Paul Martin Neurath

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Portrait Paul Martin Neurath
Daten zur Person

Paul Martin Neurath, * 12. September 1911 Wien, † 4. September 2001 New York, Soziologe, Statistiker.

Biografie

Am 12. September 1911 als Sohn von Anna Schapire-Neurath (13. September 1877–12. November 1911) und Otto Neurath geboren, schlug auch Paul Martin Neurath eine wissenschaftliche Karriere ein und machte sich in New York und in Wien als Soziologe und Statistiker einen Namen.

Ins Milieu des assimilierten jüdischen Wiener Bürgertums geboren, verbrachte Paul Neurath nach dem Tod seiner Mutter die ersten zehn Lebensjahre in einem Kinderheim der Diakonie Bethanien in Gallneukirchen, Oberösterreich. Im Roten Wien politisch sozialisiert, war Neurath Mitglied der Roten Falken und sozialdemokratischer Vorfeldorganisationen. Nach der Matura studierte er auf Anraten seines Vaters Rechtswissenschaften, belegte aber auch Kurse in anderen Fächern, darunter bei Max Adler und Karl Bühler. Die Sommerferien verbrachte Neurath auf der Walz. Seine Reisen führten ihn durch weite Teile Europas.

Da er sich nach der austrofaschistischen Machtübernahme keine großen Hoffnungen auf eine juristische Karriere machte, absolvierte Neurath neben dem Abschluss seines Doktorats im Jahr 1937 kaufmännische Kurse an der Wiener Handelsakademie und einen zweijährigen Werkmeisterkurs in Elektrotechnik und Maschinenbau. Nach dem "Anschluss" an NS-Deutschland im März 1938 konnte er sich einem ersten Verhaftungsversuch durch die Gestapo knapp entziehen. Auf der Flucht in die Tschechoslowakei kurz vor der Grenze festgenommen, gelangte er am 1. April 1938 mit dem sogenannten „Prominententransport“ gemeinsam mit 150 anderen Österreicher*innen in das Konzentrationslager Dachau. Als jüdischer politischer Gefangener in Dachau, später in Buchenwald interniert, gelang Neurath nach seiner Freilassung die Emigration über Schweden in die USA. Nach seiner Ankunft in Schweden im Sommer 1939 absolvierte Neurath eine einjährige Umschulung zum Metallarbeiter und fand Arbeit als Dreher in einer Göteborger Schiffswerft. 1941 erhielt er die Erlaubnis, in die USA einzureisen. Bereits kurz nach seiner Ankunft im Juni 1941 trat Neurath eine Stelle beim Soziologen Paul F. Lazarsfeld an, den er aus Wien kannte.

Er inskribierte im Fach Soziologie an der Columbia University und verteidigte seine Dissertation über das soziale Leben in den Lagern Dachau und Buchenwald im Jahr 1943. Da er die damals für den offiziellen Abschluss des Doktorats verlangten 75 Belegexemplare aus finanziellen Gründen nicht abliefern konnte, erhielt er sein Diplom erst 1951, als die Universität diese Bestimmung änderte.

Während seines zweiten Studiums arbeitete Neurath nicht nur an dem von Paul F. Lazarsfeld gegründeten Office of Radio Research und Research, sondern auch als Assistent des Statistikprofessors W. S. Robinson. Nach seinem Abschluss lehrte er zunächst Statistik an der School of Business, City College of New York. Von 1946 bis 1977 war er am Queens College der City University of New York tätig, wo er Soziologie und Statistik unterrichtete. Seine wissenschaftliche Karriere führte Neurath von New York unter anderem als Fulbright Professor an das Tata-Institute of Social Science in Bombay (1955–1957) und die Universität Köln (1959–1960), aber auch immer wieder zurück an die Universität Wien, wo er ab 1961 zunächst als Gast-, später als Honorarprofessor unterrichtete und das Paul F. Lazarsfeld Archiv am Institut für Soziologie aufbaute, das er bis zu seinem Tod leitete.

Nach zwei kurzen Ehen in den USA, heiratete Neurath 1955 die Wiener Kindergärtnerin Margarete Pospischel. Pospischel brachte einen Sohn aus erster Ehe, Hans-Peter in die Beziehung mit, den Neurath kurz darauf adoptierte. Das Leben der Familie spielte sich in den kommenden Jahrzehnten zwischen Wien und New York ab. Neben internationalen Forschungsaufenthalten, zeugen auch private Touren durch die USA, Europa und Asien von der ausgeprägten Reisefreudigkeit des Paares Neurath.

Paul Neuraths Forschungs-, Lehr- und Vortragstätigkeit verdeutlicht seine vielfältigen wissenschaftlichen Interessen. Er befasste sich unter anderem mit Aspekten des sozialen Lebens in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald, mit statistischen Methoden in den Sozialwissenschaften, Demographie und Bevölkerungspolitik, Massenkommunikation, Drogenpolitik sowie mit Leben und Werk seines Vaters Otto Neurath und seines Lehrers Paul F. Lazarsfeld.

Durch seine Lehrtätigkeit und ein von ihm verfasstes einführendes Werk in die Statistik leistete Neurath einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung quantitativer Methoden und empirischer Sozialwissenschaft im deutschsprachigen Raum.


Quellen

Literatur

  • Gerlinde Janschitz: Paul Martin Neurath. Beispiel einer erfolgreichen Remigrationsbiografie? In: Martin Endreß, Stephan Moebius, (Hg.) Zyklos 5. Jahrbuch für Theorie und Geschichte der Soziologie (Wiesbaden 2019), S. 275–314
  • Paul Martin Neurath: Die Gesellschaft des Terrors. Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald. Hg. von Christian Fleck. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004
  • Paul Neurath. Wissenschaftliche Emigration und Remigration. In: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft I. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940. Wien / München: Jugend und Volk 1987, S. 513–537


Paul Martin Neurath im Katalog der Wienbibliothek im Rathaus.

Weblinks