Haartracht

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Quelle Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien
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Letzte Änderung am 3.12.2018 durch WIEN1.lanm08mic

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Haartracht. Der Frisur galt stets die besondere Aufmerksamkeit von Männern und Frauen; sie veränderte sich im Laufe der Zeit mit der Kleidung, wobei man (abgesehen von geschlechtsspezifischer Mode) grundsätzlich zwischen echtem Haar und Perücke zu unterscheiden hat.

Im Mittelalter war langes, gelöstes Haar das Privileg junger, unverheirateter Mädchen, wogegen verheiratete Frauen sich Zöpfe flochten und diese mit einer Haube bedeckten. War im Mittelalter bei Frauen blondes oder schwarzes Haar beliebt (Bleichung bzw. Färbung; rot war verpönt), so wurden in der Renaissance blonde Farben bevorzugt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts trugen Männer das halblange Haar auf allen Seiten gleichmäßig herabgekämmt bzw. über der Mitte der Stirn, den Ohren und im Nacken waagrecht abgeschnitten. In der Barockzeit waren bei Männern und Frauen Perücken (Allongeperücken, die sich beispielsweise in England als Standesmerkmal bis in die Gegenwart erhalten haben) und gepuderte Haarfrisuren (in Frankreich unter Verwendung von Reis- und Weizenmehl ab dem 16. Jahrhundert) beliebt, die hoch über die Stirn hinauf angeordnet und mit Federn, Blumen und Bändern geschmückt waren (um die Gestalt größer erscheinen zu lassen). Nach Ludwig XIV. band man das Haar im Nacken zusammen (à l'enfant) oder steckte es in einen Haarbeutel. Die reichhaltigste Periode in der Geschichte der Haartracht ist das Rokoko (raffinierte Frisuren, Perücken [bei Männern auch mit Zöpfen], Kämme und anderer Zierrat), wobei Frankreich eine führende Rolle spielte und auch andere Länder beeinflusste; Catogan nannte man im 18. Jahrhundert eine Herrenfrisur, bei der das lange Haar hinten mit einer Schleife zusammengezogen und in ein Netz gelegt wurde, à la Sevigne eine Damenfrisur mit ins Gesicht fallenden Locken. Die Perücke blieb (teilweise bis ins 19. Jahrhundert) die beliebteste männliche Haartracht.

Nach der Französischen Revolution wurde die Haartracht im Sinne der Aufklärung schlichter und kürzer (bewußte Abkehr von der höfischen Haartracht), die Perücken verschwanden (sie tauchten erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in abgewandelter Verwendung wieder auf), das Haar wurde ab den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts nicht mehr gepudert (man ließ es herunterhängen). In der Napoleonischen Ära lehnte man sich (da Napoleon die Schaffung eines Staatswesens nach Art des römischen Imperiums vorschwebte) an antike griechisch-römische Vorbilder an: Ersatz der Zopfperücke bei Männern durch stark verkürztes eigenes Haar (Einführung des Haarschnitts, jedoch erst 1855 Erfindung der Handhaarschneidemaschine durch Nikolaus Bicumik), Wandel der hohen Frisur nach altrömischem Vorbild zum Tituskopf (bei Frauen mit auf dem ganzen Kopf eingedrehten Locken; erlebte 1946/1947 eine Renaissance), wobei das Arrangement in der Biedermeierzeit stärker in die Breite ging und der Tituskopf bei Männern Gefallen fand. Die Haartracht wurde durch die Barttracht ergänzt (zum schmalen Backenbart, der Ende 18. Jahrhundert auftrat, kam in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts der Oberlippenbart und bald danach der Kinnbart, schließlich, vor der Jahrhundertmitte der Vollbart). In der Biedermeierzeit bevorzugten die Damen ab 1820 breite Knoten am Hinterkopf und ab 1830 glatt gekämmtes Haar mit einem Mittel-, V- oder T-Scheitel; in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts war auch die Frisur à la chinoise modern (an beiden Seiten Haarrollen, hinten Knoten mit Ziernadel). Modebilder zeigen für festliche Anlässe und Bälle kunstvolle Gebilde unter reichlicher Verwendung von Blumen, Bändern und Straußenfedern, falschen Haarteilen und Zierkämmen (aus Schildpatt oder Horn), mit deren Hilfe die fantasievoll ausladenden Frisuren der Damen aufgesteckt wurden. Oft war ein geflochtener Haarkorb Basis für Blüten-, Locken- und Schleifenarrangements.

Um die Mitte der 30er Jahre verschwand der Aufbau und die an den Seiten hängenden „Korkenzieherlocken" sowie Stirnbänder (als Goldketten oder Perlenschnüre) wurden modern („Ferroniere"). Nach 1835 wurden die langen Haare zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengesteckt und die Seitenlocken zu den sogenannten „Affenschaukeln" frisiert. Haar- und Hutmode begannen sich zu ergänzen. Obwohl sich die Mode in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder dem Rokoko annäherte (um 1850-1870), wirkte sich dies auf die Haartracht, die ihre natürliche Note erhielt, nicht aus. In den 60er Jahren begannen junge Männer langes Haar (und Vollbärte) zu tragen. In der Gründerzeit wurde das aus der Biedermeierzeit stammende Lockenarrangement der Damen durch ein in den Hals reichendes Lockenbündel abgelöst; der tiefsitzende Knoten der Jahrhundertmitte rückte später an den Hinterkopf, ab den 80er Jahren wurde das Haar glatt mit Knoten getragen. 1872 wurde das Onduliereisen erfunden, 1895 die Dauerwelle.

Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Haartracht wieder komplizierter (bei Frauen hochgekämmtes Haar); auch Ponyfransen (kurzes, in die Stirn gekämmtes Haar) setzten sich (besonders bei jungen Frauen) durch. Eine einschneidende Änderung ergab sich nach dem 1. Weltkrieg, als das kurz geschnittene Haar modern wurde (in den 20er Jahren Bubikopf [Herrenschnitt] bei Frauen); in den 30er Jahren wurde das Haar wieder länger (Innen- oder Olympiarolle), Ende der 30er Jahre oft hochgesteckt.

Nach dem 2. Weltkrieg wuchs der Spielraum für den persönlichen Geschmack beträchtlich. In den 60er Jahren wurde von der Jugend gerne die Beatle-Frisur (vorn in die Stirn, hinten lang) nachgeahmt, bei Damen wurde toupiertes Haar aktuell. Die Perücke erhielt als Zweitfrisur eine neue Funktion.