Schulreform im "Roten Wien"

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Otto Glöckel
Daten zum Ereignis
Art des Ereignisses
Datum vonDatum (oder Jahr) von 1. Jänner 1921
Datum bisDatum (oder Jahr) bis 12. Februar 1934
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Leeres Klassenzimmer in 13., Veitingergasse 9 (1934)
Bildungsgrad im Vergleich: 1926/27 bis 1934/35 aus dem Historischen Atlas von Wien

Das "Rote Wien" der Zwischenkriegszeit kann als Projekt der Spätaufklärung bezeichnet werden. In diesem Sinn zählte die von Otto Glöckel maßgeblich gestaltete Bildungsreform zu einem der zentralen politischen Eckpfeiler. Eine Voraussetzung für das pädagogische Ziel einer umfassend gebildeten, aufgeklärten städtischen Bevölkerung bildete eine Neuorganisation des Schulwesens. Eine solche strebte Glöckel, der bis 1920 in der Regierung als Unterstaatssekretär für das Bildungswesen – das entsprach einem "Unterrichtsminister" – zuständig war, bereits in dieser Funktion an. Der sich abzeichnende "Kulturkampf" zwischen den Sozialdemokraten und liberalen Kräften einerseits und der katholischen Kirche und bürgerlich-konservativen Kräften andererseits, die ihren dominierenden Einfluss auf das Bildungswesen nicht verlieren wollten, verhinderte jedoch größere Veränderungen.

Vorgeschichte

Schon in Schulreformbewegungen, die ab etwa 1900 entstanden, wurde die Gemeinschaftserziehung, das Prinzip des Arbeitsunterrichtes und eine "Pädagogik vom Kinde aus" propagiert. Auf diesen Überlegungen baute auch Otto Glöckels Schulreform auf und darauf nahm er auch schon in seiner Tätigkeit als Staatssekretär Bezug.[1] Nach dem Auseinanderbrechen der großen Koalition im Sommer 1920 suchte Glöckel nun sein Reformprogramm als Präsident des Stadtschulrats für Wien zu verwirklichen. Glöckel trat zunächst als Mitglied in den Wiener Bezirksschulrat ein, der damals noch dem niederösterreichischen Landesschulrat unterstellt war. Durch die Trennung von Wien und Niederösterreich wurde jedoch der Weg für die Gründung des Wiener Stadtschulrates frei. Deren geschäftsführender Zweiter Präsident wurde Glöckel. Sein Ziel war Wien zur "Musterschulstadt" zu machen.[2]

Das Reformkonzept

Otto Glöckels Reformkonzept ging von mehreren Prämissen aus: die demokratisch-amilitärische, die weltliche, die sozialgerechte, die lebens- und arbeitsgerechte und die wissenschaftsfundierte Schule.[3] Zur Verwirklichung der Schulreform versammelte Glöckel einen Kreis pädagogischer Experten um sich, die die Umsetzung im Detail erarbeiten sollten. Zu ihnen zählten Viktor Fadrus, Hans Fischl und Carl Furtmüller.[4] Über Versuchsklassen, rund 1.600 Arbeitsgemeinschaften in den Lehrervereinen und unter der Leitung der Schulreformabteilung des Stadtschulrats fand eine Erprobung der erarbeiteten Konzepte statt. Hauptziele war die Neugestaltung des Pflichtschulunterrichts und die Umgestaltung der Schulorganisation und des Schulaufbaus mit dem Ziel, die Erlangung höherer Bildung auch für Schülerinnen und Schülern aus der städtischen Mittel- und Unterschicht (Arbeiterschaft, Kleinbürgertum) zu ermöglichen.[5]
Kernprinzip war eine "Pädagogik vom Kinde aus", die sich auf Arbeitsunterricht, Gesamtunterricht und Bodenständigkeit stützte. Die sogenannte "Arbeitsschule" sollte anschaulich, lebensnah und spielerisch Lesen, Schreiben und Rechnen vermitteln sowie den alten Frontalunterricht ablösen. In diesem Sinn wurde etwa der Heimatkundeunterricht eingeführt und generell die Schulbücher modernisiert und überarbeitet. Für den Leseunterricht stellte die Einführung der "Wiener Klassenlektüre" einen wichtigen Schritt dar. Schon 1923/1924 standen 98 dieser Lesebändchen, im Endausbau schließlich 120 zur Verfügung. Diese von Viktor Fadrus und Karl Linke ausgearbeiteten Bücher sollten spielerisch belehren, ohne belehrend zu wirken.[6] Im Rahmen dieser Bemühungen kam auch eine Serie von Heimatkundebüchern über alle Wiener Bezirke heraus.

