Wilhelm Reich

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Daten zur Person
Personenname Reich, Wilhelm
Abweichende Namensform Parell, Ernst
Titel Dr. med.
Geschlecht männlich
PageID 33647
GND 118599097
Wikidata Q84412
Geburtsdatum 24. März 1897
Geburtsort Dobzau (Dobrzanica)
Sterbedatum 3. November 1957
Sterbeort Lewisburg, PA, USA
Beruf Arzt, Psychoanalytiker, Soziologe
Parteizugehörigkeit SPÖ, KPÖ, KPD
Ereignis
Nachlass/Vorlass Countway Library, Harvard, Boston, MA, USA
Objektbezug
Quelle Gedenktage
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Letzte Änderung am 8.07.2021 durch WIEN1.lanm09pra
Begräbnisdatum
Friedhof
Grabstelle

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Berufliche Beziehung
Beziehung, Bekanntschaft, Freundschaft

Wilhelm Reich (Pseudonym Ernst Parell), * 24. März 1897 Dobzau (Dobrzanica), † 3. November 1957 Lewisburg, USA, Arzt, Psychoanalytiker

Biografie

Reich stammte aus der Bukowina (Österreich-Ungarn), wo seine Eltern Léon und Eglaia Reich ein Landgut bewirtschaftete. Auf den ersten Seiten seiner Autobiographie beschrieb Reich, wie seine Familie ihr Jüdischsein lebte - in Abgrenzung zur umgebenden Orthodoxie und zum Jiddischen, jedoch in Achtung der familiären Tradition und unter Einhaltung der zentralen Regeln. Reich und sein jüngerer Bruder Robert wurden zunächst durch Privatlehrer unterrichtet und besuchten später das Gymnasium der Provinzhauptstadt Czernowitz. Ihre Kindheit und Jugend war von tragischen Ereignissen überschattet. Im Alter von zwölf Jahren erlebte Wilhelm Reich den Selbstmord seiner Mutter, in dessen Vorgeschichte er sich verstrickt sah. Fünf Jahre später, 1914, starb auch Reichs Vater an Tuberkulose. Reich hatte nun die Leitung des Gutes zu übernehmen. Zu Beginn des Weltkrieges meldete er sich freiwillig und legte zuvor ein Notabitur ab. Ende August 1918 begann Wilhelm Reich in Wien vorerst ein Jus-Studium und wechselte aber bald auf die medizinische Fakultät.

Reich wurde 1922 zum Dr. med. promoviert. Bereits 1920 war er noch als Student Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) geworden, nachdem er außeruniversitär Freud kennengelernt hatte. Als Mediziner arbeitete Reich vorerst an der Psychiatrischen Klinik Julius Wagner-Jaureggs unter Paul Schilder und begann zugleich als Psychoanalytiker zu praktizieren. Er initiierte die Einrichtung eines psychoanalytischen Ambulatoriums, wurde 1924 Leiter des (Ausbildungs-) Technischen Seminars und begründete 1927 die sogenannte charakteranalytische (Behandlungs-)Technik. Gleichzeitig bemühte er sich um die theoretische Integration von Psychoanalyse und Marxismus und wurde einer der Begründer des sog. Freudomarxismus.

Seit den Ereignissen, die der Wiener Julidemonstration vom 15. Juli 1927 folgten, betätigte Reich sich auch offen politisch. Er trat in die SPÖ ein und gründete mit Marie Frischauf und anderen Ärzten die Sozialistische Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung, die kostenlos Sprechstunden für Mittellose anbot. Im Wiener Münster-Verlag, den der Wiener Chemiker und Geheimagent der Sowjetunion Arnold Deutsch unterhielt, erschienen 1930 Reichs populäre Aufklärungsschriften Sexualerregung und Sexualbefriedigung und Geschlechtsreife, Enthaltsamkeit, Ehemoral. Weil Reich innerhalb der SPÖ eine der KPÖ ideologisch nahestehende Gruppe "Revolutionäre Sozialdemokraten" gegründet hatte, wurde er im Jänner 1930 aus der SPÖ ausgeschlossen. Eine Mitgliedschaft in der KPÖ ist jedoch nicht belegt. Erst nach seinem Umzug nach Berlin im Herbst 1930 trat Reich der KPD bei. Seine sexualpolitischen Aktivitäten ("Sexpol") wurden hier anfangs geduldet, weil sie der Partei sonst nicht erreichbare Jugendliche zuführte. Bald stießen sie aber auf Ablehnung durch die Parteiführung. Als Reich im Herbst 1933 seine Analyse des Siegs des Nationalsozialismus über die Linke (Die Massenpsychologie des Faschismus, 1933) publizierte, wurde er auch aus der - bereits verbotenen - KPD ausgeschlossen.

Kurz darauf wurde Reich, aufgrund eines seit Jahren schwelenden grundsätzlichen theoretischen Konflikts mit Sigmund Freud, auf dessen Betreiben - allerdings ohne Nennung und Diskussion der Gründe - zunächst aus der Berliner, 1934 auch aus der internationalen Organisation der Psychoanalyse (IPV) ausgeschlossen.

