Schulpflicht: Unterschied zwischen den Versionen

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Im Jahr 1770 besuchten von 19.314 Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren lediglich 4.665 regelmäßig eine Schule. Alle anderen wurden privat unterrichtet, erhielten ihre Bildung in Winkel- oder Fabrikschulen oder genossen gar keine Schulbildung. Die allgemeine Schulpflicht wurde 1774 von Maria Theresia eingeführt ([[Theresianische Schulordnung]], in deren Gefolge auch einheitliche [[Schulbuch|Schulbücher]] herausgegeben wurden). Das [[Reichsvolksschulgesetz]] legte eine achtjährige Schulpflicht fest. Die im Schulpflichtgesetz vom 25. Juli 1962 geregelte Schulpflicht beginnt am 1. September nach Vollendung des sechsten Lebensjahrs eines Kindes und dauert neun Jahre. Kinder, die zwischem dem 1. September und dem 31. Dezember das sechste Lebensjahr vollenden und schulreif (schulfähig) sind, können auf Ansuchen ihrer Eltern aufgenommen werden. Der Begriff Schulpflicht wäre besser durch "Unterrichtspflicht" zu ersetzen, da schulpflichtige Kinder nicht notwendigerweise eine Schule zu besuchen haben, sondern unterrichtet werden müssen, was auch im häuslichen Unterricht (beispielsweise durch die Eltern selbst) erfolgen kann.
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Bis in das 18. Jahrhundert konnte von Schulpflicht noch keine Rede sein. Für Knaben aus dem Bürgertum existierten ab dem 13. Jahrhundert einige Schulen die Grundkenntnisse vermittelten, ein Teil der Oberschicht ließ ihre Söhne durch Hauslehrer unterrichten, manche Mädchen erhielten in einzelnen Nonnenklöstern Unterricht. Im Jahr 1770 besuchten von rund 19.000 Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren lediglich 4.700 regelmäßig eine Schule. Alle anderen wurden privat unterrichtet, erhielten ihre Bildung in Winkel- oder Fabrikschulen oder genossen gar keine Schulbildung.
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Am 6. Dezember 1774 wurde unter Maria Theresia eine "Allgemeine Schulordnung " erlassen ([[Theresianische Schulordnung]]), in deren Gefolge auch einheitliche [[Schulbuch|Schulbücher]] gedruckt wurden und die die Unterrichtspflicht vorsah. Die 6jährige Trivialschule vermittelte Elementarschulunterricht, die darauf aufbauende 2-3jährige Hauptschule auch vertiefende Kenntnisse in den realistischen Gegenständen. Der Schulbesuch lag lediglich bei 30%, da viele Kinder die Trivialschulen nur 1-2 Jahre besuchten.
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Das [[Reichsvolksschulgesetz]] vom 14. Mai 1869 legte eine achtjährige "Unterrichtspflicht" fest, die auch im häuslichen Unterricht erfüllt werden kann. Noch 1890 besuchten rund 60% der Volksschülerinnen und Volksschüler nach Ende der Schulpflicht Berufsvorbereitungskurse, um den fehlenden Volksschulabschluss nachzuholen. Erst im „Roten Wien“ (1918-1934) gelang es die Schulpflicht weitestgehend durchzusetzen, dies auch deshalb, weil Kinderarbeit an Bedeutung verlor und rigoroser verfolgt wurde.
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Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Zug des „Anschluss“ im März 1938 erhielt die Schulpflicht eine diametral andere Bedeutung. Im Sinn der NS-Rassenideologie wurden etwa 16.000 Schülerinnen und Schüler an allen Wiener Schulen die den Nationalsozialisten aus rassistischen, politischen und nationalistischen Gründen nicht in die „deutsch arische Volksgemeinschaft“ des Dritten Reichs passten „ausgesondert“ und in der Folge auch aus den anfangs noch zur Verfügung gestellten Auffangschulen vertrieben.
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Die im Schulpflichtgesetz vom 25. Juli 1962 geregelte Schulpflicht beginnt am 1. September nach Vollendung des sechsten Lebensjahrs eines Kindes und dauert neun Jahre. Kinder, die zwischen dem 1. September und dem 31. Dezember das sechste Lebensjahr vollenden und schulreif (schulfähig) sind, können auf Ansuchen ihrer Eltern aufgenommen werden. Der Begriff Schulpflicht wäre besser durch "Unterrichtspflicht" zu ersetzen, da schulpflichtige Kinder nicht notwendigerweise eine Schule zu besuchen haben, sondern unterrichtet werden müssen, was auch im häuslichen Unterricht (beispielsweise durch die Eltern selbst) erfolgen kann. Die Schulpflicht wurde 1962 auf neun Jahre ausgedehnt und zu diesem Zweck ein „polytechnisches Jahr“ eingeführt.
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Ein neues Problem für die vollständige Verwirklichung der Schulpflicht entstand jedoch durch die „Gastarbeiterwanderung“. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1972 ergab, dass nur etwa 60% der schulpflichtigen Kinder dieser Migrantengruppe die Schule besuchten. Die Situation besserte sich erst als auch immer mehr Migrantinnen und Migranten ihren Aufenthalt als dauerhaft ansahen. Ein Zusammenhang zwischen mangelndem Nachkommen der Schulpflicht und Bildungsferne der Eltern blieb als latentes Problem allerdings weiterhin bestehen.
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[[Schulgesetzwerk 1962]]  
 