Schulpolitik im "Roten Wien"

Die Umsetzung der Schulreform im "Roten Wien" erfolgte auf drei Ebenen: a) der Schulversuche, b) der inhaltlichen Umgestaltung der Lehrinhalte, c) der Lehrerfortbildung. Von Schuljahren 1922/1923 bis 1926/1927 wurde an sechs Bürgerschulen die "Allgemeine Mittelschule", eine Art differenzierte Gesamtschule, eingeführt. Diese wurde in den Hauptfächern in zwei Klassenzügen geführt. Was die innere Umgestaltung der Lehrpläne anlangt, wurde bereits 1920 ein solcher provisorisch für die Volksschulen erarbeitet. Für die Lehrbücher sorgte ein von der Stadt Wien zu diesem Zweck eingerichteter Verlag: Jugend & Volk. Was die Lehrerbildung anlangt, sorgte das 1922 gegründete Pädagogische Institut der Stadt Wien dafür, dass das Lehrpersonal in der Aus- und Fortbildung auf die neue Schule vorbereitet wurde. In vier Semestern erhielten Lehramtsstudentinnen und –studenten eine schulpraktische und pädagogische Ausbildung. Fortbildungsvorträge von prominenten Universitätslehrern wie Hans Kelsen, Alfred Adler, Max Adler und Anna Freud ergänzten das Angebot.[7] Die Angebote wurden von den Lehrerinnen und Lehrern großteils positiv aufgenommen. Der auf Ebene des Bundes 1927 erreichte Bildungskompromiss führte zur Abschaffung der traditionellen "Bürgerschule" und Einführung einer aufgewerteten zweistufigen "Hauptschule".[8]

Möglichkeiten und Grenzen der Bildungsreform

Die Grenzen der Schulreform zeigten sich bei dem von den bürgerlichen Regierungen bestimmten Festhalten an der konfessionell geprägten Schule und der Opposition zur Gesamtschule. Auch beim Lehrpersonal, welches nur im Fall der Volksschullehrerinnen und -lehrer mehrheitlich aus dem sozialdemokratischen Milieu stammte, blieben Vorbehalte zur Reform bestehen, was die innere Umgestaltung der Lehrinhalte erschwerte. Die von den sozialdemokratischen Mittelschülern heftig geforderte Mitbestimmung fand nicht statt. Auch die Möglichkeiten der Elternvereine blieben sehr beschränkt. Insgesamt gelang aber eine zunehmende Öffnung des Bildungssystems auch in Richtung höherbildender Schulen wie sich anhand steigender Schülerzahlen belegen lässt.[9]

Literatur

  • Oskar Achs: Zwischen Gestern und Morgen. Carl und Aline Furtmüllers Kampf um die Schulreform. Wien: LIT-Verlag 2015
  • Peter Eigner / Andreas Weigl: Karte "Bildungsgrad der Bevölkerung 1870/71-1934/35". In: Historischer Atlas von Wien. 5. Lieferung. Wien: Pichler Verlag 1995
  • Oskar Achs: Das Rote Wien und die Schule. In: Das Rote Wien 1918-1934 (Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien 177), Wien 1993
  • Ludwig Boyer: Schule damals – Schule heute. Otto Glöckel und die Schulreform. Wien / München: Jugend & Volk 1990
  • Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988
  • Friedrich Ostwald: Die Bildungsreform in der Ersten Republik – Schulreform 1927/28. In: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1986, S. 231-248
  • Horst Pfeifle: Otto Glöckel und die Organisation des Bildungswesens. In: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1986, S. 264-278
  • Oskar Achs / Eva Tesar: Schule damals – Schule heute. Otto Glöckel und die Schulreform. Wien / München: Jugend & Volk 1985
  • Erik Adam [u.a.]: Die Schul- und Bildungspolitik der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik. Entwicklung und Vorgeschichte. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1983 (Quellen und Studien zur österreichischen Geistesgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert)
  • Albert Krassnigg / Oskar Achs: Drillschule – Lernschule – Arbeitsschule. Otto Glöckel und die österreichische Schulreform in der Ersten Republik. Wien / München: Jugend & Volk 1974 (Pädagogik der Gegenwart, 112)

Einzelnachweise

  1. Friedrich Ostwald: Die Bildungsreform in der Ersten Republik – Schulreform 1927/28. In: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1986, S. 233.
  2. Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 73.
  3. Albert Krassnigg / Oskar Achs: Drillschule – Lernschule – Arbeitsschule. Otto Glöckel und die österreichische Schulreform in der Ersten Republik. Wien / München: Jugend & Volk 1974 (Pädagogik der Gegenwart, 112), S. 107-118.
  4. Oskar Achs: Zwischen Gestern und Morgen. Carl und Aline Furtmüllers Kampf um die Schulreform. Wien: LIT-Verlag 2015.
  5. Albert Krassnigg / Oskar Achs: Drillschule – Lernschule – Arbeitsschule. Otto Glöckel und die österreichische Schulreform in der Ersten Republik. Wien / München: Jugend & Volk 1974 (Pädagogik der Gegenwart, 112), S. 105.
  6. Oskar Achs / Eva Tesar: Schule damals – Schule heute. Otto Glöckel und die Schulreform. Wien / München: Jugend & Volk 1985, S. 38 f.
  7. Helmut Engelbrecht: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1988, S. 85.
  8. Friedrich Ostwald: Die Bildungsreform in der Ersten Republik – Schulreform 1927/28. In: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1986, S. 244.
  9. Peter Eigner / Andreas Weigl: Karte "Bildungsgrad der Bevölkerung 1870/71-1934/35". In: Historischer Atlas von Wien. 5. Lieferung. Wien: Pichler Verlag 1995.