Sofort nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland emigrierte Reich nach Dänemark. 1934 ging er nach Norwegen, wo er daran arbeitete, seine psychologische und soziologische Theorie zu auszubauen und naturwissenschaftlich zu untermauern: Zum einen entwickelte er seine aus der Freudschen Psychoanalyse entwickelte therapeutische Technik der "Charakteranalyse" weiter, indem er den gesamten Organismus – insbesondere die vegetativen Funktionen – einbezog, weshalb er später oft als "Vater der Körperpsychotherapien" bezeichnet wurde. Zum anderen forschte er mit eigenen Experimenten auf (elektro-)physiologischem, biologischem und physikalischem Gebiet.

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges gelang Reich die Emigration in die USA, wo er die in Norwegen begonnenen Arbeiten fortsetzte und bald bekanntgab, eine meßbare "primordiale kosmische Energie", die er "Orgon" nannte, entdeckt zu haben. Er entwickelte verschiedene Geräte, denen er orgonenergetische Effekte zuschrieb, u. a. einen Orgonakkumulator. Unter des Antikommunismus der McCarthy-Ära aber auch aufgrund abstruser Theorien um UFOs geriet Reich zunehmend in Kritik und kam aufgrund seines Einsatzes von Orgonakkumulatoren zuerst mit der amerikanischen Gesundheitsbehörde und schließlich mit dem Gesetz in den Konflikt. Ein Gericht ordnete die Vernichtung seiner Geräte und seiner sämtlichen Schriften an, was Reich nicht akzeptierte, da es sich seiner Ansicht nach um wissenschaftliche nicht um juristische Fragen handelte. 1956 wurde Reich daher zu einer zweijährigen Haftstrafe wegen "Missachtung des Gerichts" verurteilt, die er im März 1957 antrat und während derer er etwa ein halbes Jahr später verstarb.

Wilhelm Reichs Nachlass wurde an der Havard University Medical School aufgenommen und ist dort seit 2007 zugänglich.

Rezeption

Reichs Theorien wurden infolge seiner Stigmatisierung durch Freud und die Psychoanalytiker jahrzehntelang nicht weiter tradiert und diskutiert. Erst durch die Studentenbewegung der 1960er Jahre wurde er als Vordenker einer "Sexuellen Revolution" (so einer seiner Buchtitel) postum bekannt. Seine Vision war allerdings eine ganz andere als die bloße sexuelle Liberalisierung, die in Berufung auf sein Denken begann. Auch Reichs therapeutische Konzepte wurden in den 1970ern wiederentdeckt, jedoch vielfach falsch rezipiert - ebenso wie seine "Orgonomie" , die als "energetische" Lehre in esoterischen Zirkeln mit anderen Lehren amalgamiert wurde und dabei ihre Substanz verlor. Durch solche popularisierenden und integrativen Rezeptionen in politischen, esoterischen und therapietechnischen Zusammenhängen geriet Reich vollends in Vergessenheit, wobei auch der Grund für seine administrative Kaltstellung und die folgende dauerhafte Verfemung durch Freud nie klar benannt und thematisiert worden war.

Erst rezente wissenschaftliche Arbeiten (unter anderem von Karl Fallend) wie auch filmische Aufarbeitungen seines Lebens - "Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?" (2009, TV-Dokumentation) und "Der Fall Wilhelm Reich" (2012, Spielfilm mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle) durch den österreichischen Filmemacher Antonin Svoboda - bieten in den letzten Jahren ein differenzierteres Bild von Wilhelm Reichs Leben und Werk.

Literatur

  • Ilse Ollendorff-Reich: Wilhelm Reich. Das Leben des großen Psychoanalytikers und Forschers, aufgezeichnet von seiner Frau und Mitarbeiterin. Kindler, München 1975 (engl. Orig. 1969).
  • David Boadella: Wilhelm Reich. Leben und Werk des Mannes, der in der Sexualität das Problem der modernen Gesellschaft erkannte und der Psychologie neue Wege wies. Scherz, Bern/München 1981 (engl. Orig. 1973)
  • Janine Chasseguet-Smirgel / Béla Grunberger: Freud oder Reich? Psychoanalyse und Illusion. Ullstein, Frankfurt/M. u. a. 1979 (franz. Orig. 1976)
  • Bernd A. Laska: Wilhelm Reich in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek 1981; aktualisierte 6. Auflage 2008
  • Myron Sharaf: Wilhelm Reich. Der heilige Zorn des Lebendigen. Die Biografie. Simon & Leutner, Berlin 1994 (engl. Orig. 1983).
  • Karl Fallend: Wilhelm Reich in Wien. Psychoanalyse und Politik. Geyer-Edition, Wien 1988.
  • Karl Fallend, Bernd Nitzschke (Hg.): Der "Fall" Wilhelm Reich. Beiträge zum Verhältnis von Psychoanalyse und Politik. Suhrkamp, Frankfurt 1997,
  • Birgit Johler (Hg.): Wilhelm Reich Revisited. Turia + Kant, Wien 2008.
  • Christopher Turner: Adventures in the Orgasmatron. How the Sexual Revolution came to America. Farrar, Straus & Giroux, New York 2011.
  • Andreas Peglau: Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus. Psychosozial-Verlag, Gießen 2013.

Links

Wikipedia: Wilhelm Reich