[[Schulgesetzwerk 1962]]  

Version vom 6. September 2021, 16:08 Uhr

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Letzte Änderung am 6.09.2021 durch WIEN1.lanm08wei

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Bis in das 18. Jahrhundert konnte von Schulpflicht noch keine Rede sein. Für Knaben aus dem Bürgertum existierten ab dem 13. Jahrhundert einige Schulen die Grundkenntnisse vermittelten, ein Teil der Oberschicht ließ ihre Söhne durch Hauslehrer unterrichten, manche Mädchen erhielten in einzelnen Nonnenklöstern Unterricht. Im Jahr 1770 besuchten von rund 19.000 Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren lediglich 4.700 regelmäßig eine Schule. Alle anderen wurden privat unterrichtet, erhielten ihre Bildung in Winkel- oder Fabrikschulen oder genossen gar keine Schulbildung.

Am 6. Dezember 1774 wurde unter Maria Theresia eine "Allgemeine Schulordnung " erlassen (Theresianische Schulordnung), in deren Gefolge auch einheitliche Schulbücher gedruckt wurden und die die Unterrichtspflicht vorsah. Die 6jährige Trivialschule vermittelte Elementarschulunterricht, die darauf aufbauende 2-3jährige Hauptschule auch vertiefende Kenntnisse in den realistischen Gegenständen. Der Schulbesuch lag lediglich bei 30%, da viele Kinder die Trivialschulen nur 1-2 Jahre besuchten.

Das Reichsvolksschulgesetz vom 14. Mai 1869 legte eine achtjährige "Unterrichtspflicht" fest, die auch im häuslichen Unterricht erfüllt werden kann. Noch 1890 besuchten rund 60% der Volksschülerinnen und Volksschüler nach Ende der Schulpflicht Berufsvorbereitungskurse, um den fehlenden Volksschulabschluss nachzuholen. Erst im „Roten Wien“ (1918-1934) gelang es die Schulpflicht weitestgehend durchzusetzen, dies auch deshalb, weil Kinderarbeit an Bedeutung verlor und rigoroser verfolgt wurde.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Zug des „Anschluss“ im März 1938 erhielt die Schulpflicht eine diametral andere Bedeutung. Im Sinn der NS-Rassenideologie wurden etwa 16.000 Schülerinnen und Schüler an allen Wiener Schulen die den Nationalsozialisten aus rassistischen, politischen und nationalistischen Gründen nicht in die „deutsch arische Volksgemeinschaft“ des Dritten Reichs passten „ausgesondert“ und in der Folge auch aus den anfangs noch zur Verfügung gestellten Auffangschulen vertrieben.

Die im Schulpflichtgesetz vom 25. Juli 1962 geregelte Schulpflicht beginnt am 1. September nach Vollendung des sechsten Lebensjahrs eines Kindes und dauert neun Jahre. Kinder, die zwischen dem 1. September und dem 31. Dezember das sechste Lebensjahr vollenden und schulreif (schulfähig) sind, können auf Ansuchen ihrer Eltern aufgenommen werden. Der Begriff Schulpflicht wäre besser durch "Unterrichtspflicht" zu ersetzen, da schulpflichtige Kinder nicht notwendigerweise eine Schule zu besuchen haben, sondern unterrichtet werden müssen, was auch im häuslichen Unterricht (beispielsweise durch die Eltern selbst) erfolgen kann. Die Schulpflicht wurde 1962 auf neun Jahre ausgedehnt und zu diesem Zweck ein „polytechnisches Jahr“ eingeführt.

Ein neues Problem für die vollständige Verwirklichung der Schulpflicht entstand jedoch durch die „Gastarbeiterwanderung“. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1972 ergab, dass nur etwa 60% der schulpflichtigen Kinder dieser Migrantengruppe die Schule besuchten. Die Situation besserte sich erst als auch immer mehr Migrantinnen und Migranten ihren Aufenthalt als dauerhaft ansahen. Ein Zusammenhang zwischen mangelndem Nachkommen der Schulpflicht und Bildungsferne der Eltern blieb als latentes Problem allerdings weiterhin bestehen.


Schulgesetzwerk 1962

Literatur

  • Ernst Gerhard Eder: Schüler/innen, Schulen und Bildungspolitiken seit 1770. In: Andreas Weigl / Peter Eigner / Ernst Gerhard Eder [Hg.]: Sozialgeschichte Wiens 1740-2010. Soziale und ökonomische Ungleichheiten, Wanderungsbewegungen, Hof, Bürokratie, Schule, Theater (Geschichte der Stadt Wien 8). Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag 2015, 585-780.
  • Leo Kövesi/ Friedrich Jellouschek: Die Schulgesetze des Bundes. 1963

Links