Grubenhund

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Ausschnitt aus "Die Fackel", Nr. 336–337 (November 1911), S. 5–9, S. 6
Daten zum Begriff
Art des Begriffs Begriffsklärung
Andere Bezeichnung Zeitungsente
Frühere Bezeichnung
Nachweisbar von
Nachweisbar bis
Objektbezug Karl Kraus (Portal)
Quelle
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Letzte Änderung am 15.03.2024 durch WIEN1.lanm09lue
Bildname BegriffGrubenhund.jpg
Bildunterschrift Ausschnitt aus "Die Fackel", Nr. 336–337 (November 1911), S. 5–9, S. 6

Als nach dem Wiener Erdbeben vom Februar 1908 die Zeitungen voll von immergleichen anlassbezogenen Leserzuschriften waren, schuf der Satiriker Karl Kraus einen "Grubenhund" ante litteram: Sich als Geologe ausgebend ("Zivilingenieur J. Berdach, Wien, II. Glockengasse 17") schickte er eine Unsinnsmeldung an die "Neue Freie Presse". In dem fingierten Erdbebenbericht wurde unter anderem zwischen "kosmischen" und "tellurischen Erdbeben" unterschieden und deren "Variabilität der Eindrucksdichtigkeit" betont. Die "Neue Freie Presse" nahm die gelehrt klingende Meldung für seriös und druckte sie wie die anderen Sensationsmeldungen ab.

Der Begriff "Grubenhund" für eine derartige Meldung stammt aber nicht von Kraus, sondern vom Schriftsteller und Ingenieur Arthur Schütz. 1911 gab es in Wien erneut ein Erdbeben. Angeregt durch Kraus' Einsendung von 1908 schickte Schütz der "Neuen Freien Presse" "den haarsträubendsten technischen Unsinn, der mir gerade einfiel, in der Form eines Erdbebenberichtes"[1] mit dem Absender "Dr. Ing. Erich R. v. Winkler, Assisten[t] der Zentralversuchsanstalt der Ostrau-Karwiner Kohlenbergwerke". Die Satire, in der technische Begriffe völlig unpassend kombiniert werden, gipfelt in folgendem Satz:

"Völlig unerklärlich ist jedoch die Erscheinung, daß mein im Laboratorium schlafender Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab."[2]

Dass ein Grubenhund (auch: Grubenhunt) kein Tier, sondern ein im Bergbau verwendeter Förderwagen ist, fiel in der Redaktion der "Neuen Freien Presse" genauso wenig auf wie die technischen Unmöglichkeiten; die Zuschrift erschien am 18. November 1911. Kraus druckte Schütz' Text in der "Fackel" ab und kommentierte:

"Ich schwöre, daß der Dr. Ing. Erich R. v. Winkler nicht von mir ist. Er ist ein Sohn des Zivilingenieurs Berdach aus der Glockengasse. Ich konnte es nicht verhindern, daß sich dieser fortpflanze." [3]

Kraus griff die Bezeichnung "Grubenhund" sofort auf und machte sie durch die häufige Verwendung in der "Fackel" zum geflügelten Wort. Den Zweck solcher Texte formulierte er 1931 folgendermaßen:

"Ein Grubenhund zielt gegen Anmaßung oder Mißbrauch publizistischer Macht, gegen die Aneignung welchen Scheines immer, der dem Publikum einleuchtet, und dient dem sittlichen Zweck, das Absurde, das der Zauber der in Autorität verwandelten Anonymität plausibel macht, dem Bann zu entreißen und dorthin zu führen, wo es rechtens hingehört: ad absurdum."[4]

Schütz verstand die "Grubenhunde" als Protest "gegen die angemaßte Autorität der Druckerschwärze in allen, besonders aber in technischen Dingen".[5] Es gelang ihm jahrelang, seine frei erfundenen Berichte (etwa von feuerbeständiger Kohle, plombierten Zahnrädern oder ovalen Rädern), die durch fingierte Absender von hohem Stand oder Adel beziehungsweise aus der Hochbürokratie legitimiert wurden, in die Leserbriefseiten verschiedener Zeitungen einzuschmuggeln. 1931 erschienen sie als kommentierte Sammlung unter dem Titel "Der Grubenhund. Eine Kultursatire".

Quellen

Literatur

  • Hans E. Goldschmidt: Von Grubenhunden und aufgebundenen Bären im Blätterwald. Wien [u.a.]: Jugend und Volk 1981, insbesondere S. 17 ff.

Einzelnachweise