischen Parteien (ÖVP, SPÖ, KPÖ), auf die Eröffnung parteieigener Bibliotheken zu verzichten.

Literatur

  • Robert Danneberg: Die Wiener Arbeiterbibliotheken. In: Der Kampf. Sozialdemokratische Monatsschrift, Band 4. Wien: Verlag Georg Emmerling 1911, S. 320-326
  • Herbert Exenberger, Die Wiener Arbeiterbüchereien. Ihre Geschichte und ihre kulturellen Leistungen im Dienste der Wiener Volksbildung, Typoskript 1968
  • Herbert Exenberger: Die Arbeiterbüchereien der Stadt Wien nach dem März 1938. In: Wien 1938. Hg. von Felix Czeike. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1978 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 2), S. 237 ff.
  • Gisela Kolar: Ein "Vorspiel". Die Wiener Arbeiterbüchereien im Austrofaschismus. Dipl.-Arb. Universität Wien. Wien 2008, Download: [1]
  • Alfred Pfoser: Literatur und Austromarxismus. Wien: Löcker 1980
  • Michael Stickler: Die Volksbüchereibewegung in Österreich. In: Franz Unterkircher et al.: Die Bibliotheken Österreichs in Vergangenheit und Gegenwart. Wiesbaden: Reichert 1980 (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens, Bd. 7), S.157-194

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